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Reichspost. Nr. 595, Wien, 24.12.1912.

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Wien Montag Reichspost 23. Dezember 1912 Nr. 595

[Spaltenumbruch]

46. Folge.

Nachdruck verboten.

Erkämpft.
Roman von Lolotte de Paladini.
26.

Willi war mit den besten Absichten, vollgepfropft
mit guten Vorsätzen, nach Berlin zurückgekehrt. Er hatte
sich fest vorgenommen, daß er dem Geschwisterpaar,
Steinmeier und Lola, von nun an aus dem Wege gehen
wollte. Willi hatte diese guten Vorsätze, die einen Teil
des Pflasters auf dem bekannten Weg zur Hölle bilden,
auch anfangs getreulich gehalten. Er hatte sich verschiede-
ne Male verleugnen lassen und für eine Weile sah und
hörte er auch nichts mehr. Da, eines Morgens, als er
die Treppe hinunterstieg, kam ihm Steinmeier ent-
gegen und begrüßte ihn in harmlos-herzlicher Weise, als
wenn er sein Bruder wäre, den er lange nicht gesehen
hatte.

"Wo haben Sie nur gesteckt, mein lieber Junge?
Wie konnten Sie so meuchlings uns verlassen? Lola ist
ganz beleidigt, daß Sie ihr nicht einmal Adieu gesagt
haben. Sie war -- na, ich will lieber nichts sagen." Willi
wurde es heiß und kalt.

"Ich hatte ein Telegramm bekommen und mußte
schnell nach Hause," erwiderte er verlegen. Steinmeier
sah ihn scharf an.

"Hoffentlich keine schlechten Nachrichten?"

"N--nein--, das gerade nicht," entgegnete Willi,
"aber immerhin, meine Anwesenheit war dringend
nötig."

"So! Ich fürchtete schon, jemand aus ihrer Familie
wäre krank," sagte Steinmeier mit warmer Teilnahme.
"Sie haben uns recht gefehlt. Tettenborn kam zwar alle
Tage, aber der kann Sie doch nicht ersetzen. Ich habe
Lola noch nie in so schlechter Laune gesehen. Nun müssen
Sie aber alles schleunigst wieder gut machen," fuhr er
fort.

"Wie wäre es, wenn Sie heute mittag bei uns
speisten?"

Willi murmelte etwas von bereits eingeladen.

"Schade," sagte Steinmeier. "Ich hatte Lola ver-
sprechen müssen, Sie auf alle Fälle tot oder lebendig mit-
zubringen. Nun, dann ein andermal! Was fangen Sie
heute abend an, Sie kommen doch wie gewöhnlich nach
dem Westminster, um ein Partiechen Billard zu
machen?"


[Spaltenumbruch]

Vor Willis geistigem Auge erschien Iris mit ihrem
bittenden Gesicht. Er wußte sich nicht zu raten und zu
helfen. Was sollte er sagen? Er konnte doch Steinmeier
nicht von dem in Kenntnis setzen, was alles zu Hause ge-
schehen war und daß er sich entschlossen hatte, seine Ge-
sellschaft unter allen Umständen zu meiden!

"Schön," sagte er darum. "Ich werde da sein. Nach
einigen Sekunden Pause fügte er hinzu:

"Erlauben Sie, Herr Steinmeier," dabei zog er sein
Portemonnaie hervor. "Ich möchte gern meine Verpflich-
tungen Ihnen gegenüber einlösen." Aber Steinmeier
wehrte mit einer königlichen Handbewegung ab.

"Hat keine Eile!" rief er. "Ich habe Ihre Karte mit
Ihrer Unterschrift auch gar nicht bei mir. (Dabei hatte
er sie natürlich in der Tasche.) Sie können ja das Geld
das nächste Mal mitbringen, wenn Sie bei uns sind."

Was sollte Willi machen? Er konnte ihm das Geld
doch nicht mit Gewalt aufdrängen.

"Schön," sagte er wieder, dann nach einer aber-
maligen Pause:

"Was ich noch sagen wollte, Herr Steinmeier. Ich
werde jetzt wahrscheinlich eine etwas andere Lebensweise
führen. Die Sache ist die, mein Alter hat etwas Ver-
luste gehabt und ich habe ihm versprochen, mich einzu-
richten."

Steinmeier ergriff seine Hand und klopfte ihm mit
der andern auf die Schulter.

