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Mährisches Tagblatt. Nr. 124, Olmütz, 01.06.1894.

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Mährisches
Tagblatt.

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nach aufliegendem Tarif



Außerhalb Olmütz überneh-
men Insertions-Aufträge:
Heinrich Schalek, Annon-
cen-Exped. in Wien, I. Woll-
zeile Nr. 11, Haasenstein
& Vogler,
in Wien, Buda-
pest, Berlin, Frankfurt a. M.,
Hamburg, Basel und Leipzig.
Alois Opellik, in Wien. Rud.
Mosse,
in Wien, München u.
Berlin. M. Dukes, Wien, I.
Schulerstraße 8. G. L. Daube
und Co.,
Frankfurt a. M.
Karoly u. Liebmann's Annon-
cenbureau in Hamburg, sowie
sämmtl. conc. Insertionsbu-
reaus des In- u. Auslandes.
Manuscripte werden nicht
zurückgestellt.


Telephon Nr. 9.




Nr. 124. Olmütz, Freitag, den 1. Juni, 1894. 15. Jahrgang.


[Spaltenumbruch]
Arbeit und Phrase.


Der Verlauf des Berliner "internationalen
Arbeiter-Congresses" war ein höchst lehrreicher.
Die Verhandlungen sind nicht glatt, sondern unter
dem häßlichsten Gezänk verlaufen; nur nothdürftig
wurde eine völlige Sprengung des Congresses
verhindert. So gut wie Alles, was der Congreß
beschlossen hat, widerspricht den Anträgen der
deutschen und der mit ihnen verbündeten fran-
zösisch belgischen Delegirten. Die Engländer, manch-
mal unter sich gespalten, in der Hauptsache aber
stets einig, haben dem Congreß den Stempel
einer nüchtern-soliden Alltagsarbeit aufgedrückt
die Phrasen der reinen Socialdemocratie links
liegen lassen und wenigstens eine Reihe von Be-
schlüssen herbeigeführt, mit denen man sich vom
bürgerlichen Standpuncte aus absinden kann,
wenn die Umstände die practische Durchführung
dieser Beschlüsse rechtfertigen oder gestatten sollten.
Was aber das Wesentlichste ist und bleibt: den
deutschen Sacialdemocraten ist es in keiner Weise
gelungen, den Congreß zu einer ausgesprochenen
socialdemocratischen Veranstaltung zu verfälschen,
und nicht einmal im Sinne der deutschen Ge-
werkschaftsbewegung läßt sich der Congreß ver-
werthen. Stärker noch als vorher hat sich heraus-
gestellt, daß die deutschen Gewerkschaften keine
Spur von Selbstständigkeit gegenüber der social-
democratischen Parteileitung beanspruchen können.
Sie sind einfache Filialen der Partei, nichts als
eine andere Form für den politischen Kampf,
statt unpolitische Organe für die Durchsetzung
[Spaltenumbruch] rein wirthschaftlicher Forderungen zu sein. Wenn
die Socialdemocraten behaupten, daß sich Partei-
politik und Wirthschaftskampf überhaupt nicht
trennen lasse, und wenn ihnen das auch außer-
halb ihrer engeren Reihen so häufig geglaubt
wird, so erscheint es doppelt nützlich, daß die
Engländer durch ihr Beispiel gezeigt haben, wie
weit die radical-politische Phrase und die sorg-
fältige gerechte, rührig vorwärtsschreitende Thätig-
keit organisirter Interessenverbände auseinander-
liegen.

