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Reichspost. Nr. 133, Wien, 14.06.1898.

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Wien, Dienstag Reichspost 14. Juni 1898 133

[Spaltenumbruch]
(42. Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.)
Verhängnißvolle Augenblicke.
Original-Erzählung

Letztere umarmte er an jenem Abend, als beide
mit Josepha wieder wohlbehalten in der eigenen Häus-
lichkeit waren, mit einer Innigkeit, wie er sie vorher
kaum jemals gezeigt, wobei er Worte von Vergeltung
und nie versiegender Dankbarkeit murmelte, die Max
kaum verstand, ihn aber doch seltsam bewegten, da er
aus denselben den Ausruf heraushörte: "Was wäre
mein ganzes künftiges Leben ohne meine Josepha
geworden! Du, Du, hast sie mir gerettet!"

"Nicht ich allein, Vater," sagte er ehrlich. "Walter
that dabei das Seinige, wenn nicht die Hauptsache;
ohne seine Hilfe hätte ich Eschen nicht so schnell gefunden
und in Sicherheit gebracht."

"Ihr seid Beide dem Kinde treue, sorgsame Brüder
gewesen, das weiß ich. Vergelt's Euch Gott! Ich
werde nie Deine Sorglichkeit vergessen, die mir mein
Liebstes gerettet. O Gott, wie war mein zartes, armes
Mädchen bedroht, wärst Du ihr nicht so nahe gewesen!"

Ganz seiner sonstigen gelassenen Art entgegen war
Dr. Brunner tief erregt und sprach mehr und rascher
in wenigen Minuten, als sonst in Stunden. Max be-
schlich ein seltsames, fremdartiges Gefühl. Trotz den
warmen Dankesworten seines Vaters drängte sich ihm
die Bemerkung auf, wie ausgesprochen Josefa dessen
Liebling sei, wie viel leichter der Vater ihn als sein
liebes, zartes Schwesterlein entbehren könnte. Und dann
dachte er plötzlich wieder an Walter und die Unter-
redung, welche sie zusammen gepflogen. Während der
Angst und des Schreckens war die Erinnerung daran
in den Hintergrund getreten, jetzt erwachte sie wieder
frisch und lebendig. Zwei Brüdern gleich hatten sie
heute gehandelt -- hatte sein Vater nicht eben noch so
gesagt? Ja, und wie zwei treue Brüder und Freunde
hatten sie sich einander eben noch innig und fest nach
überstandener Gefahr die Hand geschüttelt. Was sollte
daher nun plötzlich das eigene schleichende Gefühl, das
einer giftigen Schlange gleich das warme Empfinden
des Nachdenklichen umzingeln und erdrücken wollte?

Max blickte hinaus in die nun im Mondenschein
glitzernde, magisch beleuchtete weiße Landschaft und den
ganz in der Ferne gespenstisch drohenden Wald. Das
Bild wandelte sich in seiner Phantasie. Im lieblichsten
Grün prangte der Wald.

Gerty und er durchwanderten ihn fröhlich wie so
manchesmal in den schönen Kindheitstagen. Ihr klang-
volles Silberstimmchen glaubte er zu hören; doch der
Ton däuchte ihm plötzlich seltsam, denn Gerty bat wie
jüngst beim Abschiede: Grüße mir Walter!

Hilf Himmel, war er denn blind gewesen? Liebe
Gerty Walter v. Eschen? War dies der Fall -- was
hatte dann er zu hoffen?


[Spaltenumbruch]

