Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Neue Rheinische Zeitung. Nr. 243. Köln, 11. März 1849.

Bild:
erste Seite
Neue Rheinische Zeitung
Organ der Demokratie.
No 243. Köln, Sonntag, den 11. März 1849.

Vierteljähriger Abonnementspreis in Köln 1 Thlr. 7 1/2 Sgr., bei allen preußischen Postanstalten 1 Thlr. 17 Sgr. -- Im Auslande wende man sich: in Belgien an die betreffenden Postanstalten; in London an W. Thomas, 21 Catherine-Street, Strand; in Paris an W. Thomas, 38 Rue Vivienne, und an A. Havas, 3 Rue Jean Jacques Rousseau.

Insertionen werden mit 18 Pf. die Petitzeile oder deren Raum berechnet.

Auskunft, Annahme und Abgabe chiffrirter Briefe gratis.

Nur frankirte Briefe werden angenommen.

Expedition Unter Hutmacher Nro. 17.

Uebersicht.

Deutschland. Köln. (Ammon I. zu Düsseldorf. -- Der Märzverein). Berlin. (Lokalklatsch. -- Die erste namentliche Abstimmung in der zweiten Kammer. -- Programm der Rechten der zweiten Kammer. -- Kammersitzungen). Wien. (Habsburg-Oestreich. -- Windischgrätz und das Ministerium in Zwiespalt. -- Windischgrätz und die Pesther Juden). Kremsier. (Reichstagssitzung). Hannover. (Die neueste Note Oestreichs).

Ungarn. (Vom Kriegsschauplatz).

Italien. (Rüstungen an verschiedenen Orten). Florenz. (Eine Proklamation der provisorischen Regierung). Modena. (Vorrücken des Herzogs gegen Toskana). Rom. (Die gezwungene Anleihe. -- Drei neue Gesetzentwürfe). Bologna. (Rückzug der Oestreicher von der toskanischen Gränze)

Schweiz. Waadt. (Sieg der Demokraten bei den meisten Wahlen)

Französische Republik. Bourges. (Gerichtsdebatte).

Belgien. Verviers. (Der Musterstaat).

Großbritannien. London. (Parlament).

Dänemark Kopenhagen, (Beweis von Kriegslust).

Deutschland.
* Köln, 10. März.
Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden.
* Köln, 10. März.

Wir erfahren aus sichrer Quelle, daß dem Staatsprokurator v. Ammon I. in Düsseldorf, der seit Reihen von Jahren trotz der Anciennetät regelmäßig bei Besetzung erledigter Oberprokuratorstellen übergangen, von der k. Regierung zu Düsseldorf mit Hinblick auf den entwickelten Eifer, die Stelle eines Justitiarius an dem Regierungskollegium zu Düsseldorf (200 Thlr. Gehaltzulage) in Aussicht gestellt worden ist.

Il y a bien de quoi!

222 Berlin, 8. März.

Wir haben heute allen Grund, das gestern mitgetheilte Börsengerücht für vollkommen begründet zu halten, daß die Regierung auf die Wahl der Hrn. von Unruh oder Waldeck sofort mit Auflösung der zweiten Kammer geantworret hätte.

Die Abtheilungen haben gestern auch die Petitions-Kommission durch Wahlen aus ihrer Mitte zusammengesetzt. Die Zusammensetzung ergibt 16 Mitglieder der Rechten gegen 12 Mitglieder der Linken.

Die gestrige Abendsoiree beim Minister von Manteuffel war nur von Abgeordneten der rechten Seite beider Kammern und zahlreichen höhern Beamten besucht. Mitglieder der Linken waren nicht wahrnehmbar. Das Ganze hatte mehr das Ansehen einer rein gesellschaftlichen als einer politischen Zusammenkunft, wiewohl die Haltung minder zwanglos war und mehr bureaukratisch als in den Soireen, welche im vorigen Sommer besonders der Minister Hansemann zu veranstalten pflegte.

In der gestrigen Sitzung der Oppositionsdeputirten in der Conversationshalle wurde, insbesondere auf Anregung des Abg. Bürgermeisters Phillipps, die Amnestiefrage wieder aufgenommen und der betreffende Antrag dahin formulirt, "daß für alle seit dem 18. März v. J. stattgehabten polit. Vergehen Straflosigkeit ausgesprochen werden möge." Man ist hiermit von dem gestern mitgetheilten Beschluß wieder abgegangen, auch in sofern, als die Theilung in Amnestirung und Niederschlagung der Untersuchung aufgehoben ward, da nämlich gegen mehrere Novembergefangene schon ein richterliches Urtheil ausgesprochen ist. Die Berathung wird fortgesetzt. Es traten gestern gegen 50 Redner auf.

Auf Anordnung des Generals v. Wrangel hat der Besitzer der Conversationshalle die polizeiliche Weisung erhalten, daß die Opposition während des Belagerungszustandes in seinem Lokale keine öffentliche Sitzung halte. Seitdem dies Lokal der Versammlungsort für die ständische Opposition geworden, hat sich das frühere konservative Publikum, welches hier stark verkehrte, fast gänzlich verloren, wogegen die Demokraten Berlins immer mehr einrücken.

Aus Wien sind folgende, wie es scheint, verbürgte Nachrichten von hoher Wichtigkeit eingegangen: Die Nationalversammlung in Kremsier ist aufgelöst, eine Verfassung octroyirt worden. Dieselbe hat indirekte Wahlen, ein Zweikammersystem und Wahl-Census für die Urwähler, der sich bei der ersten Kammer auf 500 Gulden, bei der zweiten auf 10 Gulden beläuft. Die Mörder Latour's, vier an der Zahl, sollen hingerichtet sein.

In Folge der Kündigung des Malmöer Waffenstillstandes hat die Reichsregierung in Uebereinstimmung mit dem preußischen Kabinet angeordnet, daß 20,000 Mann deutscher Truppen zur Gränze vorrücken sollen. Preußen hat zu diesem Kontingent 10,000 M. zu stellen, welche jedoch diesmal nicht aus der Garde, sondern aus den Linienregimentern genommen werden sollen, um auch diese an den Felddienst zu gewöhnen. Die übrigen 10,000 M. werden die andern norddeutschen Staaten liefern und zwar Sachsen allein 7 Bataillons.

Die Gräfin Rossi, die ehemalige berühmte Sängerin Henriette Sonntag, tritt morgen in dem Stern'schen Gesangverein in mehreren Piecen auf, namentlich in Mendelssohn'schen Kompositionen. Die künstlerische Aufführung findet im Lokal des Vereins, im Ministerio der geistlichen Angelegenheiten statt und ist nur für die Mitglieder des Vereins, dessen Ehrenmitglied die Gräfin sein soll, berechnet. Wir wollen noch bemerken, daß dieser Künstlerbund bereits gegen 200 Mitglieder zählt, deren jedes den jährlichen Beitrag von 5 Thalern zahlt, wofür es den wöchentlichen künstlerischen Aufführungen beizuwohnen berechtigt und verpflichtet ist.

Auch auf dem Köpenickerfelde sollen sich Arbeiterbewegungen kund gethan haben, weil die Kondukteure den Lohn der Arbeiter zu vermindern und die Arbeitszeit zu verlängern beabsichtigt hätten. Die Mitglieder der betreffenden Gewerke haben deshalb bereits eine Beschwerde beim Handelsminister eingereicht. Die Maurer, welche an der Kammer arbeiten, haben gestern ihre Thätigkeit eingestellt. Die Kattundrucker sind zum Theil noch nicht wieder eingetreten. Die Arbeitseinstellung der Letzteren soll indeß den Fabrikherren nicht eben unerwünscht sein, weil sie damit auch derer ledig werden, die sie nur aus äußeren Rücksichten beschäftigten und deren Händearbeit durch Maschinenkraft vollständig aufgewogen wird. Mit diesen Bewegungen verbindet sich eine zunehmende Opposition gegen das Gewerbegesetz v. 9. Februar. Namentlich haben die Schn[unleserliches Material]rgesellen so eben auf das Entschiedenste gegen die Ausführung protestirt und weigern sich die dazu erforderlichen Wahlen vorzunehmen.