Die englischen Gewerkschaften sind keine
Heimstätte der Socialdemocratie, und sehr an-
sehnliche Erfolge lassen sich erreichen, ohne daß
die Vertreter der Arbeiterinteressen sogleich in die
radicalste politische Anschauungsweise verfallen.
Das sind die bedeutsamen Lehren, die die Eng-
länder immer schon gegeben haben, die sich aber
jetzt auf dem Congreß noch eindringlicher darge-
stellt haben. In keinem Lande der Welt haben
die Bergarbeiter so Vieles erreicht wie in Eng-
land. Nirgends beziehen sie höhere Löhne, nir-
gends haben sie kürzere Arbeitszeit, nirgends ver-
stehen sie es so gut wie dort, auf Sicherheit des
Betriebes und ausreichende Entschädigung für
Unfälle zu dringen. Dieß Alles also ist möglich
ohne daß man Socialdemocrat zu sein braucht,
um zum Ziele zu gelangen. Es erscheint undenk-
bar, daß unsere socialdemocratischen Führer und
ihre Blätter den starken Eindruck dieses englischen
Vorbildes von den Arbeitern werden fernhalten
können. Das Bemühen, es zu thun, ist so krampf-
haft, daß man merkt, wie Großes für die Social-
democratie dabei auf dem Spiele steht. Es ist
[Spaltenumbruch] beispielsweise ganz unsocialdemocratisch, zuzugeben,
wie es die Engländer gethan haben, daß die
Löhne eventuell auch herabgesetzt werden müßten,
wenn die Arbeitgeber nachweisen könnten, daß sie
sonst mit Verlust arbeiten würden. Es ist noch
weniger parteimäßig, zu beschließen, daß die un-
gelernten Arbeiter künftig von der Bergwerksein-
fahrt abzuhalten seien. Die Socialdemocratie will
ja gerade der sogenannten industriellen Reform-
Armee den Zutritt zu ebenso quten Arbeitsstätten
eröffnen, wie die organisirten und gelernten
Arbeiter sie haben. Der practische Engländer mag
nicht für "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit"
sein, wenn er zunächst für sich sorgt; aber er ist
nun einmal so hartherzig, zwischen gelernten
Arbeitern und ungelernten, zwischen den Oraani-
firten und dem regellosen Haufen zu unterscheiden,
und er macht sich nichts daraus, wenn man ihm
vorwirft, eine Zunftaristocratie im Arbeiterstande
großzuziehen.

Alles in Allem ist der Congreß nach sei-
nem Verlauf und seinen Beschlüßen eine schwere
Niederlage für die socialdemocratischen Phraseure,
ein Erfolg für die Vertreter positiver Arbeit.




Zur Einführung von Gewerbe-
gerichten.


Der Abgeordnete Dr. Baernreither, einer der
hervorragendsten Fachmänner in der Vereinigten
Deutschen Linken hat als Zusatzantrag zur Civil-
proceßordnung im Abgeordnetenhause einen An-




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.



Moderner Zauberspuk.

(Schluß.)

