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Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846.

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der Ballettänzerinnen richteten, saß Jaromir sinnend im Schauspiel, im Lustspiel, in der Oper, und war ein aufmerksamer, kritischer Beobachter, ob die Darsteller ihre Rollen richtig auffaßten, ob sie ihre schwierigen Aufgaben lös'ten. Er hatte in dieser Zeit eine förmliche Leidenschaft für das Theater, für die Kunst, und ließ es dann an öffentlichen oder privaten Aufmunterungen oder Zurechtweisungen nicht fehlen, wo ihm dies der Mühe werth schien. In der Rolle der Norma sah er Bella zuerst, und noch nie hatte er gesehen, wie diese Rolle, welche alle Leidenschaften und Gefühle des weiblichen Herzens zur Anschauung bringt, so vollkommen dargestellt würde. Gesungen hatten wohl schon Andere diese Arien und Recitative eben so gut -- aber Keine mit seelenvollerer Stimme, Keine hatte das Hochtragische in dieser Rolle so edel und richtig aufgefaßt, als Bella. Ihre schöne Gestalt, ihre anmuthigen Züge waren es nicht, was Jaromir zu ihr hinzog, sondern das große Künstlertalent, das ihn einen verwandten Genius, eine der seinen verwandte Begeisterung für die Kunst ahnen ließ. -- Er mußte sich ihr nähern, aber es war nicht leicht, Zutritt bei Bella zu finden -- sie war noch unvermählt, und lebte unter dem Schutze einer alten Verwandten, ziemlich eingezogen, und wußte ihre Schmeichler und Bewunderer immer in gehöriger Entfernung zu halten. Endlich aber, da Jaromir erst unter seinem Dichternamen einen Briefwechsel

der Ballettänzerinnen richteten, saß Jaromir sinnend im Schauspiel, im Lustspiel, in der Oper, und war ein aufmerksamer, kritischer Beobachter, ob die Darsteller ihre Rollen richtig auffaßten, ob sie ihre schwierigen Aufgaben lös’ten. Er hatte in dieser Zeit eine förmliche Leidenschaft für das Theater, für die Kunst, und ließ es dann an öffentlichen oder privaten Aufmunterungen oder Zurechtweisungen nicht fehlen, wo ihm dies der Mühe werth schien. In der Rolle der Norma sah er Bella zuerst, und noch nie hatte er gesehen, wie diese Rolle, welche alle Leidenschaften und Gefühle des weiblichen Herzens zur Anschauung bringt, so vollkommen dargestellt würde. Gesungen hatten wohl schon Andere diese Arien und Recitative eben so gut — aber Keine mit seelenvollerer Stimme, Keine hatte das Hochtragische in dieser Rolle so edel und richtig aufgefaßt, als Bella. Ihre schöne Gestalt, ihre anmuthigen Züge waren es nicht, was Jaromir zu ihr hinzog, sondern das große Künstlertalent, das ihn einen verwandten Genius, eine der seinen verwandte Begeisterung für die Kunst ahnen ließ. — Er mußte sich ihr nähern, aber es war nicht leicht, Zutritt bei Bella zu finden — sie war noch unvermählt, und lebte unter dem Schutze einer alten Verwandten, ziemlich eingezogen, und wußte ihre Schmeichler und Bewunderer immer in gehöriger Entfernung zu halten. Endlich aber, da Jaromir erst unter seinem Dichternamen einen Briefwechsel

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[53/0063] der Ballettänzerinnen richteten, saß Jaromir sinnend im Schauspiel, im Lustspiel, in der Oper, und war ein aufmerksamer, kritischer Beobachter, ob die Darsteller ihre Rollen richtig auffaßten, ob sie ihre schwierigen Aufgaben lös’ten. Er hatte in dieser Zeit eine förmliche Leidenschaft für das Theater, für die Kunst, und ließ es dann an öffentlichen oder privaten Aufmunterungen oder Zurechtweisungen nicht fehlen, wo ihm dies der Mühe werth schien. In der Rolle der Norma sah er Bella zuerst, und noch nie hatte er gesehen, wie diese Rolle, welche alle Leidenschaften und Gefühle des weiblichen Herzens zur Anschauung bringt, so vollkommen dargestellt würde. Gesungen hatten wohl schon Andere diese Arien und Recitative eben so gut — aber Keine mit seelenvollerer Stimme, Keine hatte das Hochtragische in dieser Rolle so edel und richtig aufgefaßt, als Bella. Ihre schöne Gestalt, ihre anmuthigen Züge waren es nicht, was Jaromir zu ihr hinzog, sondern das große Künstlertalent, das ihn einen verwandten Genius, eine der seinen verwandte Begeisterung für die Kunst ahnen ließ. — Er mußte sich ihr nähern, aber es war nicht leicht, Zutritt bei Bella zu finden — sie war noch unvermählt, und lebte unter dem Schutze einer alten Verwandten, ziemlich eingezogen, und wußte ihre Schmeichler und Bewunderer immer in gehöriger Entfernung zu halten. Endlich aber, da Jaromir erst unter seinem Dichternamen einen Briefwechsel

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Zitationshilfe: Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss01_1846/63>, abgerufen am 28.03.2024.