Unter dem Titel: "Revolutionäre Diplomatie" ist so eben von dem Justizkommissar Streber eine Broschüre erschienen, welche na- [Fortsetzung]

Die Langeweile, der Spleen und die Seekrankheit.

(Fortsetzung von Nro. 238 und 241)

Das Gespräch erstreckte sich jetzt über die Zustände Englands, und die Göttin der Langenweile versicherte mir unter Anderm, daß sie eine fleißige Kirchengängerin sei.

"Den englischen Gottesdienst, meinte sie, kann ich Ihnen nicht genug rühmen. Unten in dem Schiff der Kirche, stehen die Repräsentanten der kleinen Mittelklasse; Menschen, die während der Wochentage so gern Sand in den Zucker streuen, die den Wein mit Schnapps vermischen und die Milch, wenn auch nicht mit Wasser aus dem Jordan, so doch mit dem Segen ihrer Pumpe taufen -- mit einem Wort: kleine, ehrliche Leute, die sich mit einem mäßigen Nutzen begnügen. Sie haben sich für heute einmal gründlich die Hände gewaschen, und erscheinen in den Kirchenstühlen feierlich schwarz wie Staare und steif wie Böcke.

Rings auf den Gallerieen sammeln sich die höhern Klassen der Gesellschaft. Fabrikanten, die von reduzirten Arbeitslöhnen leben; unternehmende Spekulanten, die z. B. am Sonntag ungemein für Missionsangelegenheiten und Bibelgesellschaften schwärmen, und in der Woche Götzenbilder fabriziren, zum Export nach dem Innern von Afrika, nach Hindostan oder nach den Inseln der Südsee. Banquiers ferner, die das skalpiren besser verstehen, als die Mohikaner des fernen Westens. Mäkler, die gewiß in den Himmel kommen, weil sie den Teufel mit der größesten Leichtigkeit um ihre Seelen prellen werden. Advokaten, die so berüchtigt sind, daß man die Kinder mit ihrem Namen bange macht. Unbestechliche Beamte, die bei 300 Pfund Einnahme, jährlich 500 Pfund Ersparnisse zurücklegen. Gelehrte, die jederzeit bereit sind, für die Emanzipation der Sklaven aufzutreten, und die sich a la Lord Brougham, das Gesangbuch in die Haut eines Negers einbinden lassen. Fromme, mildthätige Rentner, die zur Buße für ihre Sünden die gesetzliche Armentaxe bis auf Heller und Pfennig einbezahlen. Wie gesagt, es sind die bessern Klassen der Gesellschaft, welche die gepolsterten Sitze der Gallerieen einnehmen; Leute, die von fünf bis zu zwanzigtausend Pfund werth sind, Geschäftsmänner ersten Ranges, die man an der Börse kennt, die stets gutes Papier remittiren, manchmal Wagen und Pferde halten und deswegen sehr respektabel sind. Die noch reicheren Leute dienen dem Herrn ihrem Gotte in aparten Logen.

Mitten zwischen den Männern sitzen die kaninchen-keuschen Gattinnen und Töchter der liebenden Familienväter. Die, unten in dem Schiff der Kirche, nach Rosinen und Korinthen, kurz, nach allen Gerüchen der Levante duftend; die auf den Gallerieen, möglichst geschmacklos, in die reichsten Seiden- und Atlasstoffe gekleidet.

Während der Organist, auf seinem herrlichen Instrumente, sehr schlecht präludirt, füllt sich der Raum allmälig mit Andächtigen. Jeden läßt man herein und wohlgekleideten Fremden weist man mit der größesten Artigkeit die besten Plätze an. Nur zerlumpte Arbeiter und Bettler, die keinen Kirchenstuhl bezahlen können, werden in die Zugluft des Einganges, oder gar hinausgewiesen.

Endlich erscheint der Pastor. Er ist ein würdiger Mann, der sogar Abends bei einer Flasche Portwein ein ganz fideler Kerl ist, der auch bisweilen in Eisenbahnaktien spekulirt und überhaupt die irdischen mit den himmlischen Interessen auf's vortheilhafteste zu verbinden weiß. Er hat das alte und das neue Testament im Kopfe und räuspernd stellt er sich auf die Hinterbeine und schnarrt den Text.

Da erhebt sich die ganze fromme Gemeinde. Man wackelt mit den Köpfen, man wendet sich rechts und links, man verdreht die Augen und säuselnd beginnen sie ihren David'schen Psalm.

O liebliches Säuseln! Wie wird mir -- bin ich auf Erden? Sitze ich unter Sterblichen? Sind das die Leute, die während sechs Wochentagen so trefflich zu schachern wissen, die von reduzirten Arbeitslöhnen leben, die Götzenbilder fabriziren, die ihre gesetzliche Armentaxe bezahlen? Nein, es ist nicht möglich! Ich bin im Himmel. Ich höre die himmlischen Heerschaaren singen; sie jauchzen von Liebe und Glauben, von Entsagung und göttlicher Barmherzigkeit -- ja, wahrhaftig, theuerster Freund, ich kann Ihnen den anglikanischen Gottesdienst nicht genug empfehlen. --

Hier machte die Göttin eine kleine Pause und trank ein großes Glas Portwein. Ich war etwas erstaunt über ihre Schilderung, denn nach alle dem was ich vernahm, mußte ich doch diese kirchlichen Feierlichkeiten für ungemein ergötzlich halten und es war mir nur ein Räthsel wie die Langeweile sich so sehr damit einverstanden erklären konnte. Die Göttin schien meine Zweifel zu errathen und rasch fuhr sie zu reden fort: "Glauben Sie indeß ja nicht, theuerster Freund, daß das allerdings belustigende Orgeln, Singen, Jauchzen, Wackeln und Augenverdrehen länger als eine halbe Stunde dauert. Den heitern Präliminarien folgt endlich die langweilige Predigt. Sie können sich gar nicht denken, wie mächtig ich in der Rede eines englischen Geistlichen bin. Schon nach den ersten zwanzig Phrasen bringe ich die Leute, trotz ihres festen Vorsatzes wach zu bleiben, zum leisen Einnicken und ist der Redner gar bis in das Herz seines Gegenstandes vorgedrungen, da dominire ich total und es passirt nicht selten, daß der sprechende Pastor und ich selbst die einzigen Wesen sind, welche von vielen Tausenden die Augen offen behalten.

Ja, ich schwärme für den englischen Gottesdienst. Sie können die verschiedenen Momente desselben wie folgt zusammenfassen: Zuerst das Geläut der Glocken, dann der Gesang; hierauf die Predigt und der Schlaf. Zuletzt das Vaterunser. Der Schlaf dauert am längsten. Dreimal habe ich sonntäglich das Vergnügen dieser Feierlichkeiten, unzählige schlaftrunkene Kränzchen und Konventikelchen nicht mitgerechnet. -- "

Neue Rheinische Zeitung
Organ der Demokratie.
No 243. Köln, Sonntag, den 11. März 1849.

Vierteljähriger Abonnementspreis in Köln 1 Thlr. 7 1/2 Sgr., bei allen preußischen Postanstalten 1 Thlr. 17 Sgr. — Im Auslande wende man sich: in Belgien an die betreffenden Postanstalten; in London an W. Thomas, 21 Catherine-Street, Strand; in Paris an W. Thomas, 38 Rue Vivienne, und an A. Havas, 3 Rue Jean Jacques Rousseau.

Insertionen werden mit 18 Pf. die Petitzeile oder deren Raum berechnet.