Nehmen wir ein Beispiel. Aufgeklärt, ist
es so thöricht, daß man sich beinahe genirt, es
zu erzählen. Praktisch gut vorgemacht, würde
es uns wahrscheinlich betrügen. Die Geister
sollen eine Schrift auf die Innenseite einer ge-
schlossenen Doppeltafel practiciren. Herr "Medium"
nimmt die Tafel und hält sie, indem er sie mit
einem Finger von unten stützt, halb unter den
Tisch, -- es ist das so Usus bei den Geistern.
Nach einer Weile (Abwarten ist immer eine
Hauptsache in der Mystik, man erwartet, wenn
die Sache recht brav geht, gelegentlich eine ge-
schlagene Stunde lang) kritzelt es leise in der
Tafel. Aber das nöthige Klopfen, das den Schluß
des Werkes andeuten soll, erfolgt nicht. Nach
einer Weile sagt das Medium: "Ich glaube, es
glückt nicht." Er schlägt die Tafeln auseinander.
Enttäuschte Gesichter: -- es steht wirklich nichts
darauf. Probiren wir's noch einmal. Wieder
das Kritzeln, diesmal sehr laut. Und richtig,
da klopft's auch schon. Rasch die Tafel auf: da
stehen, etwas schief, aber ganz deutlich, zwei
Worte. Unsinn natürlich, aber das macht nichts.
Das Wunderbare liegt ja darin, daß sie über-
haupt in die Tafel hineingekommen sind. Einfach
unbegreiflich! "Aber," sagt ein Herr im Kreise,
[Spaltenumbruch] "mich ärgert doch das Heimlichthun halb unter
dem Tisch. Ich wäre erst völlig überzeugt, wenn
die Tafel etwa mitten auf dem Tisch läge, weit
von unserm Medium ab, -- und wenn dann die
Geister etwas auf die untere, gegen die Tisch-
platte gekehrte Seite schreiben." "Wird schwer
halten," sagt das Medium drauf, "aber wir
wollen's versuchen, wir haben einen braven Geist."
Die Tafel kommt auf den Tisch, die Hände des
Mediums liegen zwei Fuß breit davon fromm
gekreuzt auf der Ecke. Große Kunstpause, dann
ein Gekritzel, -- wie es scheint, direct unter dem
Tisch, wo die Tafel liegt. Klopfen, Enthüllung.
Auf der Unterseite stehen abermals ein paar
Worte, der Anfang eines bekannten Operetten-
Couplets, der auf die Moral der Geister ein
seltsames Licht wirft. Höchstes Staunen Aller,
das Medium triumphirt. Der skeptische Herr
wird geneigt, den Spiritismus fortan ernst zu
nehmen. So weit der officielle Hergang. Die
Auflösung ist banal zum Umkommen! Als das
Medium die Tafel zum ersten Mal unter die
Tischplatte geschoben hielt, hat es mit einem unter
den Nagel des Mittelfingers geklemmten Spitzchen
Griffel auf die Unterseite der Tafel jene Worte
geschrieben, die nachher inwendig standen. Das
Schreiben in dieser Form ist eine Uebungssache
und glückt leicht. Nachdem die Tafel das erste
Mal geöffnet worden war und (natürlich) in-
wendig nichts gezeigt hatte, klappte das Medium
beim Wiederzumachen rasch und unbemerkt so
herum, daß die vo[r]hin beschriebene, von Niemand
beachtete Unterseite jetzt mit inwendig war.
Unter dem Tisch schreibt es diesmal auf die jetzt
[Spaltenumbruch] leere, neue Unterseite die drei Coupletworte. Das
Klopfen macht die große Zehe im Stiefel, --
es ist das auch eine Uebungssache sehr billiger
Art. Die Tafel öffnet sich und die erste Schrift
wird jetzt innen bewundert. Nun kommt als
Hauptstreich die Tafel mitten auf den Tisch.
Die Inschrift, die werden soll, steht aber bereits
auf der Unterseite von eben her. Es ist nichts
mehr nöthig, als mit dem Stiefel etwas gegen
die Tischplatte zu kratzen, um den Schein des
Schreibens zu erwecken, und zu klopfen.

Blödfinnig: nicht wahr? Und doch ist in dem
nackten Exempel alles im Kern enthalten, was
der bewußte Schwindel als "Spiritismus" bisher
geleistet hat. Vor allem: immer die nächste
Sache vorbereiten, während ein erstes Experiment
schein bar mißlingt, -- das ist das Haupt-
kunststück. In der Sprache der Gläubigen heißt
es: die Geister sind mißtrauisch, sie folgen nicht
gleich dem ersten Ruf, sie wollen mit Höflichkeit
und Ausdauer erst gewonnen werden. Aber das
ist doch verzweifelt mißlich, wirft man ein, daß
die Geisterpraxis gerade der Taschenspielerpraxis
so bequem in die Hände arbeitet. Ja, sagt der
Spiritist mit Ernst, es ist eine schwere Sache
und deshalb gibt's eben so viel Schwindler unter
den Medien; aber die Geister existiren darum
doch nach wie vor; sie sind die Stückchen, die in
der Suppe schwimmen, man erhascht nicht immer
eins, aber zuweilen glückt's doch dem Beharrlichen.