"Das ist brav von Ihnen, lieber Holstein. Ich
wollte Ihnen schon neulich den Vorschlag machen, das
Kartenspielen ganz einzustellen. Lola sieht es nicht gern,
und ich mache mir auch nichts daraus. Lola hat mich
schon mehrmals gebeten, es Ihnen zu sagen, aber ich
fürchtete immer, Sie würden mir diese Dreistigkeit übel-
nehmen. "O nein, nein, nicht im geringsten," sagte Willi
erfreut.

"Ich bin Ihnen im Gegenteil sehr dankbar."

"Dann ist es ja gut," rief Steinmeier. "Ich tauge
zwar nicht zum Moralprediger und ich bin ganz gewiß
kein Heiliger, aber an den letzten Abenden wurde die
Spielerei selbst mir etwas zu viel. Da ist nur der
Tettenborn dran schuld, das ist ja der personifizierte
Spieltenfel. Also stecken wir das Kartenspiel auf. Tet-
tenborn kann sich eine andere Gesellschaft suchen, wenn es
ihm zu fade bei uns ist, Lola wird umso erfreuter sein.
Sie werden doch bald kommen und sie besuchen? Sie
nimmt ein solch aufrichtiges Interesse an Ihnen."

"Ja," sagte Willi seufzend.


[Spaltenumbruch]

"Also auf Wiedersehen," rief Steinmeier. "Bis
heute abend."

Damit trennten sich die beiden.

Drei Tage später erhielt Willi ein nach Veilchen
duftendes Billett von der Baronin Dannenberg. Sie
machte ihm zärtliche Vorwürfe, daß er sich gar nicht sehen
ließ, daß er seine alten Freunde ganz vergessen habe. Ob
er sich vielleicht durch irgend etwas beleidigt fühle? Er
möchte doch am andern Tage zu einem einfachen Löffel
Suppe nach der Königgrätzerstraße kommen, damit sie
Gelegenheit haeb, sich mit ihm auszusprechen. So unge-
fähr lautete der liebenswürdige Brief. Natürlich konnte
Willi nicht anders als ebenso liebenswürdig antworten,
daß er sich ein Vergnügen machen würde usw.

Als er hinkam, traf er die Baronin allein an. Sie
sah entzückend aus, aber etwas blaß.

"Ich glaubte schon, Sie würden uns überhaupt nicht
aufsuchen," sagte sie mit sanfter, einschmeichelnder
Stimme. Sie wies ihm einen Platz an ihrer Seite an.

"Mein Bruder hat mir erzählt, was Sie beide für
einen edlen Vorsatz gefaßt haben. Gott, was bin ich froh,
wenn ich die schmutzigen Karten nicht mehr zu sehen
brauche. Ich hasse diese Karten, denn ihretwegen muß ich
mich jeden Abend langweilen." Auf diese Weise plauderte
sie noch ein Weilchen weiter. Sein Gewissen wurde voll-
ständig eingeschläfert und an seinen Vorsatz, sie nie
wiederzusehen, dachte er nicht mehr. Jetzt kam auch
Tettenborn hinzu. Er warf Willi einen wütenden
Blick zu.

"Ich dachte, Sie wären nach Hause gereist," sagte
er. Sein Gesicht war wieder sehr blaß, die Augen rot
und geschwollen von den durchgewachten Nächten. Er
schien außerdem nicht mehr ganz nüchtern zu sein. Die
Tür ging auf und Steinmeier gesellte sich zu den dreien.

"Ach, lieber Holstein, lieber Tettenborn, tausendmal
Verzeihung! Ich habe mich etwas erspätet. Essen wir
noch nicht bald? Ich habe schauderhaften Hunger."

In diesem Augenblick wurde gemeldet, daß serviert
sei. Tettenborn reichte Lola den Arm, ehe Willi noch Zeit
fand, aufzustehen.

Steinmeier war wieder in der glänzendsten Laune
und Willi dachte bei sich, was für ein schweres Opfer es
doch für ihr gewesen wäre, wenn er den Verkehr dieser
beiden liebenswürdigen Menschen hätte entbehren
müssen.

(Fortsetzung folgt.)

[irrelevantes Material]
Wien Montag Reichspoſt 23. Dezember 1912 Nr. 595

[Spaltenumbruch]

46. Folge.

Nachdruck verboten.

Erkämpft.
Roman von Lolotte de Paladini.
26.

