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P. Berthold [i. e. Pappenheim, Bertha]: Eine Frauenstimme über Frauenstimmrecht. In: Ethische Kultur 14 (1897), S. 106–107.

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Eine Frauenstimme über Frauenstimmrecht.

Jn jeder Bewegung liegt etwas Reizvolles.
Das Überwinden eines Widerstandes und die dazu nötige
Kraftentwicklung bringt ein Lustgefühl, erhöhtes Selbstbewußt-
sein hervor, das viele Menschen davor bewahrt, in dumpfe
Trägheit zu verfallen. Zielbewußte, nützliche Bewegung, also
Arbeit, ist darum, wenn sie die Kräfte des Arbeiters nicht
übersteigt, etwas sehr Beglückendes. Wenn eine Bewegung
in Sport ausartet, d. h. bloß der Eitelkeit und verwandten
Motiven dient, wird sie wertlos.

Was von körperlicher Bewegung und Kraftleistung gilt,
gilt auch von geistiger Bewegung. Etwas durchdenken. Etwas
begreifen, Hindernisse, auf die man trifft, bewältigen, gehört
zu den höchsten Genüssen des menschlichen Lebens, und solche
geistige Arbeit kann inmitten eines sonst traurigen, freudlosen
Daseins zu einer unerschöpflichen Quelle von Glück werden.

Aber auch eine Bewegung auf geistigem Gebiete kann
ein fortreißendes Tempo annehmen, das die vernünftigen,
wohlbegründeten Anfänge in sportartige Übertreibung aus-
arten läßt, und damit der guten Sache schadet.

Auf einem solchen Punkt ist im Moment die Frauen-
bewegung in Deutschland angekommen, erkenntlich an den
einzelnen Rufen nach Frauenstimmrecht, die sich vernehmen
lassen.

Die Veranlassung zur Frauenbewegung überhaupt gab
die Not. Frauen darbten; der Selbsterhaltungstrieb führte
sie zur Arbeit, und da man uns das Recht auf jede Arbeit,
die wir leisten können, nicht frei zugesteht, so müssen wir es
uns erkämpfen. So entstand die Bewegung, an der nach
und nach alle Frauen teilnehmen werden: hemmend oder
fördernd je nach Verständnis, Jnteresse oder Bedürfnis.

Die Frauen, deren geistiges Leben bisher als ziemlich
leichtes Rieselwässerchen dahin geflossen ist, empfinden das
Beglückende einer geistigen Bewegung und des Kampfes für
ihr gutes Bewußtsein unser selbst, die Proben unserer Kraft und
unseres Könnens machen uns so kampfesfroh, daß viele Frauen[Spaltenumbruch] in ihrer Begeisterung für die gerechte Sache schon über das
Ziel hinaus schießen, indem sie das Frauenstimmrecht ver-
langen.

Den nächsten Anstoß hierzu gab das neue, deutsche
Bürgerliche Gesetzbuch.

Weibliche und männliche Juristen stimmen darüber über-
ein, daß die bezüglichen Paragraphen des neuen Gesetzes dem
Recht der Frau in Ehe und Familie zu wenig Rechnung
tragen. Das ist von Jenen, die das Recht im Staate zu ver-
treten und durch Gesetze zu ordnen haben, ungerecht. Die
viertausendstimmige Petition der deutschen Frauen hätte im
Reichstage Gehör finden müssen, denn wir verlangten nur die
Möglichkeit, daß jeder einzelnen Frau im einzelnen Fall, wenn
sie sich auf dem vorgeschriebenen Rechtsweg begiebt, ihr Recht
werde. Die Petition hatte keinen Erfolg; aber aus dieser
an uns Frauen verübten Ungerechtigkeit das Frauenstimmrecht
ableiten zu wollen, ist bei dem heutigen Durchschnittsmaß
von Frauenbildung doch ein verfrühter Gedanke, den einzelne
Vertreterinnen der Frauenbewegung nur zu lebhaft akkla-
mieren.