Lieber Gott, ich bin auch beharrlich gewesen.
Ich habe, mit gefalteten Händen oder auch in
die des Nachbars verschränkt, Stunden um Stun-
den gesessen und wenn man Geister schwitzen


[Spaltenumbruch]

Das
„Mähriſche Tagblatt“
erſcheint mit Ausnahme [der]
Sonn- und Feiertage täglich.
Ausgabe 2 Uhr Nachmittag
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Mähriſches
Tagblatt.

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Inſertionsgebühren
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Außerhalb Olmütz überneh-
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cen-Exped. in Wien, I. Woll-
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& Vogler,
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peſt, Berlin, Frankfurt a. M.,
Hamburg, Baſel und Leipzig.
Alois Opellik, in Wien. Rud.
Mosse,
in Wien, München u.
Berlin. M. Dukes, Wien, I.
Schulerſtraße 8. G. L. Daube
und Co.,
Frankfurt a. M.
Karoly u. Liebmann’s Annon-
cenbureau in Hamburg, ſowie
ſämmtl. conc. Inſertionsbu-
reaus des In- u. Auslandes.
Manuſcripte werden nicht
zurückgeſtellt.


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Nr. 124. Olmütz, Freitag, den 1. Juni, 1894. 15. Jahrgang.


[Spaltenumbruch]
Arbeit und Phraſe.


Der Verlauf des Berliner „internationalen
Arbeiter-Congreſſes“ war ein höchſt lehrreicher.
Die Verhandlungen ſind nicht glatt, ſondern unter
dem häßlichſten Gezänk verlaufen; nur nothdürftig
wurde eine völlige Sprengung des Congreſſes
verhindert. So gut wie Alles, was der Congreß
beſchloſſen hat, widerſpricht den Anträgen der
deutſchen und der mit ihnen verbündeten fran-
zöſiſch belgiſchen Delegirten. Die Engländer, manch-
mal unter ſich geſpalten, in der Hauptſache aber
ſtets einig, haben dem Congreß den Stempel
einer nüchtern-ſoliden Alltagsarbeit aufgedrückt
die Phraſen der reinen Socialdemocratie links
liegen laſſen und wenigſtens eine Reihe von Be-
ſchlüſſen herbeigeführt, mit denen man ſich vom
bürgerlichen Standpuncte aus abſinden kann,
wenn die Umſtände die practiſche Durchführung
dieſer Beſchlüſſe rechtfertigen oder geſtatten ſollten.
Was aber das Weſentlichſte iſt und bleibt: den
deutſchen Sacialdemocraten iſt es in keiner Weiſe
gelungen, den Congreß zu einer ausgeſprochenen
ſocialdemocratiſchen Veranſtaltung zu verfälſchen,
und nicht einmal im Sinne der deutſchen Ge-
werkſchaftsbewegung läßt ſich der Congreß ver-
werthen. Stärker noch als vorher hat ſich heraus-
geſtellt, daß die deutſchen Gewerkſchaften keine
Spur von Selbſtſtändigkeit gegenüber der ſocial-
democratiſchen Parteileitung beanſpruchen können.
Sie ſind einfache Filialen der Partei, nichts als
eine andere Form für den politiſchen Kampf,
ſtatt unpolitiſche Organe für die Durchſetzung
[Spaltenumbruch] rein wirthſchaftlicher Forderungen zu ſein. Wenn
die Socialdemocraten behaupten, daß ſich Partei-
politik und Wirthſchaftskampf überhaupt nicht
trennen laſſe, und wenn ihnen das auch außer-
halb ihrer engeren Reihen ſo häufig geglaubt
wird, ſo erſcheint es doppelt nützlich, daß die
Engländer durch ihr Beiſpiel gezeigt haben, wie
weit die radical-politiſche Phraſe und die ſorg-
fältige gerechte, rührig vorwärtsſchreitende Thätig-
keit organiſirter Intereſſenverbände auseinander-
liegen.