Willi war mit den beſten Abſichten, vollgepfropft
mit guten Vorſätzen, nach Berlin zurückgekehrt. Er hatte
ſich feſt vorgenommen, daß er dem Geſchwiſterpaar,
Steinmeier und Lola, von nun an aus dem Wege gehen
wollte. Willi hatte dieſe guten Vorſätze, die einen Teil
des Pflaſters auf dem bekannten Weg zur Hölle bilden,
auch anfangs getreulich gehalten. Er hatte ſich verſchiede-
ne Male verleugnen laſſen und für eine Weile ſah und
hörte er auch nichts mehr. Da, eines Morgens, als er
die Treppe hinunterſtieg, kam ihm Steinmeier ent-
gegen und begrüßte ihn in harmlos-herzlicher Weiſe, als
wenn er ſein Bruder wäre, den er lange nicht geſehen
hatte.

„Wo haben Sie nur geſteckt, mein lieber Junge?
Wie konnten Sie ſo meuchlings uns verlaſſen? Lola iſt
ganz beleidigt, daß Sie ihr nicht einmal Adieu geſagt
haben. Sie war — na, ich will lieber nichts ſagen.“ Willi
wurde es heiß und kalt.

„Ich hatte ein Telegramm bekommen und mußte
ſchnell nach Hauſe,“ erwiderte er verlegen. Steinmeier
ſah ihn ſcharf an.

„Hoffentlich keine ſchlechten Nachrichten?“

„N—nein—, das gerade nicht,“ entgegnete Willi,
„aber immerhin, meine Anweſenheit war dringend
nötig.“

„So! Ich fürchtete ſchon, jemand aus ihrer Familie
wäre krank,“ ſagte Steinmeier mit warmer Teilnahme.
„Sie haben uns recht gefehlt. Tettenborn kam zwar alle
Tage, aber der kann Sie doch nicht erſetzen. Ich habe
Lola noch nie in ſo ſchlechter Laune geſehen. Nun müſſen
Sie aber alles ſchleunigſt wieder gut machen,“ fuhr er
fort.

„Wie wäre es, wenn Sie heute mittag bei uns
ſpeiſten?“

Willi murmelte etwas von bereits eingeladen.

„Schade,“ ſagte Steinmeier. „Ich hatte Lola ver-
ſprechen müſſen, Sie auf alle Fälle tot oder lebendig mit-
zubringen. Nun, dann ein andermal! Was fangen Sie
heute abend an, Sie kommen doch wie gewöhnlich nach
dem Weſtminſter, um ein Partiechen Billard zu
machen?“


[Spaltenumbruch]

Vor Willis geiſtigem Auge erſchien Iris mit ihrem
bittenden Geſicht. Er wußte ſich nicht zu raten und zu
helfen. Was ſollte er ſagen? Er konnte doch Steinmeier
nicht von dem in Kenntnis ſetzen, was alles zu Hauſe ge-
ſchehen war und daß er ſich entſchloſſen hatte, ſeine Ge-
ſellſchaft unter allen Umſtänden zu meiden!

„Schön,“ ſagte er darum. „Ich werde da ſein. Nach
einigen Sekunden Pauſe fügte er hinzu:

„Erlauben Sie, Herr Steinmeier,“ dabei zog er ſein
Portemonnaie hervor. „Ich möchte gern meine Verpflich-
tungen Ihnen gegenüber einlöſen.“ Aber Steinmeier
wehrte mit einer königlichen Handbewegung ab.

„Hat keine Eile!“ rief er. „Ich habe Ihre Karte mit
Ihrer Unterſchrift auch gar nicht bei mir. (Dabei hatte
er ſie natürlich in der Taſche.) Sie können ja das Geld
das nächſte Mal mitbringen, wenn Sie bei uns ſind.“

Was ſollte Willi machen? Er konnte ihm das Geld
doch nicht mit Gewalt aufdrängen.

„Schön,“ ſagte er wieder, dann nach einer aber-
maligen Pauſe:

„Was ich noch ſagen wollte, Herr Steinmeier. Ich
werde jetzt wahrſcheinlich eine etwas andere Lebensweiſe
führen. Die Sache iſt die, mein Alter hat etwas Ver-
luſte gehabt und ich habe ihm verſprochen, mich einzu-
richten.“

Steinmeier ergriff ſeine Hand und klopfte ihm mit
der andern auf die Schulter.

