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Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 1. Danzig, 1843.

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zu überweisen; bei dem andern Theile waren es Rücksich-
ten kurativer Art, um durch die Übungen auf die Ge-
fahr des eigenen Rathes oder nach ärztlicher Verord-
nung, Verkrüppelung zu beseitigen. Jedoch über beide
Theile drängt sich die Bemerkung auf, daß wenige
Mädchen mit Ausdauer mehrere Cursus nacheinander
mitmachten, *) vielmehr war ihr Wechsel in denselben
auffallend, und darf der Grund desselben weniger in den
Schülerinnen als vielmehr in der Ansicht der Angehö-
rigen und mithin des Publikums überhaupt über das
Turnwesen gesucht werden.

Über dieses Verhältniß dem medicinischen Berichte
über die hiesige Turnschule einige Bemerkungen beizu-
fügen, so weit es der Zweck dieser Blätter gestat-
tet, halte ich im Jnteresse der Sache selbst für eine
erwünschte Gelegenheit. Es kann dabei nur meine
Absicht sein, mich blos auf die Berücksichtigung der
medicinischen Jnteressen einzulassen, indem ich andern
Händen die Erörterung der Verhältnisse überlasse, wel-
che die eigenthümlich prekäre Stellung der Turnkunst,
sowohl als pädagogische als medicinische Gymnastik
in der Gesellschaft bedingen. Jn dieser Hinsicht scheint
mir das Turnen ein gleiches Schicksal mit vielen ander-
weitige Jnteressen berührenden Jnstitutionen der jetzigen
Zeit zu theilen; während es nämlich von oben her als
nahe bevorstehende Staatsinstitution in Aussicht gestellt,
sein Werth in medicinischer und pädagogischer Hinsicht
als wichtiges Mittel der physischen Erziehung anerkannt
wird, und bereits nach langer Unterbrechung an vielen
Orten Anstalten unter eigenen Lehrern entstehen, so
fehlt der Turnkunst zum rechten Leben die Organisation
von Seiten des Staates und die Aufnahme in den
Volksgeist. Bisher war es häufig Mode, für eine

*) Leider habe ich bis jetzt diese traurige Erfahrung auch
bei den Knaben machen müssen, und es sind nur Aus-
nahmen, wenn Knaben 1 -- 2 Jahre turnen. Die
meisten hören auf, wenn sie die ersten Schwierigkei-
ten überwunden haben. D. H.

zu überweiſen; bei dem andern Theile waren es Rückſich-
ten kurativer Art, um durch die Übungen auf die Ge-
fahr des eigenen Rathes oder nach ärztlicher Verord-
nung, Verkrüppelung zu beſeitigen. Jedoch über beide
Theile drängt ſich die Bemerkung auf, daß wenige
Mädchen mit Ausdauer mehrere Curſus nacheinander
mitmachten, *) vielmehr war ihr Wechſel in denſelben
auffallend, und darf der Grund deſſelben weniger in den
Schülerinnen als vielmehr in der Anſicht der Angehö-
rigen und mithin des Publikums überhaupt über das
Turnweſen geſucht werden.

Über dieſes Verhältniß dem mediciniſchen Berichte
über die hieſige Turnſchule einige Bemerkungen beizu-
fügen, ſo weit es der Zweck dieſer Blätter geſtat-
tet, halte ich im Jntereſſe der Sache ſelbſt für eine
erwünſchte Gelegenheit. Es kann dabei nur meine
Abſicht ſein, mich blos auf die Berückſichtigung der
mediciniſchen Jntereſſen einzulaſſen, indem ich andern
Händen die Erörterung der Verhältniſſe überlaſſe, wel-
che die eigenthümlich prekäre Stellung der Turnkunſt,
ſowohl als pädagogiſche als mediciniſche Gymnaſtik
in der Geſellſchaft bedingen. Jn dieſer Hinſicht ſcheint
mir das Turnen ein gleiches Schickſal mit vielen ander-
weitige Jntereſſen berührenden Jnſtitutionen der jetzigen
Zeit zu theilen; während es nämlich von oben her als
nahe bevorſtehende Staatsinſtitution in Ausſicht geſtellt,
ſein Werth in mediciniſcher und pädagogiſcher Hinſicht
als wichtiges Mittel der phyſiſchen Erziehung anerkannt
wird, und bereits nach langer Unterbrechung an vielen
Orten Anſtalten unter eigenen Lehrern entſtehen, ſo
fehlt der Turnkunſt zum rechten Leben die Organiſation
von Seiten des Staates und die Aufnahme in den
Volksgeiſt. Bisher war es häufig Mode, für eine

*) Leider habe ich bis jetzt dieſe traurige Erfahrung auch
bei den Knaben machen müſſen, und es ſind nur Aus-
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[12/0016] zu überweiſen; bei dem andern Theile waren es Rückſich- ten kurativer Art, um durch die Übungen auf die Ge- fahr des eigenen Rathes oder nach ärztlicher Verord- nung, Verkrüppelung zu beſeitigen. Jedoch über beide Theile drängt ſich die Bemerkung auf, daß wenige Mädchen mit Ausdauer mehrere Curſus nacheinander mitmachten, *) vielmehr war ihr Wechſel in denſelben auffallend, und darf der Grund deſſelben weniger in den Schülerinnen als vielmehr in der Anſicht der Angehö- rigen und mithin des Publikums überhaupt über das Turnweſen geſucht werden. Über dieſes Verhältniß dem mediciniſchen Berichte über die hieſige Turnſchule einige Bemerkungen beizu- fügen, ſo weit es der Zweck dieſer Blätter geſtat- tet, halte ich im Jntereſſe der Sache ſelbſt für eine erwünſchte Gelegenheit. Es kann dabei nur meine Abſicht ſein, mich blos auf die Berückſichtigung der mediciniſchen Jntereſſen einzulaſſen, indem ich andern Händen die Erörterung der Verhältniſſe überlaſſe, wel- che die eigenthümlich prekäre Stellung der Turnkunſt, ſowohl als pädagogiſche als mediciniſche Gymnaſtik in der Geſellſchaft bedingen. Jn dieſer Hinſicht ſcheint mir das Turnen ein gleiches Schickſal mit vielen ander- weitige Jntereſſen berührenden Jnſtitutionen der jetzigen Zeit zu theilen; während es nämlich von oben her als nahe bevorſtehende Staatsinſtitution in Ausſicht geſtellt, ſein Werth in mediciniſcher und pädagogiſcher Hinſicht als wichtiges Mittel der phyſiſchen Erziehung anerkannt wird, und bereits nach langer Unterbrechung an vielen Orten Anſtalten unter eigenen Lehrern entſtehen, ſo fehlt der Turnkunſt zum rechten Leben die Organiſation von Seiten des Staates und die Aufnahme in den Volksgeiſt. Bisher war es häufig Mode, für eine *) Leider habe ich bis jetzt dieſe traurige Erfahrung auch bei den Knaben machen müſſen, und es ſind nur Aus- nahmen, wenn Knaben 1 — 2 Jahre turnen. Die meiſten hören auf, wenn ſie die erſten Schwierigkei- ten überwunden haben. D. H.

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Zitationshilfe: Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 1. Danzig, 1843, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_turnkunst01_1843/16>, abgerufen am 23.04.2024.