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Neue Rheinische Zeitung. Nr. 31. Köln, 1. Juli 1848.

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14Berlin, 21. Juni.

Heute muß ich Ihnen etwas von den "Friedenswächtern" erzählen. Sie wissen, man will uns eine ganze Legion dieser Leute zum Geschenk machen, damit wir vor ferneren Revolutionen und ähnlichen unangenehmen Volksäußerungen bewahrt bleiben. Gleich englischen Konstablern sollen die würdigen Männer in Zukunft die Schultern des Proletariats mit ihren Stöcken unsanft einschüchternd berühren. Wir wünschen uns Glück zu dieser neuen Einrichtung; die ganze Kriegsrumpelkammer wird ihre alten Unteroffiziere dazu hergeben können.

Das Schönste bei der Sache ist indeß, daß die Friedenswächter erst dann für brauchbar erachtet werden, wenn sie das 40. Jahr überschritten haben. Es geht den Friedenswächtern wie den Schwaben.

Unsere arbeitslosen Barrikadenbauer erhalten jetzt zum Theil eine Anstellung bei dem Oderbruch, d. h. sie werden aus der Stadt geschafft. Man fürchtet zu sehr, daß sich einer von ihnen noch einmal seiner Heldenthaten des 18. März an Ort und Stelle erinnern möchte. Wie aber der Pariser Arbeiter nicht gerne nach der Sologne wandert, so bleiben auch unsere Brodlosen lieber in ihrem lieben Berlin und machen noch gar keine Anstalt den freundlichen Aufforderungen der Behörde zu folgen.

Das Proletariat an den Rehbergen, in Treptow u. s. w. wird muthwilliger; namentlich haben die Aufseher bei den Erdarbeiten nicht selten von der Laune dieser Ex-Unterthanen zu leiden und bringen häufig blaue Flecken mit nach Haus. Auch unser Thiergarten nimmt immer mehr eine italienische Bettler- und Banditenfärbung an, gleich wie unser nächtliches Straßenleben junge Männer in die Situation Robert's des Teufels auf dem Nonnenkirchhof versetzt - Alles Folgen des provisorischen Fegefeuers. Schließlich habe ich Ihnen noch die erfreuliche Mittheilung zu machen, daß "der Etat des Ober-Censurgerichts (10,500 Thaler) wirklich mit dem 1 sten Juli (!!) eingeht" und im nächsten Jahre der Staatsrath aufgelös't werden soll.

7Berlin, 28. Juni.

Camphausen mußte abtreten, weil er die Revolution nicht anerkennen wollte. Er meinte es ehrlich, er nahm die Revolution als Thatsache, er konnte sich nur nicht entschließen, die Consequenzen der Thatsache zuzugeben. Hr. Hansemann weiß sich besser zu helfen. Er erkennt die Revolution an. Was liegt daran, es ist ja nur ein Wort und Worte lassen sich deuten. Eine Revolution ist geschehen; aber das ist ein unbestimmter Ausdruck; es handelt sich um die besondere Qualität, um den "eigenthümlichen Charakter". Der aber besteht nach Hrn. Hansemann's Erklärung darin, daß die Revolution die bestehenden "staatlichen Verhältnisse" nicht umgestürzt hat, d. h. daß die Revolution keine Revolution war. So weiß der Treffliche alle Partheien zu befriedigen; den Einen reicht er die Phrase und er weiß, daß sie viel darauf halten; den Andern schenkt er die Thatsache und leistet damit auch ihrem Bedürfniß volle Genüge. Der Rechtsboden ist von neuem gerettet, das Ministerium hat wieder die Basis des ancien regime; der Bourgeoisliberalismus kann auf dieser Unterlage wieder das Licht seines Fortschritts leuchten lassen und die anarchischen Tendenzen verscheuchen. Dieser Fortschritt stellt sich nach Hrn. Hansemann dar in einem Zweikammersystem auf einer volksthümlicheren Basis (der Regierungsentwurf ist jetzt der Positiv geworden) in einem Gesetz über die Bürgerwehr, die theils zur Aufrechthaltung der Ordnung, theils gegen Außen verwendet werden soll; endlich in durchgreifenden Verordnungen über die Rechtspflege. Hier muß das rheinische Gerichtsverfahren seine "anerkannten" Vorzüge herleihen. Die Hauptsache aber ist die Herstellung des durch "Aufreizungen" gestörten "Vertrauens", das ist gegen die Anarchisten gerichtet, die die Handelskrise gemacht haben, das Geschäft stören und die Bürger verhindern, mit ihren Kapitalien Renten und Profite zu gewinnen!

Natürlich tragen die Politik der Minister und die "geheime" Regierung der Reaktion keine Schuld an der allgemeinen Noth! -

Die polizeilichen Verfolgungen gegen die Zeughausstürmer dauern fort. Weitere Verhaftungen sind erfolgt, andere in Aussicht. Die Beschlagnahme von Druckschriften z. B. des republikanischen Katechismus u. s. w. und Haussuchungen werden mit immer größerer Ungenirtheit betrieben. Es soll nun einmal "Ruhe und Ordnung" werden und wäre es mit Hülfe des Landrechts und der Bajonette. Unter andern Maßregeln der Polizei soll auch eine gegen die Ausschußmitglieder des Frankfurter demokratischen Kongresses gerichtet werden; man stellt eine Widerholung der Itzstein-Heckerschen Ausweisung in Aussicht. Die Stadtbehörden stehen den Staatsbehörden wacker zur Seite.

*Berlin.

Die Weisheit und der Scharfblick der Berliner leisteten bekannter Maßen von jeher Unglaubliches. Als einen neuen Beweis ihrer logischen Denkungsweise und intelligenten Weltanschauung geben wir folgende Nachricht, welche die Berliner Haude- und Spener'sche Zeitung aus Wreschen, von der russischen Gränze mittheilt:

Die Polen im Großherzogthum Posen scheinen auf eine abermalige Schilderhebung zu sinnen; viele derselben, hoch und niedrig, begeben sich nach Berlin, um dort die Verwirrung noch größer zu machen!

Berlin, 27. Juni.

Einem Reisenden, der gestern, Montag, hier angekommen, verdanken wir noch folgende Mittheilung:

"Auf der Fahrt von Hamburg nach Berlin reiste ich heut, den 25. Juni, per Eisenbahn in Gesellschaft von vier jungen Leuten, welche dem aufgelösten Tannschen Freikorps angehört hatten. Als der Zug Nauen erreichte, verließ ich das Coupe und fand mich beim Aussteigen, Angesichts eines Piquets von Garde du Corps, deren Führer mir und einem zugleich mit mir aussteigenden jungen Mann vom Tannschen Corps gebot, das Coupe nicht zu verlassen. Befragt, was ihn berechtige, einem Reisenden das Aussteigen aus dem Coupe zu verwehren, entgegnete er, daß er nach Instruktion handle. Auf meine Erwiderung, daß er in Betreff meiner schwerlich eine Instruktion haben könne, versetzte er: es sei allgemeine Instruktion, daß Keiner der Reisenden hier die Waggons verlassen dürfe, Wir mußten uns fügen. Bei Spandau angelangt, fanden wir den Bahnhof so wie die Bahnhofgebäude nnen und außen ganz angefüllt mit Truppen, so zahlreich, daß wir glaubten eine kleine Armee vor uns zu sehen. Sobald der Zug hielt, trat ein Hauptmann an unser Coupe und fragte: ob Herren aus dem Tannschen Corps sich im Coupe befänden. Antwort: Ja. Diese wurden darauf aufgefordert auszusteigen. Die Frage, was diese Aufforderung zu bedeuten habe, wurde mit der Erklärung beantwortet, daß man Instruktion habe, worauf sich diese Aufforderung gründe. Der Wiederspruch der entrüsteten jungen Leute blieb vergeblich, sie überzeugten sich, daß sie der Gewalt nachgeben müßten und stiegen aus. Sie wurden unter starker Escorte hinweggeführt und erschienen nicht wieder. Wie ich erfuhr, sind sie in die Festung gebracht worden."

Diese Art, wie den Tapferen Leuten vom Tannschen Freikorps bei ihrer Rückkehr begegnet wird, und von Soldaten begnet wird, ist doppelt empörend, den Versuchen gegenüber, welche die altpreußische Partei macht, die regulaire Soldateska, mit allem was sie thut, in den Himmel zu heben. Wir sagen für jetzt nichts weiter hierüber, sondern wollen erst erwarten, wie der Herr Kriegsminister den unerträglichen und jedenfalls unverantwortlichen Einbruch in die Freiheit des Einzelnen, welchen er in Spandau durch Truppen üben läßt, die doch in einem solchen Dienst lediglich die Rolle von Wegelagerern, Räubern und Landfriedensbrechern spielen müssen, zu rechtfertigen suchen wird. Man nehme die vielen neuerdings zu Tage gekommenen Fälle von Gewaltthaten und Friedensbrüchen zusammen, zu denen das Militär, das - ehe es nicht auf die Verfassung vereidet worden, gar nicht im Innern Dienst gebraucht werden dürfte - verwendet worden. Die Besetzung des Frankfurter Bahnhofes, die wiederholten Unterbrechungen des Verkehrs auf der Hamburger Bahn, sogar unter Aufstellung von Kanonen, und man wird sich überzeugen, daß es die Regierung ist, - denn wem sonst soll man diese Handlungen auf Rechnung stellen? - welche, anstatt die Konsolidirung der Verhältnisse zu betreiben und zu beschleunigen, fortwährend Anarchie macht. Möglich, daß dies solche Maßregeln sein sollen, welche mit dazu dienen sollen, mit Herrn Hansemann zu reden, "die durch Unruhen und Aufreizungen genährten Besorgnisse vor dem Umsturz der staatlichen Verhältnisse zu beseitigen und das allgemeine Vertrauen wiederherzustellen." Es ist aber wahrlich eine sehr zweckmäßige Art, das Vertrauen wiederherzustellen, wenn Seitens der Regierung Maßregeln angewandt werden von so verletzender, beunruhigender und aufreizender Natur, daß selbst eine - Spandauer Bevölkerung sich gedrungen fand, ihrem Unwillen darüber Luft zu machen.

(B. Z.-Z.)
Berlin, 29. Juni.

Die Berliner Ztg.-H. veröffentlicht einen Aufruf an die arbeitenden Klassen Deutschlands zur Beschickung eines in Berlin vom 20. bis 26. August abzuhaltenden Arbeiter-Parlamentes. Es heißt darin: "Auf allen bisher abgehaltenen, mehr oder weniger lokalen Arbeiter-, Handwerker- und demokratischen Kongressen hat die große soziale oder Arbeitsfrage eine entweder nur flüchtigr oder gar keine Erledigung gefunden. Wir halten es daher für eine unabweisliche Nothwendigkeit, daß eine möglichst geordnete Vertretung der arbeitenden Klassen Deutschlands die sie zunächst angehenden Fragen selbstständig in ihre Hand nehme und sich in den wesentlichsten Punkten vereinige, welche die Befreihung des Arbeiterthums aus den Fesseln des Kapitals, der persönlichen Abhängigkeit und der materiellen Entbehrung in sichere Aussicht stellen. Die vom Arbeiter-Parlament festzustellenden Punkte sollen eine soziale Volks-Charte Deutschlands bilden, welche alle die Millionen, die bisher von einer kleinen Zahl ausgebeutet und in der Unterdrückung erhalten wurden, in fester Verbrüderung und mit aller Energie als das Gesetz des Landes zu erstreben haben. Indem wir die Durchsetzung folgender Maßregeln als die für die arbeitenden Klassen dringendsten und nothwendigsten erkennen, stellen wir dieselben, ohne den Beschlußnahmen des Parlaments vorgreifen zu wollen, als unsere Vorlagen hin. Selbst Arbeiter, verlangen wir im gemeinsamen Interesse des deutschen Arbeiterthums: 1) Der Staat verpflichtet sich, einem Jeden, der arbeiten will, eine den menschlichen Bedürfnissen angemessene Existenz zu geben. (Garantie der Arbeit.) 2) Verpflichtung des Staates zur Unterstützung und Förderung selbstständiger, gewerblicher oder industrieller Arbeiter-Associationen. 3) Der Staat versorgt alle Hilflosen und also auch die Invaliden der Arbeit. 4) Regelung und Beschränkung der übermäßigen Arbeitszeit. 5) Regelung des Steuerwesens im Interesse der arbeitenden Klasse, also: Einführung von starken progressiven Einkommensteuern, Beschränkung des Erbrechts und Abschaffung der Consumtionssteuern, so wie aller Feudallasten, Abgaben Frohnden, Zehnten etc., die bisher auf dem Ackerbauarbeiter lasteten. 6) Einführung von Nationalschulen. Der Staat übernimmt den unentgeldlichen Unterricht, und wo es nöthig ist, die unentgeldliche Erziehung der Jugend mit Berücksichtigung ihrer Fähigkeiten. 7) Unentgeldliche Ausübung der Gerechtigkeitspflege. 8) Einsetzung von Arbeitsministern in den einzelnen deutschen Staaten, die aus der freien Wahl der arbeitenden Klassen hervorgehen. Arbeitee und Brüder! Vereinigen wir uns, die wir bisher in der Vereinzelung und Zersplitterung schwach und unberücksicht waren. Wir zählen Millionen und bilden die große Majorität der Nation. Nur vereinigt in gleichem Streben werden wir stark sein, und zu derjenigen Macht gelangen, die uns als den Herverbringern alles Reichthums gebührt. Unsere Stimme ist eine schwere, und versäumen wir nicht, sie in die Wagschaale der socialen Demokratie zu legen!"

