Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 1. Danzig, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Zeit lang den Turnplätzen die Kinder zuzuschicken;
erst wenn dieses allgemeine Sitte geworden ist, wer-
den die wohlthätigen Einwirkungen dieser Uebungen
allgemein hervortreten. Dieser Erfolg wird nie von
einem Zwangsturnen erwartet werden können, ebenso-
wenig, so lange das Turnen als bloße körperliche
Fertigkeit und heilsame Erschütterung des Körpers,
zur Ausgleichung der Nachtheile einer luxuriösen Ver-
weichlichung angesehen wird. Nur wenn als Volks-
sitte neben der gelehrten Bildung die turnerische Er-
ziehung gleichen Schritt hält, kann der Zwiespalt aus-
geglichen werden, daß nicht einseitig Geist oder Leib,
sondern ein Mensch herangebildet werde.

Während man früher von der Theilnahme an
gymnastischen Uebungen kränkliche, mit Gebrechen und
Verkrüppelungen behaftete Personen geradezu ausschloß,
und von dem idealen Vorbilde der vollkommensten
Körperentwickelung ausgehend, nur Kinder mit glück-
licher und wohlgebildeter Leibesconstitution aufnahm,
um in ihnen die Hoffnungen für die Erziehung eines
kräftigen Geschlechtes zu verwirklichen, so waren es
doch seit einiger Zeit eben die wohlthätigen Folgen
dieser Leibesübungen nicht allein für die allgemeine
Gesundheit, als insbesondere in Beziehung auf die
Ausbildung der Muskeln, welche die Aerzte bewog,
gymnastische Uebungen gerade als Heilmittel für Schwa-
che und Gebrechliche anzuwenden, und diesen die Turn-
plätze zu öffnen. Großen Einfluß auf diese Umände-
rung hatten jedoch veränderte und verbesserte Ansich-
ten, welche in Folge der Fortschritte der pathologischen
Anatomie und der Physiologie über die Natur der
Leibesdeformitäten namentlich der Rückenverkrümmun-
gen hervortraten, und den nahmhaften Einfluß der
Muskeln auf die Entstehung und Fortbildung solcher
Gebrechen hervorhoben. Die einseitige Meinung,
welche den Grund der Deformitäten allein in den Kno-
chen und ihren gegenseitigen Verbindungen suchte, wurde
durch verbesserte Ansichten über die Theilnahme der

1 *

Zeit lang den Turnplätzen die Kinder zuzuſchicken;
erſt wenn dieſes allgemeine Sitte geworden iſt, wer-
den die wohlthätigen Einwirkungen dieſer Uebungen
allgemein hervortreten. Dieſer Erfolg wird nie von
einem Zwangsturnen erwartet werden können, ebenſo-
wenig, ſo lange das Turnen als bloße körperliche
Fertigkeit und heilſame Erſchütterung des Körpers,
zur Ausgleichung der Nachtheile einer luxuriöſen Ver-
weichlichung angeſehen wird. Nur wenn als Volks-
ſitte neben der gelehrten Bildung die turneriſche Er-
ziehung gleichen Schritt hält, kann der Zwieſpalt aus-
geglichen werden, daß nicht einſeitig Geiſt oder Leib,
ſondern ein Menſch herangebildet werde.

Während man früher von der Theilnahme an
gymnaſtiſchen Uebungen kränkliche, mit Gebrechen und
Verkrüppelungen behaftete Perſonen geradezu ausſchloß,
und von dem idealen Vorbilde der vollkommenſten
Körperentwickelung ausgehend, nur Kinder mit glück-
licher und wohlgebildeter Leibesconſtitution aufnahm,
um in ihnen die Hoffnungen für die Erziehung eines
kräftigen Geſchlechtes zu verwirklichen, ſo waren es
doch ſeit einiger Zeit eben die wohlthätigen Folgen
dieſer Leibesübungen nicht allein für die allgemeine
Geſundheit, als insbeſondere in Beziehung auf die
Ausbildung der Muskeln, welche die Aerzte bewog,
gymnaſtiſche Uebungen gerade als Heilmittel für Schwa-
che und Gebrechliche anzuwenden, und dieſen die Turn-
plätze zu öffnen. Großen Einfluß auf dieſe Umände-
rung hatten jedoch veränderte und verbeſſerte Anſich-
ten, welche in Folge der Fortſchritte der pathologiſchen
Anatomie und der Phyſiologie über die Natur der
Leibesdeformitäten namentlich der Rückenverkrümmun-
gen hervortraten, und den nahmhaften Einfluß der
Muskeln auf die Entſtehung und Fortbildung ſolcher
Gebrechen hervorhoben. Die einſeitige Meinung,
welche den Grund der Deformitäten allein in den Kno-
chen und ihren gegenſeitigen Verbindungen ſuchte, wurde
durch verbeſſerte Anſichten über die Theilnahme der