„Das iſt brav von Ihnen, lieber Holſtein. Ich
wollte Ihnen ſchon neulich den Vorſchlag machen, das
Kartenſpielen ganz einzuſtellen. Lola ſieht es nicht gern,
und ich mache mir auch nichts daraus. Lola hat mich
ſchon mehrmals gebeten, es Ihnen zu ſagen, aber ich
fürchtete immer, Sie würden mir dieſe Dreiſtigkeit übel-
nehmen. „O nein, nein, nicht im geringſten,“ ſagte Willi
erfreut.

„Ich bin Ihnen im Gegenteil ſehr dankbar.“

„Dann iſt es ja gut,“ rief Steinmeier. „Ich tauge
zwar nicht zum Moralprediger und ich bin ganz gewiß
kein Heiliger, aber an den letzten Abenden wurde die
Spielerei ſelbſt mir etwas zu viel. Da iſt nur der
Tettenborn dran ſchuld, das iſt ja der perſonifizierte
Spieltenfel. Alſo ſtecken wir das Kartenſpiel auf. Tet-
tenborn kann ſich eine andere Geſellſchaft ſuchen, wenn es
ihm zu fade bei uns iſt, Lola wird umſo erfreuter ſein.
Sie werden doch bald kommen und ſie beſuchen? Sie
nimmt ein ſolch aufrichtiges Intereſſe an Ihnen.“

„Ja,“ ſagte Willi ſeufzend.


[Spaltenumbruch]

„Alſo auf Wiederſehen,“ rief Steinmeier. „Bis
heute abend.“

Damit trennten ſich die beiden.

Drei Tage ſpäter erhielt Willi ein nach Veilchen
duftendes Billett von der Baronin Dannenberg. Sie
machte ihm zärtliche Vorwürfe, daß er ſich gar nicht ſehen
ließ, daß er ſeine alten Freunde ganz vergeſſen habe. Ob
er ſich vielleicht durch irgend etwas beleidigt fühle? Er
möchte doch am andern Tage zu einem einfachen Löffel
Suppe nach der Königgrätzerſtraße kommen, damit ſie
Gelegenheit haeb, ſich mit ihm auszuſprechen. So unge-
fähr lautete der liebenswürdige Brief. Natürlich konnte
Willi nicht anders als ebenſo liebenswürdig antworten,
daß er ſich ein Vergnügen machen würde uſw.

Als er hinkam, traf er die Baronin allein an. Sie
ſah entzückend aus, aber etwas blaß.

„Ich glaubte ſchon, Sie würden uns überhaupt nicht
aufſuchen,“ ſagte ſie mit ſanfter, einſchmeichelnder
Stimme. Sie wies ihm einen Platz an ihrer Seite an.

„Mein Bruder hat mir erzählt, was Sie beide für
einen edlen Vorſatz gefaßt haben. Gott, was bin ich froh,
wenn ich die ſchmutzigen Karten nicht mehr zu ſehen
brauche. Ich haſſe dieſe Karten, denn ihretwegen muß ich
mich jeden Abend langweilen.“ Auf dieſe Weiſe plauderte
ſie noch ein Weilchen weiter. Sein Gewiſſen wurde voll-
ſtändig eingeſchläfert und an ſeinen Vorſatz, ſie nie
wiederzuſehen, dachte er nicht mehr. Jetzt kam auch
Tettenborn hinzu. Er warf Willi einen wütenden
Blick zu.

„Ich dachte, Sie wären nach Hauſe gereiſt,“ ſagte
er. Sein Geſicht war wieder ſehr blaß, die Augen rot
und geſchwollen von den durchgewachten Nächten. Er
ſchien außerdem nicht mehr ganz nüchtern zu ſein. Die
Tür ging auf und Steinmeier geſellte ſich zu den dreien.

„Ach, lieber Holſtein, lieber Tettenborn, tauſendmal
Verzeihung! Ich habe mich etwas erſpätet. Eſſen wir
noch nicht bald? Ich habe ſchauderhaften Hunger.“

In dieſem Augenblick wurde gemeldet, daß ſerviert
ſei. Tettenborn reichte Lola den Arm, ehe Willi noch Zeit
fand, aufzuſtehen.

Steinmeier war wieder in der glänzendſten Laune
und Willi dachte bei ſich, was für ein ſchweres Opfer es
doch für ihr geweſen wäre, wenn er den Verkehr dieſer
beiden liebenswürdigen Menſchen hätte entbehren
müſſen.

(Fortſetzung folgt.)

