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Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846.

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mich, und verbarg mich immer hinter den Blumen am Fenster -- nur ein Mal in der Abenddämmerung warf ich ihm eine geknickte Rose zu, an die ich einen Zettel mit den Worten gebunden hatte: >Wir dürfen uns einander nicht nähern, aber mein Herz bewahrte für Jaromir immer dasselbe Gefühl.< Er drückte die Rose an seine Brust, bedeckte sie mit Küssen, und obwohl es schon dunkelte, sah ich doch an allen seinen Bewegungen die eines Glücklichen. Am andern Tag ward ich so krank, daß ich das Bett nicht wieder verlassen konnte. -- Weiter habe ich ihn nicht gesehen und Nichts von ihm gehört, denn ich wagte nicht, Jemanden nach ihm zu fragen. Nun geht es mit mir zu Ende -- ich kann nicht sterben, bis ich ihn nicht noch ein Mal gesehen, bis er mir nicht vergeben. Der Sterbenden darfst Du es nicht verweigern, den letzten Abschied von dem zu nehmen, der dem Herzen, das bald nicht mehr schlägt, Alles war."

"Thue, was Dir Dein Herz gebietet," sagte er, "Du bist mir für keinen Deiner Wünsche, Deiner Gefühle mehr verantwortlich, seitdem ich weiß, daß ich Deine Liebe nie besessen. -- Du betrachtest Dich als eine aus dem Leben Scheidende -- aber Du kannst Dich irren; Du betrachtest den Mann Deiner Liebe als einen durch fünf lange Jahre sich gleich Gebliebenen -- und Du kannst Dich auch irren. Bedenke, daß es Dich dann reuen könnte, durch ein Wiedersehen,

mich, und verbarg mich immer hinter den Blumen am Fenster — nur ein Mal in der Abenddämmerung warf ich ihm eine geknickte Rose zu, an die ich einen Zettel mit den Worten gebunden hatte: ›Wir dürfen uns einander nicht nähern, aber mein Herz bewahrte für Jaromir immer dasselbe Gefühl.‹ Er drückte die Rose an seine Brust, bedeckte sie mit Küssen, und obwohl es schon dunkelte, sah ich doch an allen seinen Bewegungen die eines Glücklichen. Am andern Tag ward ich so krank, daß ich das Bett nicht wieder verlassen konnte. — Weiter habe ich ihn nicht gesehen und Nichts von ihm gehört, denn ich wagte nicht, Jemanden nach ihm zu fragen. Nun geht es mit mir zu Ende — ich kann nicht sterben, bis ich ihn nicht noch ein Mal gesehen, bis er mir nicht vergeben. Der Sterbenden darfst Du es nicht verweigern, den letzten Abschied von dem zu nehmen, der dem Herzen, das bald nicht mehr schlägt, Alles war.“

„Thue, was Dir Dein Herz gebietet,“ sagte er, „Du bist mir für keinen Deiner Wünsche, Deiner Gefühle mehr verantwortlich, seitdem ich weiß, daß ich Deine Liebe nie besessen. — Du betrachtest Dich als eine aus dem Leben Scheidende — aber Du kannst Dich irren; Du betrachtest den Mann Deiner Liebe als einen durch fünf lange Jahre sich gleich Gebliebenen — und Du kannst Dich auch irren. Bedenke, daß es Dich dann reuen könnte, durch ein Wiedersehen,

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Zitationshilfe: Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss01_1846/43>, abgerufen am 29.03.2024.