103Berlin, 28. Juni.

Die heutige Sitzung der Nationalversammlung wurde wieder einmal mit Anträgen und Interpellationen der verschiedensten Art ausgefüllt. Man verließ die Sitzung mit einem Eindruck, der unaussprechlich und unbeschreiblich ist. Lächerlichkeiten und unwichtige Dinge wurden von den ernsthaftesten und hochwichtigsten Angelegenheiten unterbrochen.

Das neue Ministerium hatte heute einen harten Kampf zu bestehen, da es von allen Seiten und in allen seinen Theilen angegriffen wurde. Die neue Geschäftsordnung hat die Art der Interpellation dahin erweitert, daß der Interpellant oder ein anderes Mitglied der Versammlung, wenn sie sich mit der Antwort des Ministers nicht befriedigt finden, das nähere Eingehen auf die Frage verlangen können. Von diesem Beschluß wurde heute tüchtig Gebrauch gemacht. Die Minister wurden durch wiederholte Bemerkungen zu näherem Eingehn auf die gestellten Fragen genöthigt.

Die Heroen des Tages waren die Abgeordneten Dr. Elsner aus Breslau und Dr. D'Ester aus Köln. Elsner hatte den Antrag gestellt: Die hohe Versammlung möge beschließen: "Zur Verbesserung der traurigen Lage der Weber und Spinner in Schlesien und der ganzen preußischen Linnenmanufaktur überhaupt, unverzüglich eine Kommission zu ernennen." In einer längeren Rede setzte er den Nothstand der schlesischen Weber und Spinner auseinander, und leitete den Verfall der schlesischen Linnen-Industrie hauptsächlich von dem unverantwortlichen Verfahren der alten Regierung und ihrer verdammenswerthen auswärtigen Politik her. Schlesien wurden dadurch alle seine Abzugsquellen verstopft. Zuerst Spanien in Folge einer Nichtanerkennung der faktisch bestandenen Regierung aus leidigen legitimistisch-dynastischen Interessen. Dann Mexiko, weil man mit der Volksherrschaft nicht unterhandeln zu können glaubte. So verlor Schlesien zwei Länder, die früher seinen Hauptmarkt bildeten. Und Rußland, das verschwägerte Rußland, es versperrte auch noch Polen, das so eng zu uns in den verschiedensten Handelsverbindungen stand, auf welche viele Städte Schlesiens angewiesen waren. Aber auch den letzten Absatzquell, der uns geblieben, Krakau, wurde uns noch entrissen, durch die Unwissenheit eines Ministeriums, welches zu spät eingestehen mußte, daß es Krakau's Wichtigkeit für Schlesien nicht gekannt. So wurden Schlesien durch Unwissenheit, durch Nachläßigkeit und durch Verfolgung eines falschen Systems alle seine Verbindungen abgeschnitten, so daß das furchtbarste Elend und die schreckenerregendste Armuth überall herrscht. Sie kennen die Noth im Hirschberger Thale. Es ist von 150-200,000 Webern und Spinnern bevölkert, die wegen Mangel an ihrer frühern Beschäftigung sich jetzt der Baumwollenweberei zuwenden müssen, aber leider so schlecht bezahlt werden, daß sie gewöhnlich bei der anstrengendsten Arbeit sechs Pfennige, neun Pfennige, höchstens einen Silbergroschen täglich verdienen. Der Winter naht wieder heran, aber diese armen Leute können nichts für denselben ersparen und seh'n mit den gespanntesten Erwartungen dem entgegen, was die Versammlung zur Verbesserung ihrer Lage beschließen wird. Von ihr allein hofft man Abhülfe, aller Augen sind auf sie gerichtet. Wir müssen Mittel zur Anwendung bringen, die die Lage dieser unglücklichen Leute wirklich auf einen Standpunkt stellt, der eines civilisirten Volkes würdig ist. Nicht eine Auswanderung dürfen wir vorschlagen, wir dürfen diese Unglücklichen keinem ungewissen Schicksale überlassen, die sie in fremden Welttheilen zu Sclaven machen könnte. Preußen wird noch die Mittel besitzen, alle seine Staatsbürger, wie es die allgemeine Menschenpflicht erfordert, in eigenem Lande zu erhalten und zu beschäftigen.

Die Rede des Herrn Elsner wurde mit dem größten Beifall aufgenommen, und sein Antrag selbst vom neuen Handelsminister Milde zur Unterstützung empfohlen. Das Handelsministerium wird der zu bildenden Kommission alle nöthige Unterstützung gewähren, und sieht die Nothwendigkeit einer schnellen Abhülfe der Noth, vollkommen ein.

Hierauf folgten einige Interpellationen des Abgeordneten D'Ester, zuerst über die schändliche Behandlung der aus der Festung Posen entlassenen polnischen Gefangenen, denen vor ihrer Entlassung das Haupthaar abgeschnitten wurde.

"Es handelt sich hier darum, daß überhaupt solche Fakta vorgefallen sind. Wir wollen nicht untersuchen, ob Polen, ob Deutsche unrecht gehandelt haben. Aber solche Vorfälle schänden die Humanität, sie schänden Preußen und ganz Deutschland. Deshalb ist die Frage auch nicht an den Kriegsminister allein, sondern an das ganze Staatsministerium gestellt und ich frage, wie solche Vorfälle überhaupt in einem civilisirten Lande vorkommen konnten?" - Der Ministerpräsident erwiedert nur auf die glänzende und mit dem größten Enthusiasmus aufgenommene Rede D'Esters, daß das Ministerium gesonnen ist jetzt und zu jeder Zeit solchen Brutalitäten entgegenzutreten.

Die zweite Interpellation des Herrn D'Ester war über die auffallenden Rüstungen in der Rheinprovinz in der letzten Zeit, und seltsame Besetzung der Forts und der Wälle in der Stadt Köln, so daß es beinah scheine, diese Rüstungen gelten mehr den eigenen Bewohnern gegenüber, als gegen den Feind. Man besetzt die Wälle mit Kanonen, man zieht die Besatzung aus der innern Stadt heraus und legt sie in die Forts auf 8 Tage mit Proviant versehen, aber die Bäume auf den Glacis der Festungen läßt man unberührt, die doch rasirt werden müßten, wenn man einen äußern Feind fürchtete. Als nach den Pariser Februar-Ereignissen Rüstungen stattfanden, die Reserven einberufen wurden, sah man solche als Vorsorge vor möglichen Ereignissen in Frankreich an. Später wurden die Reserven wieder entlassen, weil uns Frankreich die friedlichsten Gesinnungen zeigte. Was sollen nun diese Truppenzusammenziehungen zu einer Zeit, wo uns am Westen auch nicht die geringste Gefahr drohte?

Der Kriegsminister antwortete, der in militärischen Sachen Uneingeweihte könne von den Truppenbewegungen keine rechte Anschauung haben. Man müsse das dem dafür verantwortlichen Ministerium überlassen. Uebrigens würden alle Festungen des Staats, an allen seinen Gränzen gerüstet.

Der Graf Reichenbach erwiedert dem Kriegsminister, daß nicht alle Festungen gerüstet werden, Neiße, dieser wichtigste Punkt an unserer Ostgränze, sei, wie ihm ganz genau bekannt, in dem schlechtesten Vertheidigungszustande und nicht das Geringste wurde dort gethan. Der Redner zählt nun namentlich sehr vieles auf, was hinsichtlich der Bespannung und der Geschütze in Neiße fehle.

Der Ministerpräsident giebt der hohen Versammlung hierauf anheim, ob es passend ist, daß über die Streitkräfte unserer Festungen und über deren Schwächen öffentlich verhandelt werde. Der Abg. Moritz hält es für durchaus unparlamentarisch, daß wie heute geschehen, das Ministerium auf solche Weise interpellirt und in Verlegenheit gesetzt wird. Wir sind hierher geschickt, um das Vaterland zu schützen, aber nicht das Vaterland in Verlegenheit zu bringen. - (Große Aufregung.)

Reichenbach: Ich bin vom Abgeordneten Moritz angegriffen worden, weil ich das Vaterland in Gefahr bringen solle. Ich glaube das Vaterland, mit dem was ich gesprochen, zu schützen; denn wenn der Selbstherrscher von Petersburg auch als Freund zu uns kommt, so ist doch unsere junge Freiheit in großer Gefahr.

Um den Bericht über die heutige Sitzung zu vervollständigen, so ist zu erwähnen, daß nach Eröffnung derselben, das Ergebniß des letzten Scrutinium mitgetheilt wurde. Zum vierten Vicepräsident ist der Abg. Phillips gewählt, da derselbe 169 Stimmen, dagegen der Abg. Waldeck nur 111 Stimmen erhalten hatte. - Zu Sekretären sind erwählt, die Abgeordneten Schneider, Hausmann, Daniels, v. Borries, Parisius, D'Ester, Bauer aus Crotoschin und Plönnis. - Für die ökonomischen Angelegenheiten die Abg. Maetzke und Dunker. Der Abg. Lisiesky stellte hierauf den Antrag: daß alle Drucksachen, die in der Kammer vertheilt werden, mit Namensunterschrift versehen sein müssen. Er stellt die Sache als sehr dringlich dar und verlangt sofortige Debatte und Beschlußnahme. Unter der größten Heiterkeit wird die sofortige Debatte beliebt, der Antrag aber fast einstimmig verworfen. Er war durch die vor Eröffnung der Sitzung Statt gefundene Vertheilung einiger Ansprachen des deutschen Central-Comites im Großherzogthum Posen, die der Abg. Geßler hatte vertheilen lassen, wie er selbst jetzt öffentlich mittheilte, hervorgerufen.

Der Abg. Gladbach interpellirt hierauf den Kriegsminister wegen des folgenden Vorfalls. Die aus Schleswig-Holstein vor einigen Tagen zurückgekehrten Freischärler, die dort für Deutschlands Ruhm und Ehre gekämpft haben, sind bei der Fahrt auf der Hamburger Eisenbahn, bei ihrer Ankunft auf dem Bahnhof in Spandau von einer Kompagnie Garde unter dem Hauptmann Schlichting angehalten und ihrer Waffen beraubt worden. - Der Kriegsminister kann sich auf die Beantwortung nicht sogleich einlassen, da er erst einen Bericht über diese Vorfälle von der betreffenden Behörde in Spandau einholen lassen müsse. Sobald dieser Bericht eingelaufen, will er Auskunft ertheilen. - Der Graf Reichenbach bemerkt noch, daß vier Freischärler gestern sogar in Spandau verhaftet: seien, sie dürften keinen Tag länger sitzen, daher solle der Kriegsminister baldigst antworten.

Hierauf folgen noch Interpellationen und Anträge über das beabsichtigte Gesetz über Volksbewaffnung; über die vorläufige Suspendirung der Administrativbeamten, welche das Vertrauen des Volkes nicht mehr besitzen; über die Unterlassung der definitiven Ernennung von neuen Bürgermeistern und Beamten, bis zur Erlassung der neuen Gesetze; über die Loyalitätsadressen in Pommern und den beabsichtigten Kreuzzug gegen die Rebellen, resp. gegen das Volk von Berlin und die Unterstützung dieser reaktionären Bestrebungen durch Königl. Regierungen und Landrathsämter etc. Viele dieser Interpellationen wurden unter großer Heiterkeit der Versammlung, die von der seltsamen Motivirung derselben hervorgerufen war, schnell von den Ministern beseitigt.

Der neue intermistische Kommandant der Bürgerwehr, desavouirt heute in einem Plakat den Magistrat, der den Arbeitern den Eintritt in die Bürgerwehr abgesprochen hatte, und die Bewaffnung der Arbeiter mit Picken, welche die Herrn Cohnheim und Born jun. bewerkstelligen wollten, rund abschlug. Der Kommandant Rimpler fordert alle Arbeiter, oder wer sonst in die Bürgerwehr eintreten wolle auf, sich in seinem Bezirke, beim Kompagnieführer zu melden. Es werde jeder rechtliche Mann aufge-

14Berlin, 21. Juni.

Heute muß ich Ihnen etwas von den „Friedenswächtern“ erzählen. Sie wissen, man will uns eine ganze Legion dieser Leute zum Geschenk machen, damit wir vor ferneren Revolutionen und ähnlichen unangenehmen Volksäußerungen bewahrt bleiben. Gleich englischen Konstablern sollen die würdigen Männer in Zukunft die Schultern des Proletariats mit ihren Stöcken unsanft einschüchternd berühren. Wir wünschen uns Glück zu dieser neuen Einrichtung; die ganze Kriegsrumpelkammer wird ihre alten Unteroffiziere dazu hergeben können.

Das Schönste bei der Sache ist indeß, daß die Friedenswächter erst dann für brauchbar erachtet werden, wenn sie das 40. Jahr überschritten haben. Es geht den Friedenswächtern wie den Schwaben.