1 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0017" n="13"/>
Zeit lang den Turnplätzen die Kinder zuzu&#x017F;chicken;<lb/>
er&#x017F;t wenn die&#x017F;es allgemeine Sitte geworden i&#x017F;t, wer-<lb/>
den die wohlthätigen Einwirkungen die&#x017F;er Uebungen<lb/>
allgemein hervortreten. Die&#x017F;er Erfolg wird nie von<lb/>
einem Zwangsturnen erwartet werden können, eben&#x017F;o-<lb/>
wenig, &#x017F;o lange das Turnen als bloße körperliche<lb/>
Fertigkeit und heil&#x017F;ame Er&#x017F;chütterung des Körpers,<lb/>
zur Ausgleichung der Nachtheile einer luxuriö&#x017F;en Ver-<lb/>
weichlichung ange&#x017F;ehen wird. Nur wenn als Volks-<lb/>
&#x017F;itte neben der gelehrten Bildung die turneri&#x017F;che Er-<lb/>
ziehung gleichen Schritt hält, kann der Zwie&#x017F;palt aus-<lb/>
geglichen werden, daß nicht ein&#x017F;eitig Gei&#x017F;t oder Leib,<lb/>
&#x017F;ondern ein Men&#x017F;ch herangebildet werde.</p><lb/>
        <p>Während man früher von der Theilnahme an<lb/>
gymna&#x017F;ti&#x017F;chen Uebungen kränkliche, mit Gebrechen und<lb/>
Verkrüppelungen behaftete Per&#x017F;onen geradezu aus&#x017F;chloß,<lb/>
und von dem idealen Vorbilde der vollkommen&#x017F;ten<lb/>
Körperentwickelung ausgehend, nur Kinder mit glück-<lb/>
licher und wohlgebildeter Leibescon&#x017F;titution aufnahm,<lb/>
um in ihnen die Hoffnungen für die Erziehung eines<lb/>
kräftigen Ge&#x017F;chlechtes zu verwirklichen, &#x017F;o waren es<lb/>
doch &#x017F;eit einiger Zeit eben die wohlthätigen Folgen<lb/>
die&#x017F;er Leibesübungen nicht allein für die allgemeine<lb/>
Ge&#x017F;undheit, als insbe&#x017F;ondere in Beziehung auf die<lb/>
Ausbildung der Muskeln, welche die Aerzte bewog,<lb/>
gymna&#x017F;ti&#x017F;che Uebungen gerade als Heilmittel für Schwa-<lb/>
che und Gebrechliche anzuwenden, und die&#x017F;en die Turn-<lb/>
plätze zu öffnen. Großen Einfluß auf die&#x017F;e Umände-<lb/>
rung hatten jedoch veränderte und verbe&#x017F;&#x017F;erte An&#x017F;ich-<lb/>
ten, welche in Folge der Fort&#x017F;chritte der pathologi&#x017F;chen<lb/>
Anatomie und der Phy&#x017F;iologie über die Natur der<lb/>
Leibesdeformitäten namentlich der Rückenverkrümmun-<lb/>
gen hervortraten, und den nahmhaften Einfluß der<lb/>
Muskeln auf die Ent&#x017F;tehung und Fortbildung &#x017F;olcher<lb/>
Gebrechen hervorhoben. Die ein&#x017F;eitige Meinung,<lb/>
welche den Grund der Deformitäten allein in den Kno-<lb/>
chen und ihren gegen&#x017F;eitigen Verbindungen &#x017F;uchte, wurde<lb/>
durch verbe&#x017F;&#x017F;erte An&#x017F;ichten über die Theilnahme der<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">1 *</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[13/0017] Zeit lang den Turnplätzen die Kinder zuzuſchicken; erſt wenn dieſes allgemeine Sitte geworden iſt, wer- den die wohlthätigen Einwirkungen dieſer Uebungen allgemein hervortreten. Dieſer Erfolg wird nie von einem Zwangsturnen erwartet werden können, ebenſo- wenig, ſo lange das Turnen als bloße körperliche Fertigkeit und heilſame Erſchütterung des Körpers, zur Ausgleichung der Nachtheile einer luxuriöſen Ver- weichlichung angeſehen wird. Nur wenn als Volks- ſitte neben der gelehrten Bildung die turneriſche Er- ziehung gleichen Schritt hält, kann der Zwieſpalt aus- geglichen werden, daß nicht einſeitig Geiſt oder Leib, ſondern ein Menſch herangebildet werde. Während man früher von der Theilnahme an gymnaſtiſchen Uebungen kränkliche, mit Gebrechen und Verkrüppelungen behaftete Perſonen geradezu ausſchloß, und von dem idealen Vorbilde der vollkommenſten Körperentwickelung ausgehend, nur Kinder mit glück- licher und wohlgebildeter Leibesconſtitution aufnahm, um in ihnen die Hoffnungen für die Erziehung eines kräftigen Geſchlechtes zu verwirklichen, ſo waren es doch ſeit einiger Zeit eben die wohlthätigen Folgen dieſer Leibesübungen nicht allein für die allgemeine Geſundheit, als insbeſondere in Beziehung auf die Ausbildung der Muskeln, welche die Aerzte bewog, gymnaſtiſche Uebungen gerade als Heilmittel für Schwa- che und Gebrechliche anzuwenden, und dieſen die Turn- plätze zu öffnen. Großen Einfluß auf dieſe Umände- rung hatten jedoch veränderte und verbeſſerte Anſich- ten, welche in Folge der Fortſchritte der pathologiſchen Anatomie und der Phyſiologie über die Natur der Leibesdeformitäten namentlich der Rückenverkrümmun- gen hervortraten, und den nahmhaften Einfluß der Muskeln auf die Entſtehung und Fortbildung ſolcher Gebrechen hervorhoben. Die einſeitige Meinung, welche den Grund der Deformitäten allein in den Kno- chen und ihren gegenſeitigen Verbindungen ſuchte, wurde durch verbeſſerte Anſichten über die Theilnahme der 1 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_turnkunst01_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_turnkunst01_1843/17
Zitationshilfe: Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 1. Danzig, 1843, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_turnkunst01_1843/17>, abgerufen am 29.03.2024.