Die engliſchen Gewerkſchaften ſind keine
Heimſtätte der Socialdemocratie, und ſehr an-
ſehnliche Erfolge laſſen ſich erreichen, ohne daß
die Vertreter der Arbeiterintereſſen ſogleich in die
radicalſte politiſche Anſchauungsweiſe verfallen.
Das ſind die bedeutſamen Lehren, die die Eng-
länder immer ſchon gegeben haben, die ſich aber
jetzt auf dem Congreß noch eindringlicher darge-
ſtellt haben. In keinem Lande der Welt haben
die Bergarbeiter ſo Vieles erreicht wie in Eng-
land. Nirgends beziehen ſie höhere Löhne, nir-
gends haben ſie kürzere Arbeitszeit, nirgends ver-
ſtehen ſie es ſo gut wie dort, auf Sicherheit des
Betriebes und ausreichende Entſchädigung für
Unfälle zu dringen. Dieß Alles alſo iſt möglich
ohne daß man Socialdemocrat zu ſein braucht,
um zum Ziele zu gelangen. Es erſcheint undenk-
bar, daß unſere ſocialdemocratiſchen Führer und
ihre Blätter den ſtarken Eindruck dieſes engliſchen
Vorbildes von den Arbeitern werden fernhalten
können. Das Bemühen, es zu thun, iſt ſo krampf-
haft, daß man merkt, wie Großes für die Social-
democratie dabei auf dem Spiele ſteht. Es iſt
[Spaltenumbruch] beiſpielsweiſe ganz unſocialdemocratiſch, zuzugeben,
wie es die Engländer gethan haben, daß die
Löhne eventuell auch herabgeſetzt werden müßten,
wenn die Arbeitgeber nachweiſen könnten, daß ſie
ſonſt mit Verluſt arbeiten würden. Es iſt noch
weniger parteimäßig, zu beſchließen, daß die un-
gelernten Arbeiter künftig von der Bergwerksein-
fahrt abzuhalten ſeien. Die Socialdemocratie will
ja gerade der ſogenannten induſtriellen Reform-
Armee den Zutritt zu ebenſo quten Arbeitsſtätten
eröffnen, wie die organiſirten und gelernten
Arbeiter ſie haben. Der practiſche Engländer mag
nicht für „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“
ſein, wenn er zunächſt für ſich ſorgt; aber er iſt
nun einmal ſo hartherzig, zwiſchen gelernten
Arbeitern und ungelernten, zwiſchen den Oraani-
firten und dem regelloſen Haufen zu unterſcheiden,
und er macht ſich nichts daraus, wenn man ihm
vorwirft, eine Zunftariſtocratie im Arbeiterſtande
großzuziehen.

Alles in Allem iſt der Congreß nach ſei-
nem Verlauf und ſeinen Beſchlüßen eine ſchwere
Niederlage für die ſocialdemocratiſchen Phraſeure,
ein Erfolg für die Vertreter poſitiver Arbeit.




Zur Einführung von Gewerbe-
gerichten.


Der Abgeordnete Dr. Baernreither, einer der
hervorragendſten Fachmänner in der Vereinigten
Deutſchen Linken hat als Zuſatzantrag zur Civil-
proceßordnung im Abgeordnetenhauſe einen An-




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.



Moderner Zauberſpuk.

(Schluß.)