Unsere arbeitslosen Barrikadenbauer erhalten jetzt zum Theil eine Anstellung bei dem Oderbruch, d. h. sie werden aus der Stadt geschafft. Man fürchtet zu sehr, daß sich einer von ihnen noch einmal seiner Heldenthaten des 18. März an Ort und Stelle erinnern möchte. Wie aber der Pariser Arbeiter nicht gerne nach der Sologne wandert, so bleiben auch unsere Brodlosen lieber in ihrem lieben Berlin und machen noch gar keine Anstalt den freundlichen Aufforderungen der Behörde zu folgen.

Das Proletariat an den Rehbergen, in Treptow u. s. w. wird muthwilliger; namentlich haben die Aufseher bei den Erdarbeiten nicht selten von der Laune dieser Ex-Unterthanen zu leiden und bringen häufig blaue Flecken mit nach Haus. Auch unser Thiergarten nimmt immer mehr eine italienische Bettler- und Banditenfärbung an, gleich wie unser nächtliches Straßenleben junge Männer in die Situation Robert's des Teufels auf dem Nonnenkirchhof versetzt ‒ Alles Folgen des provisorischen Fegefeuers. Schließlich habe ich Ihnen noch die erfreuliche Mittheilung zu machen, daß „der Etat des Ober-Censurgerichts (10,500 Thaler) wirklich mit dem 1 sten Juli (!!) eingeht“ und im nächsten Jahre der Staatsrath aufgelös't werden soll.

7Berlin, 28. Juni.

Camphausen mußte abtreten, weil er die Revolution nicht anerkennen wollte. Er meinte es ehrlich, er nahm die Revolution als Thatsache, er konnte sich nur nicht entschließen, die Consequenzen der Thatsache zuzugeben. Hr. Hansemann weiß sich besser zu helfen. Er erkennt die Revolution an. Was liegt daran, es ist ja nur ein Wort und Worte lassen sich deuten. Eine Revolution ist geschehen; aber das ist ein unbestimmter Ausdruck; es handelt sich um die besondere Qualität, um den „eigenthümlichen Charakter“. Der aber besteht nach Hrn. Hansemann's Erklärung darin, daß die Revolution die bestehenden „staatlichen Verhältnisse“ nicht umgestürzt hat, d. h. daß die Revolution keine Revolution war. So weiß der Treffliche alle Partheien zu befriedigen; den Einen reicht er die Phrase und er weiß, daß sie viel darauf halten; den Andern schenkt er die Thatsache und leistet damit auch ihrem Bedürfniß volle Genüge. Der Rechtsboden ist von neuem gerettet, das Ministerium hat wieder die Basis des ancien regime; der Bourgeoisliberalismus kann auf dieser Unterlage wieder das Licht seines Fortschritts leuchten lassen und die anarchischen Tendenzen verscheuchen. Dieser Fortschritt stellt sich nach Hrn. Hansemann dar in einem Zweikammersystem auf einer volksthümlicheren Basis (der Regierungsentwurf ist jetzt der Positiv geworden) in einem Gesetz über die Bürgerwehr, die theils zur Aufrechthaltung der Ordnung, theils gegen Außen verwendet werden soll; endlich in durchgreifenden Verordnungen über die Rechtspflege. Hier muß das rheinische Gerichtsverfahren seine „anerkannten“ Vorzüge herleihen. Die Hauptsache aber ist die Herstellung des durch „Aufreizungen“ gestörten „Vertrauens“, das ist gegen die Anarchisten gerichtet, die die Handelskrise gemacht haben, das Geschäft stören und die Bürger verhindern, mit ihren Kapitalien Renten und Profite zu gewinnen!

Natürlich tragen die Politik der Minister und die „geheime“ Regierung der Reaktion keine Schuld an der allgemeinen Noth! ‒

Die polizeilichen Verfolgungen gegen die Zeughausstürmer dauern fort. Weitere Verhaftungen sind erfolgt, andere in Aussicht. Die Beschlagnahme von Druckschriften z. B. des republikanischen Katechismus u. s. w. und Haussuchungen werden mit immer größerer Ungenirtheit betrieben. Es soll nun einmal „Ruhe und Ordnung“ werden und wäre es mit Hülfe des Landrechts und der Bajonette. Unter andern Maßregeln der Polizei soll auch eine gegen die Ausschußmitglieder des Frankfurter demokratischen Kongresses gerichtet werden; man stellt eine Widerholung der Itzstein-Heckerschen Ausweisung in Aussicht. Die Stadtbehörden stehen den Staatsbehörden wacker zur Seite.

*Berlin.

Die Weisheit und der Scharfblick der Berliner leisteten bekannter Maßen von jeher Unglaubliches. Als einen neuen Beweis ihrer logischen Denkungsweise und intelligenten Weltanschauung geben wir folgende Nachricht, welche die Berliner Haude- und Spener'sche Zeitung aus Wreschen, von der russischen Gränze mittheilt:

Die Polen im Großherzogthum Posen scheinen auf eine abermalige Schilderhebung zu sinnen; viele derselben, hoch und niedrig, begeben sich nach Berlin, um dort die Verwirrung noch größer zu machen!

Berlin, 27. Juni.

Einem Reisenden, der gestern, Montag, hier angekommen, verdanken wir noch folgende Mittheilung:

„Auf der Fahrt von Hamburg nach Berlin reiste ich heut, den 25. Juni, per Eisenbahn in Gesellschaft von vier jungen Leuten, welche dem aufgelösten Tannschen Freikorps angehört hatten. Als der Zug Nauen erreichte, verließ ich das Coupé und fand mich beim Aussteigen, Angesichts eines Piquets von Garde du Corps, deren Führer mir und einem zugleich mit mir aussteigenden jungen Mann vom Tannschen Corps gebot, das Coupé nicht zu verlassen. Befragt, was ihn berechtige, einem Reisenden das Aussteigen aus dem Coupé zu verwehren, entgegnete er, daß er nach Instruktion handle. Auf meine Erwiderung, daß er in Betreff meiner schwerlich eine Instruktion haben könne, versetzte er: es sei allgemeine Instruktion, daß Keiner der Reisenden hier die Waggons verlassen dürfe, Wir mußten uns fügen. Bei Spandau angelangt, fanden wir den Bahnhof so wie die Bahnhofgebäude nnen und außen ganz angefüllt mit Truppen, so zahlreich, daß wir glaubten eine kleine Armee vor uns zu sehen. Sobald der Zug hielt, trat ein Hauptmann an unser Coupé und fragte: ob Herren aus dem Tannschen Corps sich im Coupé befänden. Antwort: Ja. Diese wurden darauf aufgefordert auszusteigen. Die Frage, was diese Aufforderung zu bedeuten habe, wurde mit der Erklärung beantwortet, daß man Instruktion habe, worauf sich diese Aufforderung gründe. Der Wiederspruch der entrüsteten jungen Leute blieb vergeblich, sie überzeugten sich, daß sie der Gewalt nachgeben müßten und stiegen aus. Sie wurden unter starker Escorte hinweggeführt und erschienen nicht wieder. Wie ich erfuhr, sind sie in die Festung gebracht worden.“

Diese Art, wie den Tapferen Leuten vom Tannschen Freikorps bei ihrer Rückkehr begegnet wird, und von Soldaten begnet wird, ist doppelt empörend, den Versuchen gegenüber, welche die altpreußische Partei macht, die regulaire Soldateska, mit allem was sie thut, in den Himmel zu heben. Wir sagen für jetzt nichts weiter hierüber, sondern wollen erst erwarten, wie der Herr Kriegsminister den unerträglichen und jedenfalls unverantwortlichen Einbruch in die Freiheit des Einzelnen, welchen er in Spandau durch Truppen üben läßt, die doch in einem solchen Dienst lediglich die Rolle von Wegelagerern, Räubern und Landfriedensbrechern spielen müssen, zu rechtfertigen suchen wird. Man nehme die vielen neuerdings zu Tage gekommenen Fälle von Gewaltthaten und Friedensbrüchen zusammen, zu denen das Militär, das ‒ ehe es nicht auf die Verfassung vereidet worden, gar nicht im Innern Dienst gebraucht werden dürfte ‒ verwendet worden. Die Besetzung des Frankfurter Bahnhofes, die wiederholten Unterbrechungen des Verkehrs auf der Hamburger Bahn, sogar unter Aufstellung von Kanonen, und man wird sich überzeugen, daß es die Regierung ist, ‒ denn wem sonst soll man diese Handlungen auf Rechnung stellen? ‒ welche, anstatt die Konsolidirung der Verhältnisse zu betreiben und zu beschleunigen, fortwährend Anarchie macht. Möglich, daß dies solche Maßregeln sein sollen, welche mit dazu dienen sollen, mit Herrn Hansemann zu reden, „die durch Unruhen und Aufreizungen genährten Besorgnisse vor dem Umsturz der staatlichen Verhältnisse zu beseitigen und das allgemeine Vertrauen wiederherzustellen.“ Es ist aber wahrlich eine sehr zweckmäßige Art, das Vertrauen wiederherzustellen, wenn Seitens der Regierung Maßregeln angewandt werden von so verletzender, beunruhigender und aufreizender Natur, daß selbst eine ‒ Spandauer Bevölkerung sich gedrungen fand, ihrem Unwillen darüber Luft zu machen.

(B. Z.-Z.)
Berlin, 29. Juni.

Die Berliner Ztg.-H. veröffentlicht einen Aufruf an die arbeitenden Klassen Deutschlands zur Beschickung eines in Berlin vom 20. bis 26. August abzuhaltenden Arbeiter-Parlamentes. Es heißt darin: „Auf allen bisher abgehaltenen, mehr oder weniger lokalen Arbeiter-, Handwerker- und demokratischen Kongressen hat die große soziale oder Arbeitsfrage eine entweder nur flüchtigr oder gar keine Erledigung gefunden. Wir halten es daher für eine unabweisliche Nothwendigkeit, daß eine möglichst geordnete Vertretung der arbeitenden Klassen Deutschlands die sie zunächst angehenden Fragen selbstständig in ihre Hand nehme und sich in den wesentlichsten Punkten vereinige, welche die Befreihung des Arbeiterthums aus den Fesseln des Kapitals, der persönlichen Abhängigkeit und der materiellen Entbehrung in sichere Aussicht stellen. Die vom Arbeiter-Parlament festzustellenden Punkte sollen eine soziale Volks-Charte Deutschlands bilden, welche alle die Millionen, die bisher von einer kleinen Zahl ausgebeutet und in der Unterdrückung erhalten wurden, in fester Verbrüderung und mit aller Energie als das Gesetz des Landes zu erstreben haben. Indem wir die Durchsetzung folgender Maßregeln als die für die arbeitenden Klassen dringendsten und nothwendigsten erkennen, stellen wir dieselben, ohne den Beschlußnahmen des Parlaments vorgreifen zu wollen, als unsere Vorlagen hin. Selbst Arbeiter, verlangen wir im gemeinsamen Interesse des deutschen Arbeiterthums: 1) Der Staat verpflichtet sich, einem Jeden, der arbeiten will, eine den menschlichen Bedürfnissen angemessene Existenz zu geben. (Garantie der Arbeit.) 2) Verpflichtung des Staates zur Unterstützung und Förderung selbstständiger, gewerblicher oder industrieller Arbeiter-Associationen. 3) Der Staat versorgt alle Hilflosen und also auch die Invaliden der Arbeit. 4) Regelung und Beschränkung der übermäßigen Arbeitszeit. 5) Regelung des Steuerwesens im Interesse der arbeitenden Klasse, also: Einführung von starken progressiven Einkommensteuern, Beschränkung des Erbrechts und Abschaffung der Consumtionssteuern, so wie aller Feudallasten, Abgaben Frohnden, Zehnten etc., die bisher auf dem Ackerbauarbeiter lasteten. 6) Einführung von Nationalschulen. Der Staat übernimmt den unentgeldlichen Unterricht, und wo es nöthig ist, die unentgeldliche Erziehung der Jugend mit Berücksichtigung ihrer Fähigkeiten. 7) Unentgeldliche Ausübung der Gerechtigkeitspflege. 8) Einsetzung von Arbeitsministern in den einzelnen deutschen Staaten, die aus der freien Wahl der arbeitenden Klassen hervorgehen. Arbeitee und Brüder! Vereinigen wir uns, die wir bisher in der Vereinzelung und Zersplitterung schwach und unberücksicht waren. Wir zählen Millionen und bilden die große Majorität der Nation. Nur vereinigt in gleichem Streben werden wir stark sein, und zu derjenigen Macht gelangen, die uns als den Herverbringern alles Reichthums gebührt. Unsere Stimme ist eine schwere, und versäumen wir nicht, sie in die Wagschaale der socialen Demokratie zu legen!“

103Berlin, 28. Juni.

Die heutige Sitzung der Nationalversammlung wurde wieder einmal mit Anträgen und Interpellationen der verschiedensten Art ausgefüllt. Man verließ die Sitzung mit einem Eindruck, der unaussprechlich und unbeschreiblich ist. Lächerlichkeiten und unwichtige Dinge wurden von den ernsthaftesten und hochwichtigsten Angelegenheiten unterbrochen.