Auskunft, Annahme und Abgabe chiffrirter Briefe gratis.

Nur frankirte Briefe werden angenommen.

Expedition Unter Hutmacher Nro. 17.

Uebersicht.

Deutschland. Köln. (Ammon I. zu Düsseldorf. — Der Märzverein). Berlin. (Lokalklatsch. — Die erste namentliche Abstimmung in der zweiten Kammer. — Programm der Rechten der zweiten Kammer. — Kammersitzungen). Wien. (Habsburg-Oestreich. — Windischgrätz und das Ministerium in Zwiespalt. — Windischgrätz und die Pesther Juden). Kremsier. (Reichstagssitzung). Hannover. (Die neueste Note Oestreichs).

Ungarn. (Vom Kriegsschauplatz).

Italien. (Rüstungen an verschiedenen Orten). Florenz. (Eine Proklamation der provisorischen Regierung). Modena. (Vorrücken des Herzogs gegen Toskana). Rom. (Die gezwungene Anleihe. — Drei neue Gesetzentwürfe). Bologna. (Rückzug der Oestreicher von der toskanischen Gränze)

Schweiz. Waadt. (Sieg der Demokraten bei den meisten Wahlen)

Französische Republik. Bourges. (Gerichtsdebatte).

Belgien. Verviers. (Der Musterstaat).

Großbritannien. London. (Parlament).

Dänemark Kopenhagen, (Beweis von Kriegslust).

Deutschland.
* Köln, 10. März.
Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden.
* Köln, 10. März.

Wir erfahren aus sichrer Quelle, daß dem Staatsprokurator v. Ammon I. in Düsseldorf, der seit Reihen von Jahren trotz der Anciennetät regelmäßig bei Besetzung erledigter Oberprokuratorstellen übergangen, von der k. Regierung zu Düsseldorf mit Hinblick auf den entwickelten Eifer, die Stelle eines Justitiarius an dem Regierungskollegium zu Düsseldorf (200 Thlr. Gehaltzulage) in Aussicht gestellt worden ist.

Il y a bien de quoi!

222 Berlin, 8. März.

Wir haben heute allen Grund, das gestern mitgetheilte Börsengerücht für vollkommen begründet zu halten, daß die Regierung auf die Wahl der Hrn. von Unruh oder Waldeck sofort mit Auflösung der zweiten Kammer geantworret hätte.

Die Abtheilungen haben gestern auch die Petitions-Kommission durch Wahlen aus ihrer Mitte zusammengesetzt. Die Zusammensetzung ergibt 16 Mitglieder der Rechten gegen 12 Mitglieder der Linken.

Die gestrige Abendsoirée beim Minister von Manteuffel war nur von Abgeordneten der rechten Seite beider Kammern und zahlreichen höhern Beamten besucht. Mitglieder der Linken waren nicht wahrnehmbar. Das Ganze hatte mehr das Ansehen einer rein gesellschaftlichen als einer politischen Zusammenkunft, wiewohl die Haltung minder zwanglos war und mehr bureaukratisch als in den Soiréen, welche im vorigen Sommer besonders der Minister Hansemann zu veranstalten pflegte.

In der gestrigen Sitzung der Oppositionsdeputirten in der Conversationshalle wurde, insbesondere auf Anregung des Abg. Bürgermeisters Phillipps, die Amnestiefrage wieder aufgenommen und der betreffende Antrag dahin formulirt, „daß für alle seit dem 18. März v. J. stattgehabten polit. Vergehen Straflosigkeit ausgesprochen werden möge.“ Man ist hiermit von dem gestern mitgetheilten Beschluß wieder abgegangen, auch in sofern, als die Theilung in Amnestirung und Niederschlagung der Untersuchung aufgehoben ward, da nämlich gegen mehrere Novembergefangene schon ein richterliches Urtheil ausgesprochen ist. Die Berathung wird fortgesetzt. Es traten gestern gegen 50 Redner auf.

Auf Anordnung des Generals v. Wrangel hat der Besitzer der Conversationshalle die polizeiliche Weisung erhalten, daß die Opposition während des Belagerungszustandes in seinem Lokale keine öffentliche Sitzung halte. Seitdem dies Lokal der Versammlungsort für die ständische Opposition geworden, hat sich das frühere konservative Publikum, welches hier stark verkehrte, fast gänzlich verloren, wogegen die Demokraten Berlins immer mehr einrücken.

Aus Wien sind folgende, wie es scheint, verbürgte Nachrichten von hoher Wichtigkeit eingegangen: Die Nationalversammlung in Kremsier ist aufgelöst, eine Verfassung octroyirt worden. Dieselbe hat indirekte Wahlen, ein Zweikammersystem und Wahl-Census für die Urwähler, der sich bei der ersten Kammer auf 500 Gulden, bei der zweiten auf 10 Gulden beläuft. Die Mörder Latour's, vier an der Zahl, sollen hingerichtet sein.

In Folge der Kündigung des Malmöer Waffenstillstandes hat die Reichsregierung in Uebereinstimmung mit dem preußischen Kabinet angeordnet, daß 20,000 Mann deutscher Truppen zur Gränze vorrücken sollen. Preußen hat zu diesem Kontingent 10,000 M. zu stellen, welche jedoch diesmal nicht aus der Garde, sondern aus den Linienregimentern genommen werden sollen, um auch diese an den Felddienst zu gewöhnen. Die übrigen 10,000 M. werden die andern norddeutschen Staaten liefern und zwar Sachsen allein 7 Bataillons.

Die Gräfin Rossi, die ehemalige berühmte Sängerin Henriette Sonntag, tritt morgen in dem Stern'schen Gesangverein in mehreren Piecen auf, namentlich in Mendelssohn'schen Kompositionen. Die künstlerische Aufführung findet im Lokal des Vereins, im Ministerio der geistlichen Angelegenheiten statt und ist nur für die Mitglieder des Vereins, dessen Ehrenmitglied die Gräfin sein soll, berechnet. Wir wollen noch bemerken, daß dieser Künstlerbund bereits gegen 200 Mitglieder zählt, deren jedes den jährlichen Beitrag von 5 Thalern zahlt, wofür es den wöchentlichen künstlerischen Aufführungen beizuwohnen berechtigt und verpflichtet ist.

Auch auf dem Köpenickerfelde sollen sich Arbeiterbewegungen kund gethan haben, weil die Kondukteure den Lohn der Arbeiter zu vermindern und die Arbeitszeit zu verlängern beabsichtigt hätten. Die Mitglieder der betreffenden Gewerke haben deshalb bereits eine Beschwerde beim Handelsminister eingereicht. Die Maurer, welche an der Kammer arbeiten, haben gestern ihre Thätigkeit eingestellt. Die Kattundrucker sind zum Theil noch nicht wieder eingetreten. Die Arbeitseinstellung der Letzteren soll indeß den Fabrikherren nicht eben unerwünscht sein, weil sie damit auch derer ledig werden, die sie nur aus äußeren Rücksichten beschäftigten und deren Händearbeit durch Maschinenkraft vollständig aufgewogen wird. Mit diesen Bewegungen verbindet sich eine zunehmende Opposition gegen das Gewerbegesetz v. 9. Februar. Namentlich haben die Schn[unleserliches Material]rgesellen so eben auf das Entschiedenste gegen die Ausführung protestirt und weigern sich die dazu erforderlichen Wahlen vorzunehmen.

Unter dem Titel: „Revolutionäre Diplomatie“ ist so eben von dem Justizkommissar Streber eine Broschüre erschienen, welche na- [Fortsetzung]

Die Langeweile, der Spleen und die Seekrankheit.

(Fortsetzung von Nro. 238 und 241)

Das Gespräch erstreckte sich jetzt über die Zustände Englands, und die Göttin der Langenweile versicherte mir unter Anderm, daß sie eine fleißige Kirchengängerin sei.

