Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

will ich hin, ich fühle, daß ich diesen armen Leuten eine Genugthuung schuldig bin."

"Mein Fräulein -- Sie sind mehr als ein Engel der Armen!" rief er mit Begeisterung. "Sie wissen, was die reichen Leute niemals glauben wollen, daß es auch für die armen Leute süßer ist, das Brod, um das sie betteln müssen, mit einem freundlichen Blick geboten, als mit einer zürnenden Miene vor die Füße geworfen zu erhalten --" er faßte ihre Hand, er hatte es nie wieder gewagt seit jenem Wintersonntagabend, wo er ihr Beschützer gewesen war, und sie ihm die ihrige gegeben hatte -- aber jetzt konnte er nicht anders, er faßte sie mit raschem Drucke.

Sie erwiderte diesen leise, sah ihn mit einem unbeschreiblich innigen Blicke an, und sagte sanft: "Wer hat mich denn gelehrt, die Gefühle dieser Unglücklichen zu verstehen?"

Beider Augen glänzten feucht -- in diesem Glanz spiegelte Eines das Bild des Andern zurück -- so standen sie einander still gegenüber, ihre Lippen schwiegen, nur diese Blicke sprachen, diese Blicke erzählten das ganze Geheimniß von zwei gleichschlagenden Herzen, und ihre Hände blieben sanft in einander.

Nachdem so eine stille, feierliche Minute über sie hingezogen war, sagte Pauline: "Wir gehen zusammen -- lassen Sie und nicht länger zögern."

will ich hin, ich fühle, daß ich diesen armen Leuten eine Genugthuung schuldig bin.“

„Mein Fräulein — Sie sind mehr als ein Engel der Armen!“ rief er mit Begeisterung. „Sie wissen, was die reichen Leute niemals glauben wollen, daß es auch für die armen Leute süßer ist, das Brod, um das sie betteln müssen, mit einem freundlichen Blick geboten, als mit einer zürnenden Miene vor die Füße geworfen zu erhalten —“ er faßte ihre Hand, er hatte es nie wieder gewagt seit jenem Wintersonntagabend, wo er ihr Beschützer gewesen war, und sie ihm die ihrige gegeben hatte — aber jetzt konnte er nicht anders, er faßte sie mit raschem Drucke.

Sie erwiderte diesen leise, sah ihn mit einem unbeschreiblich innigen Blicke an, und sagte sanft: „Wer hat mich denn gelehrt, die Gefühle dieser Unglücklichen zu verstehen?“

Beider Augen glänzten feucht — in diesem Glanz spiegelte Eines das Bild des Andern zurück — so standen sie einander still gegenüber, ihre Lippen schwiegen, nur diese Blicke sprachen, diese Blicke erzählten das ganze Geheimniß von zwei gleichschlagenden Herzen, und ihre Hände blieben sanft in einander.

Nachdem so eine stille, feierliche Minute über sie hingezogen war, sagte Pauline: „Wir gehen zusammen — lassen Sie und nicht länger zögern.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0219" n="209"/>
will ich hin, ich fühle, daß ich diesen armen Leuten eine Genugthuung schuldig bin.&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Mein Fräulein &#x2014; Sie sind mehr als ein Engel der Armen!&#x201C; rief er mit Begeisterung. &#x201E;Sie wissen, was die reichen Leute niemals glauben wollen, daß es auch für die armen Leute süßer ist, das Brod, um das sie betteln müssen, mit einem freundlichen Blick geboten, als mit einer zürnenden Miene vor die Füße geworfen zu erhalten &#x2014;&#x201C; er faßte ihre Hand, er hatte es nie wieder gewagt seit jenem Wintersonntagabend, wo er ihr Beschützer gewesen war, und sie ihm die ihrige gegeben hatte &#x2014; aber jetzt konnte er nicht anders, er faßte sie mit raschem Drucke.</p>
        <p>Sie erwiderte diesen leise, sah ihn mit einem unbeschreiblich innigen Blicke an, und sagte sanft: &#x201E;Wer hat mich denn gelehrt, die Gefühle dieser Unglücklichen zu verstehen?&#x201C;</p>
        <p>Beider Augen glänzten feucht &#x2014; in diesem Glanz spiegelte Eines das Bild des Andern zurück &#x2014; so standen sie einander still gegenüber, ihre Lippen schwiegen, nur diese Blicke sprachen, diese Blicke erzählten das ganze Geheimniß von zwei gleichschlagenden Herzen, und ihre Hände blieben sanft in einander.</p>
        <p>Nachdem so eine stille, feierliche Minute über sie hingezogen war, sagte Pauline: &#x201E;Wir gehen zusammen &#x2014; lassen Sie und nicht länger zögern.&#x201C;</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[209/0219] will ich hin, ich fühle, daß ich diesen armen Leuten eine Genugthuung schuldig bin.“ „Mein Fräulein — Sie sind mehr als ein Engel der Armen!“ rief er mit Begeisterung. „Sie wissen, was die reichen Leute niemals glauben wollen, daß es auch für die armen Leute süßer ist, das Brod, um das sie betteln müssen, mit einem freundlichen Blick geboten, als mit einer zürnenden Miene vor die Füße geworfen zu erhalten —“ er faßte ihre Hand, er hatte es nie wieder gewagt seit jenem Wintersonntagabend, wo er ihr Beschützer gewesen war, und sie ihm die ihrige gegeben hatte — aber jetzt konnte er nicht anders, er faßte sie mit raschem Drucke. Sie erwiderte diesen leise, sah ihn mit einem unbeschreiblich innigen Blicke an, und sagte sanft: „Wer hat mich denn gelehrt, die Gefühle dieser Unglücklichen zu verstehen?“ Beider Augen glänzten feucht — in diesem Glanz spiegelte Eines das Bild des Andern zurück — so standen sie einander still gegenüber, ihre Lippen schwiegen, nur diese Blicke sprachen, diese Blicke erzählten das ganze Geheimniß von zwei gleichschlagenden Herzen, und ihre Hände blieben sanft in einander. Nachdem so eine stille, feierliche Minute über sie hingezogen war, sagte Pauline: „Wir gehen zusammen — lassen Sie und nicht länger zögern.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Repository TextGrid: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-08-23T11:52:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christoph Leijser, Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-08-23T11:52:15Z)
HATHI TRUST Digital Library: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-08-23T11:52:15Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss01_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss01_1846/219
Zitationshilfe: Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss01_1846/219>, abgerufen am 19.04.2024.