Das neue Ministerium hatte heute einen harten Kampf zu bestehen, da es von allen Seiten und in allen seinen Theilen angegriffen wurde. Die neue Geschäftsordnung hat die Art der Interpellation dahin erweitert, daß der Interpellant oder ein anderes Mitglied der Versammlung, wenn sie sich mit der Antwort des Ministers nicht befriedigt finden, das nähere Eingehen auf die Frage verlangen können. Von diesem Beschluß wurde heute tüchtig Gebrauch gemacht. Die Minister wurden durch wiederholte Bemerkungen zu näherem Eingehn auf die gestellten Fragen genöthigt.

Die Heroen des Tages waren die Abgeordneten Dr. Elsner aus Breslau und Dr. D'Ester aus Köln. Elsner hatte den Antrag gestellt: Die hohe Versammlung möge beschließen: „Zur Verbesserung der traurigen Lage der Weber und Spinner in Schlesien und der ganzen preußischen Linnenmanufaktur überhaupt, unverzüglich eine Kommission zu ernennen.“ In einer längeren Rede setzte er den Nothstand der schlesischen Weber und Spinner auseinander, und leitete den Verfall der schlesischen Linnen-Industrie hauptsächlich von dem unverantwortlichen Verfahren der alten Regierung und ihrer verdammenswerthen auswärtigen Politik her. Schlesien wurden dadurch alle seine Abzugsquellen verstopft. Zuerst Spanien in Folge einer Nichtanerkennung der faktisch bestandenen Regierung aus leidigen legitimistisch-dynastischen Interessen. Dann Mexiko, weil man mit der Volksherrschaft nicht unterhandeln zu können glaubte. So verlor Schlesien zwei Länder, die früher seinen Hauptmarkt bildeten. Und Rußland, das verschwägerte Rußland, es versperrte auch noch Polen, das so eng zu uns in den verschiedensten Handelsverbindungen stand, auf welche viele Städte Schlesiens angewiesen waren. Aber auch den letzten Absatzquell, der uns geblieben, Krakau, wurde uns noch entrissen, durch die Unwissenheit eines Ministeriums, welches zu spät eingestehen mußte, daß es Krakau's Wichtigkeit für Schlesien nicht gekannt. So wurden Schlesien durch Unwissenheit, durch Nachläßigkeit und durch Verfolgung eines falschen Systems alle seine Verbindungen abgeschnitten, so daß das furchtbarste Elend und die schreckenerregendste Armuth überall herrscht. Sie kennen die Noth im Hirschberger Thale. Es ist von 150-200,000 Webern und Spinnern bevölkert, die wegen Mangel an ihrer frühern Beschäftigung sich jetzt der Baumwollenweberei zuwenden müssen, aber leider so schlecht bezahlt werden, daß sie gewöhnlich bei der anstrengendsten Arbeit sechs Pfennige, neun Pfennige, höchstens einen Silbergroschen täglich verdienen. Der Winter naht wieder heran, aber diese armen Leute können nichts für denselben ersparen und seh'n mit den gespanntesten Erwartungen dem entgegen, was die Versammlung zur Verbesserung ihrer Lage beschließen wird. Von ihr allein hofft man Abhülfe, aller Augen sind auf sie gerichtet. Wir müssen Mittel zur Anwendung bringen, die die Lage dieser unglücklichen Leute wirklich auf einen Standpunkt stellt, der eines civilisirten Volkes würdig ist. Nicht eine Auswanderung dürfen wir vorschlagen, wir dürfen diese Unglücklichen keinem ungewissen Schicksale überlassen, die sie in fremden Welttheilen zu Sclaven machen könnte. Preußen wird noch die Mittel besitzen, alle seine Staatsbürger, wie es die allgemeine Menschenpflicht erfordert, in eigenem Lande zu erhalten und zu beschäftigen.

Die Rede des Herrn Elsner wurde mit dem größten Beifall aufgenommen, und sein Antrag selbst vom neuen Handelsminister Milde zur Unterstützung empfohlen. Das Handelsministerium wird der zu bildenden Kommission alle nöthige Unterstützung gewähren, und sieht die Nothwendigkeit einer schnellen Abhülfe der Noth, vollkommen ein.

Hierauf folgten einige Interpellationen des Abgeordneten D'Ester, zuerst über die schändliche Behandlung der aus der Festung Posen entlassenen polnischen Gefangenen, denen vor ihrer Entlassung das Haupthaar abgeschnitten wurde.

„Es handelt sich hier darum, daß überhaupt solche Fakta vorgefallen sind. Wir wollen nicht untersuchen, ob Polen, ob Deutsche unrecht gehandelt haben. Aber solche Vorfälle schänden die Humanität, sie schänden Preußen und ganz Deutschland. Deshalb ist die Frage auch nicht an den Kriegsminister allein, sondern an das ganze Staatsministerium gestellt und ich frage, wie solche Vorfälle überhaupt in einem civilisirten Lande vorkommen konnten?“ ‒ Der Ministerpräsident erwiedert nur auf die glänzende und mit dem größten Enthusiasmus aufgenommene Rede D'Esters, daß das Ministerium gesonnen ist jetzt und zu jeder Zeit solchen Brutalitäten entgegenzutreten.

Die zweite Interpellation des Herrn D'Ester war über die auffallenden Rüstungen in der Rheinprovinz in der letzten Zeit, und seltsame Besetzung der Forts und der Wälle in der Stadt Köln, so daß es beinah scheine, diese Rüstungen gelten mehr den eigenen Bewohnern gegenüber, als gegen den Feind. Man besetzt die Wälle mit Kanonen, man zieht die Besatzung aus der innern Stadt heraus und legt sie in die Forts auf 8 Tage mit Proviant versehen, aber die Bäume auf den Glacis der Festungen läßt man unberührt, die doch rasirt werden müßten, wenn man einen äußern Feind fürchtete. Als nach den Pariser Februar-Ereignissen Rüstungen stattfanden, die Reserven einberufen wurden, sah man solche als Vorsorge vor möglichen Ereignissen in Frankreich an. Später wurden die Reserven wieder entlassen, weil uns Frankreich die friedlichsten Gesinnungen zeigte. Was sollen nun diese Truppenzusammenziehungen zu einer Zeit, wo uns am Westen auch nicht die geringste Gefahr drohte?

Der Kriegsminister antwortete, der in militärischen Sachen Uneingeweihte könne von den Truppenbewegungen keine rechte Anschauung haben. Man müsse das dem dafür verantwortlichen Ministerium überlassen. Uebrigens würden alle Festungen des Staats, an allen seinen Gränzen gerüstet.

Der Graf Reichenbach erwiedert dem Kriegsminister, daß nicht alle Festungen gerüstet werden, Neiße, dieser wichtigste Punkt an unserer Ostgränze, sei, wie ihm ganz genau bekannt, in dem schlechtesten Vertheidigungszustande und nicht das Geringste wurde dort gethan. Der Redner zählt nun namentlich sehr vieles auf, was hinsichtlich der Bespannung und der Geschütze in Neiße fehle.

Der Ministerpräsident giebt der hohen Versammlung hierauf anheim, ob es passend ist, daß über die Streitkräfte unserer Festungen und über deren Schwächen öffentlich verhandelt werde. Der Abg. Moritz hält es für durchaus unparlamentarisch, daß wie heute geschehen, das Ministerium auf solche Weise interpellirt und in Verlegenheit gesetzt wird. Wir sind hierher geschickt, um das Vaterland zu schützen, aber nicht das Vaterland in Verlegenheit zu bringen. ‒ (Große Aufregung.)

Reichenbach: Ich bin vom Abgeordneten Moritz angegriffen worden, weil ich das Vaterland in Gefahr bringen solle. Ich glaube das Vaterland, mit dem was ich gesprochen, zu schützen; denn wenn der Selbstherrscher von Petersburg auch als Freund zu uns kommt, so ist doch unsere junge Freiheit in großer Gefahr.

Um den Bericht über die heutige Sitzung zu vervollständigen, so ist zu erwähnen, daß nach Eröffnung derselben, das Ergebniß des letzten Scrutinium mitgetheilt wurde. Zum vierten Vicepräsident ist der Abg. Phillips gewählt, da derselbe 169 Stimmen, dagegen der Abg. Waldeck nur 111 Stimmen erhalten hatte. ‒ Zu Sekretären sind erwählt, die Abgeordneten Schneider, Hausmann, Daniels, v. Borries, Parisius, D'Ester, Bauer aus Crotoschin und Plönnis. ‒ Für die ökonomischen Angelegenheiten die Abg. Maetzke und Dunker. Der Abg. Lisiesky stellte hierauf den Antrag: daß alle Drucksachen, die in der Kammer vertheilt werden, mit Namensunterschrift versehen sein müssen. Er stellt die Sache als sehr dringlich dar und verlangt sofortige Debatte und Beschlußnahme. Unter der größten Heiterkeit wird die sofortige Debatte beliebt, der Antrag aber fast einstimmig verworfen. Er war durch die vor Eröffnung der Sitzung Statt gefundene Vertheilung einiger Ansprachen des deutschen Central-Comités im Großherzogthum Posen, die der Abg. Geßler hatte vertheilen lassen, wie er selbst jetzt öffentlich mittheilte, hervorgerufen.

Der Abg. Gladbach interpellirt hierauf den Kriegsminister wegen des folgenden Vorfalls. Die aus Schleswig-Holstein vor einigen Tagen zurückgekehrten Freischärler, die dort für Deutschlands Ruhm und Ehre gekämpft haben, sind bei der Fahrt auf der Hamburger Eisenbahn, bei ihrer Ankunft auf dem Bahnhof in Spandau von einer Kompagnie Garde unter dem Hauptmann Schlichting angehalten und ihrer Waffen beraubt worden. ‒ Der Kriegsminister kann sich auf die Beantwortung nicht sogleich einlassen, da er erst einen Bericht über diese Vorfälle von der betreffenden Behörde in Spandau einholen lassen müsse. Sobald dieser Bericht eingelaufen, will er Auskunft ertheilen. ‒ Der Graf Reichenbach bemerkt noch, daß vier Freischärler gestern sogar in Spandau verhaftet: seien, sie dürften keinen Tag länger sitzen, daher solle der Kriegsminister baldigst antworten.

Hierauf folgen noch Interpellationen und Anträge über das beabsichtigte Gesetz über Volksbewaffnung; über die vorläufige Suspendirung der Administrativbeamten, welche das Vertrauen des Volkes nicht mehr besitzen; über die Unterlassung der definitiven Ernennung von neuen Bürgermeistern und Beamten, bis zur Erlassung der neuen Gesetze; über die Loyalitätsadressen in Pommern und den beabsichtigten Kreuzzug gegen die Rebellen, resp. gegen das Volk von Berlin und die Unterstützung dieser reaktionären Bestrebungen durch Königl. Regierungen und Landrathsämter etc. Viele dieser Interpellationen wurden unter großer Heiterkeit der Versammlung, die von der seltsamen Motivirung derselben hervorgerufen war, schnell von den Ministern beseitigt.

Der neue intermistische Kommandant der Bürgerwehr, desavouirt heute in einem Plakat den Magistrat, der den Arbeitern den Eintritt in die Bürgerwehr abgesprochen hatte, und die Bewaffnung der Arbeiter mit Picken, welche die Herrn Cohnheim und Born jun. bewerkstelligen wollten, rund abschlug. Der Kommandant Rimpler fordert alle Arbeiter, oder wer sonst in die Bürgerwehr eintreten wolle auf, sich in seinem Bezirke, beim Kompagnieführer zu melden. Es werde jeder rechtliche Mann aufge-