Um in einer beratenden und gesetzgebenden Körperschaft
erfolgreich stimmberechtigt teilnehmen zu können, dazu gehört
ein weiterer Blick, von Erfahrung unterstützte tiefe Bildung,
und Routine im öffentlichen Leben und Verkehr - und
darüber werden im heutigen Deutschland wohl nur sehr
wenige Frauen ausreichend verfügen. Denn außer den
wenigen Paragraphen über Ehe- und Familienrecht, in denen
die Frau naturgemäß und als zunächst beteiligt urteilsfähiger
ist als der Mann, sind doch das Jahr hindurch noch viele
andere Dinge Gegenstand der Beratung und Abstimmung im
Reichstag, in denen wir Frauen mit unserem heutigen Wissen
nicht mitsprechen können.

Aber nicht nur für die höchsten Ansprüche eines weib-
lichen Abgeordneten im Parlament sind wir nicht gerüstet,
auch für Wähler sind wir noch nicht reif genug.

Wer die Tragweite gewisser politischer Vorgänge nicht
kennt, wer nicht weiß was finanzielle, verkehrstechnische, in-
dustrielle, wissenschaftliche Fragen und Unternehmungen für
Bedeutung gewinnen können - wer die Telegramme einer
Zeitung ohne Leitartikel nicht versteht - soll nicht den An-
spruch machen, stimmberechtigt und wahlfähig zu sein. Jch
möchte den Einwurf der enragierten Frauenstimmrechtlerinnen,
daß auch eine große Anzahl von Männern ohne Verstand
und Verständnis von ihrem Stimmrecht Gebrauch machen,
nicht gelten lassen. Nicht nur weil der Mann das Stimm-
recht hat, soll die Frau es zu verlangen suchen und eigen-
sinnig die Gleichheit zwischen Mann und Frau durchsetzen
wollen. Das politische ist ein Gebiet, auf dem die deutsche
Frau vorläufig noch nicht im Stande wäre, ihr Recht nützlich
zu gebrauchen. Daraus ist uns kein Vorwurf zu machen,
denn die Politik ist ein großes, kompliziertes Jnteressengebiet,
dem wir bisher absichtlich fern gehalten wurden und in das
auch höchst gebildete und begabte Männer sich einarbeiten
müssen, um etwas zu leisten.

Wir Frauen sollten deshalb heute noch gar keine Be-
friedigung darin finden, nur stimmen und wählen zu können
wie jene Unfähigen und Ungebildeten unter den Männern,
die ohne Überzeugung und ohne eigene Jnitiative an die
Wahlurne treten. Wir wollen uns auch im Wahlkampfe nur
mit dem Besten des Volkes messen - aber das können wir
heute noch nicht.

Darum soll in der Begeisterung für unsere Rechte keine
Übertreibung eintreten, keine Überschätzung unserer Leistungen
platzgreifen. Wir müssen unseren Weg langsam gehen. Erst
wenn wir geistig den gleichen Entwicklungsgang durchgemacht
haben werden wie der Mann, sollen wir anfangen auf unsere
politischen Rechte Anspruch zu erheben.

Wenn heute schon das Frauenstimmrecht in Deutschland
eingeführt würde, so würde das wahrscheinlich gar keine Ver-
änderung im Wahlbilde hervorrufen, denn die Frauen würden
in ihrer politischen Urteilslosigkeit und Unselbstständigkeit nur
im Sinne der Männer des Kreises, dem die Einzelne an-

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Eine Frauenstimme über Frauenstimmrecht.

Jn jeder Bewegung liegt etwas Reizvolles.
Das Überwinden eines Widerstandes und die dazu nötige
Kraftentwicklung bringt ein Lustgefühl, erhöhtes Selbstbewußt-
sein hervor, das viele Menschen davor bewahrt, in dumpfe
Trägheit zu verfallen. Zielbewußte, nützliche Bewegung, also
Arbeit, ist darum, wenn sie die Kräfte des Arbeiters nicht
übersteigt, etwas sehr Beglückendes. Wenn eine Bewegung
in Sport ausartet, d. h. bloß der Eitelkeit und verwandten
Motiven dient, wird sie wertlos.

Was von körperlicher Bewegung und Kraftleistung gilt,
gilt auch von geistiger Bewegung. Etwas durchdenken. Etwas
begreifen, Hindernisse, auf die man trifft, bewältigen, gehört
zu den höchsten Genüssen des menschlichen Lebens, und solche
geistige Arbeit kann inmitten eines sonst traurigen, freudlosen
Daseins zu einer unerschöpflichen Quelle von Glück werden.