„Den englischen Gottesdienst, meinte sie, kann ich Ihnen nicht genug rühmen. Unten in dem Schiff der Kirche, stehen die Repräsentanten der kleinen Mittelklasse; Menschen, die während der Wochentage so gern Sand in den Zucker streuen, die den Wein mit Schnapps vermischen und die Milch, wenn auch nicht mit Wasser aus dem Jordan, so doch mit dem Segen ihrer Pumpe taufen — mit einem Wort: kleine, ehrliche Leute, die sich mit einem mäßigen Nutzen begnügen. Sie haben sich für heute einmal gründlich die Hände gewaschen, und erscheinen in den Kirchenstühlen feierlich schwarz wie Staare und steif wie Böcke.

Rings auf den Gallerieen sammeln sich die höhern Klassen der Gesellschaft. Fabrikanten, die von reduzirten Arbeitslöhnen leben; unternehmende Spekulanten, die z. B. am Sonntag ungemein für Missionsangelegenheiten und Bibelgesellschaften schwärmen, und in der Woche Götzenbilder fabriziren, zum Export nach dem Innern von Afrika, nach Hindostan oder nach den Inseln der Südsee. Banquiers ferner, die das skalpiren besser verstehen, als die Mohikaner des fernen Westens. Mäkler, die gewiß in den Himmel kommen, weil sie den Teufel mit der größesten Leichtigkeit um ihre Seelen prellen werden. Advokaten, die so berüchtigt sind, daß man die Kinder mit ihrem Namen bange macht. Unbestechliche Beamte, die bei 300 Pfund Einnahme, jährlich 500 Pfund Ersparnisse zurücklegen. Gelehrte, die jederzeit bereit sind, für die Emanzipation der Sklaven aufzutreten, und die sich à la Lord Brougham, das Gesangbuch in die Haut eines Negers einbinden lassen. Fromme, mildthätige Rentner, die zur Buße für ihre Sünden die gesetzliche Armentaxe bis auf Heller und Pfennig einbezahlen. Wie gesagt, es sind die bessern Klassen der Gesellschaft, welche die gepolsterten Sitze der Gallerieen einnehmen; Leute, die von fünf bis zu zwanzigtausend Pfund werth sind, Geschäftsmänner ersten Ranges, die man an der Börse kennt, die stets gutes Papier remittiren, manchmal Wagen und Pferde halten und deswegen sehr respektabel sind. Die noch reicheren Leute dienen dem Herrn ihrem Gotte in aparten Logen.

Mitten zwischen den Männern sitzen die kaninchen-keuschen Gattinnen und Töchter der liebenden Familienväter. Die, unten in dem Schiff der Kirche, nach Rosinen und Korinthen, kurz, nach allen Gerüchen der Levante duftend; die auf den Gallerieen, möglichst geschmacklos, in die reichsten Seiden- und Atlasstoffe gekleidet.

Während der Organist, auf seinem herrlichen Instrumente, sehr schlecht präludirt, füllt sich der Raum allmälig mit Andächtigen. Jeden läßt man herein und wohlgekleideten Fremden weist man mit der größesten Artigkeit die besten Plätze an. Nur zerlumpte Arbeiter und Bettler, die keinen Kirchenstuhl bezahlen können, werden in die Zugluft des Einganges, oder gar hinausgewiesen.

Endlich erscheint der Pastor. Er ist ein würdiger Mann, der sogar Abends bei einer Flasche Portwein ein ganz fideler Kerl ist, der auch bisweilen in Eisenbahnaktien spekulirt und überhaupt die irdischen mit den himmlischen Interessen auf's vortheilhafteste zu verbinden weiß. Er hat das alte und das neue Testament im Kopfe und räuspernd stellt er sich auf die Hinterbeine und schnarrt den Text.

Da erhebt sich die ganze fromme Gemeinde. Man wackelt mit den Köpfen, man wendet sich rechts und links, man verdreht die Augen und säuselnd beginnen sie ihren David'schen Psalm.

O liebliches Säuseln! Wie wird mir — bin ich auf Erden? Sitze ich unter Sterblichen? Sind das die Leute, die während sechs Wochentagen so trefflich zu schachern wissen, die von reduzirten Arbeitslöhnen leben, die Götzenbilder fabriziren, die ihre gesetzliche Armentaxe bezahlen? Nein, es ist nicht möglich! Ich bin im Himmel. Ich höre die himmlischen Heerschaaren singen; sie jauchzen von Liebe und Glauben, von Entsagung und göttlicher Barmherzigkeit — ja, wahrhaftig, theuerster Freund, ich kann Ihnen den anglikanischen Gottesdienst nicht genug empfehlen. —

Hier machte die Göttin eine kleine Pause und trank ein großes Glas Portwein. Ich war etwas erstaunt über ihre Schilderung, denn nach alle dem was ich vernahm, mußte ich doch diese kirchlichen Feierlichkeiten für ungemein ergötzlich halten und es war mir nur ein Räthsel wie die Langeweile sich so sehr damit einverstanden erklären konnte. Die Göttin schien meine Zweifel zu errathen und rasch fuhr sie zu reden fort: „Glauben Sie indeß ja nicht, theuerster Freund, daß das allerdings belustigende Orgeln, Singen, Jauchzen, Wackeln und Augenverdrehen länger als eine halbe Stunde dauert. Den heitern Präliminarien folgt endlich die langweilige Predigt. Sie können sich gar nicht denken, wie mächtig ich in der Rede eines englischen Geistlichen bin. Schon nach den ersten zwanzig Phrasen bringe ich die Leute, trotz ihres festen Vorsatzes wach zu bleiben, zum leisen Einnicken und ist der Redner gar bis in das Herz seines Gegenstandes vorgedrungen, da dominire ich total und es passirt nicht selten, daß der sprechende Pastor und ich selbst die einzigen Wesen sind, welche von vielen Tausenden die Augen offen behalten.

Ja, ich schwärme für den englischen Gottesdienst. Sie können die verschiedenen Momente desselben wie folgt zusammenfassen: Zuerst das Geläut der Glocken, dann der Gesang; hierauf die Predigt und der Schlaf. Zuletzt das Vaterunser. Der Schlaf dauert am längsten. Dreimal habe ich sonntäglich das Vergnügen dieser Feierlichkeiten, unzählige schlaftrunkene Kränzchen und Konventikelchen nicht mitgerechnet. — “

