Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

Jeder kann denken, wie ihm bei der Sache war.
-- Recht wohl wär' ihm dabei gewesen, wenn er
hätte entsetzlich lügen dürfen oder wenn er nur we¬
nigstens den wenigen Hof-Leuten hätte nachschlagen
dürfen, die unter die 28 Pfund Blut, die ihren
Körper wässern, nicht 28 ehrliche Blutstropfen --
ein einziger kann wie liquor probatorius verdammte
Sedimente nachlassen -- geschüttet haben. Aber
seine Seele ekelte der neue Köder zur Lüge. Der
Leser kann gar noch nicht wissen, daß Viktor fehl¬
schoß, -- daß er nemlich (wegen der Entlegenheit
von Joachimens Argwohn) auf diesen gar nicht kam,
sondern auf den nähern, Joachime habe jetzt seinen
ganzen närrischen Streich gegen die Fürstin heraus.
Er war niemals fähig, einen fremden Leichnam als
Schild den Pfeilschüßen gegen seinen eignen vorzu¬
halten -- eine Sitte aus dem Hof Moria, die nicht
wie die alttestamentliche einen Isaak mit einem
Widder löset, sondern einen Widder mit einem
Isaak -- er war heute am wenigsten fähig, die Für¬
stin Preis zu geben, um sich zu retten; aber auch
nicht einmal das vermocht' er, Joachimen Preis zu
geben, um jene zu retten, d. h. den Teufelszettel
zu einem Miniatur-billet doux an Joachimen um¬
zumünzen. Der Satan schrie sich in ihm heiser,
um ihn nur so weit zu bringen, daß er wenigstens
durch schweigende Pantomime löge und die ihrige

Jeder kann denken, wie ihm bei der Sache war.
— Recht wohl waͤr' ihm dabei geweſen, wenn er
haͤtte entſetzlich luͤgen duͤrfen oder wenn er nur we¬
nigſtens den wenigen Hof-Leuten haͤtte nachſchlagen
duͤrfen, die unter die 28 Pfund Blut, die ihren
Koͤrper waͤſſern, nicht 28 ehrliche Blutstropfen —
ein einziger kann wie liquor probatorius verdammte
Sedimente nachlaſſen — geſchuͤttet haben. Aber
ſeine Seele ekelte der neue Koͤder zur Luͤge. Der
Leſer kann gar noch nicht wiſſen, daß Viktor fehl¬
ſchoß, — daß er nemlich (wegen der Entlegenheit
von Joachimens Argwohn) auf dieſen gar nicht kam,
ſondern auf den naͤhern, Joachime habe jetzt ſeinen
ganzen naͤrriſchen Streich gegen die Fuͤrſtin heraus.
Er war niemals faͤhig, einen fremden Leichnam als
Schild den Pfeilſchuͤßen gegen ſeinen eignen vorzu¬
halten — eine Sitte aus dem Hof Moria, die nicht
wie die altteſtamentliche einen Iſaak mit einem
Widder loͤſet, ſondern einen Widder mit einem
Iſaak — er war heute am wenigſten faͤhig, die Fuͤr¬
ſtin Preis zu geben, um ſich zu retten; aber auch
nicht einmal das vermocht' er, Joachimen Preis zu
geben, um jene zu retten, d. h. den Teufelszettel
zu einem Miniatur-billet doux an Joachimen um¬
zumuͤnzen. Der Satan ſchrie ſich in ihm heiſer,
um ihn nur ſo weit zu bringen, daß er wenigſtens
durch ſchweigende Pantomime loͤge und die ihrige