<TEI>
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          <head><bibl><author>14</author></bibl>Berlin, 21. Juni.</head>
          <p>Heute muß ich Ihnen etwas von den &#x201E;Friedenswächtern&#x201C; erzählen. Sie wissen,                         man will uns eine ganze Legion dieser Leute zum Geschenk machen, damit wir                         vor ferneren Revolutionen und ähnlichen unangenehmen Volksäußerungen bewahrt                         bleiben. Gleich englischen Konstablern sollen die würdigen Männer in Zukunft                         die Schultern des Proletariats mit ihren Stöcken unsanft einschüchternd                         berühren. Wir wünschen uns Glück zu dieser neuen Einrichtung; die ganze                         Kriegsrumpelkammer wird ihre alten Unteroffiziere dazu hergeben können.</p>
          <p>Das Schönste bei der Sache ist indeß, daß die Friedenswächter erst dann für                         brauchbar erachtet werden, wenn sie das 40. Jahr überschritten haben. Es                         geht den Friedenswächtern wie den Schwaben.</p>
          <p>Unsere arbeitslosen Barrikadenbauer erhalten jetzt zum Theil eine Anstellung                         bei dem Oderbruch, d. h. sie werden aus der Stadt geschafft. Man fürchtet zu                         sehr, daß sich einer von ihnen noch einmal seiner Heldenthaten des 18. März                         an Ort und Stelle erinnern möchte. Wie aber der Pariser Arbeiter nicht gerne                         nach der Sologne wandert, so bleiben auch unsere Brodlosen lieber in ihrem                         lieben Berlin und machen noch gar keine Anstalt den freundlichen                         Aufforderungen der Behörde zu folgen.</p>
          <p>Das Proletariat an den Rehbergen, in Treptow u. s. w. wird muthwilliger;                         namentlich haben die Aufseher bei den Erdarbeiten nicht selten von der Laune                         dieser Ex-Unterthanen zu leiden und bringen häufig blaue Flecken mit nach                         Haus. Auch unser Thiergarten nimmt immer mehr eine italienische Bettler- und                         Banditenfärbung an, gleich wie unser nächtliches Straßenleben junge Männer                         in die Situation Robert's des Teufels auf dem Nonnenkirchhof versetzt &#x2012;                         Alles Folgen des provisorischen Fegefeuers. Schließlich habe ich Ihnen noch                         die erfreuliche Mittheilung zu machen, daß &#x201E;der Etat des Ober-Censurgerichts                         (10,500 Thaler) wirklich <hi rendition="#g">mit dem 1 sten Juli (!!)</hi> eingeht&#x201C; und im <hi rendition="#g">nächsten</hi> Jahre der Staatsrath                         aufgelös't werden soll.</p>
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          <head><bibl><author>7</author></bibl>Berlin, 28. Juni.</head>
          <p>Camphausen mußte abtreten, weil er die Revolution nicht anerkennen wollte. Er                         meinte es ehrlich, er nahm die Revolution als <hi rendition="#g">Thatsache,</hi> er konnte sich nur nicht entschließen, die Consequenzen                         der Thatsache zuzugeben. Hr. Hansemann weiß sich besser zu helfen. Er                         erkennt die Revolution an. Was liegt daran, es ist ja nur ein <hi rendition="#g">Wort</hi> und Worte lassen sich deuten. Eine Revolution                         ist geschehen; aber das ist ein unbestimmter Ausdruck; es handelt sich um                         die besondere Qualität, um den &#x201E;eigenthümlichen Charakter&#x201C;. Der aber besteht                         nach Hrn. Hansemann's Erklärung darin, daß die Revolution die bestehenden                         &#x201E;staatlichen Verhältnisse&#x201C; <hi rendition="#g">nicht</hi> umgestürzt hat, d.                         h. daß die Revolution <hi rendition="#g">keine</hi> Revolution war. So weiß                         der Treffliche alle Partheien zu befriedigen; den Einen reicht er die Phrase                         und er weiß, daß sie viel darauf halten; den Andern schenkt er die Thatsache                         und leistet damit auch ihrem Bedürfniß volle Genüge. Der Rechtsboden ist von                         neuem gerettet, das Ministerium hat wieder die Basis des ancien regime; der                         Bourgeoisliberalismus kann auf dieser Unterlage wieder das Licht seines                         Fortschritts leuchten lassen und die anarchischen Tendenzen verscheuchen.                         Dieser Fortschritt stellt sich nach Hrn. Hansemann dar in einem                         Zweikammersystem auf einer volksthümlicheren Basis (der Regierungsentwurf                         ist jetzt der Positiv geworden) in einem Gesetz über die Bürgerwehr, die                         theils zur Aufrechthaltung der Ordnung, theils gegen Außen verwendet werden                         soll; endlich in durchgreifenden Verordnungen über die Rechtspflege. Hier                         muß das rheinische Gerichtsverfahren seine &#x201E;anerkannten&#x201C; Vorzüge herleihen.                         Die Hauptsache aber ist die Herstellung des durch &#x201E;Aufreizungen&#x201C; gestörten                         &#x201E;Vertrauens&#x201C;, das ist gegen die Anarchisten gerichtet, die die Handelskrise                         gemacht haben, das Geschäft stören und die Bürger verhindern, mit ihren                         Kapitalien Renten und Profite zu gewinnen!</p>
          <p>Natürlich tragen die Politik der Minister und die &#x201E;geheime&#x201C; Regierung der                         Reaktion keine Schuld an der allgemeinen Noth! &#x2012;</p>
          <p>Die polizeilichen Verfolgungen gegen die Zeughausstürmer dauern fort. Weitere                         Verhaftungen sind erfolgt, andere in Aussicht. Die Beschlagnahme von                         Druckschriften z. B. des republikanischen Katechismus u. s. w. und                         Haussuchungen werden mit immer größerer Ungenirtheit betrieben. Es soll nun                         einmal &#x201E;Ruhe und Ordnung&#x201C; werden und wäre es mit Hülfe des Landrechts und                         der Bajonette. Unter andern Maßregeln der Polizei soll auch eine gegen die                         Ausschußmitglieder des Frankfurter demokratischen Kongresses gerichtet                         werden; man stellt eine Widerholung der Itzstein-Heckerschen Ausweisung in                         Aussicht. Die Stadtbehörden stehen den Staatsbehörden wacker zur Seite.</p>
        </div>
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          <head><bibl><author>*</author></bibl>Berlin.</head>
          <p>Die Weisheit und der Scharfblick der Berliner leisteten bekannter Maßen von                         jeher Unglaubliches. Als einen neuen Beweis ihrer logischen Denkungsweise                         und intelligenten Weltanschauung geben wir folgende Nachricht, welche die                         Berliner Haude- und Spener'sche Zeitung aus Wreschen, von der russischen                         Gränze mittheilt:</p>
          <p>Die Polen im Großherzogthum Posen scheinen auf eine abermalige <hi rendition="#g">Schilderhebung</hi> zu sinnen; viele derselben, hoch und                         niedrig, begeben sich nach Berlin, <hi rendition="#g">um dort die Verwirrung                             noch größer zu machen!</hi></p>
        </div>
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          <head>Berlin, 27. Juni.</head>
          <p>Einem Reisenden, der gestern, Montag, hier angekommen, verdanken wir noch                         folgende Mittheilung:</p>
          <p>&#x201E;Auf der Fahrt von Hamburg nach Berlin reiste ich heut, den 25. Juni, per                         Eisenbahn in Gesellschaft von vier jungen Leuten, welche dem aufgelösten                         Tannschen Freikorps angehört hatten. Als der Zug Nauen erreichte, verließ                         ich das Coupé und fand mich beim Aussteigen, Angesichts eines Piquets von                         Garde du Corps, deren Führer mir und einem zugleich mit mir aussteigenden                         jungen Mann vom Tannschen Corps gebot, das Coupé nicht zu verlassen.                         Befragt, was ihn berechtige, einem Reisenden das Aussteigen aus dem Coupé zu                         verwehren, entgegnete er, daß er nach Instruktion handle. Auf meine                         Erwiderung, daß er in Betreff meiner schwerlich eine Instruktion haben                         könne, versetzte er: es sei allgemeine Instruktion, daß Keiner der Reisenden                         hier die Waggons verlassen dürfe, Wir mußten uns fügen. Bei Spandau                         angelangt, fanden wir den Bahnhof so wie die Bahnhofgebäude nnen und außen                         ganz angefüllt mit Truppen, so zahlreich, daß wir glaubten eine kleine Armee                         vor uns zu sehen. Sobald der Zug hielt, trat ein Hauptmann an unser Coupé                         und fragte: ob Herren aus dem Tannschen Corps sich im Coupé befänden.                         Antwort: Ja. Diese wurden darauf aufgefordert auszusteigen. Die Frage, was                         diese Aufforderung zu bedeuten habe, wurde mit der Erklärung beantwortet,                         daß man Instruktion habe, worauf sich diese Aufforderung gründe. Der                         Wiederspruch der entrüsteten jungen Leute blieb vergeblich, sie überzeugten                         sich, daß sie der Gewalt nachgeben müßten und stiegen aus. Sie wurden unter                         starker Escorte hinweggeführt und erschienen nicht wieder. Wie ich erfuhr,                         sind sie in die Festung gebracht worden.&#x201C;</p>
          <p>Diese Art, wie den Tapferen Leuten vom Tannschen Freikorps bei ihrer Rückkehr                         begegnet wird, und von Soldaten begnet wird, ist doppelt empörend, den                         Versuchen gegenüber, welche die altpreußische Partei macht, die regulaire                         Soldateska, mit allem was sie thut, in den Himmel zu heben. Wir sagen für                         jetzt nichts weiter hierüber, sondern wollen erst erwarten, wie der Herr                         Kriegsminister den unerträglichen und <hi rendition="#g">jedenfalls</hi> unverantwortlichen Einbruch in die Freiheit des Einzelnen, welchen er in                         Spandau durch Truppen üben läßt, die doch in einem solchen Dienst lediglich                         die Rolle von Wegelagerern, Räubern und Landfriedensbrechern spielen müssen,                         zu rechtfertigen suchen wird. Man nehme die vielen neuerdings zu Tage                         gekommenen Fälle von Gewaltthaten und Friedensbrüchen zusammen, zu denen das                         Militär, das &#x2012; ehe es nicht auf die Verfassung vereidet worden, gar nicht im                         Innern Dienst gebraucht werden dürfte &#x2012; verwendet worden. Die Besetzung des                         Frankfurter Bahnhofes, die wiederholten Unterbrechungen des Verkehrs auf der                         Hamburger Bahn, sogar unter Aufstellung von Kanonen, und man wird sich                         überzeugen, daß es die Regierung ist, &#x2012; denn wem sonst soll man diese                         Handlungen auf Rechnung stellen? &#x2012; welche, anstatt die Konsolidirung der                         Verhältnisse zu betreiben und zu beschleunigen, fortwährend Anarchie macht.                         Möglich, daß dies solche Maßregeln sein sollen, welche mit dazu dienen                         sollen, mit Herrn Hansemann zu reden, &#x201E;die durch Unruhen und Aufreizungen                         genährten Besorgnisse vor dem Umsturz der staatlichen Verhältnisse zu                         beseitigen und das allgemeine Vertrauen wiederherzustellen.&#x201C; Es ist aber                         wahrlich eine sehr zweckmäßige Art, das Vertrauen wiederherzustellen, wenn                         Seitens der Regierung Maßregeln angewandt werden von so verletzender,                         beunruhigender und aufreizender Natur, daß selbst eine &#x2012; Spandauer                         Bevölkerung sich gedrungen fand, ihrem Unwillen darüber Luft zu machen.</p>
          <bibl>(B. Z.-Z.)</bibl>
        </div>
        <div xml:id="ar031_007" type="jArticle">
          <head>Berlin, 29. Juni.</head>