Heiß strömte ihm das Blut in Herz und Kopf.
Zorn und Kummer bemächtigten sich seiner und rangen
miteinander. Wenn Walter Gerty und sein Vater
Josepha hatte, wer fragte dann nach ihm? Wie über-
flüssig erschien er sich -- Eifersucht und Bitterkeit
wollten seine Vernunft trüben, seine Phantasie er-
hitzen, da war es ihm plötzlich, als streiche eine
weiche Hand über sein schwarzes Haar, und Tante
Clarisse mit ihren seelenvollen Augen schaue ihn ver-
wundert an, ihr klarer Blick aber spreche deutlicher als
Worte: Glücklich der Mensch, der sich selbst beherrscht!
Tante Clarisse -- der Gedanke an sie that dem jungen
Manne wohl. Eine rechte Sehnsucht erfaßte ihn nach
derjenigen, die ihm so oft in seinen Knabentagen die
Mutter ersetzt. Dann dachte er weiter an all die frohen
Stunden, welche er in Hohenwart verlebt, und wie
gut er und Gerty allzeit einander gewesen waren. Im
Grunde stand sie mir doch stets viel näher als Walter,
flüsterte ihm dabei leise die Hoffnung zu. Freilich auch
Walter hoffte zuversichtlich, aber -- er konnte sich
täuschen! Wie ein Ertrinkender nach einem Strohhalm
greift, so klammerte sich Max an diese Hoffnung, indem
er zu sich selber sprach: "Gerty wird's entscheiden;
nur ehrlich Spiel soll gelten."

Indeß, als vertreibe er nun bereits allen Sonnen-
schein aus Walter's Leben, regte sich bei ihm neue
warme Theilnahme für des Freundes Geschick. Da eben
sein Vater leise aus Josepha's Stube zurückkahm und
befriedigend erklärte: sie schläft sanft und erquickend,
fragte er ziemlich unvermittelt: "Vater, glaubst Du,
daß der verschollene Herr v. Norden jemals wieder
auftauchen wird?"

Eigenthümlich weich, gedankenvoll blickte der Doctor
den Frager an.

"Das bekümmert Dich wohl Deines Freundes
wegen. Indeß er muß sich mit seinem Antheil schon
begnügen; denn Felix v. Norden wird kommen, um
seine Erbansprüche geltend zu machen, lange ehe die
bestimmte Frist abgelaufen ist!"

"Wie bestimmt Du das sagst, Vater, weißt Du
denn, daß" --

"Ja, mein Sohn," fiel der Doctor ein, "ich weiß,
daß Felix von Norden lebt, und daß Baron Oscar
kurz vor seinem Hinscheiden noch Nachricht darüber er-
hielt; das bestärkte ihn, seine letzwilligen Verfügungen
zu treffen, wie er es gethan, und wie's recht und
billig ist."

"O, stehen die Dinge so! Es handelt sich nicht
um Vermuthung, sondern Gewißheit? Dann freilich
wird die Aussicht, doch noch Haus Norden zu erhalten,
sehr schwach für Walter!"

Dr. Brnnner schüttelte den Kopf. "Walter wird
dasselbe nie besitzen. Aber das ist kein Unglück für ihn;
er ist gut gestellt und hat eine reiche Mutter."

"Von der er abhängig bleibt. Armer Walter!"
lispelte Max, aber dieser mitleidige Gedanke gewann
[Spaltenumbruch] bei ihm merkwürdige Aehnlichkeit mit einem Seufzer
der Erleicherung.

XI.

Unerwartet.

Wenn man sich trifft nach langen Jahren,
Das ist ein eigen Wiederseh'n;
Solange durch die Welt gefahren,
Mag man sich tief ins Auge sehen.

Franz Alfred Muth.

