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Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846.

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lag vor ihr in Nebel gehüllt, wie die Thäler und Bäche und all' die Fernen, über welche der Morgen erst leise aufdämmerte -- nur die Berge hatte er schon mit blitzendem Sonnengold gekrönt.

Sie ging ein Stück auf der Straße fort bis zu einem kleinen Rasenhügel, auf dem eine Steinbank zwischen hohen Lindengruppen angebracht war. Hierher setzte sie sich, denn von hieraus konnte sie den Wagen schon von Weitem kommen sehen. Sie nahm ihren Hut ab, und legte ihn auf die Bank, damit er sie nicht etwa am Sehen hindere. Bange Minuten vergingen ihr -- sie fühlte und dachte dabei aber sonst Nichts, weil sie immer nur auf den einen Punkt der Gegend hinstarrte, von wo der Wagen kommen mußte, der Wagen, den sie so sehnlich erwartete, und vor dessen Nahen sie doch auch wieder so zitterte, weil dann bald der Augenblick für immer vorüber sei, wo sie noch ein Mal vor dem theuern Menschen gestanden.

Jetzt wirbelten Staubwolken auf -- ein zurückgeschlagener Wagen ward sichtbar -- ein einzelner Mann saß darinnen -- er war es -- sie sprang auf den Wagen zu, wie er bei ihr vorüberfliegen wollte, warf den Strauß hinein, und rief: "Mein Lehrer!"

Er befahl hastig, den Wagen zu halten -- er sprang heraus.

lag vor ihr in Nebel gehüllt, wie die Thäler und Bäche und all’ die Fernen, über welche der Morgen erst leise aufdämmerte — nur die Berge hatte er schon mit blitzendem Sonnengold gekrönt.

Sie ging ein Stück auf der Straße fort bis zu einem kleinen Rasenhügel, auf dem eine Steinbank zwischen hohen Lindengruppen angebracht war. Hierher setzte sie sich, denn von hieraus konnte sie den Wagen schon von Weitem kommen sehen. Sie nahm ihren Hut ab, und legte ihn auf die Bank, damit er sie nicht etwa am Sehen hindere. Bange Minuten vergingen ihr — sie fühlte und dachte dabei aber sonst Nichts, weil sie immer nur auf den einen Punkt der Gegend hinstarrte, von wo der Wagen kommen mußte, der Wagen, den sie so sehnlich erwartete, und vor dessen Nahen sie doch auch wieder so zitterte, weil dann bald der Augenblick für immer vorüber sei, wo sie noch ein Mal vor dem theuern Menschen gestanden.

Jetzt wirbelten Staubwolken auf — ein zurückgeschlagener Wagen ward sichtbar — ein einzelner Mann saß darinnen — er war es — sie sprang auf den Wagen zu, wie er bei ihr vorüberfliegen wollte, warf den Strauß hinein, und rief: „Mein Lehrer!“

Er befahl hastig, den Wagen zu halten — er sprang heraus.

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[106/0116] lag vor ihr in Nebel gehüllt, wie die Thäler und Bäche und all’ die Fernen, über welche der Morgen erst leise aufdämmerte — nur die Berge hatte er schon mit blitzendem Sonnengold gekrönt. Sie ging ein Stück auf der Straße fort bis zu einem kleinen Rasenhügel, auf dem eine Steinbank zwischen hohen Lindengruppen angebracht war. Hierher setzte sie sich, denn von hieraus konnte sie den Wagen schon von Weitem kommen sehen. Sie nahm ihren Hut ab, und legte ihn auf die Bank, damit er sie nicht etwa am Sehen hindere. Bange Minuten vergingen ihr — sie fühlte und dachte dabei aber sonst Nichts, weil sie immer nur auf den einen Punkt der Gegend hinstarrte, von wo der Wagen kommen mußte, der Wagen, den sie so sehnlich erwartete, und vor dessen Nahen sie doch auch wieder so zitterte, weil dann bald der Augenblick für immer vorüber sei, wo sie noch ein Mal vor dem theuern Menschen gestanden. Jetzt wirbelten Staubwolken auf — ein zurückgeschlagener Wagen ward sichtbar — ein einzelner Mann saß darinnen — er war es — sie sprang auf den Wagen zu, wie er bei ihr vorüberfliegen wollte, warf den Strauß hinein, und rief: „Mein Lehrer!“ Er befahl hastig, den Wagen zu halten — er sprang heraus.

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Zitationshilfe: Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss01_1846/116>, abgerufen am 28.03.2024.