          <p>Die Berliner Ztg.-H. veröffentlicht einen Aufruf an die arbeitenden Klassen                         Deutschlands zur Beschickung eines in Berlin vom 20. bis 26. August                         abzuhaltenden Arbeiter-Parlamentes. Es heißt darin: &#x201E;Auf allen bisher                         abgehaltenen, mehr oder weniger lokalen Arbeiter-, Handwerker- und                         demokratischen Kongressen hat die große soziale oder Arbeitsfrage eine                         entweder nur flüchtigr oder gar keine Erledigung gefunden. Wir halten es                         daher für eine unabweisliche Nothwendigkeit, daß eine möglichst geordnete                         Vertretung der arbeitenden Klassen Deutschlands die sie zunächst angehenden                         Fragen selbstständig in ihre Hand nehme und sich in den wesentlichsten                         Punkten vereinige, welche die Befreihung des Arbeiterthums aus den Fesseln                         des Kapitals, der persönlichen Abhängigkeit und der materiellen Entbehrung                         in sichere Aussicht stellen. Die vom Arbeiter-Parlament festzustellenden                         Punkte sollen eine soziale Volks-Charte Deutschlands bilden, welche alle die                         Millionen, die bisher von einer kleinen Zahl ausgebeutet und in der                         Unterdrückung erhalten wurden, in fester Verbrüderung und mit aller Energie                         als das Gesetz des Landes zu erstreben haben. Indem wir die Durchsetzung                         folgender Maßregeln als die für die arbeitenden Klassen dringendsten und                         nothwendigsten erkennen, stellen wir dieselben, ohne den Beschlußnahmen des                         Parlaments vorgreifen zu wollen, als unsere Vorlagen hin. Selbst Arbeiter,                         verlangen wir im gemeinsamen Interesse des deutschen Arbeiterthums: 1) Der                         Staat verpflichtet sich, einem Jeden, der arbeiten will, eine den                         menschlichen Bedürfnissen angemessene Existenz zu geben. (Garantie der                         Arbeit.) 2) Verpflichtung des Staates zur Unterstützung und Förderung                         selbstständiger, gewerblicher oder industrieller Arbeiter-Associationen. 3)                         Der Staat versorgt alle Hilflosen und also auch die Invaliden der Arbeit. 4)                         Regelung und Beschränkung der übermäßigen Arbeitszeit. 5) Regelung des                         Steuerwesens im Interesse der arbeitenden Klasse, also: Einführung von                         starken progressiven Einkommensteuern, Beschränkung des Erbrechts und                         Abschaffung der Consumtionssteuern, so wie aller Feudallasten, Abgaben                         Frohnden, Zehnten etc., die bisher auf dem Ackerbauarbeiter lasteten. 6)                         Einführung von Nationalschulen. Der Staat übernimmt den unentgeldlichen                         Unterricht, und wo es nöthig ist, die unentgeldliche Erziehung der Jugend                         mit Berücksichtigung ihrer Fähigkeiten. 7) Unentgeldliche Ausübung der                         Gerechtigkeitspflege. 8) Einsetzung von Arbeitsministern in den einzelnen                         deutschen Staaten, die aus der freien Wahl der arbeitenden Klassen                         hervorgehen. Arbeitee und Brüder! Vereinigen wir uns, die wir bisher in der                         Vereinzelung und Zersplitterung schwach und unberücksicht waren. Wir zählen                         Millionen und bilden die große Majorität der Nation. Nur vereinigt in                         gleichem Streben werden wir stark sein, und zu derjenigen Macht gelangen,                         die uns als den Herverbringern alles Reichthums gebührt. Unsere Stimme ist                         eine schwere, und versäumen wir nicht, sie in die Wagschaale der socialen                         Demokratie zu legen!&#x201C;</p>
        </div>
        <div xml:id="ar031_008" type="jArticle">
          <head><bibl><author>103</author></bibl>Berlin, 28. Juni.</head>
          <p>Die heutige Sitzung der Nationalversammlung wurde wieder einmal mit Anträgen                         und Interpellationen der verschiedensten Art ausgefüllt. Man verließ die                         Sitzung mit einem Eindruck, der unaussprechlich und unbeschreiblich ist.                         Lächerlichkeiten und unwichtige Dinge wurden von den ernsthaftesten und                         hochwichtigsten Angelegenheiten unterbrochen.</p>
          <p>Das neue Ministerium hatte heute einen harten Kampf zu bestehen, da es von                         allen Seiten und in allen seinen Theilen angegriffen wurde. Die neue                         Geschäftsordnung hat die Art der Interpellation dahin erweitert, daß der                         Interpellant oder ein anderes Mitglied der Versammlung, wenn sie sich mit                         der Antwort des Ministers nicht befriedigt finden, das nähere Eingehen auf                         die Frage verlangen können. Von diesem Beschluß wurde heute tüchtig Gebrauch                         gemacht. Die Minister wurden durch wiederholte Bemerkungen zu näherem                         Eingehn auf die gestellten Fragen genöthigt.</p>
          <p>Die Heroen des Tages waren die Abgeordneten Dr. Elsner aus Breslau und Dr.                         D'Ester aus Köln. Elsner hatte den Antrag gestellt: Die hohe Versammlung                         möge beschließen: &#x201E;Zur Verbesserung der traurigen Lage der Weber und Spinner                         in Schlesien und der ganzen preußischen Linnenmanufaktur überhaupt,                         unverzüglich eine Kommission zu ernennen.&#x201C; In einer längeren Rede setzte er                         den Nothstand der schlesischen Weber und Spinner auseinander, und leitete                         den Verfall der schlesischen Linnen-Industrie hauptsächlich von dem                         unverantwortlichen Verfahren der alten Regierung und ihrer verdammenswerthen                         auswärtigen Politik her. Schlesien wurden dadurch alle seine Abzugsquellen                         verstopft. Zuerst <hi rendition="#g">Spanien</hi> in Folge einer                         Nichtanerkennung der faktisch bestandenen Regierung aus leidigen                         legitimistisch-dynastischen Interessen. Dann <hi rendition="#g">Mexiko,</hi> weil man mit der Volksherrschaft nicht unterhandeln zu können glaubte. So                         verlor Schlesien zwei Länder, die früher seinen Hauptmarkt bildeten. Und                         Rußland, das verschwägerte Rußland, es versperrte auch noch <hi rendition="#g">Polen,</hi> das so eng zu uns in den verschiedensten                         Handelsverbindungen stand, auf welche viele Städte Schlesiens angewiesen                         waren. Aber auch den letzten Absatzquell, der uns geblieben, <hi rendition="#g">Krakau,</hi> wurde uns noch entrissen, durch die                         Unwissenheit eines Ministeriums, welches zu spät eingestehen mußte, daß es                         Krakau's Wichtigkeit für Schlesien nicht gekannt. So wurden Schlesien durch                         Unwissenheit, durch Nachläßigkeit und durch Verfolgung eines falschen                         Systems alle seine Verbindungen abgeschnitten, so daß das furchtbarste Elend                         und die schreckenerregendste Armuth überall herrscht. Sie kennen die Noth im                         Hirschberger Thale. Es ist von 150-200,000 Webern und Spinnern bevölkert,                         die wegen Mangel an ihrer frühern Beschäftigung sich jetzt der                         Baumwollenweberei zuwenden müssen, aber leider so schlecht bezahlt werden,                         daß sie gewöhnlich bei der anstrengendsten Arbeit <hi rendition="#g">sechs                             Pfennige, neun Pfennige, höchstens einen Silbergroschen täglich                             verdienen.</hi> Der Winter naht wieder heran, aber diese armen Leute                         können nichts für denselben ersparen und seh'n mit den gespanntesten                         Erwartungen dem entgegen, was die Versammlung zur Verbesserung ihrer Lage                         beschließen wird. Von ihr allein hofft man Abhülfe, aller Augen sind auf sie                         gerichtet. Wir müssen Mittel zur Anwendung bringen, die die Lage dieser                         unglücklichen Leute wirklich auf einen Standpunkt stellt, der eines                         civilisirten Volkes würdig ist. Nicht eine Auswanderung dürfen wir                         vorschlagen, wir dürfen diese Unglücklichen keinem ungewissen Schicksale                         überlassen, die sie in fremden Welttheilen zu Sclaven machen könnte. Preußen                         wird noch die Mittel besitzen, alle seine Staatsbürger, wie es die                         allgemeine Menschenpflicht erfordert, in eigenem Lande zu erhalten und zu                         beschäftigen.</p>
          <p>Die Rede des Herrn Elsner wurde mit dem größten Beifall aufgenommen, und sein                         Antrag selbst vom neuen Handelsminister Milde zur Unterstützung empfohlen.                         Das Handelsministerium wird der zu bildenden Kommission alle nöthige                         Unterstützung gewähren, und sieht die Nothwendigkeit einer schnellen Abhülfe                         der Noth, vollkommen ein.</p>
          <p>Hierauf folgten einige Interpellationen des Abgeordneten D'Ester, zuerst über                         die schändliche Behandlung der aus der Festung Posen entlassenen polnischen                         Gefangenen, denen vor ihrer Entlassung das Haupthaar abgeschnitten                         wurde.</p>
          <p>&#x201E;Es handelt sich hier darum, daß überhaupt solche Fakta vorgefallen sind. Wir                         wollen nicht untersuchen, ob Polen, ob Deutsche unrecht gehandelt haben.                         Aber solche Vorfälle schänden die Humanität, sie schänden Preußen und ganz                         Deutschland. Deshalb ist die Frage auch nicht an den Kriegsminister allein,                         sondern an das ganze Staatsministerium gestellt und ich frage, wie solche                         Vorfälle überhaupt in einem civilisirten Lande vorkommen konnten?&#x201C; &#x2012; Der                         Ministerpräsident erwiedert nur auf die glänzende und mit dem größten                         Enthusiasmus aufgenommene Rede D'Esters, daß das Ministerium gesonnen ist                         jetzt und zu jeder Zeit solchen Brutalitäten entgegenzutreten.</p>
          <p>Die zweite Interpellation des Herrn D'Ester war über die auffallenden                         Rüstungen in der Rheinprovinz in der letzten Zeit, und seltsame Besetzung                         der Forts und der Wälle in der Stadt Köln, so daß es beinah scheine, diese                         Rüstungen gelten mehr den eigenen Bewohnern gegenüber, als gegen den Feind.                         Man besetzt die Wälle mit Kanonen, man zieht die Besatzung aus der innern                         Stadt heraus und legt sie in die Forts auf 8 Tage mit Proviant versehen,                         aber die Bäume auf den Glacis der Festungen läßt man unberührt, die doch                         rasirt werden müßten, wenn man einen äußern Feind fürchtete. Als nach den                         Pariser Februar-Ereignissen Rüstungen stattfanden, die Reserven einberufen                         wurden, sah man solche als Vorsorge vor möglichen Ereignissen in Frankreich                         an. Später wurden die Reserven wieder entlassen, weil uns Frankreich die                         friedlichsten Gesinnungen zeigte. Was sollen nun diese                         Truppenzusammenziehungen zu einer Zeit, wo uns am Westen auch nicht die                         geringste Gefahr drohte?</p>
          <p>Der <hi rendition="#g">Kriegsminister</hi> antwortete, der in militärischen                         Sachen Uneingeweihte könne von den Truppenbewegungen keine rechte Anschauung                         haben. Man müsse das dem dafür verantwortlichen Ministerium überlassen.                         Uebrigens würden alle Festungen des Staats, an allen seinen Gränzen                         gerüstet.</p>
          <p>Der Graf <hi rendition="#g">Reichenbach</hi> erwiedert dem Kriegsminister,                         daß nicht <hi rendition="#g">alle</hi> Festungen gerüstet werden, Neiße,                         dieser wichtigste Punkt an unserer Ostgränze, sei, wie ihm ganz genau                         bekannt, in dem schlechtesten Vertheidigungszustande und nicht das Geringste                         wurde dort gethan. Der Redner zählt nun namentlich sehr vieles auf, was                         hinsichtlich der Bespannung und der Geschütze in Neiße fehle.</p>
          <p>Der <hi rendition="#g">Ministerpräsident</hi> giebt der hohen Versammlung                         hierauf anheim, ob es passend ist, daß über die Streitkräfte unserer                         Festungen und über deren Schwächen öffentlich verhandelt werde. Der Abg. <hi rendition="#g">Moritz</hi> hält es für durchaus unparlamentarisch, daß                         wie heute geschehen, das Ministerium auf solche Weise interpellirt und in                         Verlegenheit gesetzt wird. Wir sind hierher geschickt, um das Vaterland zu                         schützen, aber nicht das Vaterland in Verlegenheit zu bringen. &#x2012; (Große                         Aufregung.)</p>
          <p><hi rendition="#g">Reichenbach:</hi> Ich bin vom Abgeordneten Moritz                         angegriffen worden, weil ich das Vaterland in Gefahr bringen solle. Ich                         glaube das Vaterland, mit dem was ich gesprochen, zu schützen; denn wenn der                         Selbstherrscher von Petersburg auch als Freund zu uns kommt, so ist doch                         unsere junge Freiheit in großer Gefahr.</p>