Aber auch eine Bewegung auf geistigem Gebiete kann
ein fortreißendes Tempo annehmen, das die vernünftigen,
wohlbegründeten Anfänge in sportartige Übertreibung aus-
arten läßt, und damit der guten Sache schadet.

Auf einem solchen Punkt ist im Moment die Frauen-
bewegung in Deutschland angekommen, erkenntlich an den
einzelnen Rufen nach Frauenstimmrecht, die sich vernehmen
lassen.

Die Veranlassung zur Frauenbewegung überhaupt gab
die Not. Frauen darbten; der Selbsterhaltungstrieb führte
sie zur Arbeit, und da man uns das Recht auf jede Arbeit,
die wir leisten können, nicht frei zugesteht, so müssen wir es
uns erkämpfen. So entstand die Bewegung, an der nach
und nach alle Frauen teilnehmen werden: hemmend oder
fördernd je nach Verständnis, Jnteresse oder Bedürfnis.

Die Frauen, deren geistiges Leben bisher als ziemlich
leichtes Rieselwässerchen dahin geflossen ist, empfinden das
Beglückende einer geistigen Bewegung und des Kampfes für
ihr gutes Bewußtsein unser selbst, die Proben unserer Kraft und
unseres Könnens machen uns so kampfesfroh, daß viele Frauen[Spaltenumbruch] in ihrer Begeisterung für die gerechte Sache schon über das
Ziel hinaus schießen, indem sie das Frauenstimmrecht ver-
langen.

Den nächsten Anstoß hierzu gab das neue, deutsche
Bürgerliche Gesetzbuch.

Weibliche und männliche Juristen stimmen darüber über-
ein, daß die bezüglichen Paragraphen des neuen Gesetzes dem
Recht der Frau in Ehe und Familie zu wenig Rechnung
tragen. Das ist von Jenen, die das Recht im Staate zu ver-
treten und durch Gesetze zu ordnen haben, ungerecht. Die
viertausendstimmige Petition der deutschen Frauen hätte im
Reichstage Gehör finden müssen, denn wir verlangten nur die
Möglichkeit, daß jeder einzelnen Frau im einzelnen Fall, wenn
sie sich auf dem vorgeschriebenen Rechtsweg begiebt, ihr Recht
werde. Die Petition hatte keinen Erfolg; aber aus dieser
an uns Frauen verübten Ungerechtigkeit das Frauenstimmrecht
ableiten zu wollen, ist bei dem heutigen Durchschnittsmaß
von Frauenbildung doch ein verfrühter Gedanke, den einzelne
Vertreterinnen der Frauenbewegung nur zu lebhaft akkla-
mieren.

Um in einer beratenden und gesetzgebenden Körperschaft
erfolgreich stimmberechtigt teilnehmen zu können, dazu gehört
ein weiterer Blick, von Erfahrung unterstützte tiefe Bildung,
und Routine im öffentlichen Leben und Verkehr – und
darüber werden im heutigen Deutschland wohl nur sehr
wenige Frauen ausreichend verfügen. Denn außer den
wenigen Paragraphen über Ehe- und Familienrecht, in denen
die Frau naturgemäß und als zunächst beteiligt urteilsfähiger
ist als der Mann, sind doch das Jahr hindurch noch viele
andere Dinge Gegenstand der Beratung und Abstimmung im
Reichstag, in denen wir Frauen mit unserem heutigen Wissen
nicht mitsprechen können.

Aber nicht nur für die höchsten Ansprüche eines weib-
lichen Abgeordneten im Parlament sind wir nicht gerüstet,
auch für Wähler sind wir noch nicht reif genug.

