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Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 2. Solingen, 1844.

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dann leider auf die gräulichsten Weisen. Daher jene
Laster, für welche unsere keusche Sprache keinen Namen
hat. Daher die Arbeitsscheu und Ruhsucht bei vieler
Jugend, daher diese schwächlichen Körper, die oft dem
späteren Berufsleben nicht genügen können, diese Richter,
die bald über ihren ungesunden Aktentisch klagen, diese
Geistlichen, die in der kalten Kirche den Husten bekom-
men, diese Aerzte, welche bei Aufforderungen zu nächt-
lichen Krankenbesuchen im ersten Schweiße liegen; daher
alle armseligen Schlucker und Mucker.

Die Arbeiten, Mühen und Beschwerden des Lebens
sind allerdings jetzt so vielfach und anstrengend, daß ein
rüstiger Körper dazu gehört, um ihnen gewachsen zu sein.
Wenn nun hierzu nicht schon in der Jugend der Grund
gelegt wird, so hat man Lebenslang dafür zu büßen;
oder wenn man das Versäumte nachholen will, so wird
es einem später viel schwerer, und dennoch bleibt man
hinter den Altersgenossen zurück, denen dies Glück von
Jugend auf zu Theil war. Nicht genug aber, daß das
Turnen den Körper zur Ertragung von Anstrengungen
eignet, ist es auch in steter Rückwirkung auf den Geist,
wie dies Koch -- die Gymnastik aus dem Gesichtspunkt
der Diätetik und Psychologie, Magdeburg 1830 -- zur
Genüge dargethan hat. "Die Seele, die in einem ge-
sunden Leibe wohnt, greift kräftiger und fröhlicher jedes
Werk an, als wo der Körper schlaff und ohne gewecktes
Kraftgefühl ist." -- Zarnack: Nachrichten über den ge-
genwärtigen Zustand des Potsdamischen Militair-Waisen-
hauses. Berlin 1817. S. 55. -- Hier die Worte des
erfahrenen Zarnack: "Frag' ich meine eigenen Erfahrungen
von den Jugendjahren her, so ist mir nie eine geistige
Arbeit besser gelungen, als wenn eine leibliche Uebung
dazwischen war; ja hatte ich diese eine Zeit lang
getrieben, so ergriff mich wieder ein unerklärliches Ver-
langen nach jener, und viele verständige Menschen, mit
denen ich über diesen Gegenstand gesprochen, haben mich
dasselbe versichert." -- S. 56. -- Jch habe dies auch

dann leider auf die gräulichſten Weiſen. Daher jene
Laſter, für welche unſere keuſche Sprache keinen Namen
hat. Daher die Arbeitsſcheu und Ruhſucht bei vieler
Jugend, daher dieſe ſchwächlichen Körper, die oft dem
ſpäteren Berufsleben nicht genügen können, dieſe Richter,
die bald über ihren ungeſunden Aktentiſch klagen, dieſe
Geiſtlichen, die in der kalten Kirche den Huſten bekom-
men, dieſe Aerzte, welche bei Aufforderungen zu nächt-
lichen Krankenbeſuchen im erſten Schweiße liegen; daher
alle armſeligen Schlucker und Mucker.

