Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

Jaromir stand auch auf und folgte ihr, indem er sich stellte, als sei er der Meinung, sie wolle etwas Verlorenes aufheben. "Ach, Sie wollten nur das arme Maiblümchen pflücken, das so silberschön aus dem feuchten Moose hervorschaut," sagte er, wie sich berichtigend.

Sie zog die Hand von dem zarten Stengel wieder hinweg, den sie noch nicht geknickt hatte, und sagte, zu ihm aufblickend:

"Soll das eine Bitte sein, das Maiblümchen nicht zu pflücken? Es ist das erste, welches ich blühen sehe in diesem Frühling."

"Das erste -- ja alles Erste muß man schonen," sagte Jaromir. "Dann freilich brechen Sie es wenigstens nicht eher, als bis alle seine kleinen Glöckchen aufgeblüht sind -- morgen ist der erste Mai, den haben sie einläuten wollen."

"Alles Erste muß man schonen," wiederholte Elisabeth sinnend. "Warum alles Erste gerade -- warum nicht alles Letzte?"

"O," sagte er, "weil alles Erste von hoher Bedeutung ist -- eine erste Blume und eine erste Begegnung und ein erstes Wort."

Sie erröthete leicht, und sagte nur, auf den Rasen umschauend.

"Es werden bald noch mehr nachfolgen."

"Das lassen Sie mich hoffen," erwiderte er.

Jaromir stand auch auf und folgte ihr, indem er sich stellte, als sei er der Meinung, sie wolle etwas Verlorenes aufheben. „Ach, Sie wollten nur das arme Maiblümchen pflücken, das so silberschön aus dem feuchten Moose hervorschaut,“ sagte er, wie sich berichtigend.

Sie zog die Hand von dem zarten Stengel wieder hinweg, den sie noch nicht geknickt hatte, und sagte, zu ihm aufblickend:

„Soll das eine Bitte sein, das Maiblümchen nicht zu pflücken? Es ist das erste, welches ich blühen sehe in diesem Frühling.“

„Das erste — ja alles Erste muß man schonen,“ sagte Jaromir. „Dann freilich brechen Sie es wenigstens nicht eher, als bis alle seine kleinen Glöckchen aufgeblüht sind — morgen ist der erste Mai, den haben sie einläuten wollen.“

„Alles Erste muß man schonen,“ wiederholte Elisabeth sinnend. „Warum alles Erste gerade — warum nicht alles Letzte?“

„O,“ sagte er, „weil alles Erste von hoher Bedeutung ist — eine erste Blume und eine erste Begegnung und ein erstes Wort.“

Sie erröthete leicht, und sagte nur, auf den Rasen umschauend.

„Es werden bald noch mehr nachfolgen.“

„Das lassen Sie mich hoffen,“ erwiderte er.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0203" n="193"/>
        <p> Jaromir stand auch auf und folgte ihr, indem er sich stellte, als sei er der Meinung, sie wolle etwas Verlorenes aufheben. &#x201E;Ach, Sie wollten nur das arme Maiblümchen pflücken, das so silberschön aus dem feuchten Moose hervorschaut,&#x201C; sagte er, wie sich berichtigend.</p>
        <p>Sie zog die Hand von dem zarten Stengel wieder hinweg, den sie noch nicht geknickt hatte, und sagte, zu ihm aufblickend:</p>
        <p>&#x201E;Soll das eine Bitte sein, das Maiblümchen nicht zu pflücken? Es ist das erste, welches ich blühen sehe in diesem Frühling.&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Das erste &#x2014; ja alles Erste muß man schonen,&#x201C; sagte Jaromir. &#x201E;Dann freilich brechen Sie es wenigstens nicht eher, als bis alle seine kleinen Glöckchen aufgeblüht sind &#x2014; morgen ist der erste Mai, den haben sie einläuten wollen.&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Alles Erste muß man schonen,&#x201C; wiederholte Elisabeth sinnend. &#x201E;Warum alles Erste gerade &#x2014; warum nicht alles Letzte?&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;O,&#x201C; sagte er, &#x201E;weil alles Erste von hoher Bedeutung ist &#x2014; eine erste Blume und eine erste Begegnung und ein erstes Wort.&#x201C;</p>
        <p>Sie erröthete leicht, und sagte nur, auf den Rasen umschauend.</p>
        <p>&#x201E;Es werden bald noch mehr nachfolgen.&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Das lassen Sie mich hoffen,&#x201C; erwiderte er.</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[193/0203] Jaromir stand auch auf und folgte ihr, indem er sich stellte, als sei er der Meinung, sie wolle etwas Verlorenes aufheben. „Ach, Sie wollten nur das arme Maiblümchen pflücken, das so silberschön aus dem feuchten Moose hervorschaut,“ sagte er, wie sich berichtigend. Sie zog die Hand von dem zarten Stengel wieder hinweg, den sie noch nicht geknickt hatte, und sagte, zu ihm aufblickend: „Soll das eine Bitte sein, das Maiblümchen nicht zu pflücken? Es ist das erste, welches ich blühen sehe in diesem Frühling.“ „Das erste — ja alles Erste muß man schonen,“ sagte Jaromir. „Dann freilich brechen Sie es wenigstens nicht eher, als bis alle seine kleinen Glöckchen aufgeblüht sind — morgen ist der erste Mai, den haben sie einläuten wollen.“ „Alles Erste muß man schonen,“ wiederholte Elisabeth sinnend. „Warum alles Erste gerade — warum nicht alles Letzte?“ „O,“ sagte er, „weil alles Erste von hoher Bedeutung ist — eine erste Blume und eine erste Begegnung und ein erstes Wort.“ Sie erröthete leicht, und sagte nur, auf den Rasen umschauend. „Es werden bald noch mehr nachfolgen.“ „Das lassen Sie mich hoffen,“ erwiderte er.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Repository TextGrid: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-08-23T11:52:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christoph Leijser, Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-08-23T11:52:15Z)
HATHI TRUST Digital Library: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-08-23T11:52:15Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss01_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss01_1846/203
Zitationshilfe: Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss01_1846/203>, abgerufen am 20.04.2024.