<TEI>
  <text>
    <pb facs="#f0001" n="1341"/>
    <front>
      <titlePage type="heading">
        <titlePart type="main">Neue Rheinische Zeitung</titlePart>
        <titlePart type="sub">Organ der Demokratie.</titlePart>
        <docImprint>
          <docDate>No 243. Köln, Sonntag, den 11. März 1849.</docDate>
        </docImprint>
      </titlePage>
    </front>
    <body>
      <div type="jExpedition">
        <p>Vierteljähriger Abonnementspreis in Köln 1 Thlr. 7 1/2 Sgr., bei allen preußischen Postanstalten 1 Thlr. 17 Sgr. &#x2014; Im Auslande wende man sich: in Belgien an die betreffenden Postanstalten; in London an W. Thomas, 21 Catherine-Street, Strand; in Paris an W. Thomas, 38 Rue Vivienne, und an A. Havas, 3 Rue Jean Jacques Rousseau.</p>
        <p>Insertionen werden mit 18 Pf. die Petitzeile oder deren Raum berechnet.</p>
        <p>Auskunft, Annahme und Abgabe chiffrirter Briefe gratis.</p>
        <p>Nur frankirte Briefe werden angenommen.</p>
        <p>Expedition Unter Hutmacher Nro. 17.</p>
      </div>
      <div type="contents" n="1">
        <head>Uebersicht.</head>
        <p><hi rendition="#g">Deutschland</hi>. Köln. (Ammon I. zu Düsseldorf. &#x2014; Der Märzverein). Berlin. (Lokalklatsch. &#x2014; Die erste namentliche Abstimmung in der zweiten Kammer. &#x2014; Programm der Rechten der zweiten Kammer. &#x2014; Kammersitzungen). Wien. (Habsburg-Oestreich. &#x2014; Windischgrätz und das Ministerium in Zwiespalt. &#x2014; Windischgrätz und die Pesther Juden). Kremsier. (Reichstagssitzung). Hannover. (Die neueste Note Oestreichs).</p>
        <p><hi rendition="#g">Ungarn</hi>. (Vom Kriegsschauplatz).</p>
        <p><hi rendition="#g">Italien</hi>. (Rüstungen an verschiedenen Orten). Florenz. (Eine Proklamation der provisorischen Regierung). Modena. (Vorrücken des Herzogs gegen Toskana). Rom. (Die gezwungene Anleihe. &#x2014; Drei neue Gesetzentwürfe). Bologna. (Rückzug der Oestreicher von der toskanischen Gränze)</p>
        <p><hi rendition="#g">Schweiz</hi>. Waadt. (Sieg der Demokraten bei den meisten Wahlen)</p>
        <p><hi rendition="#g">Französische Republik</hi>. Bourges. (Gerichtsdebatte).</p>
        <p><hi rendition="#g">Belgien</hi>. Verviers. (Der Musterstaat).</p>
        <p><hi rendition="#g">Großbritannien</hi>. London. (Parlament).</p>
        <p><hi rendition="#g">Dänemark</hi> Kopenhagen, (Beweis von Kriegslust).</p>
      </div>
      <div n="1">
        <head>Deutschland.</head>
        <div xml:id="ar243_001_c" type="jArticle">
          <note type="editorial">Edition: <bibl>Karl Marx: Der Märzverein, vorgesehen für: MEGA<hi rendition="#sup">2</hi>, I/9.         </bibl>                </note>
          <head><bibl><author>*</author></bibl> Köln, 10. März.</head>
          <gap reason="copyright"/>
        </div>
        <div xml:id="ar243_002" type="jArticle">
          <head><bibl><author>*</author></bibl> Köln, 10. März.</head>
          <p>Wir erfahren aus sichrer Quelle, daß dem Staatsprokurator v. Ammon I. in Düsseldorf, der seit Reihen von Jahren trotz der Anciennetät regelmäßig bei Besetzung erledigter Oberprokuratorstellen übergangen, von der k. Regierung zu Düsseldorf mit Hinblick auf den entwickelten Eifer, die Stelle eines Justitiarius an dem Regierungskollegium zu Düsseldorf (200 Thlr. Gehaltzulage) in Aussicht gestellt worden ist.</p>
          <p>Il y a bien de quoi!</p>
        </div>
        <div xml:id="ar243_003" type="jArticle">
          <head><bibl><author>222</author></bibl> Berlin, 8. März.</head>
          <p>Wir haben heute allen Grund, das gestern mitgetheilte Börsengerücht für vollkommen begründet zu halten, daß die Regierung auf die Wahl der Hrn. von Unruh oder Waldeck sofort mit Auflösung der zweiten Kammer geantworret hätte.</p>
          <p>Die Abtheilungen haben gestern auch die Petitions-Kommission durch Wahlen aus ihrer Mitte zusammengesetzt. Die Zusammensetzung ergibt 16 Mitglieder der Rechten gegen 12 Mitglieder der Linken.</p>
          <p>Die gestrige Abendsoirée beim Minister von Manteuffel war nur von Abgeordneten der rechten Seite beider Kammern und zahlreichen höhern Beamten besucht. Mitglieder der Linken waren nicht wahrnehmbar. Das Ganze hatte mehr das Ansehen einer rein gesellschaftlichen als einer politischen Zusammenkunft, wiewohl die Haltung minder zwanglos war und mehr bureaukratisch als in den Soiréen, welche im vorigen Sommer besonders der Minister Hansemann zu veranstalten pflegte.</p>
          <p>In der gestrigen Sitzung der Oppositionsdeputirten in der Conversationshalle wurde, insbesondere auf Anregung des Abg. Bürgermeisters Phillipps, die Amnestiefrage wieder aufgenommen und der betreffende Antrag dahin formulirt, &#x201E;daß für alle seit dem 18. März v. J. stattgehabten polit. Vergehen Straflosigkeit ausgesprochen werden möge.&#x201C; Man ist hiermit von dem gestern mitgetheilten Beschluß wieder abgegangen, auch in sofern, als die Theilung in Amnestirung und Niederschlagung der Untersuchung aufgehoben ward, da nämlich gegen mehrere Novembergefangene schon ein richterliches Urtheil ausgesprochen ist. Die Berathung wird fortgesetzt. Es traten gestern gegen 50 Redner auf.</p>
          <p>Auf Anordnung des Generals v. Wrangel hat der Besitzer der Conversationshalle die polizeiliche Weisung erhalten, daß die Opposition während des Belagerungszustandes in seinem Lokale keine öffentliche Sitzung halte. Seitdem dies Lokal der Versammlungsort für die ständische Opposition geworden, hat sich das frühere konservative Publikum, welches hier stark verkehrte, fast gänzlich verloren, wogegen die Demokraten Berlins immer mehr einrücken.</p>
          <p>Aus Wien sind folgende, wie es scheint, verbürgte Nachrichten <hi rendition="#g">von hoher Wichtigkeit</hi> eingegangen: Die Nationalversammlung in Kremsier ist aufgelöst, eine Verfassung octroyirt worden. Dieselbe hat indirekte Wahlen, ein Zweikammersystem und Wahl-Census für die Urwähler, der sich bei der ersten Kammer auf 500 Gulden, bei der zweiten auf 10 Gulden beläuft. Die Mörder Latour's, vier an der Zahl, sollen hingerichtet sein.</p>
          <p>In Folge der Kündigung des Malmöer Waffenstillstandes hat die Reichsregierung in Uebereinstimmung mit dem preußischen Kabinet angeordnet, daß 20,000 Mann deutscher Truppen zur Gränze vorrücken sollen. Preußen hat zu diesem Kontingent 10,000 M. zu stellen, welche jedoch diesmal nicht aus der Garde, sondern aus den Linienregimentern genommen werden sollen, um auch diese an den Felddienst zu gewöhnen. Die übrigen 10,000 M. werden die andern norddeutschen Staaten liefern und zwar Sachsen allein 7 Bataillons.</p>
          <p>Die Gräfin Rossi, die ehemalige berühmte Sängerin Henriette Sonntag, tritt morgen in dem Stern'schen Gesangverein in mehreren Piecen auf, namentlich in Mendelssohn'schen Kompositionen. Die künstlerische Aufführung findet im Lokal des Vereins, im Ministerio der geistlichen Angelegenheiten statt und ist nur für die Mitglieder des Vereins, dessen Ehrenmitglied die Gräfin sein soll, berechnet. Wir wollen noch bemerken, daß dieser Künstlerbund bereits gegen 200 Mitglieder zählt, deren jedes den jährlichen Beitrag von 5 Thalern zahlt, wofür es den wöchentlichen künstlerischen Aufführungen beizuwohnen berechtigt und verpflichtet ist.</p>