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[6/0006] Wien Montag Reichspoſt 23. Dezember 1912 Nr. 595 46. Folge. Nachdruck verboten. Erkämpft. Roman von Lolotte de Paladini. 26. Willi war mit den beſten Abſichten, vollgepfropft mit guten Vorſätzen, nach Berlin zurückgekehrt. Er hatte ſich feſt vorgenommen, daß er dem Geſchwiſterpaar, Steinmeier und Lola, von nun an aus dem Wege gehen wollte. Willi hatte dieſe guten Vorſätze, die einen Teil des Pflaſters auf dem bekannten Weg zur Hölle bilden, auch anfangs getreulich gehalten. Er hatte ſich verſchiede- ne Male verleugnen laſſen und für eine Weile ſah und hörte er auch nichts mehr. Da, eines Morgens, als er die Treppe hinunterſtieg, kam ihm Steinmeier ent- gegen und begrüßte ihn in harmlos-herzlicher Weiſe, als wenn er ſein Bruder wäre, den er lange nicht geſehen hatte. „Wo haben Sie nur geſteckt, mein lieber Junge? Wie konnten Sie ſo meuchlings uns verlaſſen? Lola iſt ganz beleidigt, daß Sie ihr nicht einmal Adieu geſagt haben. Sie war — na, ich will lieber nichts ſagen.“ Willi wurde es heiß und kalt. „Ich hatte ein Telegramm bekommen und mußte ſchnell nach Hauſe,“ erwiderte er verlegen. Steinmeier ſah ihn ſcharf an. „Hoffentlich keine ſchlechten Nachrichten?“ „N—nein—, das gerade nicht,“ entgegnete Willi, „aber immerhin, meine Anweſenheit war dringend nötig.“ „So! Ich fürchtete ſchon, jemand aus ihrer Familie wäre krank,“ ſagte Steinmeier mit warmer Teilnahme. „Sie haben uns recht gefehlt. Tettenborn kam zwar alle Tage, aber der kann Sie doch nicht erſetzen. Ich habe Lola noch nie in ſo ſchlechter Laune geſehen. Nun müſſen Sie aber alles ſchleunigſt wieder gut machen,“ fuhr er fort. „Wie wäre es, wenn Sie heute mittag bei uns ſpeiſten?“ Willi murmelte etwas von bereits eingeladen. „Schade,“ ſagte Steinmeier. „Ich hatte Lola ver- ſprechen müſſen, Sie auf alle Fälle tot oder lebendig mit- zubringen. Nun, dann ein andermal! Was fangen Sie heute abend an, Sie kommen doch wie gewöhnlich nach dem Weſtminſter, um ein Partiechen Billard zu machen?“ Vor Willis geiſtigem Auge erſchien Iris mit ihrem bittenden Geſicht. Er wußte ſich nicht zu raten und zu helfen. Was ſollte er ſagen? Er konnte doch Steinmeier nicht von dem in Kenntnis ſetzen, was alles zu Hauſe ge- ſchehen war und daß er ſich entſchloſſen hatte, ſeine Ge- ſellſchaft unter allen Umſtänden zu meiden! „Schön,“ ſagte er darum. „Ich werde da ſein. Nach einigen Sekunden Pauſe fügte er hinzu: „Erlauben Sie, Herr Steinmeier,“ dabei zog er ſein Portemonnaie hervor. „Ich möchte gern meine Verpflich- tungen Ihnen gegenüber einlöſen.“ Aber Steinmeier wehrte mit einer königlichen Handbewegung ab. „Hat keine Eile!“ rief er. „Ich habe Ihre Karte mit Ihrer Unterſchrift auch gar nicht bei mir. (Dabei hatte er ſie natürlich in der Taſche.) Sie können ja das Geld das nächſte Mal mitbringen, wenn Sie bei uns ſind.“ Was ſollte Willi machen? Er konnte ihm das Geld doch nicht mit Gewalt aufdrängen. „Schön,“ ſagte er wieder, dann nach einer aber- maligen Pauſe: „Was ich noch ſagen wollte, Herr Steinmeier. Ich werde jetzt wahrſcheinlich eine etwas andere Lebensweiſe führen. Die Sache iſt die, mein Alter hat etwas Ver- luſte gehabt und ich habe ihm verſprochen, mich einzu- richten.