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Jean Paul: D. Katzenbergers Badereise. Bd. 1. Heidelberg, 1809.

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öfter er sich umkehrte, desto mehr erhob sich die
Schädelstätte empor. Sehr gleichgültige und
verdrüßliche Gespenster-Gedanken wie diese,
bringen um den halben Flug, und Nieß senk-
te sich.

Katzenberger -- von dem kam alles -- hatte
sich nämlich längst in unschuldiger Absicht auf
den Gottesacker geschlichen, weniger um Ge-
fühle als um Knochen einzusammeln, das einzige,
was der Menschenfresser, der Tod, ihm zuwarf un-
ter den Tisch. Zufällig war das Beinhäuschen,
worin er aus einem Knochen-Florilegium ein
kompletes Gerippe auszuheben arbeitete, am
Eingangs-Gitterpförtchen gelegen und hatte
mehr den Schein eines großen Mausoleums
als eines kleinen Gebeinhauses. Katzenberger
hörte das dichterische Eingehen und bekannte
Stimmen, und er sah durchs Gitter alles und
erhorchte noch mehr. Die Natur und die Tod-
ten schwiegen, nur die Liebe sprach, obwohl
keine Liebe zur andern. Für den wissenschaft-
lichen Katzenberger, der eben mitten unter der
scharfen Einkleidung des Lebens wirthschaftete,

oͤfter er ſich umkehrte, deſto mehr erhob ſich die
Schaͤdelſtaͤtte empor. Sehr gleichguͤltige und
verdruͤßliche Geſpenſter-Gedanken wie dieſe,
bringen um den halben Flug, und Nieß ſenk-
te ſich.

Katzenberger — von dem kam alles — hatte
ſich naͤmlich laͤngſt in unſchuldiger Abſicht auf
den Gottesacker geſchlichen, weniger um Ge-
fuͤhle als um Knochen einzuſammeln, das einzige,
was der Menſchenfreſſer, der Tod, ihm zuwarf un-
ter den Tiſch. Zufaͤllig war das Beinhaͤuschen,
worin er aus einem Knochen-Florilegium ein
kompletes Gerippe auszuheben arbeitete, am
Eingangs-Gitterpfoͤrtchen gelegen und hatte
mehr den Schein eines großen Mauſoleums
als eines kleinen Gebeinhauſes. Katzenberger
hörte das dichteriſche Eingehen und bekannte
Stimmen, und er ſah durchs Gitter alles und
erhorchte noch mehr. Die Natur und die Tod-
ten ſchwiegen, nur die Liebe ſprach, obwohl
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lichen Katzenberger, der eben mitten unter der
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[112/0130] oͤfter er ſich umkehrte, deſto mehr erhob ſich die Schaͤdelſtaͤtte empor. Sehr gleichguͤltige und verdruͤßliche Geſpenſter-Gedanken wie dieſe, bringen um den halben Flug, und Nieß ſenk- te ſich. Katzenberger — von dem kam alles — hatte ſich naͤmlich laͤngſt in unſchuldiger Abſicht auf den Gottesacker geſchlichen, weniger um Ge- fuͤhle als um Knochen einzuſammeln, das einzige, was der Menſchenfreſſer, der Tod, ihm zuwarf un- ter den Tiſch. Zufaͤllig war das Beinhaͤuschen, worin er aus einem Knochen-Florilegium ein kompletes Gerippe auszuheben arbeitete, am Eingangs-Gitterpfoͤrtchen gelegen und hatte mehr den Schein eines großen Mauſoleums als eines kleinen Gebeinhauſes. Katzenberger hörte das dichteriſche Eingehen und bekannte Stimmen, und er ſah durchs Gitter alles und erhorchte noch mehr. Die Natur und die Tod- ten ſchwiegen, nur die Liebe ſprach, obwohl keine Liebe zur andern. Fuͤr den wiſſenſchaft- lichen Katzenberger, der eben mitten unter der ſcharfen Einkleidung des Lebens wirthſchaftete,

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Zitationshilfe: Jean Paul: D. Katzenbergers Badereise. Bd. 1. Heidelberg, 1809, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_katzenberger01_1809/130>, abgerufen am 25.04.2024.