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Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 3. Leipzig, 1846.

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die fliegenden Sänger im Walde, auf dem Felde und im Garten. Die im Lenz den ganzen Tag lang von Zweig zu Zweig geflogen waren, um vom frühen Morgen bis zum späten Abend sorglos frei und froh ihre Lieder zu singen, die saßen jetzt still in den heimischen Nestern bei der jungen Brut und lehrten ihr, sich putzen und fliegen und Nahrung suchen -- Lieder lernten sie ihnen nicht, das nutzlose Singen trage doch Nichts ein, meinten sie, das lernten sie schon allein und dächten dann, sie hätten nichts Anders zu thun, so leichtsinnig und schlimmgeartet sei nun jetzt einmal die Jugend. Die klugen alten Vögel! Sie betrügen sich nur selbst -- aber sie sind nicht klug genug, um diese Rolle lange durchzuführen -- im neuen Lenz suchen sie all' ihre alten Lieder wieder hervor und probiren und musiciren, daß es eine Lust ist. Aber jetzt waren sie alle still und schwiegen verständig. Die Pyrolen schüttelten gar schön die goldenen Gefieder, breiteten die glänzenden schwarzen Schwingen aus und riefen einander mit ihrem verabredeten Zeichen, dem Pfeifenaccord zusammen zum großen Fluge nach Süden. -- Unten am Teiche wanderten zwei Sötrche bedächtig nebeneinander und setzten mit ernsthaftem Geklapper Tag und Stunde der Reise fest.

Elisabeth sah dem Allen träumend zu, und wie jetzt auch noch ein herbstlich kalter Wind ihr entgegen wehte, so zog auch ein unheimlicher Schauer durch ihre Seele, der ihr bisher

die fliegenden Sänger im Walde, auf dem Felde und im Garten. Die im Lenz den ganzen Tag lang von Zweig zu Zweig geflogen waren, um vom frühen Morgen bis zum späten Abend sorglos frei und froh ihre Lieder zu singen, die saßen jetzt still in den heimischen Nestern bei der jungen Brut und lehrten ihr, sich putzen und fliegen und Nahrung suchen — Lieder lernten sie ihnen nicht, das nutzlose Singen trage doch Nichts ein, meinten sie, das lernten sie schon allein und dächten dann, sie hätten nichts Anders zu thun, so leichtsinnig und schlimmgeartet sei nun jetzt einmal die Jugend. Die klugen alten Vögel! Sie betrügen sich nur selbst — aber sie sind nicht klug genug, um diese Rolle lange durchzuführen — im neuen Lenz suchen sie all’ ihre alten Lieder wieder hervor und probiren und musiciren, daß es eine Lust ist. Aber jetzt waren sie alle still und schwiegen verständig. Die Pyrolen schüttelten gar schön die goldenen Gefieder, breiteten die glänzenden schwarzen Schwingen aus und riefen einander mit ihrem verabredeten Zeichen, dem Pfeifenaccord zusammen zum großen Fluge nach Süden. — Unten am Teiche wanderten zwei Sötrche bedächtig nebeneinander und setzten mit ernsthaftem Geklapper Tag und Stunde der Reise fest.

Elisabeth sah dem Allen träumend zu, und wie jetzt auch noch ein herbstlich kalter Wind ihr entgegen wehte, so zog auch ein unheimlicher Schauer durch ihre Seele, der ihr bisher

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die fliegenden Sänger im Walde, auf dem Felde und im Garten. Die im Lenz den ganzen Tag lang von Zweig zu Zweig geflogen waren, um vom frühen Morgen bis zum späten Abend sorglos frei und froh ihre Lieder zu singen, die saßen jetzt still in den heimischen Nestern bei der jungen Brut und lehrten ihr, sich putzen und fliegen und Nahrung suchen &#x2014; Lieder lernten sie ihnen nicht, das nutzlose Singen trage doch Nichts ein, meinten sie, das lernten sie schon allein und dächten dann, sie hätten nichts Anders zu thun, so leichtsinnig und schlimmgeartet sei nun jetzt einmal die Jugend. Die klugen alten Vögel! Sie betrügen sich nur selbst &#x2014; aber sie sind nicht klug genug, um diese Rolle lange durchzuführen &#x2014; im neuen Lenz suchen sie all&#x2019; ihre alten Lieder wieder hervor und probiren und musiciren, daß es eine Lust ist. Aber jetzt waren sie alle still und schwiegen verständig. Die Pyrolen schüttelten gar schön die goldenen Gefieder, breiteten die glänzenden schwarzen Schwingen aus und riefen einander mit ihrem verabredeten Zeichen, dem Pfeifenaccord zusammen zum großen Fluge nach Süden. &#x2014; Unten am Teiche wanderten zwei Sötrche bedächtig nebeneinander und setzten mit ernsthaftem Geklapper Tag und Stunde der Reise fest.</p>
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[44/0048] die fliegenden Sänger im Walde, auf dem Felde und im Garten. Die im Lenz den ganzen Tag lang von Zweig zu Zweig geflogen waren, um vom frühen Morgen bis zum späten Abend sorglos frei und froh ihre Lieder zu singen, die saßen jetzt still in den heimischen Nestern bei der jungen Brut und lehrten ihr, sich putzen und fliegen und Nahrung suchen — Lieder lernten sie ihnen nicht, das nutzlose Singen trage doch Nichts ein, meinten sie, das lernten sie schon allein und dächten dann, sie hätten nichts Anders zu thun, so leichtsinnig und schlimmgeartet sei nun jetzt einmal die Jugend. Die klugen alten Vögel! Sie betrügen sich nur selbst — aber sie sind nicht klug genug, um diese Rolle lange durchzuführen — im neuen Lenz suchen sie all’ ihre alten Lieder wieder hervor und probiren und musiciren, daß es eine Lust ist. Aber jetzt waren sie alle still und schwiegen verständig. Die Pyrolen schüttelten gar schön die goldenen Gefieder, breiteten die glänzenden schwarzen Schwingen aus und riefen einander mit ihrem verabredeten Zeichen, dem Pfeifenaccord zusammen zum großen Fluge nach Süden. — Unten am Teiche wanderten zwei Sötrche bedächtig nebeneinander und setzten mit ernsthaftem Geklapper Tag und Stunde der Reise fest. Elisabeth sah dem Allen träumend zu, und wie jetzt auch noch ein herbstlich kalter Wind ihr entgegen wehte, so zog auch ein unheimlicher Schauer durch ihre Seele, der ihr bisher

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Zitationshilfe: Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 3. Leipzig, 1846, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss03_1846/48>, abgerufen am 29.03.2024.