Zur selben Zeit, da in der lieben Heimat Schnee
und Eis regierte, führte der südliche Winter in Meran
ein gar mildes Regiment; indeß wie sanft und freund-
lich auch der Herbst in diesem Klima heuer bis ins
neue Jahr geschlummert war, mit dem Jänner machte
sich doch etwas winterliche Temperatur geltend und
brachte nebst kühlen, nebligen Tagen ungestümen Wind
mit, der sich diesmal vom sorgsam Schutz bieten-
den Küchelberg nicht ganz abwehren ließ, vielmehr selbst
in die geschützteste Ecke der Winteranlagen keck
hereinstöberte, trotz der hohen Gartenmauer des
alten Klosters, die hier gleichfalls den Luftzug von
Staufen her abzuhalten suchte -- vergeblich! Damit
nicht genug; mehrere sonnenlose, fröstelnde Tage folgten.
Die armen Brustkranken flüchteten in die Stuben, öde
ward's auf der Wassermauer, der beliebten Promenade.
Die wunderschönen Rosen, die bis in den November,
ja December hinein dort geblüht, sind sanft unter dem
Kosen des Südwindes verblüht und entblättert, und
was sie wohl für unmöglich gehalten, ist geschehen, der
Schnee von der Muttspitze ist heruntergewandert und
hat sich ein Plätzchen auf der Meraner Wassermauer
gesucht, wo er sein Wesen treibt, sehr zum Erstaunen
Gerty's. Nun erblickte sie heuer doch den ersehnten
Schnee, wohl ihr zu lieb ist er gekommen, damit sie
seines glitzernden Anblickes nicht ganz entbehre.
Gerty schaute auf ihn hinab aus dem Fenster von
Clarissen's behaglicher Stube, in welche eine starke
Grippe ihre mütterliche Freundin gebannt und das
fröhliche Kind gleichsam zu einer Mitgefangenen ge-
macht hat. Das Gefängniß der Beiden ist ungemein
traulich. Ein schmuckes, geräumiges Gemach, wohnlich,
ja elegant eingerichtet. Bequeme Sessel stehen an den
Fenstern, von denen eines eine Thür bildet, welche
direct ins Freie führt auf einen sauberen mit Marquisen
verhangenen Balcon. Wenige Schritte führen von dort
hinab in ein Gärtchen, wo sachte ein Springbrunnen
plätscherte. Gewöhnlich war's windstill dort und sonnig,
immer aber die Aussicht herrlich. Clarisse freute sich
ihrer tagtäglich in ihrer stillen Weise. Willig fand sie
sich in den Stubenarrest, den ihr der Arzt bei der
kühlen Witterung auferlegt. Durfte sie nicht auf den
Balcon, so saß sie stundenlang am Fenster und blickte
weit hinaus in das schöne Etschland, weg über die
Stadtmauer, die Pappelallee auf dem Steindamme
längs der Passer, hinein in die Niederung, mit den
prächtigen von hundert kleinen Bächen durchzogenen
Wiesengründe bis zu den hohen Bergen. (Forts. folgt.)




[irrelevantes Material]

Druck, Herausgabe und Verlag Ambr. Opitz, Wien. -- Verantwortlicher Redacteur Hermann Hikisch, Wien


Wien, Dienſtag Reichspoſt 14. Juni 1898 133

[Spaltenumbruch]
(42. Fortſetzung.) (Nachdruck verboten.)
Verhängnißvolle Augenblicke.
Original-Erzählung

Letztere umarmte er an jenem Abend, als beide
mit Joſepha wieder wohlbehalten in der eigenen Häus-
lichkeit waren, mit einer Innigkeit, wie er ſie vorher
kaum jemals gezeigt, wobei er Worte von Vergeltung
und nie verſiegender Dankbarkeit murmelte, die Max
kaum verſtand, ihn aber doch ſeltſam bewegten, da er
aus denſelben den Ausruf heraushörte: „Was wäre
mein ganzes künftiges Leben ohne meine Joſepha
geworden! Du, Du, haſt ſie mir gerettet!“

„Nicht ich allein, Vater,“ ſagte er ehrlich. „Walter
that dabei das Seinige, wenn nicht die Hauptſache;
ohne ſeine Hilfe hätte ich Eſchen nicht ſo ſchnell gefunden
und in Sicherheit gebracht.“

„Ihr ſeid Beide dem Kinde treue, ſorgſame Brüder
geweſen, das weiß ich. Vergelt’s Euch Gott! Ich
werde nie Deine Sorglichkeit vergeſſen, die mir mein
Liebſtes gerettet. O Gott, wie war mein zartes, armes
Mädchen bedroht, wärſt Du ihr nicht ſo nahe geweſen!“

