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Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 1. Danzig, 1843.

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ist es denn nicht bekannt genug, daß auch dabei viele
wegen übler Beschaffenheit des Körpers sehr straucheln?
Gedächtnißschwäche, Muthlosigkeit, üble Laune, Schwer-
muth, bis zum völligen Jrrwahn bemächtigen sich ih-
rer, und all ihr Wissen hilft ihnen nichts."

Wie nun die leibliche und geistige Bildung alle
Stufen des Alters und alle Verhältnisse des Lebens
umfaßt, so begreift sie auch mit gleicher Nothwendig-
keit beide Geschlechter, das Bild des Menschen kommt
ja beiden zu. Das Weib soll eben so wohl wie der
Mann, die Jungfrau wie der Jüngling, sich der har-
monischen Ausbildung des Geistes und des Leibes, des
platonischen Gleichgewichts, der platonischen Gesund-
heit erfreuen. "Der Mann muß hinaus in's feindli-
che Leben", und bedarf daher dieser Ausbildung im ho-
hen Grade, des Männermuthes *) im Kampfe mit den
dunkeln Mächten des Lebens. Aber das Leben, so den
Mann von Außen angreift, trifft das Weib innerli-
cher, nachhaltiger, nothwendiger. Während der Mann
den Gefahren entgegengeht, dieselben mehr außer sich
findet, sind des Lebens Angriffe mit dem innersten Le-
ben des Weibes verbunden, sind mit ihm geboren. Sie
sind so unzertrennlich von seinem Wesen, wie der
Schatten von dem Körper. Darum ist es doppelt
nothwendig, das weibliche Geschlecht zu rüsten und zu
wappnen gegen diese Kämpfe, soll es -- ohne den-
selben mehr oder minder, nicht selten auch gänzlich zu
unterliegen -- seine Stellung behaupten, seine hohen
Pflichten erfüllen. Und so schließe ich mit dem klassi-
schen Ausspruche der Miß Wright: "Jch bedauere
oft, daß man bei der Erziehung der Mäd-
chen so wenig Sorgfalt auf Leibesübungen
wendet; mit dem Körper erhält der Geist
seine Kraft, und Gott weiß, daß unser Ge-
schlecht gar sehr der einen wie der andern

*) aner - andreia; vir - virtus; Mannlichkeit, Männ-
lichkeit, Mannhaftigkeit, Mannheit.

iſt es denn nicht bekannt genug, daß auch dabei viele
wegen übler Beſchaffenheit des Körpers ſehr ſtraucheln?
Gedächtnißſchwäche, Muthloſigkeit, üble Laune, Schwer-
muth, bis zum völligen Jrrwahn bemächtigen ſich ih-
rer, und all ihr Wiſſen hilft ihnen nichts.“

Wie nun die leibliche und geiſtige Bildung alle
Stufen des Alters und alle Verhältniſſe des Lebens
umfaßt, ſo begreift ſie auch mit gleicher Nothwendig-
keit beide Geſchlechter, das Bild des Menſchen kommt
ja beiden zu. Das Weib ſoll eben ſo wohl wie der
Mann, die Jungfrau wie der Jüngling, ſich der har-
moniſchen Ausbildung des Geiſtes und des Leibes, des
platoniſchen Gleichgewichts, der platoniſchen Geſund-
heit erfreuen. „Der Mann muß hinaus in’s feindli-
che Leben“, und bedarf daher dieſer Ausbildung im ho-
hen Grade, des Männermuthes *) im Kampfe mit den
dunkeln Mächten des Lebens. Aber das Leben, ſo den
Mann von Außen angreift, trifft das Weib innerli-
cher, nachhaltiger, nothwendiger. Während der Mann
den Gefahren entgegengeht, dieſelben mehr außer ſich
findet, ſind des Lebens Angriffe mit dem innerſten Le-
ben des Weibes verbunden, ſind mit ihm geboren. Sie
ſind ſo unzertrennlich von ſeinem Weſen, wie der
Schatten von dem Körper. Darum iſt es doppelt
nothwendig, das weibliche Geſchlecht zu rüſten und zu
wappnen gegen dieſe Kämpfe, ſoll es — ohne den-
ſelben mehr oder minder, nicht ſelten auch gänzlich zu
unterliegen — ſeine Stellung behaupten, ſeine hohen
Pflichten erfüllen. Und ſo ſchließe ich mit dem klaſſi-
ſchen Ausſpruche der Miß Wright: „Jch bedauere
oft, daß man bei der Erziehung der Mäd-
chen ſo wenig Sorgfalt auf Leibesübungen
wendet; mit dem Körper erhält der Geiſt
ſeine Kraft, und Gott weiß, daß unſer Ge-
ſchlecht gar ſehr der einen wie der andern

*) ἀνήρ ‒ ἀνδρεία; vir ‒ virtus; Mannlichkeit, Männ-
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[10/0014] iſt es denn nicht bekannt genug, daß auch dabei viele wegen übler Beſchaffenheit des Körpers ſehr ſtraucheln? Gedächtnißſchwäche, Muthloſigkeit, üble Laune, Schwer- muth, bis zum völligen Jrrwahn bemächtigen ſich ih- rer, und all ihr Wiſſen hilft ihnen nichts.“ Wie nun die leibliche und geiſtige Bildung alle Stufen des Alters und alle Verhältniſſe des Lebens umfaßt, ſo begreift ſie auch mit gleicher Nothwendig- keit beide Geſchlechter, das Bild des Menſchen kommt ja beiden zu. Das Weib ſoll eben ſo wohl wie der Mann, die Jungfrau wie der Jüngling, ſich der har- moniſchen Ausbildung des Geiſtes und des Leibes, des platoniſchen Gleichgewichts, der platoniſchen Geſund- heit erfreuen. „Der Mann muß hinaus in’s feindli- che Leben“, und bedarf daher dieſer Ausbildung im ho- hen Grade, des Männermuthes *) im Kampfe mit den dunkeln Mächten des Lebens. Aber das Leben, ſo den Mann von Außen angreift, trifft das Weib innerli- cher, nachhaltiger, nothwendiger. Während der Mann den Gefahren entgegengeht, dieſelben mehr außer ſich findet, ſind des Lebens Angriffe mit dem innerſten Le- ben des Weibes verbunden, ſind mit ihm geboren. Sie ſind ſo unzertrennlich von ſeinem Weſen, wie der Schatten von dem Körper. Darum iſt es doppelt nothwendig, das weibliche Geſchlecht zu rüſten und zu wappnen gegen dieſe Kämpfe, ſoll es — ohne den- ſelben mehr oder minder, nicht ſelten auch gänzlich zu unterliegen — ſeine Stellung behaupten, ſeine hohen Pflichten erfüllen. Und ſo ſchließe ich mit dem klaſſi- ſchen Ausſpruche der Miß Wright: „Jch bedauere oft, daß man bei der Erziehung der Mäd- chen ſo wenig Sorgfalt auf Leibesübungen wendet; mit dem Körper erhält der Geiſt ſeine Kraft, und Gott weiß, daß unſer Ge- ſchlecht gar ſehr der einen wie der andern *) ἀνήρ ‒ ἀνδρεία; vir ‒ virtus; Mannlichkeit, Männ- lichkeit, Mannhaftigkeit, Mannheit.

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Zitationshilfe: Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 1. Danzig, 1843, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_turnkunst01_1843/14>, abgerufen am 18.04.2024.