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Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846.

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wohl nicht gedacht? Er ist nur ein gewöhnlicher Arbeiter in unsrer Fabrik, aber ein jüngerer Bruder unseres Lehrers Thalheim."

"Wär's möglich!" rief Elisabeth.

"Ja, dieser Franz hat mir es selbst erzählt, sein Vater ist Schuhmacher gewesen, und da sein ältester Sohn viel Anlagen gehabt, so hat er ihn zum Studiren bestimmt. Darüber ist aber der Vater gestorben, und da unser Lehrer das Studium nicht hat aufgeben wollen, so hat er sich auf der Universität sehr kümmerlich behelfen, und allerhand kleine Erwerbsquellen aufsuchen müssen. Die andern Knaben haben an die Erlernung eines Handwerkes gehen müssen, und so befindet sich denn seit Kurzem dieser Franz in unsrer Fabrik. Er ist nicht roh und ungesittet, wie die andern niedriggestellten Fabrikarbeiter, aber diese scheinen ihn mehr als irgend einen zu lieben, trotzdem, daß er ihnen manchmal mit strafenden Worten die Wahrheit sagt."

"Ich hörte einen Andern davon sprechen, daß er schreibe -- wohl für's Volk?"

"Ja, er hat einige einfache, aber rührende Geschichten geschrieben, welche die Noth der Fabrikarbeiter, der arbeitenden Classen überhaupt schildern -- er hat mir selbst am Tage nach unsrer Christbescheerung ein Exemplar davon geschickt, und eine gefühlvolle Dedication für mich beigefügt. Bei dieser Gelegenheit war es auch, wo ich überhaupt zuerst

wohl nicht gedacht? Er ist nur ein gewöhnlicher Arbeiter in unsrer Fabrik, aber ein jüngerer Bruder unseres Lehrers Thalheim.“

„Wär’s möglich!“ rief Elisabeth.

„Ja, dieser Franz hat mir es selbst erzählt, sein Vater ist Schuhmacher gewesen, und da sein ältester Sohn viel Anlagen gehabt, so hat er ihn zum Studiren bestimmt. Darüber ist aber der Vater gestorben, und da unser Lehrer das Studium nicht hat aufgeben wollen, so hat er sich auf der Universität sehr kümmerlich behelfen, und allerhand kleine Erwerbsquellen aufsuchen müssen. Die andern Knaben haben an die Erlernung eines Handwerkes gehen müssen, und so befindet sich denn seit Kurzem dieser Franz in unsrer Fabrik. Er ist nicht roh und ungesittet, wie die andern niedriggestellten Fabrikarbeiter, aber diese scheinen ihn mehr als irgend einen zu lieben, trotzdem, daß er ihnen manchmal mit strafenden Worten die Wahrheit sagt.“

„Ich hörte einen Andern davon sprechen, daß er schreibe — wohl für’s Volk?“

„Ja, er hat einige einfache, aber rührende Geschichten geschrieben, welche die Noth der Fabrikarbeiter, der arbeitenden Classen überhaupt schildern — er hat mir selbst am Tage nach unsrer Christbescheerung ein Exemplar davon geschickt, und eine gefühlvolle Dedication für mich beigefügt. Bei dieser Gelegenheit war es auch, wo ich überhaupt zuerst

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[137/0147] wohl nicht gedacht? Er ist nur ein gewöhnlicher Arbeiter in unsrer Fabrik, aber ein jüngerer Bruder unseres Lehrers Thalheim.“ „Wär’s möglich!“ rief Elisabeth. „Ja, dieser Franz hat mir es selbst erzählt, sein Vater ist Schuhmacher gewesen, und da sein ältester Sohn viel Anlagen gehabt, so hat er ihn zum Studiren bestimmt. Darüber ist aber der Vater gestorben, und da unser Lehrer das Studium nicht hat aufgeben wollen, so hat er sich auf der Universität sehr kümmerlich behelfen, und allerhand kleine Erwerbsquellen aufsuchen müssen. Die andern Knaben haben an die Erlernung eines Handwerkes gehen müssen, und so befindet sich denn seit Kurzem dieser Franz in unsrer Fabrik. Er ist nicht roh und ungesittet, wie die andern niedriggestellten Fabrikarbeiter, aber diese scheinen ihn mehr als irgend einen zu lieben, trotzdem, daß er ihnen manchmal mit strafenden Worten die Wahrheit sagt.“ „Ich hörte einen Andern davon sprechen, daß er schreibe — wohl für’s Volk?“ „Ja, er hat einige einfache, aber rührende Geschichten geschrieben, welche die Noth der Fabrikarbeiter, der arbeitenden Classen überhaupt schildern — er hat mir selbst am Tage nach unsrer Christbescheerung ein Exemplar davon geschickt, und eine gefühlvolle Dedication für mich beigefügt. Bei dieser Gelegenheit war es auch, wo ich überhaupt zuerst

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Zitationshilfe: Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss01_1846/147>, abgerufen am 25.04.2024.