Ganz ſeiner ſonſtigen gelaſſenen Art entgegen war
Dr. Brunner tief erregt und ſprach mehr und raſcher
in wenigen Minuten, als ſonſt in Stunden. Max be-
ſchlich ein ſeltſames, fremdartiges Gefühl. Trotz den
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die Bemerkung auf, wie ausgeſprochen Joſefa deſſen
Liebling ſei, wie viel leichter der Vater ihn als ſein
liebes, zartes Schweſterlein entbehren könnte. Und dann
dachte er plötzlich wieder an Walter und die Unter-
redung, welche ſie zuſammen gepflogen. Während der
Angſt und des Schreckens war die Erinnerung daran
in den Hintergrund getreten, jetzt erwachte ſie wieder
friſch und lebendig. Zwei Brüdern gleich hatten ſie
heute gehandelt — hatte ſein Vater nicht eben noch ſo
geſagt? Ja, und wie zwei treue Brüder und Freunde
hatten ſie ſich einander eben noch innig und feſt nach
überſtandener Gefahr die Hand geſchüttelt. Was ſollte
daher nun plötzlich das eigene ſchleichende Gefühl, das
einer giftigen Schlange gleich das warme Empfinden
des Nachdenklichen umzingeln und erdrücken wollte?

Max blickte hinaus in die nun im Mondenſchein
glitzernde, magiſch beleuchtete weiße Landſchaft und den
ganz in der Ferne geſpenſtiſch drohenden Wald. Das
Bild wandelte ſich in ſeiner Phantaſie. Im lieblichſten
Grün prangte der Wald.

Gerty und er durchwanderten ihn fröhlich wie ſo
manchesmal in den ſchönen Kindheitstagen. Ihr klang-
volles Silberſtimmchen glaubte er zu hören; doch der
Ton däuchte ihm plötzlich ſeltſam, denn Gerty bat wie
jüngſt beim Abſchiede: Grüße mir Walter!

Hilf Himmel, war er denn blind geweſen? Liebe
Gerty Walter v. Eſchen? War dies der Fall — was
hatte dann er zu hoffen?


[Spaltenumbruch]

Heiß ſtrömte ihm das Blut in Herz und Kopf.
Zorn und Kummer bemächtigten ſich ſeiner und rangen
miteinander. Wenn Walter Gerty und ſein Vater
Joſepha hatte, wer fragte dann nach ihm? Wie über-
flüſſig erſchien er ſich — Eiferſucht und Bitterkeit
wollten ſeine Vernunft trüben, ſeine Phantaſie er-
hitzen, da war es ihm plötzlich, als ſtreiche eine
weiche Hand über ſein ſchwarzes Haar, und Tante
Clariſſe mit ihren ſeelenvollen Augen ſchaue ihn ver-
wundert an, ihr klarer Blick aber ſpreche deutlicher als
Worte: Glücklich der Menſch, der ſich ſelbſt beherrſcht!
Tante Clariſſe — der Gedanke an ſie that dem jungen
Manne wohl. Eine rechte Sehnſucht erfaßte ihn nach
derjenigen, die ihm ſo oft in ſeinen Knabentagen die
Mutter erſetzt. Dann dachte er weiter an all die frohen
Stunden, welche er in Hohenwart verlebt, und wie
gut er und Gerty allzeit einander geweſen waren. Im
Grunde ſtand ſie mir doch ſtets viel näher als Walter,
flüſterte ihm dabei leiſe die Hoffnung zu. Freilich auch
Walter hoffte zuverſichtlich, aber — er konnte ſich
täuſchen! Wie ein Ertrinkender nach einem Strohhalm
greift, ſo klammerte ſich Max an dieſe Hoffnung, indem
er zu ſich ſelber ſprach: „Gerty wird’s entſcheiden;
nur ehrlich Spiel ſoll gelten.“

Indeß, als vertreibe er nun bereits allen Sonnen-
ſchein aus Walter’s Leben, regte ſich bei ihm neue
warme Theilnahme für des Freundes Geſchick. Da eben
ſein Vater leiſe aus Joſepha’s Stube zurückkahm und
befriedigend erklärte: ſie ſchläft ſanft und erquickend,
fragte er ziemlich unvermittelt: „Vater, glaubſt Du,
daß der verſchollene Herr v. Norden jemals wieder
auftauchen wird?“

Eigenthümlich weich, gedankenvoll blickte der Doctor
den Frager an.