Wer die Tragweite gewisser politischer Vorgänge nicht
kennt, wer nicht weiß was finanzielle, verkehrstechnische, in-
dustrielle, wissenschaftliche Fragen und Unternehmungen für
Bedeutung gewinnen können – wer die Telegramme einer
Zeitung ohne Leitartikel nicht versteht – soll nicht den An-
spruch machen, stimmberechtigt und wahlfähig zu sein. Jch
möchte den Einwurf der enragierten Frauenstimmrechtlerinnen,
daß auch eine große Anzahl von Männern ohne Verstand
und Verständnis von ihrem Stimmrecht Gebrauch machen,
nicht gelten lassen. Nicht nur weil der Mann das Stimm-
recht hat, soll die Frau es zu verlangen suchen und eigen-
sinnig die Gleichheit zwischen Mann und Frau durchsetzen
wollen. Das politische ist ein Gebiet, auf dem die deutsche
Frau vorläufig noch nicht im Stande wäre, ihr Recht nützlich
zu gebrauchen. Daraus ist uns kein Vorwurf zu machen,
denn die Politik ist ein großes, kompliziertes Jnteressengebiet,
dem wir bisher absichtlich fern gehalten wurden und in das
auch höchst gebildete und begabte Männer sich einarbeiten
müssen, um etwas zu leisten.

Wir Frauen sollten deshalb heute noch gar keine Be-
friedigung darin finden, nur stimmen und wählen zu können
wie jene Unfähigen und Ungebildeten unter den Männern,
die ohne Überzeugung und ohne eigene Jnitiative an die
Wahlurne treten. Wir wollen uns auch im Wahlkampfe nur
mit dem Besten des Volkes messen – aber das können wir
heute noch nicht.

Darum soll in der Begeisterung für unsere Rechte keine
Übertreibung eintreten, keine Überschätzung unserer Leistungen
platzgreifen. Wir müssen unseren Weg langsam gehen. Erst
wenn wir geistig den gleichen Entwicklungsgang durchgemacht
haben werden wie der Mann, sollen wir anfangen auf unsere
politischen Rechte Anspruch zu erheben.

Wenn heute schon das Frauenstimmrecht in Deutschland
eingeführt würde, so würde das wahrscheinlich gar keine Ver-
änderung im Wahlbilde hervorrufen, denn die Frauen würden
in ihrer politischen Urteilslosigkeit und Unselbstständigkeit nur
im Sinne der Männer des Kreises, dem die Einzelne an-

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[106/0001] _______________________________ Eine Frauenstimme über Frauenstimmrecht. Von P. Berthold. Jn jeder Bewegung liegt etwas Reizvolles. Das Überwinden eines Widerstandes und die dazu nötige Kraftentwicklung bringt ein Lustgefühl, erhöhtes Selbstbewußt- sein hervor, das viele Menschen davor bewahrt, in dumpfe Trägheit zu verfallen. Zielbewußte, nützliche Bewegung, also Arbeit, ist darum, wenn sie die Kräfte des Arbeiters nicht übersteigt, etwas sehr Beglückendes. Wenn eine Bewegung in Sport ausartet, d. h. bloß der Eitelkeit und verwandten Motiven dient, wird sie wertlos. Was von körperlicher Bewegung und Kraftleistung gilt, gilt auch von geistiger Bewegung. Etwas durchdenken. Etwas begreifen, Hindernisse, auf die man trifft, bewältigen, gehört zu den höchsten Genüssen des menschlichen Lebens, und solche geistige Arbeit kann inmitten eines sonst traurigen, freudlosen Daseins zu einer unerschöpflichen Quelle von Glück werden. Aber auch eine Bewegung auf geistigem Gebiete kann ein fortreißendes Tempo annehmen, das die vernünftigen, wohlbegründeten Anfänge in sportartige Übertreibung aus- arten läßt, und damit der guten Sache schadet. Auf einem solchen Punkt ist im Moment die Frauen- bewegung in Deutschland angekommen, erkenntlich an den einzelnen Rufen nach Frauenstimmrecht, die sich vernehmen lassen. Die Veranlassung zur Frauenbewegung überhaupt gab die Not. Frauen darbten; der Selbsterhaltungstrieb führte sie zur Arbeit, und da man uns das Recht auf jede Arbeit, die wir leisten können, nicht frei zugesteht, so müssen wir es uns erkämpfen. So entstand die Bewegung, an der nach und nach alle Frauen teilnehmen werden: hemmend oder fördernd je nach Verständnis, Jnteresse oder Bedürfnis. 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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2019-05-23T16:04:02Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2019-05-23T16:04:02Z)

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Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: P. Berthold [i. e. Pappenheim, Bertha]: Eine Frauenstimme über Frauenstimmrecht. In: Ethische Kultur 14 (1897), S. 106–107, hier S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pappenheim_frauenstimme_1897/1>, abgerufen am 29.03.2024.