“ Steinmeier ergriff ſeine Hand und klopfte ihm mit der andern auf die Schulter. „Das iſt brav von Ihnen, lieber Holſtein. Ich wollte Ihnen ſchon neulich den Vorſchlag machen, das Kartenſpielen ganz einzuſtellen. Lola ſieht es nicht gern, und ich mache mir auch nichts daraus. Lola hat mich ſchon mehrmals gebeten, es Ihnen zu ſagen, aber ich fürchtete immer, Sie würden mir dieſe Dreiſtigkeit übel- nehmen. „O nein, nein, nicht im geringſten,“ ſagte Willi erfreut. „Ich bin Ihnen im Gegenteil ſehr dankbar.“ „Dann iſt es ja gut,“ rief Steinmeier. „Ich tauge zwar nicht zum Moralprediger und ich bin ganz gewiß kein Heiliger, aber an den letzten Abenden wurde die Spielerei ſelbſt mir etwas zu viel. Da iſt nur der Tettenborn dran ſchuld, das iſt ja der perſonifizierte Spieltenfel. Alſo ſtecken wir das Kartenſpiel auf. Tet- tenborn kann ſich eine andere Geſellſchaft ſuchen, wenn es ihm zu fade bei uns iſt, Lola wird umſo erfreuter ſein. Sie werden doch bald kommen und ſie beſuchen? Sie nimmt ein ſolch aufrichtiges Intereſſe an Ihnen.“ „Ja,“ ſagte Willi ſeufzend. „Alſo auf Wiederſehen,“ rief Steinmeier. „Bis heute abend.“ Damit trennten ſich die beiden. Drei Tage ſpäter erhielt Willi ein nach Veilchen duftendes Billett von der Baronin Dannenberg. Sie machte ihm zärtliche Vorwürfe, daß er ſich gar nicht ſehen ließ, daß er ſeine alten Freunde ganz vergeſſen habe. Ob er ſich vielleicht durch irgend etwas beleidigt fühle? Er möchte doch am andern Tage zu einem einfachen Löffel Suppe nach der Königgrätzerſtraße kommen, damit ſie Gelegenheit haeb, ſich mit ihm auszuſprechen. So unge- fähr lautete der liebenswürdige Brief. Natürlich konnte Willi nicht anders als ebenſo liebenswürdig antworten, daß er ſich ein Vergnügen machen würde uſw. Als er hinkam, traf er die Baronin allein an. Sie ſah entzückend aus, aber etwas blaß. „Ich glaubte ſchon, Sie würden uns überhaupt nicht aufſuchen,“ ſagte ſie mit ſanfter, einſchmeichelnder Stimme. Sie wies ihm einen Platz an ihrer Seite an. „Mein Bruder hat mir erzählt, was Sie beide für einen edlen Vorſatz gefaßt haben. Gott, was bin ich froh, wenn ich die ſchmutzigen Karten nicht mehr zu ſehen brauche. Ich haſſe dieſe Karten, denn ihretwegen muß ich mich jeden Abend langweilen.“ Auf dieſe Weiſe plauderte ſie noch ein Weilchen weiter. Sein Gewiſſen wurde voll- ſtändig eingeſchläfert und an ſeinen Vorſatz, ſie nie wiederzuſehen, dachte er nicht mehr. Jetzt kam auch Tettenborn hinzu. Er warf Willi einen wütenden Blick zu. „Ich dachte, Sie wären nach Hauſe gereiſt,“ ſagte er. Sein Geſicht war wieder ſehr blaß, die Augen rot und geſchwollen von den durchgewachten Nächten. Er ſchien außerdem nicht mehr ganz nüchtern zu ſein. Die Tür ging auf und Steinmeier geſellte ſich zu den dreien. „Ach, lieber Holſtein, lieber Tettenborn, tauſendmal Verzeihung! Ich habe mich etwas erſpätet. Eſſen wir noch nicht bald? Ich habe ſchauderhaften Hunger.“ In dieſem Augenblick wurde gemeldet, daß ſerviert ſei. Tettenborn reichte Lola den Arm, ehe Willi noch Zeit fand, aufzuſtehen. Steinmeier war wieder in der glänzendſten Laune und Willi dachte bei ſich, was für ein ſchweres Opfer es doch für ihr geweſen wäre, wenn er den Verkehr dieſer beiden liebenswürdigen Menſchen hätte entbehren müſſen. (Fortſetzung folgt.) _

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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 595, Wien, 24.12.1912, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost595_1912/6>, abgerufen am 28.03.2024.