„Das bekümmert Dich wohl Deines Freundes
wegen. Indeß er muß ſich mit ſeinem Antheil ſchon
begnügen; denn Felix v. Norden wird kommen, um
ſeine Erbanſprüche geltend zu machen, lange ehe die
beſtimmte Friſt abgelaufen iſt!“

„Wie beſtimmt Du das ſagſt, Vater, weißt Du
denn, daß“ —

„Ja, mein Sohn,“ fiel der Doctor ein, „ich weiß,
daß Felix von Norden lebt, und daß Baron Oscar
kurz vor ſeinem Hinſcheiden noch Nachricht darüber er-
hielt; das beſtärkte ihn, ſeine letzwilligen Verfügungen
zu treffen, wie er es gethan, und wie’s recht und
billig iſt.“

„O, ſtehen die Dinge ſo! Es handelt ſich nicht
um Vermuthung, ſondern Gewißheit? Dann freilich
wird die Ausſicht, doch noch Haus Norden zu erhalten,
ſehr ſchwach für Walter!“

Dr. Brnnner ſchüttelte den Kopf. „Walter wird
dasſelbe nie beſitzen. Aber das iſt kein Unglück für ihn;
er iſt gut geſtellt und hat eine reiche Mutter.“

„Von der er abhängig bleibt. Armer Walter!“
liſpelte Max, aber dieſer mitleidige Gedanke gewann
[Spaltenumbruch] bei ihm merkwürdige Aehnlichkeit mit einem Seufzer
der Erleicherung.

XI.

Unerwartet.

Wenn man ſich trifft nach langen Jahren,
Das iſt ein eigen Wiederſeh’n;
Solange durch die Welt gefahren,
Mag man ſich tief ins Auge ſehen.

Franz Alfred Muth.

Zur ſelben Zeit, da in der lieben Heimat Schnee
und Eis regierte, führte der ſüdliche Winter in Meran
ein gar mildes Regiment; indeß wie ſanft und freund-
lich auch der Herbſt in dieſem Klima heuer bis ins
neue Jahr geſchlummert war, mit dem Jänner machte
ſich doch etwas winterliche Temperatur geltend und
brachte nebſt kühlen, nebligen Tagen ungeſtümen Wind
mit, der ſich diesmal vom ſorgſam Schutz bieten-
den Küchelberg nicht ganz abwehren ließ, vielmehr ſelbſt
in die geſchützteſte Ecke der Winteranlagen keck
hereinſtöberte, trotz der hohen Gartenmauer des
alten Kloſters, die hier gleichfalls den Luftzug von
Staufen her abzuhalten ſuchte — vergeblich! Damit
nicht genug; mehrere ſonnenloſe, fröſtelnde Tage folgten.
Die armen Bruſtkranken flüchteten in die Stuben, öde
ward’s auf der Waſſermauer, der beliebten Promenade.
Die wunderſchönen Roſen, die bis in den November,
ja December hinein dort geblüht, ſind ſanft unter dem
Koſen des Südwindes verblüht und entblättert, und
was ſie wohl für unmöglich gehalten, iſt geſchehen, der
Schnee von der Muttſpitze iſt heruntergewandert und
hat ſich ein Plätzchen auf der Meraner Waſſermauer
geſucht, wo er ſein Weſen treibt, ſehr zum Erſtaunen
Gerty’s. Nun erblickte ſie heuer doch den erſehnten
Schnee, wohl ihr zu lieb iſt er gekommen, damit ſie
ſeines glitzernden Anblickes nicht ganz entbehre.
Gerty ſchaute auf ihn hinab aus dem Fenſter von
Clariſſen’s behaglicher Stube, in welche eine ſtarke
Grippe ihre mütterliche Freundin gebannt und das
fröhliche Kind gleichſam zu einer Mitgefangenen ge-
macht hat. Das Gefängniß der Beiden iſt ungemein
traulich. Ein ſchmuckes, geräumiges Gemach, wohnlich,
ja elegant eingerichtet. Bequeme Seſſel ſtehen an den
Fenſtern, von denen eines eine Thür bildet, welche
direct ins Freie führt auf einen ſauberen mit Marquiſen
verhangenen Balcon. Wenige Schritte führen von dort
hinab in ein Gärtchen, wo ſachte ein Springbrunnen
plätſcherte. Gewöhnlich war’s windſtill dort und ſonnig,
immer aber die Ausſicht herrlich. Clariſſe freute ſich
ihrer tagtäglich in ihrer ſtillen Weiſe. Willig fand ſie
ſich in den Stubenarreſt, den ihr der Arzt bei der
kühlen Witterung auferlegt. Durfte ſie nicht auf den
Balcon, ſo ſaß ſie ſtundenlang am Fenſter und blickte
weit hinaus in das ſchöne Etſchland, weg über die
Stadtmauer, die Pappelallee auf dem Steindamme
längs der Paſſer, hinein in die Niederung, mit den
prächtigen von hundert kleinen Bächen durchzogenen
Wieſengründe bis zu den hohen Bergen. (Fortſ. folgt.)




