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Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846.

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-- dann wird es gut sein, wenn Sie sich vorher geübt."

Er nahm Elisabeths Hand, sie zitterte krampfhaft in der seinen, er hielt sie so fest, daß sie nicht mehr zittern konnte, und sagte: "Sie schrieben einmal einen Aufsatz über das Bibelwort: >Wem Viel gegeben, von dem wird man Viel fordern< -- beherzigen Sie das wohl -- machen Sie die großen Erwartungen wahr, zu denen Ihr Charakter berechtigt -- und nun leben Sie wohl, und weihen Sie mir zuweilen einen Augenblick freundlicher Erinnerung."

"Leben Sie wohl," sagte Pauline unter Thränen, "wir werden Sie niemals vergessen, wir werden oft zusammen von Ihnen sprechen, vergessen Sie auch Ihre Schülerinnen nicht ganz."

"Leben Sie wohl," antwortete Elisabeth -- sah ihn noch mit einem unaussprechlichen Blick an, und wie er ihre Hand los ließ, warf sie sich an Paulinens Brust.

Thalheim verließ schnell den Garten.

Jetzt erst brach Elisabeth in lautes Schluchzen aus -- nach einer Weile sagte sie: "Es kann, es darf nicht sein!"

In diesem Augenblick kam Aurelie in den Garten und in die Laube. "Ei," sagte sie lachend, "Ihr befindet Euch ja in einer ganz besonders zärtlichen Stellung -- wenn diesem weinerlichen Duo etwa ein schmachtendes Finale vorhergegangen, wobei Thalheim, wie die Theaterkritiker sagen,

— dann wird es gut sein, wenn Sie sich vorher geübt.“

Er nahm Elisabeths Hand, sie zitterte krampfhaft in der seinen, er hielt sie so fest, daß sie nicht mehr zittern konnte, und sagte: „Sie schrieben einmal einen Aufsatz über das Bibelwort: ›Wem Viel gegeben, von dem wird man Viel fordern‹ — beherzigen Sie das wohl — machen Sie die großen Erwartungen wahr, zu denen Ihr Charakter berechtigt — und nun leben Sie wohl, und weihen Sie mir zuweilen einen Augenblick freundlicher Erinnerung.“

„Leben Sie wohl,“ sagte Pauline unter Thränen, „wir werden Sie niemals vergessen, wir werden oft zusammen von Ihnen sprechen, vergessen Sie auch Ihre Schülerinnen nicht ganz.“

„Leben Sie wohl,“ antwortete Elisabeth — sah ihn noch mit einem unaussprechlichen Blick an, und wie er ihre Hand los ließ, warf sie sich an Paulinens Brust.

Thalheim verließ schnell den Garten.

Jetzt erst brach Elisabeth in lautes Schluchzen aus — nach einer Weile sagte sie: „Es kann, es darf nicht sein!“

In diesem Augenblick kam Aurelie in den Garten und in die Laube. „Ei,“ sagte sie lachend, „Ihr befindet Euch ja in einer ganz besonders zärtlichen Stellung — wenn diesem weinerlichen Duo etwa ein schmachtendes Finale vorhergegangen, wobei Thalheim, wie die Theaterkritiker sagen,

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[100/0110] — dann wird es gut sein, wenn Sie sich vorher geübt.“ Er nahm Elisabeths Hand, sie zitterte krampfhaft in der seinen, er hielt sie so fest, daß sie nicht mehr zittern konnte, und sagte: „Sie schrieben einmal einen Aufsatz über das Bibelwort: ›Wem Viel gegeben, von dem wird man Viel fordern‹ — beherzigen Sie das wohl — machen Sie die großen Erwartungen wahr, zu denen Ihr Charakter berechtigt — und nun leben Sie wohl, und weihen Sie mir zuweilen einen Augenblick freundlicher Erinnerung.“ „Leben Sie wohl,“ sagte Pauline unter Thränen, „wir werden Sie niemals vergessen, wir werden oft zusammen von Ihnen sprechen, vergessen Sie auch Ihre Schülerinnen nicht ganz.“ „Leben Sie wohl,“ antwortete Elisabeth — sah ihn noch mit einem unaussprechlichen Blick an, und wie er ihre Hand los ließ, warf sie sich an Paulinens Brust. Thalheim verließ schnell den Garten. Jetzt erst brach Elisabeth in lautes Schluchzen aus — nach einer Weile sagte sie: „Es kann, es darf nicht sein!“ In diesem Augenblick kam Aurelie in den Garten und in die Laube. „Ei,“ sagte sie lachend, „Ihr befindet Euch ja in einer ganz besonders zärtlichen Stellung — wenn diesem weinerlichen Duo etwa ein schmachtendes Finale vorhergegangen, wobei Thalheim, wie die Theaterkritiker sagen,

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Zitationshilfe: Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss01_1846/110>, abgerufen am 23.04.2024.