Nehmen wir ein Beiſpiel. Aufgeklärt, iſt
es ſo thöricht, daß man ſich beinahe genirt, es
zu erzählen. Praktiſch gut vorgemacht, würde
es uns wahrſcheinlich betrügen. Die Geiſter
ſollen eine Schrift auf die Innenſeite einer ge-
ſchloſſenen Doppeltafel practiciren. Herr „Medium“
nimmt die Tafel und hält ſie, indem er ſie mit
einem Finger von unten ſtützt, halb unter den
Tiſch, — es iſt das ſo Uſus bei den Geiſtern.
Nach einer Weile (Abwarten iſt immer eine
Hauptſache in der Myſtik, man erwartet, wenn
die Sache recht brav geht, gelegentlich eine ge-
ſchlagene Stunde lang) kritzelt es leiſe in der
Tafel. Aber das nöthige Klopfen, das den Schluß
des Werkes andeuten ſoll, erfolgt nicht. Nach
einer Weile ſagt das Medium: „Ich glaube, es
glückt nicht.“ Er ſchlägt die Tafeln auseinander.
Enttäuſchte Geſichter: — es ſteht wirklich nichts
darauf. Probiren wir’s noch einmal. Wieder
das Kritzeln, diesmal ſehr laut. Und richtig,
da klopft’s auch ſchon. Raſch die Tafel auf: da
ſtehen, etwas ſchief, aber ganz deutlich, zwei
Worte. Unſinn natürlich, aber das macht nichts.
Das Wunderbare liegt ja darin, daß ſie über-
haupt in die Tafel hineingekommen ſind. Einfach
unbegreiflich! „Aber,“ ſagt ein Herr im Kreiſe,
[Spaltenumbruch] „mich ärgert doch das Heimlichthun halb unter
dem Tiſch. Ich wäre erſt völlig überzeugt, wenn
die Tafel etwa mitten auf dem Tiſch läge, weit
von unſerm Medium ab, — und wenn dann die
Geiſter etwas auf die untere, gegen die Tiſch-
platte gekehrte Seite ſchreiben.“ „Wird ſchwer
halten,“ ſagt das Medium drauf, „aber wir
wollen’s verſuchen, wir haben einen braven Geiſt.“
Die Tafel kommt auf den Tiſch, die Hände des
Mediums liegen zwei Fuß breit davon fromm
gekreuzt auf der Ecke. Große Kunſtpauſe, dann
ein Gekritzel, — wie es ſcheint, direct unter dem
Tiſch, wo die Tafel liegt. Klopfen, Enthüllung.
Auf der Unterſeite ſtehen abermals ein paar
Worte, der Anfang eines bekannten Operetten-
Couplets, der auf die Moral der Geiſter ein
ſeltſames Licht wirft. Höchſtes Staunen Aller,
das Medium triumphirt. Der ſkeptiſche Herr
wird geneigt, den Spiritismus fortan ernſt zu
nehmen. So weit der officielle Hergang. Die
Auflöſung iſt banal zum Umkommen! Als das
Medium die Tafel zum erſten Mal unter die
Tiſchplatte geſchoben hielt, hat es mit einem unter
den Nagel des Mittelfingers geklemmten Spitzchen
Griffel auf die Unterſeite der Tafel jene Worte
geſchrieben, die nachher inwendig ſtanden. Das
Schreiben in dieſer Form iſt eine Uebungsſache
und glückt leicht. Nachdem die Tafel das erſte
Mal geöffnet worden war und (natürlich) in-
wendig nichts gezeigt hatte, klappte das Medium
beim Wiederzumachen raſch und unbemerkt ſo
herum, daß die vo[r]hin beſchriebene, von Niemand
beachtete Unterſeite jetzt mit inwendig war.
Unter dem Tiſch ſchreibt es diesmal auf die jetzt
[Spaltenumbruch] leere, neue Unterſeite die drei Coupletworte. Das
Klopfen macht die große Zehe im Stiefel, —
es iſt das auch eine Uebungsſache ſehr billiger
Art. Die Tafel öffnet ſich und die erſte Schrift
wird jetzt innen bewundert. Nun kommt als
Hauptſtreich die Tafel mitten auf den Tiſch.
Die Inſchrift, die werden ſoll, ſteht aber bereits
auf der Unterſeite von eben her. Es iſt nichts
mehr nöthig, als mit dem Stiefel etwas gegen
die Tiſchplatte zu kratzen, um den Schein des
Schreibens zu erwecken, und zu klopfen.

