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Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 1. Danzig, 1843.

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eine rohe, gewaltsame, verwegene Leibesübung, und
durch das Unwesen der Turnlehrer selbst, sich eine An-
tipathie im Volke, zumal gegen die Uebertragung sol-
ches Wesens auf das weibliche Geschlecht, gegen das
Turnwesen sich bildete. Natürlich überdauert dieser
Widerwille noch den Untergang des Turnwesens der
damaligen Zeit, sowie die Einwirkung der neuern
Gymnastik. Die Turnlehrer brachten dadurch ihrer
Kunst einen bedeutenden Schaden, daß sie sich nicht
bloß mit dem Unterrichten der Jugend in Leibesübun-
gen begnügten, sondern eine totale Umwandlung ihrer
leiblichen wie geistigen Richtung nach aufgestellten
Jdeen, namentlich Deutschthümelei herbeiführen wollten.
Das Bewußtsein der wohlthätigen Fortwirkung der
Uebungen auf Leib und Seele befriedigte ihren heißen
Wunsch nicht, sofort ein neues kräftiges Geschlecht ge-
schaffen zu haben.

So entfremdeten sie sich die Knaben, um wie
viel mehr die Mädchen.

2) Die Schulbildung der Mädchen erlaubt ih-
nen nicht Zeit noch Gelegenheit zur Ausbildung kör-
perlicher Tüchtigkeit. Ohne die Lorinsersche Streit-
frage hier aufzuregen, bestätigt die tägliche Erfah-
rung das Gesagte. Ein gleiches Verhältniß gilt für die
Knabenschulen, wie für die höhern Unterrichtsan-
stalten, und einen schlagenden Beweis dafür liefert die
Liste der Zöglinge der hiesigen Turnschule. *) Die
Noth der Kinder in der geistigen Arbeit ist so groß
daß nicht die Zeit, nicht die Lust für Leibesbildung,
übrig bleiben kann.

3) So lange die Organisation in den Schulen
zur gehörigen Berücksichtigung leiblicher Uebungen nicht
vorhanden ist, wird auch der Erziehung die allgemein
als nöthig anerkannte Richtung in angeführter Hin-
sicht fehlen. Wir bemerkten bereits früher, daß in

*) Vergl. den später folgenden Aufsatz: "Besuch der Kö-
nigsberger Turnanstalt." D. H.
**

eine rohe, gewaltſame, verwegene Leibesübung, und
durch das Unweſen der Turnlehrer ſelbſt, ſich eine An-
tipathie im Volke, zumal gegen die Uebertragung ſol-
ches Weſens auf das weibliche Geſchlecht, gegen das
Turnweſen ſich bildete. Natürlich überdauert dieſer
Widerwille noch den Untergang des Turnweſens der
damaligen Zeit, ſowie die Einwirkung der neuern
Gymnaſtik. Die Turnlehrer brachten dadurch ihrer
Kunſt einen bedeutenden Schaden, daß ſie ſich nicht
bloß mit dem Unterrichten der Jugend in Leibesübun-
gen begnügten, ſondern eine totale Umwandlung ihrer
leiblichen wie geiſtigen Richtung nach aufgeſtellten
Jdeen, namentlich Deutſchthümelei herbeiführen wollten.
Das Bewußtſein der wohlthätigen Fortwirkung der
Uebungen auf Leib und Seele befriedigte ihren heißen
Wunſch nicht, ſofort ein neues kräftiges Geſchlecht ge-
ſchaffen zu haben.

So entfremdeten ſie ſich die Knaben, um wie
viel mehr die Mädchen.

2) Die Schulbildung der Mädchen erlaubt ih-
nen nicht Zeit noch Gelegenheit zur Ausbildung kör-
perlicher Tüchtigkeit. Ohne die Lorinſerſche Streit-
frage hier aufzuregen, beſtätigt die tägliche Erfah-
rung das Geſagte. Ein gleiches Verhältniß gilt für die
Knabenſchulen, wie für die höhern Unterrichtsan-
ſtalten, und einen ſchlagenden Beweis dafür liefert die
Liſte der Zöglinge der hieſigen Turnſchule. *) Die
Noth der Kinder in der geiſtigen Arbeit iſt ſo groß
daß nicht die Zeit, nicht die Luſt für Leibesbildung,
übrig bleiben kann.

3) So lange die Organiſation in den Schulen
zur gehörigen Berückſichtigung leiblicher Uebungen nicht
vorhanden iſt, wird auch der Erziehung die allgemein
als nöthig anerkannte Richtung in angeführter Hin-
ſicht fehlen. Wir bemerkten bereits früher, daß in

*) Vergl. den ſpaͤter folgenden Aufſatz: „Beſuch der Kö-
nigsberger Turnanſtalt.“ D. H.
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[17/0021] eine rohe, gewaltſame, verwegene Leibesübung, und durch das Unweſen der Turnlehrer ſelbſt, ſich eine An- tipathie im Volke, zumal gegen die Uebertragung ſol- ches Weſens auf das weibliche Geſchlecht, gegen das Turnweſen ſich bildete. Natürlich überdauert dieſer Widerwille noch den Untergang des Turnweſens der damaligen Zeit, ſowie die Einwirkung der neuern Gymnaſtik. Die Turnlehrer brachten dadurch ihrer Kunſt einen bedeutenden Schaden, daß ſie ſich nicht bloß mit dem Unterrichten der Jugend in Leibesübun- gen begnügten, ſondern eine totale Umwandlung ihrer leiblichen wie geiſtigen Richtung nach aufgeſtellten Jdeen, namentlich Deutſchthümelei herbeiführen wollten. Das Bewußtſein der wohlthätigen Fortwirkung der Uebungen auf Leib und Seele befriedigte ihren heißen Wunſch nicht, ſofort ein neues kräftiges Geſchlecht ge- ſchaffen zu haben. So entfremdeten ſie ſich die Knaben, um wie viel mehr die Mädchen. 2) Die Schulbildung der Mädchen erlaubt ih- nen nicht Zeit noch Gelegenheit zur Ausbildung kör- perlicher Tüchtigkeit. Ohne die Lorinſerſche Streit- frage hier aufzuregen, beſtätigt die tägliche Erfah- rung das Geſagte. Ein gleiches Verhältniß gilt für die Knabenſchulen, wie für die höhern Unterrichtsan- ſtalten, und einen ſchlagenden Beweis dafür liefert die Liſte der Zöglinge der hieſigen Turnſchule. *) Die Noth der Kinder in der geiſtigen Arbeit iſt ſo groß daß nicht die Zeit, nicht die Luſt für Leibesbildung, übrig bleiben kann. 3) So lange die Organiſation in den Schulen zur gehörigen Berückſichtigung leiblicher Uebungen nicht vorhanden iſt, wird auch der Erziehung die allgemein als nöthig anerkannte Richtung in angeführter Hin- ſicht fehlen. Wir bemerkten bereits früher, daß in *) Vergl. den ſpaͤter folgenden Aufſatz: „Beſuch der Kö- nigsberger Turnanſtalt.“ D. H. **

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Zitationshilfe: Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 1. Danzig, 1843, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_turnkunst01_1843/21>, abgerufen am 19.04.2024.