          <p>Auch auf dem Köpenickerfelde sollen sich Arbeiterbewegungen kund gethan haben, weil die Kondukteure den Lohn der Arbeiter zu vermindern und die Arbeitszeit zu verlängern beabsichtigt hätten. Die Mitglieder der betreffenden Gewerke haben deshalb bereits eine Beschwerde beim Handelsminister eingereicht. Die Maurer, welche an der Kammer arbeiten, haben gestern ihre Thätigkeit eingestellt. Die Kattundrucker sind zum Theil noch nicht wieder eingetreten. Die Arbeitseinstellung der Letzteren soll indeß den Fabrikherren nicht eben unerwünscht sein, weil sie damit auch derer ledig werden, die sie nur aus äußeren Rücksichten beschäftigten und deren Händearbeit durch Maschinenkraft vollständig aufgewogen wird. Mit diesen Bewegungen verbindet sich eine zunehmende Opposition gegen das Gewerbegesetz v. 9. Februar. Namentlich haben die Schn<gap reason="illegible"/>rgesellen so eben auf das Entschiedenste gegen die Ausführung protestirt und weigern sich die dazu erforderlichen Wahlen vorzunehmen.</p>
          <p>Unter dem Titel: &#x201E;Revolutionäre Diplomatie&#x201C; ist so eben von dem Justizkommissar Streber eine Broschüre erschienen, welche na- <ref type="link_fsg">[Fortsetzung]</ref>                 </p>
        </div>
      </div>
      <div type="jFeuilleton" n="1">
        <div xml:id="ar243_004" type="jArticle">
          <head>Die Langeweile, der Spleen und die Seekrankheit.</head>
          <p>(Fortsetzung von Nro. 238 und 241)</p>
          <p>Das Gespräch erstreckte sich jetzt über die Zustände Englands, und die Göttin der Langenweile versicherte mir unter Anderm, daß sie eine fleißige Kirchengängerin sei.</p>
          <p>&#x201E;Den englischen Gottesdienst, meinte sie, kann ich Ihnen nicht genug rühmen. Unten in dem Schiff der Kirche, stehen die Repräsentanten der kleinen Mittelklasse; Menschen, die während der Wochentage so gern Sand in den Zucker streuen, die den Wein mit Schnapps vermischen und die Milch, wenn auch nicht mit Wasser aus dem Jordan, so doch mit dem Segen ihrer Pumpe taufen &#x2014; mit einem Wort: kleine, ehrliche Leute, die sich mit einem mäßigen Nutzen begnügen. Sie haben sich für heute einmal gründlich die Hände gewaschen, und erscheinen in den Kirchenstühlen feierlich schwarz wie Staare und steif wie Böcke.</p>
          <p>Rings auf den Gallerieen sammeln sich die höhern Klassen der Gesellschaft. Fabrikanten, die von reduzirten Arbeitslöhnen leben; unternehmende Spekulanten, die z. B. am Sonntag ungemein für Missionsangelegenheiten und Bibelgesellschaften schwärmen, und in der Woche Götzenbilder fabriziren, zum Export nach dem Innern von Afrika, nach Hindostan oder nach den Inseln der Südsee. Banquiers ferner, die das skalpiren besser verstehen, als die Mohikaner des fernen Westens. Mäkler, die gewiß in den Himmel kommen, weil sie den Teufel mit der größesten Leichtigkeit um ihre Seelen prellen werden. Advokaten, die so berüchtigt sind, daß man die Kinder mit ihrem Namen bange macht. Unbestechliche Beamte, die bei 300 Pfund Einnahme, jährlich 500 Pfund Ersparnisse zurücklegen. Gelehrte, die jederzeit bereit sind, für die Emanzipation der Sklaven aufzutreten, und die sich à la Lord Brougham, das Gesangbuch in die Haut eines Negers einbinden lassen. Fromme, mildthätige Rentner, die zur Buße für ihre Sünden die gesetzliche Armentaxe bis auf Heller und Pfennig einbezahlen. Wie gesagt, es sind die bessern Klassen der Gesellschaft, welche die gepolsterten Sitze der Gallerieen einnehmen; Leute, die von fünf bis zu zwanzigtausend Pfund werth sind, Geschäftsmänner ersten Ranges, die man an der Börse kennt, die stets gutes Papier remittiren, manchmal Wagen und Pferde halten und deswegen sehr respektabel sind. Die noch reicheren Leute dienen dem Herrn ihrem Gotte in aparten Logen.</p>
          <p>Mitten zwischen den Männern sitzen die kaninchen-keuschen Gattinnen und Töchter der liebenden Familienväter. Die, unten in dem Schiff der Kirche, nach Rosinen und Korinthen, kurz, nach allen Gerüchen der Levante duftend; die auf den Gallerieen, möglichst geschmacklos, in die reichsten Seiden- und Atlasstoffe gekleidet.</p>
          <p>Während der Organist, auf seinem herrlichen Instrumente, sehr schlecht präludirt, füllt sich der Raum allmälig mit Andächtigen. Jeden läßt man herein und wohlgekleideten Fremden weist man mit der größesten Artigkeit die besten Plätze an. Nur zerlumpte Arbeiter und Bettler, die keinen Kirchenstuhl bezahlen können, werden in die Zugluft des Einganges, oder gar hinausgewiesen.</p>
          <p>Endlich erscheint der Pastor. Er ist ein würdiger Mann, der sogar Abends bei einer Flasche Portwein ein ganz fideler Kerl ist, der auch bisweilen in Eisenbahnaktien spekulirt und überhaupt die irdischen mit den himmlischen Interessen auf's vortheilhafteste zu verbinden weiß. Er hat das alte und das neue Testament im Kopfe und räuspernd stellt er sich auf die Hinterbeine und schnarrt den Text.</p>
          <p>Da erhebt sich die ganze fromme Gemeinde. Man wackelt mit den Köpfen, man wendet sich rechts und links, man verdreht die Augen und säuselnd beginnen sie ihren David'schen Psalm.</p>
          <p>O liebliches Säuseln! Wie wird mir &#x2014; bin ich auf Erden? Sitze ich unter Sterblichen? Sind das die Leute, die während sechs Wochentagen so trefflich zu schachern wissen, die von reduzirten Arbeitslöhnen leben, die Götzenbilder fabriziren, die ihre gesetzliche Armentaxe bezahlen? Nein, es ist nicht möglich! Ich bin im Himmel. Ich höre die himmlischen Heerschaaren singen; sie jauchzen von Liebe und Glauben, von Entsagung und göttlicher Barmherzigkeit &#x2014; ja, wahrhaftig, theuerster Freund, ich kann Ihnen den anglikanischen Gottesdienst nicht genug empfehlen. &#x2014;</p>
          <p>Hier machte die Göttin eine kleine Pause und trank ein großes Glas Portwein. Ich war etwas erstaunt über ihre Schilderung, denn nach alle dem was ich vernahm, mußte ich doch diese kirchlichen Feierlichkeiten für ungemein ergötzlich halten und es war mir nur ein Räthsel wie die Langeweile sich so sehr damit einverstanden erklären konnte. Die Göttin schien meine Zweifel zu errathen und rasch fuhr sie zu reden fort: &#x201E;Glauben Sie indeß ja nicht, theuerster Freund, daß das allerdings belustigende Orgeln, Singen, Jauchzen, Wackeln und Augenverdrehen länger als eine halbe Stunde dauert. Den heitern Präliminarien folgt endlich die langweilige Predigt. Sie können sich gar nicht denken, wie mächtig ich in der Rede eines englischen Geistlichen bin. Schon nach den ersten zwanzig Phrasen bringe ich die Leute, trotz ihres festen Vorsatzes wach zu bleiben, zum leisen Einnicken und ist der Redner gar bis in das Herz seines Gegenstandes vorgedrungen, da dominire ich total und es passirt nicht selten, daß der sprechende Pastor und ich selbst die einzigen Wesen sind, welche von vielen Tausenden die Augen offen behalten.</p>