[irrelevantes Material]

Druck, Herausgabe und Verlag Ambr. Opitz, Wien. — Verantwortlicher Redacteur Hermann Hikiſch, Wien


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[10/0010] Wien, Dienſtag Reichspoſt 14. Juni 1898 133 (42. Fortſetzung.) (Nachdruck verboten.) Verhängnißvolle Augenblicke. Original-Erzählung von M. Ludolff. Letztere umarmte er an jenem Abend, als beide mit Joſepha wieder wohlbehalten in der eigenen Häus- lichkeit waren, mit einer Innigkeit, wie er ſie vorher kaum jemals gezeigt, wobei er Worte von Vergeltung und nie verſiegender Dankbarkeit murmelte, die Max kaum verſtand, ihn aber doch ſeltſam bewegten, da er aus denſelben den Ausruf heraushörte: „Was wäre mein ganzes künftiges Leben ohne meine Joſepha geworden! Du, Du, haſt ſie mir gerettet!“ „Nicht ich allein, Vater,“ ſagte er ehrlich. „Walter that dabei das Seinige, wenn nicht die Hauptſache; ohne ſeine Hilfe hätte ich Eſchen nicht ſo ſchnell gefunden und in Sicherheit gebracht.“ „Ihr ſeid Beide dem Kinde treue, ſorgſame Brüder geweſen, das weiß ich. Vergelt’s Euch Gott! Ich werde nie Deine Sorglichkeit vergeſſen, die mir mein Liebſtes gerettet. O Gott, wie war mein zartes, armes Mädchen bedroht, wärſt Du ihr nicht ſo nahe geweſen!“ Ganz ſeiner ſonſtigen gelaſſenen Art entgegen war Dr. Brunner tief erregt und ſprach mehr und raſcher in wenigen Minuten, als ſonſt in Stunden. Max be- ſchlich ein ſeltſames, fremdartiges Gefühl. Trotz den warmen Dankesworten ſeines Vaters drängte ſich ihm die Bemerkung auf, wie ausgeſprochen Joſefa deſſen Liebling ſei, wie viel leichter der Vater ihn als ſein liebes, zartes Schweſterlein entbehren könnte. Und dann dachte er plötzlich wieder an Walter und die Unter- redung, welche ſie zuſammen gepflogen. Während der Angſt und des Schreckens war die Erinnerung daran in den Hintergrund getreten, jetzt erwachte ſie wieder friſch und lebendig. Zwei Brüdern gleich hatten ſie heute gehandelt — hatte ſein Vater nicht eben noch ſo geſagt? Ja, und wie zwei treue Brüder und Freunde hatten ſie ſich einander eben noch innig und feſt nach überſtandener Gefahr die Hand geſchüttelt. Was ſollte daher nun plötzlich das eigene ſchleichende Gefühl, das einer giftigen Schlange gleich das warme Empfinden des Nachdenklichen umzingeln und erdrücken wollte? Max blickte hinaus in die nun im Mondenſchein glitzernde, magiſch beleuchtete weiße Landſchaft und den ganz in der Ferne geſpenſtiſch drohenden Wald. Das Bild wandelte ſich in ſeiner Phantaſie. Im lieblichſten Grün prangte der Wald. Gerty und er durchwanderten ihn fröhlich wie ſo manchesmal in den ſchönen Kindheitstagen. Ihr klang- volles Silberſtimmchen glaubte er zu hören; doch der Ton däuchte ihm plötzlich ſeltſam, denn Gerty bat wie jüngſt beim Abſchiede: Grüße mir Walter! Hilf Himmel, war er denn blind geweſen? Liebe Gerty Walter v. Eſchen? War dies der Fall — was hatte dann