          <p>Um den Bericht über die heutige Sitzung zu vervollständigen, so ist zu                         erwähnen, daß nach Eröffnung derselben, das Ergebniß des letzten Scrutinium                         mitgetheilt wurde. Zum vierten Vicepräsident ist der Abg. <hi rendition="#g">Phillips</hi> gewählt, da derselbe 169 Stimmen, dagegen der Abg. <hi rendition="#g">Waldeck</hi> nur 111 Stimmen erhalten hatte. &#x2012; Zu                         Sekretären sind erwählt, die Abgeordneten Schneider, Hausmann, Daniels, v.                         Borries, Parisius, D'Ester, Bauer aus Crotoschin und Plönnis. &#x2012; Für die                         ökonomischen Angelegenheiten die Abg. Maetzke und Dunker. Der Abg. <hi rendition="#g">Lisiesky</hi> stellte hierauf den Antrag: daß alle                         Drucksachen, die in der Kammer vertheilt werden, mit Namensunterschrift                         versehen sein müssen. Er stellt die Sache als sehr dringlich dar und                         verlangt sofortige Debatte und Beschlußnahme. Unter der größten Heiterkeit                         wird die sofortige Debatte beliebt, der Antrag aber fast einstimmig                         verworfen. Er war durch die vor Eröffnung der Sitzung Statt gefundene                         Vertheilung einiger Ansprachen des deutschen Central-Comités im                         Großherzogthum Posen, die der Abg. Geßler hatte vertheilen lassen, wie er                         selbst jetzt öffentlich mittheilte, hervorgerufen.</p>
          <p>Der Abg. <hi rendition="#g">Gladbach</hi> interpellirt hierauf den                         Kriegsminister wegen des folgenden Vorfalls. Die aus Schleswig-Holstein vor                         einigen Tagen zurückgekehrten Freischärler, die dort für Deutschlands Ruhm                         und Ehre gekämpft haben, sind bei der Fahrt auf der Hamburger Eisenbahn, bei                         ihrer Ankunft auf dem Bahnhof in Spandau von einer Kompagnie Garde unter dem                         Hauptmann Schlichting angehalten und ihrer Waffen beraubt worden. &#x2012; Der <hi rendition="#g">Kriegsminister</hi> kann sich auf die Beantwortung nicht                         sogleich einlassen, da er erst einen Bericht über diese Vorfälle von der                         betreffenden Behörde in Spandau einholen lassen müsse. Sobald dieser Bericht                         eingelaufen, will er Auskunft ertheilen. &#x2012; Der Graf Reichenbach bemerkt                         noch, daß vier Freischärler gestern sogar in Spandau verhaftet: seien, sie                         dürften keinen Tag länger sitzen, daher solle der Kriegsminister baldigst                         antworten.</p>
          <p>Hierauf folgen noch Interpellationen und Anträge über das beabsichtigte                         Gesetz über Volksbewaffnung; über die vorläufige Suspendirung der                         Administrativbeamten, welche das Vertrauen des Volkes nicht mehr besitzen;                         über die Unterlassung der definitiven Ernennung von neuen Bürgermeistern und                         Beamten, bis zur Erlassung der neuen Gesetze; über die Loyalitätsadressen in                         Pommern und den beabsichtigten Kreuzzug gegen die Rebellen, resp. gegen das                         Volk von Berlin und die Unterstützung dieser reaktionären Bestrebungen durch                         Königl. Regierungen und Landrathsämter etc. Viele dieser Interpellationen                         wurden unter großer Heiterkeit der Versammlung, die von der seltsamen                         Motivirung derselben hervorgerufen war, schnell von den Ministern                         beseitigt.</p>
          <p>Der neue intermistische Kommandant der Bürgerwehr, desavouirt heute in einem                         Plakat den Magistrat, der den Arbeitern den Eintritt in die Bürgerwehr                         abgesprochen hatte, und die Bewaffnung der Arbeiter mit Picken, welche die                         Herrn Cohnheim und Born jun. bewerkstelligen wollten, rund abschlug. Der                         Kommandant <hi rendition="#g">Rimpler</hi> fordert alle Arbeiter, oder wer                         sonst in die Bürgerwehr eintreten wolle auf, sich in seinem Bezirke, beim                         Kompagnieführer zu melden. Es werde jeder rechtliche Mann aufge-
</p>
        </div>
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    </body>
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[0150/0002] 14Berlin, 21. Juni. Heute muß ich Ihnen etwas von den „Friedenswächtern“ erzählen. Sie wissen, man will uns eine ganze Legion dieser Leute zum Geschenk machen, damit wir vor ferneren Revolutionen und ähnlichen unangenehmen Volksäußerungen bewahrt bleiben. Gleich englischen Konstablern sollen die würdigen Männer in Zukunft die Schultern des Proletariats mit ihren Stöcken unsanft einschüchternd berühren. Wir wünschen uns Glück zu dieser neuen Einrichtung; die ganze Kriegsrumpelkammer wird ihre alten Unteroffiziere dazu hergeben können. Das Schönste bei der Sache ist indeß, daß die Friedenswächter erst dann für brauchbar erachtet werden, wenn sie das 40. Jahr überschritten haben. Es geht den Friedenswächtern wie den Schwaben. Unsere arbeitslosen Barrikadenbauer erhalten jetzt zum Theil eine Anstellung bei dem Oderbruch, d. h. sie werden aus der Stadt geschafft. Man fürchtet zu sehr, daß sich einer von ihnen noch einmal seiner Heldenthaten des 18. März an Ort und Stelle erinnern möchte. Wie aber der Pariser Arbeiter nicht gerne nach der Sologne wandert, so bleiben auch unsere Brodlosen lieber in ihrem lieben Berlin und machen noch gar keine Anstalt den freundlichen Aufforderungen der Behörde zu folgen. Das Proletariat an den Rehbergen, in Treptow u. s. w. wird muthwilliger; namentlich haben die Aufseher bei den Erdarbeiten nicht selten von der Laune dieser Ex-Unterthanen zu leiden und bringen häufig blaue Flecken mit nach Haus. Auch unser Thiergarten nimmt immer mehr eine italienische Bettler- und Banditenfärbung an, gleich wie unser nächtliches Straßenleben junge Männer in die Situation Robert's des Teufels auf dem Nonnenkirchhof versetzt ‒ Alles Folgen des provisorischen Fegefeuers. Schließlich habe ich Ihnen noch die erfreuliche Mittheilung zu machen, daß „der Etat des Ober-Censurgerichts (10,500 Thaler) wirklich mit dem 1 sten Juli (!!) eingeht“ und im nächsten Jahre der Staatsrath aufgelös't werden soll. 7Berlin, 28. Juni. Camphausen mußte abtreten, weil er die Revolution nicht anerkennen wollte. Er meinte es ehrlich, er nahm die Revolution als Thatsache, er konnte sich nur nicht entschließen, die Consequenzen der Thatsache zuzugeben. Hr. Hansemann weiß sich besser zu helfen. Er erkennt die Revolution an. Was liegt daran, es ist ja nur ein Wort und Worte lassen sich deuten. Eine Revolution ist geschehen; aber das ist ein unbestimmter Ausdruck; es handelt sich um die besondere Qualität, um den „eigenthümlichen Charakter“. Der aber besteht nach Hrn. Hansemann's Erklärung darin, daß die Revolution die bestehenden „staatlichen Verhältnisse“ nicht umgestürzt hat, d. h. daß die Revolution keine Revolution war. So weiß der Treffliche alle Partheien zu befriedigen; den Einen reicht er die Phrase und er weiß, daß sie viel darauf halten; den Andern schenkt er die Thatsache und leistet damit auch ihrem Bedürfniß volle Genüge. Der Rechtsboden ist von neuem gerettet, das Ministerium hat wieder die Basis des ancien regime; der Bourgeoisliberalismus kann auf dieser Unterlage wieder das Licht seines Fortschritts leuchten lassen und die anarchischen Tendenzen verscheuchen. Dieser Fortschritt stellt sich nach Hrn. Hansemann dar in einem Zweikammersystem auf einer volksthümlicheren Basis (der Regierungsentwurf ist jetzt der Positiv geworden) in einem Gesetz über die Bürgerwehr, die theils zur Aufrechthaltung der Ordnung, theils gegen Außen verwendet werden soll; endlich in durchgreifenden Verordnungen über die Rechtspflege. Hier muß das rheinische Gerichtsverfahren seine „anerkannten“ Vorzüge herleihen. Die Hauptsache aber ist die Herstellung des durch „Aufreizungen“ gestörten „Vertrauens“, das ist gegen die Anarchisten gerichtet, die die Handelskrise gemacht haben, das Geschäft stören und die Bürger verhindern, mit ihren Kapitalien Renten und Profite zu gewinnen! Natürlich tragen die Politik der Minister und die „geheime“ Regierung der Reaktion keine Schuld an der allgemeinen Noth! ‒ Die polizeilichen Verfolgungen gegen die Zeughausstürmer dauern fort. Weitere Verhaftungen sind erfolgt, andere in Aussicht. Die Beschlagnahme von Druckschriften z. B. des republikanischen Katechismus u. s. w. und Haussuchungen werden mit immer größerer Ungenirtheit betrieben. Es soll nun einmal „Ruhe und Ordnung“ werden und wäre es mit Hülfe des Landrechts und der Bajonette. Unter andern Maßregeln der Polizei soll auch eine gegen die Ausschußmitglieder des Frankfurter demokratischen Kongresses gerichtet werden; man stellt eine Widerholung der Itzstein-Heckerschen Ausweisung in Aussicht. Die Stadtbehörden stehen den Staatsbehörden wacker zur Seite. *Berlin. Die Weisheit und der Scharfblick der Berliner leisteten bekannter Maßen von jeher Unglaubliches. Als einen neuen Beweis ihrer logischen Denkungsweise und intelligenten Weltanschauung geben wir folgende Nachricht, welche die Berliner Haude- und Spener'sche Zeitung aus Wreschen, von der russischen Gränze mittheilt: Die Polen im Großherzogthum Posen scheinen auf eine abermalige Schilderhebung zu sinnen; viele derselben, hoch und niedrig, begeben sich nach Berlin, um dort die Verwirrung noch größer zu machen! Berlin, 27. Juni. Einem Reisenden, der gestern, Montag, hier angekommen, verdanken wir noch folgende Mittheilung: „Auf der Fahrt von Hamburg nach Berlin reiste ich heut, den 25. Juni, per Eisenbahn in Gesellschaft von vier jungen Leuten, welche dem aufgelösten Tannschen Freikorps angehört hatten. Als der Zug Nauen erreichte, verließ ich das Coupé und fand mich beim Aussteigen, Angesichts eines Piquets von Garde du Corps, deren Führer mir und einem zugleich mit mir aussteigenden jungen Mann vom Tannschen Corps gebot, das Coupé nicht zu verlassen. Befragt, was ihn berechtige, einem Reisenden das Aussteigen aus dem Coupé zu verwehren, entgegnete er, daß er nach Instruktion handle. Auf meine Erwiderung, daß er in Betreff meiner schwerlich eine Instruktion haben könne, versetzte er: es sei allgemeine Instruktion, daß Keiner der Reisenden hier die Waggons verlassen dürfe, Wir mußten uns fügen. Bei Spandau angelangt, fanden wir den Bahnhof so wie die Bahnhofgebäude nnen und außen ganz angefüllt mit Truppen, so zahlreich, daß wir glaubten eine kleine Armee vor uns zu sehen. Sobald der Zug hielt, trat ein Hauptmann an unser Coupé und fragte: ob Herren aus dem Tannschen Corps sich im Coupé befänden. Antwort: Ja. Diese wurden darauf aufgefordert auszusteigen. Die Frage, was diese Aufforderung zu bedeuten habe, wurde mit der Erklärung beantwortet, daß man Instruktion habe, worauf sich diese Aufforderung gründe. Der Wiederspruch der entrüsteten jungen Leute blieb vergeblich, sie überzeugten sich, daß sie der Gewalt nachgeben müßten und stiegen aus. Sie wurden unter starker Escorte hinweggeführt und erschienen nicht wieder. Wie ich erfuhr, sind sie in die Festung gebracht worden.“ Diese Art, wie den Tapferen Leuten vom Tannschen Freikorps bei ihrer Rückkehr begegnet wird, und von Soldaten begnet wird, ist doppelt empörend, den Versuchen gegenüber, welche die altpreußische Partei macht, die regulaire Soldateska, mit allem was sie thut, in den Himmel zu heben. Wir sagen für jetzt nichts weiter hierüber, sondern wollen erst erwarten, wie der Herr Kriegsminister den unerträglichen und jedenfalls unverantwortlichen Einbruch in die Freiheit des Einzelnen, welchen er in Spandau durch Truppen üben läßt, die doch in einem solchen Dienst lediglich die Rolle von Wegelagerern, Räubern und Landfriedensbrechern spielen müssen, zu rechtfertigen suchen wird. Man nehme die vielen neuerdings zu Tage gekommenen Fälle von Gewaltthaten und Friedensbrüchen zusammen, zu denen das Militär, das ‒ ehe es nicht auf die Verfassung vereidet worden, gar nicht im Innern Dienst gebraucht werden dürfte ‒ verwendet worden. Die Besetzung des Frankfurter Bahnhofes, die wiederholten Unterbrechungen des Verkehrs auf der Hamburger Bahn, sogar unter Aufstellung von Kanonen, und man wird sich überzeugen, daß es die Regierung ist, ‒ denn wem sonst soll man diese Handlungen auf Rechnung stellen? ‒ welche, anstatt die Konsolidirung der Verhältnisse zu betreiben und zu beschleunigen, fortwährend Anarchie macht. Möglich, daß dies solche Maßregeln sein sollen, welche mit dazu dienen sollen, mit Herrn Hansemann zu reden, „die durch Unruhen und Aufreizungen genährten Besorgnisse vor dem Umsturz der staatlichen Verhältnisse zu beseitigen und das allgemeine Vertrauen wiederherzustellen.“ Es ist aber wahrlich eine sehr zweckmäßige Art, das Vertrauen wiederherzustellen, wenn Seitens der Regierung Maßregeln angewandt werden von so verletzender, beunruhigender und aufreizender Natur, daß selbst eine ‒ Spandauer Bevölkerung sich gedrungen fand, ihrem Unwillen darüber Luft zu machen. (B. Z.-Z.) Berlin, 29. Juni. Die Berliner Ztg.