          <p>Ja, ich schwärme für den englischen Gottesdienst. Sie können die verschiedenen Momente desselben wie folgt zusammenfassen: Zuerst das Geläut der Glocken, dann der Gesang; hierauf die Predigt und der Schlaf. Zuletzt das Vaterunser. Der Schlaf dauert am längsten. Dreimal habe ich sonntäglich das Vergnügen dieser Feierlichkeiten, unzählige schlaftrunkene Kränzchen und Konventikelchen nicht mitgerechnet. &#x2014; &#x201C;</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1341/0001] Neue Rheinische Zeitung Organ der Demokratie. No 243. Köln, Sonntag, den 11. März 1849. Vierteljähriger Abonnementspreis in Köln 1 Thlr. 7 1/2 Sgr., bei allen preußischen Postanstalten 1 Thlr. 17 Sgr. — Im Auslande wende man sich: in Belgien an die betreffenden Postanstalten; in London an W. Thomas, 21 Catherine-Street, Strand; in Paris an W. Thomas, 38 Rue Vivienne, und an A. Havas, 3 Rue Jean Jacques Rousseau. Insertionen werden mit 18 Pf. die Petitzeile oder deren Raum berechnet. Auskunft, Annahme und Abgabe chiffrirter Briefe gratis. Nur frankirte Briefe werden angenommen. Expedition Unter Hutmacher Nro. 17. Uebersicht. Deutschland. Köln. (Ammon I. zu Düsseldorf. — Der Märzverein). Berlin. (Lokalklatsch. — Die erste namentliche Abstimmung in der zweiten Kammer. — Programm der Rechten der zweiten Kammer. — Kammersitzungen). Wien. (Habsburg-Oestreich. — Windischgrätz und das Ministerium in Zwiespalt. — Windischgrätz und die Pesther Juden). Kremsier. (Reichstagssitzung). Hannover. (Die neueste Note Oestreichs). Ungarn. (Vom Kriegsschauplatz). Italien. (Rüstungen an verschiedenen Orten). Florenz. (Eine Proklamation der provisorischen Regierung). Modena. (Vorrücken des Herzogs gegen Toskana). Rom. (Die gezwungene Anleihe. — Drei neue Gesetzentwürfe). Bologna. (Rückzug der Oestreicher von der toskanischen Gränze) Schweiz. Waadt. (Sieg der Demokraten bei den meisten Wahlen) Französische Republik. Bourges. (Gerichtsdebatte). Belgien. Verviers. (Der Musterstaat). Großbritannien. London. (Parlament). Dänemark Kopenhagen, (Beweis von Kriegslust). Deutschland. * Köln, 10. März. _ * Köln, 10. März. Wir erfahren aus sichrer Quelle, daß dem Staatsprokurator v. Ammon I. in Düsseldorf, der seit Reihen von Jahren trotz der Anciennetät regelmäßig bei Besetzung erledigter Oberprokuratorstellen übergangen, von der k. Regierung zu Düsseldorf mit Hinblick auf den entwickelten Eifer, die Stelle eines Justitiarius an dem Regierungskollegium zu Düsseldorf (200 Thlr. Gehaltzulage) in Aussicht gestellt worden ist. Il y a bien de quoi! 222 Berlin, 8. März. Wir haben heute allen Grund, das gestern mitgetheilte Börsengerücht für vollkommen begründet zu halten, daß die Regierung auf die Wahl der Hrn. von Unruh oder Waldeck sofort mit Auflösung der zweiten Kammer geantworret hätte. Die Abtheilungen haben gestern auch die Petitions-Kommission durch Wahlen aus ihrer Mitte zusammengesetzt. Die Zusammensetzung ergibt 16 Mitglieder der Rechten gegen 12 Mitglieder der Linken. Die gestrige Abendsoirée beim Minister von Manteuffel war nur von Abgeordneten der rechten Seite beider Kammern und zahlreichen höhern Beamten besucht. Mitglieder der Linken waren nicht wahrnehmbar. Das Ganze hatte mehr das Ansehen einer rein gesellschaftlichen als einer politischen Zusammenkunft, wiewohl die Haltung minder zwanglos war und mehr bureaukratisch als in den Soiréen, welche im vorigen Sommer besonders der Minister Hansemann zu veranstalten pflegte. In der gestrigen Sitzung der Oppositionsdeputirten in der Conversationshalle wurde, insbesondere auf Anregung des Abg. Bürgermeisters Phillipps, die Amnestiefrage wieder aufgenommen und der betreffende Antrag dahin formulirt, „daß für alle seit dem 18. März v. J. stattgehabten polit. Vergehen Straflosigkeit ausgesprochen werden möge.“ Man ist hiermit von dem gestern mitgetheilten Beschluß wieder abgegangen, auch in sofern, als die Theilung in Amnestirung und Niederschlagung der Untersuchung aufgehoben ward, da nämlich gegen mehrere Novembergefangene schon ein richterliches Urtheil ausgesprochen ist. Die Berathung wird fortgesetzt. Es traten gestern gegen 50 Redner auf. Auf Anordnung des Generals v. Wrangel hat der Besitzer der Conversationshalle die polizeiliche Weisung erhalten, daß die Opposition während des Belagerungszustandes in seinem Lokale keine öffentliche Sitzung halte. Seitdem dies Lokal der Versammlungsort für die ständische Opposition geworden, hat sich das frühere konservative Publikum, welches hier stark verkehrte, fast gänzlich verloren, wogegen die Demokraten Berlins immer mehr einrücken. Aus Wien sind folgende, wie es scheint, verbürgte Nachrichten von hoher Wichtigkeit eingegangen: Die Nationalversammlung in Kremsier ist aufgelöst, eine Verfassung octroyirt worden. Dieselbe hat indirekte Wahlen, ein Zweikammersystem und Wahl-Census für die Urwähler, der sich bei der ersten Kammer auf 500 Gulden, bei der zweiten auf 10 Gulden beläuft. Die Mörder Latour's, vier an der Zahl, sollen hingerichtet sein. In Folge der Kündigung des Malmöer Waffenstillstandes hat die Reichsregierung in Uebereinstimmung mit dem preußischen Kabinet angeordnet, daß 20,000 Mann deutscher Truppen zur Gränze vorrücken sollen. Preußen hat zu diesem Kontingent 10,000 M. zu stellen, welche jedoch diesmal nicht aus der Garde, sondern aus den Linienregimentern genommen werden sollen, um auch diese an den Felddienst zu gewöhnen. Die übrigen 10,000 M. werden die andern norddeutschen Staaten liefern und zwar Sachsen allein 7 Bataillons. Die Gräfin Rossi, die ehemalige berühmte Sängerin Henriette Sonntag, tritt morgen in dem Stern'schen Gesangverein in mehreren Piecen auf, namentlich in Mendelssohn'schen Kompositionen. Die künstlerische Aufführung findet im Lokal des Vereins, im Ministerio der geistlichen Angelegenheiten statt und ist nur für die Mitglieder des Vereins, dessen Ehrenmitglied die Gräfin sein soll, berechnet. Wir wollen noch bemerken, daß dieser Künstlerbund bereits gegen 200 Mitglieder zählt, deren jedes den jährlichen Beitrag von 5 Thalern zahlt, wofür es den wöchentlichen künstlerischen Aufführungen beizuwohnen berechtigt und verpflichtet ist. Auch auf dem Köpenickerfelde sollen sich Arbeiterbewegungen kund gethan haben, weil die Kondukteure den Lohn der Arbeiter zu vermindern und die Arbeitszeit zu verlängern beabsichtigt hätten. Die Mitglieder der betreffenden Gewerke haben deshalb bereits eine Beschwerde beim Handelsminister eingereicht. Die Maurer, welche an der Kammer arbeiten, haben gestern ihre Thätigkeit eingestellt. Die Kattundrucker sind zum Theil noch nicht wieder eingetreten. Die Arbeitseinstellung der Letzteren soll indeß den Fabrikherren nicht eben unerwünscht sein, weil sie damit auch derer ledig werden, die sie nur aus äußeren Rücksichten beschäftigten und deren Händearbeit durch Maschinenkraft vollständig aufgewogen wird. Mit diesen Bewegungen verbindet sich eine zunehmende Opposition