er zu hoffen? Heiß ſtrömte ihm das Blut in Herz und Kopf. Zorn und Kummer bemächtigten ſich ſeiner und rangen miteinander. Wenn Walter Gerty und ſein Vater Joſepha hatte, wer fragte dann nach ihm? Wie über- flüſſig erſchien er ſich — Eiferſucht und Bitterkeit wollten ſeine Vernunft trüben, ſeine Phantaſie er- hitzen, da war es ihm plötzlich, als ſtreiche eine weiche Hand über ſein ſchwarzes Haar, und Tante Clariſſe mit ihren ſeelenvollen Augen ſchaue ihn ver- wundert an, ihr klarer Blick aber ſpreche deutlicher als Worte: Glücklich der Menſch, der ſich ſelbſt beherrſcht! Tante Clariſſe — der Gedanke an ſie that dem jungen Manne wohl. Eine rechte Sehnſucht erfaßte ihn nach derjenigen, die ihm ſo oft in ſeinen Knabentagen die Mutter erſetzt. Dann dachte er weiter an all die frohen Stunden, welche er in Hohenwart verlebt, und wie gut er und Gerty allzeit einander geweſen waren. Im Grunde ſtand ſie mir doch ſtets viel näher als Walter, flüſterte ihm dabei leiſe die Hoffnung zu. Freilich auch Walter hoffte zuverſichtlich, aber — er konnte ſich täuſchen! Wie ein Ertrinkender nach einem Strohhalm greift, ſo klammerte ſich Max an dieſe Hoffnung, indem er zu ſich ſelber ſprach: „Gerty wird’s entſcheiden; nur ehrlich Spiel ſoll gelten.“ Indeß, als vertreibe er nun bereits allen Sonnen- ſchein aus Walter’s Leben, regte ſich bei ihm neue warme Theilnahme für des Freundes Geſchick. Da eben ſein Vater leiſe aus Joſepha’s Stube zurückkahm und befriedigend erklärte: ſie ſchläft ſanft und erquickend, fragte er ziemlich unvermittelt: „Vater, glaubſt Du, daß der verſchollene Herr v. Norden jemals wieder auftauchen wird?“ Eigenthümlich weich, gedankenvoll blickte der Doctor den Frager an. „Das bekümmert Dich wohl Deines Freundes wegen. Indeß er muß ſich mit ſeinem Antheil ſchon begnügen; denn Felix v. Norden wird kommen, um ſeine Erbanſprüche geltend zu machen, lange ehe die beſtimmte Friſt abgelaufen iſt!“ „Wie beſtimmt Du das ſagſt, Vater, weißt Du denn, daß“ — „Ja, mein Sohn,“ fiel der Doctor ein, „ich weiß, daß Felix von Norden lebt, und daß Baron Oscar kurz vor ſeinem Hinſcheiden noch Nachricht darüber er- hielt; das beſtärkte ihn, ſeine letzwilligen Verfügungen zu treffen, wie er es gethan, und wie’s recht und billig iſt.“ „O, ſtehen die Dinge ſo! Es handelt ſich nicht um Vermuthung, ſondern Gewißheit? Dann freilich wird die Ausſicht, doch noch Haus Norden zu erhalten, ſehr ſchwach für Walter!“ Dr. Brnnner ſchüttelte den Kopf. „Walter wird dasſelbe nie beſitzen. Aber das iſt kein Unglück für ihn; er iſt gut geſtellt und hat eine reiche Mutter.“ „Von der er abhängig bleibt. Armer Walter!