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0034" n="24"/>
          <p>Jeder kann denken, wie ihm bei der Sache war.<lb/>
&#x2014; Recht wohl wa&#x0364;r' ihm dabei gewe&#x017F;en, wenn er<lb/>
ha&#x0364;tte ent&#x017F;etzlich lu&#x0364;gen du&#x0364;rfen oder wenn er nur we¬<lb/>
nig&#x017F;tens den wenigen Hof-Leuten ha&#x0364;tte nach&#x017F;chlagen<lb/>
du&#x0364;rfen, die unter die 28 Pfund Blut, die ihren<lb/>
Ko&#x0364;rper wa&#x0364;&#x017F;&#x017F;ern, nicht 28 ehrliche Blutstropfen &#x2014;<lb/>
ein einziger kann wie <hi rendition="#aq">liquor probatorius</hi> verdammte<lb/>
Sedimente nachla&#x017F;&#x017F;en &#x2014; ge&#x017F;chu&#x0364;ttet haben. Aber<lb/>
&#x017F;eine Seele ekelte der neue Ko&#x0364;der zur Lu&#x0364;ge. Der<lb/>
Le&#x017F;er kann gar noch nicht wi&#x017F;&#x017F;en, daß Viktor fehl¬<lb/>
&#x017F;choß, &#x2014; daß er nemlich (wegen der Entlegenheit<lb/>
von Joachimens Argwohn) auf die&#x017F;en gar nicht kam,<lb/>
&#x017F;ondern auf den na&#x0364;hern, Joachime habe jetzt &#x017F;einen<lb/>
ganzen na&#x0364;rri&#x017F;chen Streich gegen die Fu&#x0364;r&#x017F;tin heraus.<lb/>
Er war niemals fa&#x0364;hig, einen fremden Leichnam als<lb/>
Schild den Pfeil&#x017F;chu&#x0364;ßen gegen &#x017F;einen eignen vorzu¬<lb/>
halten &#x2014; eine Sitte aus dem Hof Moria, die nicht<lb/>
wie die altte&#x017F;tamentliche einen <hi rendition="#g">I&#x017F;aak</hi> mit einem<lb/><hi rendition="#g">Widder</hi> lo&#x0364;&#x017F;et, &#x017F;ondern einen Widder mit einem<lb/>
I&#x017F;aak &#x2014; er war heute am wenig&#x017F;ten fa&#x0364;hig, die Fu&#x0364;<lb/>
&#x017F;tin Preis zu geben, um &#x017F;ich zu retten; aber auch<lb/>
nicht einmal das vermocht' er, Joachimen Preis zu<lb/>
geben, um jene zu retten, d. h. den Teufelszettel<lb/>
zu einem Miniatur-<hi rendition="#aq">billet doux</hi> an Joachimen um¬<lb/>
zumu&#x0364;nzen. Der Satan &#x017F;chrie &#x017F;ich in ihm hei&#x017F;er,<lb/>
um ihn nur &#x017F;o weit zu bringen, daß er wenig&#x017F;tens<lb/>
durch &#x017F;chweigende Pantomime lo&#x0364;ge und die ihrige<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[24/0034] Jeder kann denken, wie ihm bei der Sache war. — Recht wohl waͤr' ihm dabei geweſen, wenn er haͤtte entſetzlich luͤgen duͤrfen oder wenn er nur we¬ nigſtens den wenigen Hof-Leuten haͤtte nachſchlagen duͤrfen, die unter die 28 Pfund Blut, die ihren Koͤrper waͤſſern, nicht 28 ehrliche Blutstropfen — ein einziger kann wie liquor probatorius verdammte Sedimente nachlaſſen — geſchuͤttet haben. Aber ſeine Seele ekelte der neue Koͤder zur Luͤge. Der Leſer kann gar noch nicht wiſſen, daß Viktor fehl¬ ſchoß, — daß er nemlich (wegen der Entlegenheit von Joachimens Argwohn) auf dieſen gar nicht kam, ſondern auf den naͤhern, Joachime habe jetzt ſeinen ganzen naͤrriſchen Streich gegen die Fuͤrſtin heraus. Er war niemals faͤhig, einen fremden Leichnam als Schild den Pfeilſchuͤßen gegen ſeinen eignen vorzu¬ halten — eine Sitte aus dem Hof Moria, die nicht wie die altteſtamentliche einen Iſaak mit einem Widder loͤſet, ſondern einen Widder mit einem Iſaak — er war heute am wenigſten faͤhig, die Fuͤr¬ ſtin Preis zu geben, um ſich zu retten; aber auch nicht einmal das vermocht' er, Joachimen Preis zu geben, um jene zu retten, d. h. den Teufelszettel zu einem Miniatur-billet doux an Joachimen um¬ zumuͤnzen. Der Satan ſchrie ſich in ihm heiſer, um ihn nur ſo weit zu bringen, daß er wenigſtens durch ſchweigende Pantomime loͤge und die ihrige

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/34
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/34>, abgerufen am 18.04.2024.