gegen das Gewerbegesetz v. 9. Februar. Namentlich haben die Schn_ rgesellen so eben auf das Entschiedenste gegen die Ausführung protestirt und weigern sich die dazu erforderlichen Wahlen vorzunehmen. Unter dem Titel: „Revolutionäre Diplomatie“ ist so eben von dem Justizkommissar Streber eine Broschüre erschienen, welche na- [Fortsetzung] Die Langeweile, der Spleen und die Seekrankheit. (Fortsetzung von Nro. 238 und 241) Das Gespräch erstreckte sich jetzt über die Zustände Englands, und die Göttin der Langenweile versicherte mir unter Anderm, daß sie eine fleißige Kirchengängerin sei. „Den englischen Gottesdienst, meinte sie, kann ich Ihnen nicht genug rühmen. Unten in dem Schiff der Kirche, stehen die Repräsentanten der kleinen Mittelklasse; Menschen, die während der Wochentage so gern Sand in den Zucker streuen, die den Wein mit Schnapps vermischen und die Milch, wenn auch nicht mit Wasser aus dem Jordan, so doch mit dem Segen ihrer Pumpe taufen — mit einem Wort: kleine, ehrliche Leute, die sich mit einem mäßigen Nutzen begnügen. Sie haben sich für heute einmal gründlich die Hände gewaschen, und erscheinen in den Kirchenstühlen feierlich schwarz wie Staare und steif wie Böcke. Rings auf den Gallerieen sammeln sich die höhern Klassen der Gesellschaft. Fabrikanten, die von reduzirten Arbeitslöhnen leben; unternehmende Spekulanten, die z. B. am Sonntag ungemein für Missionsangelegenheiten und Bibelgesellschaften schwärmen, und in der Woche Götzenbilder fabriziren, zum Export nach dem Innern von Afrika, nach Hindostan oder nach den Inseln der Südsee. Banquiers ferner, die das skalpiren besser verstehen, als die Mohikaner des fernen Westens. Mäkler, die gewiß in den Himmel kommen, weil sie den Teufel mit der größesten Leichtigkeit um ihre Seelen prellen werden. Advokaten, die so berüchtigt sind, daß man die Kinder mit ihrem Namen bange macht. Unbestechliche Beamte, die bei 300 Pfund Einnahme, jährlich 500 Pfund Ersparnisse zurücklegen. Gelehrte, die jederzeit bereit sind, für die Emanzipation der Sklaven aufzutreten, und die sich à la Lord Brougham, das Gesangbuch in die Haut eines Negers einbinden lassen. Fromme, mildthätige Rentner, die zur Buße für ihre Sünden die gesetzliche Armentaxe bis auf Heller und Pfennig einbezahlen. Wie gesagt, es sind die bessern Klassen der Gesellschaft, welche die gepolsterten Sitze der Gallerieen einnehmen; Leute, die von fünf bis zu zwanzigtausend Pfund werth sind, Geschäftsmänner ersten Ranges, die man an der Börse kennt, die stets gutes Papier remittiren, manchmal Wagen und Pferde halten und deswegen sehr respektabel sind. Die noch reicheren Leute dienen dem Herrn ihrem Gotte in aparten Logen. Mitten zwischen den Männern sitzen die kaninchen-keuschen Gattinnen und Töchter der liebenden Familienväter. Die, unten in dem Schiff der Kirche, nach Rosinen und Korinthen, kurz, nach allen Gerüchen der Levante duftend; die auf den Gallerieen, möglichst geschmacklos, in die reichsten Seiden- und Atlasstoffe gekleidet. Während der Organist, auf seinem herrlichen Instrumente, sehr schlecht präludirt, füllt sich der Raum allmälig mit Andächtigen. Jeden läßt man herein und wohlgekleideten Fremden weist man mit der größesten Artigkeit die besten Plätze an. Nur zerlumpte Arbeiter und Bettler, die keinen Kirchenstuhl bezahlen können, werden in die Zugluft des Einganges, oder gar hinausgewiesen. Endlich erscheint der Pastor. Er ist ein würdiger Mann, der sogar Abends bei einer Flasche Portwein ein ganz fideler Kerl ist, der auch bisweilen in Eisenbahnaktien spekulirt und überhaupt die irdischen mit den himmlischen Interessen auf's vortheilhafteste zu verbinden weiß. Er hat das alte und das neue Testament im Kopfe und räuspernd stellt er sich auf die Hinterbeine und schnarrt den Text. Da erhebt sich die ganze fromme Gemeinde. Man wackelt mit den Köpfen, man wendet sich rechts und links, man verdreht die Augen und säuselnd beginnen sie ihren David'schen Psalm. O liebliches Säuseln! Wie wird mir — bin ich auf Erden? Sitze ich unter Sterblichen? Sind das die Leute, die während sechs Wochentagen so trefflich zu schachern wissen, die von reduzirten Arbeitslöhnen leben, die Götzenbilder fabriziren, die ihre gesetzliche Armentaxe bezahlen? Nein, es ist nicht möglich! Ich bin im Himmel. Ich höre die himmlischen Heerschaaren singen; sie jauchzen von Liebe und Glauben, von Entsagung und göttlicher Barmherzigkeit — ja, wahrhaftig, theuerster Freund, ich kann Ihnen den anglikanischen Gottesdienst nicht genug empfehlen. — Hier machte die Göttin eine kleine Pause und trank ein großes Glas Portwein. Ich war etwas erstaunt über ihre Schilderung, denn nach alle dem was ich vernahm, mußte ich doch diese kirchlichen Feierlichkeiten für ungemein ergötzlich halten und es war mir nur ein Räthsel wie die Langeweile sich so sehr damit einverstanden erklären konnte. Die Göttin schien meine Zweifel zu errathen und rasch fuhr sie zu reden fort: „Glauben Sie indeß ja nicht, theuerster Freund, daß das allerdings belustigende Orgeln, Singen, Jauchzen, Wackeln und Augenverdrehen länger als eine halbe Stunde dauert. Den heitern Präliminarien folgt endlich die langweilige Predigt. Sie können sich gar nicht denken, wie mächtig ich in der Rede eines englischen Geistlichen bin. Schon nach den ersten zwanzig Phrasen bringe ich die Leute, trotz ihres festen Vorsatzes wach zu bleiben, zum leisen Einnicken und ist der Redner gar bis in das Herz seines Gegenstandes vorgedrungen, da dominire ich total und es passirt nicht selten, daß der sprechende Pastor und ich selbst die einzigen Wesen sind, welche von vielen Tausenden die Augen offen behalten. Ja, ich schwärme für den englischen Gottesdienst. Sie können die verschiedenen Momente desselben wie folgt zusammenfassen: Zuerst das Geläut der Glocken, dann der Gesang; hierauf die Predigt und der Schlaf. Zuletzt das Vaterunser. Der Schlaf dauert am längsten. Dreimal habe ich sonntäglich das Vergnügen dieser Feierlichkeiten, unzählige schlaftrunkene Kränzchen und Konventikelchen nicht mitgerechnet. — “

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Marx-Engels-Gesamtausgabe: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-20T13:08:10Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jürgen Herres: Konvertierung TUSTEP nach XML (2017-03-20T13:08:10Z)
Maria Ermakova, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Frank Wiegand: Konvertierung XML nach DTA-Basisformat (2017-03-20T13:08:10Z)

Weitere Informationen:

Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe: Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. Bd. 2 (Nummer 184 bis Nummer 301) Köln, 1. Januar 1849 bis 19. Mai 1849. Glashütten im Taunus, Verlag Detlev Auvermann KG 1973.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_nrhz243i_1849
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_nrhz243i_1849/1
Zitationshilfe: Neue Rheinische Zeitung. Nr. 243. Köln, 11. März 1849, S. 1341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_nrhz243i_1849/1>, abgerufen am 29.03.2024.