-H. veröffentlicht einen Aufruf an die arbeitenden Klassen Deutschlands zur Beschickung eines in Berlin vom 20. bis 26. August abzuhaltenden Arbeiter-Parlamentes. Es heißt darin: „Auf allen bisher abgehaltenen, mehr oder weniger lokalen Arbeiter-, Handwerker- und demokratischen Kongressen hat die große soziale oder Arbeitsfrage eine entweder nur flüchtigr oder gar keine Erledigung gefunden. Wir halten es daher für eine unabweisliche Nothwendigkeit, daß eine möglichst geordnete Vertretung der arbeitenden Klassen Deutschlands die sie zunächst angehenden Fragen selbstständig in ihre Hand nehme und sich in den wesentlichsten Punkten vereinige, welche die Befreihung des Arbeiterthums aus den Fesseln des Kapitals, der persönlichen Abhängigkeit und der materiellen Entbehrung in sichere Aussicht stellen. Die vom Arbeiter-Parlament festzustellenden Punkte sollen eine soziale Volks-Charte Deutschlands bilden, welche alle die Millionen, die bisher von einer kleinen Zahl ausgebeutet und in der Unterdrückung erhalten wurden, in fester Verbrüderung und mit aller Energie als das Gesetz des Landes zu erstreben haben. Indem wir die Durchsetzung folgender Maßregeln als die für die arbeitenden Klassen dringendsten und nothwendigsten erkennen, stellen wir dieselben, ohne den Beschlußnahmen des Parlaments vorgreifen zu wollen, als unsere Vorlagen hin. Selbst Arbeiter, verlangen wir im gemeinsamen Interesse des deutschen Arbeiterthums: 1) Der Staat verpflichtet sich, einem Jeden, der arbeiten will, eine den menschlichen Bedürfnissen angemessene Existenz zu geben. (Garantie der Arbeit.) 2) Verpflichtung des Staates zur Unterstützung und Förderung selbstständiger, gewerblicher oder industrieller Arbeiter-Associationen. 3) Der Staat versorgt alle Hilflosen und also auch die Invaliden der Arbeit. 4) Regelung und Beschränkung der übermäßigen Arbeitszeit. 5) Regelung des Steuerwesens im Interesse der arbeitenden Klasse, also: Einführung von starken progressiven Einkommensteuern, Beschränkung des Erbrechts und Abschaffung der Consumtionssteuern, so wie aller Feudallasten, Abgaben Frohnden, Zehnten etc., die bisher auf dem Ackerbauarbeiter lasteten. 6) Einführung von Nationalschulen. Der Staat übernimmt den unentgeldlichen Unterricht, und wo es nöthig ist, die unentgeldliche Erziehung der Jugend mit Berücksichtigung ihrer Fähigkeiten. 7) Unentgeldliche Ausübung der Gerechtigkeitspflege. 8) Einsetzung von Arbeitsministern in den einzelnen deutschen Staaten, die aus der freien Wahl der arbeitenden Klassen hervorgehen. Arbeitee und Brüder! Vereinigen wir uns, die wir bisher in der Vereinzelung und Zersplitterung schwach und unberücksicht waren. Wir zählen Millionen und bilden die große Majorität der Nation. Nur vereinigt in gleichem Streben werden wir stark sein, und zu derjenigen Macht gelangen, die uns als den Herverbringern alles Reichthums gebührt. Unsere Stimme ist eine schwere, und versäumen wir nicht, sie in die Wagschaale der socialen Demokratie zu legen!“ 103Berlin, 28. Juni. Die heutige Sitzung der Nationalversammlung wurde wieder einmal mit Anträgen und Interpellationen der verschiedensten Art ausgefüllt. Man verließ die Sitzung mit einem Eindruck, der unaussprechlich und unbeschreiblich ist. Lächerlichkeiten und unwichtige Dinge wurden von den ernsthaftesten und hochwichtigsten Angelegenheiten unterbrochen. Das neue Ministerium hatte heute einen harten Kampf zu bestehen, da es von allen Seiten und in allen seinen Theilen angegriffen wurde. Die neue Geschäftsordnung hat die Art der Interpellation dahin erweitert, daß der Interpellant oder ein anderes Mitglied der Versammlung, wenn sie sich mit der Antwort des Ministers nicht befriedigt finden, das nähere Eingehen auf die Frage verlangen können. Von diesem Beschluß wurde heute tüchtig Gebrauch gemacht. Die Minister wurden durch wiederholte Bemerkungen zu näherem Eingehn auf die gestellten Fragen genöthigt. Die Heroen des Tages waren die Abgeordneten Dr. Elsner aus Breslau und Dr. D'Ester aus Köln. Elsner hatte den Antrag gestellt: Die hohe Versammlung möge beschließen: „Zur Verbesserung der traurigen Lage der Weber und Spinner in Schlesien und der ganzen preußischen Linnenmanufaktur überhaupt, unverzüglich eine Kommission zu ernennen.“ In einer längeren Rede setzte er den Nothstand der schlesischen Weber und Spinner auseinander, und leitete den Verfall der schlesischen Linnen-Industrie hauptsächlich von dem unverantwortlichen Verfahren der alten Regierung und ihrer verdammenswerthen auswärtigen Politik her. Schlesien wurden dadurch alle seine Abzugsquellen verstopft. Zuerst Spanien in Folge einer Nichtanerkennung der faktisch bestandenen Regierung aus leidigen legitimistisch-dynastischen Interessen. Dann Mexiko, weil man mit der Volksherrschaft nicht unterhandeln zu können glaubte. So verlor Schlesien zwei Länder, die früher seinen Hauptmarkt bildeten. Und Rußland, das verschwägerte Rußland, es versperrte auch noch Polen, das so eng zu uns in den verschiedensten Handelsverbindungen stand, auf welche viele Städte Schlesiens angewiesen waren. Aber auch den letzten Absatzquell, der uns geblieben, Krakau, wurde uns noch entrissen, durch die Unwissenheit eines Ministeriums, welches zu spät eingestehen mußte, daß es Krakau's Wichtigkeit für Schlesien nicht gekannt. So wurden Schlesien durch Unwissenheit, durch Nachläßigkeit und durch Verfolgung eines falschen Systems alle seine Verbindungen abgeschnitten, so daß das furchtbarste Elend und die schreckenerregendste Armuth überall herrscht. Sie kennen die Noth im Hirschberger Thale. Es ist von 150-200,000 Webern und Spinnern bevölkert, die wegen Mangel an ihrer frühern Beschäftigung sich jetzt der Baumwollenweberei zuwenden müssen, aber leider so schlecht bezahlt werden, daß sie gewöhnlich bei der anstrengendsten Arbeit sechs Pfennige, neun Pfennige, höchstens einen Silbergroschen täglich verdienen. Der Winter naht wieder heran, aber diese armen Leute können nichts für denselben ersparen und seh'n mit den gespanntesten Erwartungen dem entgegen, was die Versammlung zur Verbesserung ihrer Lage beschließen wird. Von ihr allein hofft man Abhülfe, aller Augen sind auf sie gerichtet. Wir müssen Mittel zur Anwendung bringen, die die Lage dieser unglücklichen Leute wirklich auf einen Standpunkt stellt, der eines civilisirten Volkes würdig ist. Nicht eine Auswanderung dürfen wir vorschlagen, wir dürfen diese Unglücklichen keinem ungewissen Schicksale überlassen, die sie in fremden Welttheilen zu Sclaven machen könnte. Preußen wird noch die Mittel besitzen, alle seine Staatsbürger, wie es die allgemeine Menschenpflicht erfordert, in eigenem Lande zu erhalten und zu beschäftigen. Die Rede des Herrn Elsner wurde mit dem größten Beifall aufgenommen, und sein Antrag selbst vom neuen Handelsminister Milde zur Unterstützung empfohlen. Das Handelsministerium wird der zu bildenden Kommission alle nöthige Unterstützung gewähren, und sieht die Nothwendigkeit einer schnellen Abhülfe der Noth, vollkommen ein. Hierauf folgten einige Interpellationen des Abgeordneten D'Ester, zuerst über die schändliche Behandlung der aus der Festung Posen entlassenen polnischen Gefangenen, denen vor ihrer Entlassung das Haupthaar abgeschnitten wurde. „Es handelt sich hier darum, daß überhaupt solche Fakta vorgefallen sind. Wir wollen nicht untersuchen, ob Polen, ob Deutsche unrecht gehandelt haben. Aber solche Vorfälle schänden die Humanität, sie schänden Preußen und ganz Deutschland. Deshalb ist die Frage auch nicht an den Kriegsminister allein, sondern an das ganze Staatsministerium gestellt und ich frage, wie solche Vorfälle überhaupt in einem civilisirten Lande vorkommen konnten?“ ‒ Der Ministerpräsident erwiedert nur auf die glänzende und mit dem größten Enthusiasmus aufgenommene Rede D'Esters, daß das Ministerium gesonnen ist jetzt und zu jeder Zeit solchen Brutalitäten entgegenzutreten. Die zweite Interpellation des Herrn D'Ester war über die auffallenden Rüstungen in der Rheinprovinz in der letzten Zeit, und seltsame Besetzung der Forts und der Wälle in der Stadt Köln, so daß es beinah scheine, diese Rüstungen gelten mehr den eigenen Bewohnern gegenüber, als gegen den Feind. Man besetzt die Wälle mit Kanonen, man zieht die Besatzung aus der innern Stadt heraus und legt sie in die Forts auf 8 Tage mit Proviant versehen, aber die Bäume auf den Glacis der Festungen läßt man unberührt, die doch rasirt werden müßten, wenn man einen äußern Feind fürchtete. Als nach den Pariser Februar-Ereignissen Rüstungen stattfanden, die Reserven einberufen wurden, sah man solche als Vorsorge vor möglichen Ereignissen in Frankreich an. Später wurden die Reserven wieder entlassen, weil uns Frankreich die friedlichsten Gesinnungen zeigte. Was sollen nun diese Truppenzusammenziehungen zu einer Zeit, wo uns am Westen auch nicht die geringste Gefahr drohte? Der Kriegsminister antwortete, der in militärischen Sachen Uneingeweihte könne von den Truppenbewegungen keine rechte Anschauung haben. Man müsse das dem dafür verantwortlichen Ministerium überlassen. Uebrigens würden alle Festungen des Staats, an allen seinen Gränzen gerüstet. Der Graf Reichenbach erwiedert dem Kriegsminister, daß nicht alle Festungen gerüstet werden, Neiße, dieser wichtigste Punkt an unserer Ostgränze, sei, wie ihm ganz genau bekannt, in dem schlechtesten Vertheidigungszustande und nicht das Geringste wurde dort gethan. Der Redner zählt nun namentlich sehr vieles auf, was hinsichtlich der Bespannung und der Geschütze in Neiße fehle. Der Ministerpräsident giebt der hohen Versammlung hierauf anheim, ob es passend ist, daß über die Streitkräfte unserer Festungen und über deren Schwächen öffentlich verhandelt werde. Der Abg. Moritz hält es für durchaus unparlamentarisch, daß wie heute geschehen, das Ministerium auf solche Weise interpellirt und in Verlegenheit gesetzt wird. Wir sind hierher geschickt, um das Vaterland zu schützen, aber nicht das Vaterland in Verlegenheit zu bringen. ‒ (Große Aufregung.) Reichenbach: Ich bin vom Abgeordneten Moritz angegriffen worden, weil ich das Vaterland in Gefahr bringen solle. Ich glaube das Vaterland, mit dem was ich gesprochen, zu schützen; denn wenn der Selbstherrscher von Petersburg auch als Freund zu uns kommt, so ist doch unsere junge Freiheit in großer Gefahr. Um den Bericht über die heutige Sitzung zu vervollständigen, so ist zu erwähnen, daß nach Eröffnung derselben, das Ergebniß des letzten Scrutinium mitgetheilt wurde. Zum vierten Vicepräsident ist der Abg. Phillips gewählt, da derselbe 169 Stimmen, dagegen der Abg. Waldeck nur 111 Stimmen erhalten hatte. ‒ Zu Sekretären sind erwählt, die Abgeordneten Schneider, Hausmann, Daniels, v. Borries, Parisius, D'Ester, Bauer aus Crotoschin und Plönnis. ‒ Für die ökonomischen Angelegenheiten die Abg. Maetzke und Dunker. Der Abg. Lisiesky stellte hierauf den Antrag: daß alle Drucksachen, die in der Kammer vertheilt werden, mit Namensunterschrift versehen sein müssen. Er stellt die Sache als sehr dringlich dar und verlangt sofortige Debatte und Beschlußnahme. Unter der größten Heiterkeit wird die sofortige Debatte beliebt, der Antrag aber fast einstimmig verworfen. Er war durch die vor Eröffnung der Sitzung Statt gefundene Vertheilung einiger Ansprachen des deutschen Central-Comités im Großherzogthum Posen, die der Abg. Geßler hatte vertheilen lassen, wie er selbst jetzt öffentlich mittheilte, hervorgerufen. Der Abg. Gladbach interpellirt hierauf den Kriegsminister wegen des folgenden Vorfalls. Die aus Schleswig-Holstein vor einigen Tagen zurückgekehrten Freischärler, die dort für Deutschlands Ruhm und Ehre gekämpft haben, sind bei der Fahrt auf der Hamburger Eisenbahn, bei ihrer Ankunft auf dem Bahnhof in Spandau von einer Kompagnie Garde unter dem Hauptmann Schlichting angehalten und ihrer Waffen beraubt worden. ‒ Der Kriegsminister kann sich auf die Beantwortung nicht sogleich einlassen, da er erst einen Bericht über diese Vorfälle von der betreffenden Behörde in Spandau einholen lassen müsse. Sobald dieser Bericht eingelaufen, will er Auskunft ertheilen. ‒ Der Graf Reichenbach bemerkt noch, daß vier Freischärler gestern sogar in Spandau verhaftet: seien, sie dürften keinen Tag länger sitzen, daher solle der Kriegsminister baldigst antworten. Hierauf folgen noch Interpellationen und Anträge über das beabsichtigte Gesetz über Volksbewaffnung; über die vorläufige Suspendirung der Administrativbeamten, welche das Vertrauen des Volkes nicht mehr besitzen; über die Unterlassung der definitiven Ernennung von neuen Bürgermeistern und Beamten, bis zur Erlassung der neuen Gesetze; über die Loyalitätsadressen in Pommern und den beabsichtigten Kreuzzug gegen die Rebellen, resp. gegen das Volk von Berlin und die Unterstützung dieser reaktionären Bestrebungen durch Königl. Regierungen und Landrathsämter etc. Viele dieser Interpellationen wurden unter großer Heiterkeit der Versammlung, die von der seltsamen Motivirung derselben hervorgerufen war, schnell von den Ministern beseitigt. Der neue intermistische Kommandant der Bürgerwehr, desavouirt heute in einem Plakat den Magistrat, der den Arbeitern den Eintritt in die Bürgerwehr abgesprochen hatte, und die Bewaffnung der Arbeiter mit Picken, welche die Herrn Cohnheim und Born jun. bewerkstelligen wollten, rund abschlug. Der Kommandant Rimpler fordert alle Arbeiter, oder wer sonst in die Bürgerwehr eintreten wolle auf, sich in seinem Bezirke, beim Kompagnieführer zu melden. Es werde jeder rechtliche Mann aufge-

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Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe: Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. Bd. 1 (Nummer 1 bis Nummer 183) Köln, 1. Juni 1848 bis 31. Dezember 1848. Glashütten im Taunus, Verlag Detlev Auvermann KG 1973.




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Zitationshilfe: Neue Rheinische Zeitung. Nr. 31. Köln, 1. Juli 1848, S. 0150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_nrhz031_1848/2>, abgerufen am 28.03.2024.