Die Arbeiten, Mühen und Beſchwerden des Lebens
ſind allerdings jetzt ſo vielfach und anſtrengend, daß ein
rüſtiger Körper dazu gehört, um ihnen gewachſen zu ſein.
Wenn nun hierzu nicht ſchon in der Jugend der Grund
gelegt wird, ſo hat man Lebenslang dafür zu büßen;
oder wenn man das Verſäumte nachholen will, ſo wird
es einem ſpäter viel ſchwerer, und dennoch bleibt man
hinter den Altersgenoſſen zurück, denen dies Glück von
Jugend auf zu Theil war. Nicht genug aber, daß das
Turnen den Körper zur Ertragung von Anſtrengungen
eignet, iſt es auch in ſteter Rückwirkung auf den Geiſt,
wie dies Koch — die Gymnaſtik aus dem Geſichtspunkt
der Diätetik und Pſychologie, Magdeburg 1830 — zur
Genüge dargethan hat. „Die Seele, die in einem ge-
ſunden Leibe wohnt, greift kräftiger und fröhlicher jedes
Werk an, als wo der Körper ſchlaff und ohne gewecktes
Kraftgefühl iſt.“ — Zarnack: Nachrichten über den ge-
genwärtigen Zuſtand des Potsdamiſchen Militair-Waiſen-
hauſes. Berlin 1817. S. 55. — Hier die Worte des
erfahrenen Zarnack: „Frag’ ich meine eigenen Erfahrungen
von den Jugendjahren her, ſo iſt mir nie eine geiſtige
Arbeit beſſer gelungen, als wenn eine leibliche Uebung
dazwiſchen war; ja hatte ich dieſe eine Zeit lang
getrieben, ſo ergriff mich wieder ein unerklärliches Ver-
langen nach jener, und viele verſtändige Menſchen, mit
denen ich über dieſen Gegenſtand geſprochen, haben mich
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[8/0012] dann leider auf die gräulichſten Weiſen. Daher jene Laſter, für welche unſere keuſche Sprache keinen Namen hat. Daher die Arbeitsſcheu und Ruhſucht bei vieler Jugend, daher dieſe ſchwächlichen Körper, die oft dem ſpäteren Berufsleben nicht genügen können, dieſe Richter, die bald über ihren ungeſunden Aktentiſch klagen, dieſe Geiſtlichen, die in der kalten Kirche den Huſten bekom- men, dieſe Aerzte, welche bei Aufforderungen zu nächt- lichen Krankenbeſuchen im erſten Schweiße liegen; daher alle armſeligen Schlucker und Mucker. Die Arbeiten, Mühen und Beſchwerden des Lebens ſind allerdings jetzt ſo vielfach und anſtrengend, daß ein rüſtiger Körper dazu gehört, um ihnen gewachſen zu ſein. Wenn nun hierzu nicht ſchon in der Jugend der Grund gelegt wird, ſo hat man Lebenslang dafür zu büßen; oder wenn man das Verſäumte nachholen will, ſo wird es einem ſpäter viel ſchwerer, und dennoch bleibt man hinter den Altersgenoſſen zurück, denen dies Glück von Jugend auf zu Theil war. Nicht genug aber, daß das Turnen den Körper zur Ertragung von Anſtrengungen eignet, iſt es auch in ſteter Rückwirkung auf den Geiſt, wie dies Koch — die Gymnaſtik aus dem Geſichtspunkt der Diätetik und Pſychologie, Magdeburg 1830 — zur Genüge dargethan hat. „Die Seele, die in einem ge- ſunden Leibe wohnt, greift kräftiger und fröhlicher jedes Werk an, als wo der Körper ſchlaff und ohne gewecktes Kraftgefühl iſt.“ — Zarnack: Nachrichten über den ge- genwärtigen Zuſtand des Potsdamiſchen Militair-Waiſen- hauſes. Berlin 1817. S. 55. — Hier die Worte des erfahrenen Zarnack: „Frag’ ich meine eigenen Erfahrungen von den Jugendjahren her, ſo iſt mir nie eine geiſtige Arbeit beſſer gelungen, als wenn eine leibliche Uebung dazwiſchen war; ja hatte ich dieſe eine Zeit lang getrieben, ſo ergriff mich wieder ein unerklärliches Ver- langen nach jener, und viele verſtändige Menſchen, mit denen ich über dieſen Gegenſtand geſprochen, haben mich dasſelbe verſichert.“ — S. 56. — Jch habe dies auch

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Zitationshilfe: Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 2. Solingen, 1844, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_turnkunst02_1844/12>, abgerufen am 29.03.2024.