“ liſpelte Max, aber dieſer mitleidige Gedanke gewann bei ihm merkwürdige Aehnlichkeit mit einem Seufzer der Erleicherung. XI. Unerwartet. Wenn man ſich trifft nach langen Jahren, Das iſt ein eigen Wiederſeh’n; Solange durch die Welt gefahren, Mag man ſich tief ins Auge ſehen. Franz Alfred Muth. Zur ſelben Zeit, da in der lieben Heimat Schnee und Eis regierte, führte der ſüdliche Winter in Meran ein gar mildes Regiment; indeß wie ſanft und freund- lich auch der Herbſt in dieſem Klima heuer bis ins neue Jahr geſchlummert war, mit dem Jänner machte ſich doch etwas winterliche Temperatur geltend und brachte nebſt kühlen, nebligen Tagen ungeſtümen Wind mit, der ſich diesmal vom ſorgſam Schutz bieten- den Küchelberg nicht ganz abwehren ließ, vielmehr ſelbſt in die geſchützteſte Ecke der Winteranlagen keck hereinſtöberte, trotz der hohen Gartenmauer des alten Kloſters, die hier gleichfalls den Luftzug von Staufen her abzuhalten ſuchte — vergeblich! Damit nicht genug; mehrere ſonnenloſe, fröſtelnde Tage folgten. Die armen Bruſtkranken flüchteten in die Stuben, öde ward’s auf der Waſſermauer, der beliebten Promenade. Die wunderſchönen Roſen, die bis in den November, ja December hinein dort geblüht, ſind ſanft unter dem Koſen des Südwindes verblüht und entblättert, und was ſie wohl für unmöglich gehalten, iſt geſchehen, der Schnee von der Muttſpitze iſt heruntergewandert und hat ſich ein Plätzchen auf der Meraner Waſſermauer geſucht, wo er ſein Weſen treibt, ſehr zum Erſtaunen Gerty’s. Nun erblickte ſie heuer doch den erſehnten Schnee, wohl ihr zu lieb iſt er gekommen, damit ſie ſeines glitzernden Anblickes nicht ganz entbehre. Gerty ſchaute auf ihn hinab aus dem Fenſter von Clariſſen’s behaglicher Stube, in welche eine ſtarke Grippe ihre mütterliche Freundin gebannt und das fröhliche Kind gleichſam zu einer Mitgefangenen ge- macht hat. Das Gefängniß der Beiden iſt ungemein traulich. Ein ſchmuckes, geräumiges Gemach, wohnlich, ja elegant eingerichtet. Bequeme Seſſel ſtehen an den Fenſtern, von denen eines eine Thür bildet, welche direct ins Freie führt auf einen ſauberen mit Marquiſen verhangenen Balcon. Wenige Schritte führen von dort hinab in ein Gärtchen, wo ſachte ein Springbrunnen plätſcherte. Gewöhnlich war’s windſtill dort und ſonnig, immer aber die Ausſicht herrlich. Clariſſe freute ſich ihrer tagtäglich in ihrer ſtillen Weiſe. Willig fand ſie ſich in den Stubenarreſt, den ihr der Arzt bei der kühlen Witterung auferlegt. Durfte ſie nicht auf den Balcon, ſo ſaß ſie ſtundenlang am Fenſter und blickte weit hinaus in das ſchöne Etſchland, weg über die Stadtmauer, die Pappelallee auf dem Steindamme längs der Paſſer, hinein in die Niederung, mit den prächtigen von hundert kleinen Bächen durchzogenen Wieſengründe bis zu den hohen Bergen. (Fortſ. folgt.) _ Druck, Herausgabe und Verlag Ambr. Opitz, Wien. — Verantwortlicher Redacteur Hermann Hikiſch, Wien

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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 133, Wien, 14.06.1898, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost133_1898/10>, abgerufen am 29.03.2024.