Blödfinnig: nicht wahr? Und doch iſt in dem
nackten Exempel alles im Kern enthalten, was
der bewußte Schwindel als „Spiritismus“ bisher
geleiſtet hat. Vor allem: immer die nächſte
Sache vorbereiten, während ein erſtes Experiment
ſchein bar mißlingt, — das iſt das Haupt-
kunſtſtück. In der Sprache der Gläubigen heißt
es: die Geiſter ſind mißtrauiſch, ſie folgen nicht
gleich dem erſten Ruf, ſie wollen mit Höflichkeit
und Ausdauer erſt gewonnen werden. Aber das
iſt doch verzweifelt mißlich, wirft man ein, daß
die Geiſterpraxis gerade der Taſchenſpielerpraxis
ſo bequem in die Hände arbeitet. Ja, ſagt der
Spiritiſt mit Ernſt, es iſt eine ſchwere Sache
und deshalb gibt’s eben ſo viel Schwindler unter
den Medien; aber die Geiſter exiſtiren darum
doch nach wie vor; ſie ſind die Stückchen, die in
der Suppe ſchwimmen, man erhaſcht nicht immer
eins, aber zuweilen glückt’s doch dem Beharrlichen.

Lieber Gott, ich bin auch beharrlich geweſen.
Ich habe, mit gefalteten Händen oder auch in
die des Nachbars verſchränkt, Stunden um Stun-
den geſeſſen und wenn man Geiſter ſchwitzen


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[[1]/0001] Das „Mähriſche Tagblatt“ erſcheint mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage täglich. Ausgabe 2 Uhr Nachmittag im Adminiſtrationslocale Niederring Nr. 41 neu. Abonnement für Olmütz: Ganzjährig fl. 10.— Halbjährig „ 5.— Vierteljährig „ 2.50 Monatlich „ —.90 Zuſtellung ins Haus monat- lich 10 kr. Auswärts durch die Poſt: Ganzjährig fl. 14.— Halbjährig „ 7.— Vierteljährig „ 3.50 Einzelne Nummern 5 kr. Telephon Nr. 9. Mähriſches Tagblatt. Inſertionsgebühren nach aufliegendem Tarif Außerhalb Olmütz überneh- men Inſertions-Aufträge: Heinrich Schalek, Annon- cen-Exped. in Wien, I. Woll- zeile Nr. 11, Haasenstein & Vogler, in Wien, Buda- peſt, Berlin, Frankfurt a. M., Hamburg, Baſel und Leipzig. Alois Opellik, in Wien. Rud. Mosse, in Wien, München u. Berlin. M. Dukes, Wien, I. Schulerſtraße 8. G. L. Daube und Co., Frankfurt a. M. Karoly u. Liebmann’s Annon- cenbureau in Hamburg, ſowie ſämmtl. conc. Inſertionsbu- reaus des In- u. Auslandes. Manuſcripte werden nicht zurückgeſtellt. Telephon Nr. 9. Nr. 124. Olmütz, Freitag, den 1. Juni, 1894. 15. Jahrgang. Arbeit und Phraſe. Wien, 31. Mai. (Orig.-Corr.) Der Verlauf des Berliner „internationalen Arbeiter-Congreſſes“ war ein höchſt lehrreicher. Die Verhandlungen ſind nicht glatt, ſondern unter dem häßlichſten Gezänk verlaufen; nur nothdürftig wurde eine völlige Sprengung des Congreſſes verhindert. So gut wie Alles, was der Congreß beſchloſſen hat, widerſpricht den Anträgen der deutſchen und der mit ihnen verbündeten fran- zöſiſch belgiſchen Delegirten. Die Engländer, manch- mal unter ſich geſpalten, in der Hauptſache aber ſtets einig, haben dem Congreß den Stempel einer nüchtern-ſoliden Alltagsarbeit aufgedrückt die Phraſen der reinen Socialdemocratie links liegen laſſen und wenigſtens eine Reihe von Be- ſchlüſſen herbeigeführt, mit denen man ſich vom bürgerlichen Standpuncte aus abſinden kann, wenn die Umſtände die practiſche Durchführung dieſer Beſchlüſſe rechtfertigen oder geſtatten ſollten. Was aber das Weſentlichſte iſt und bleibt: den deutſchen Sacialdemocraten iſt es in keiner Weiſe gelungen, den Congreß zu einer ausgeſprochenen ſocialdemocratiſchen Veranſtaltung zu verfälſchen, und nicht einmal im Sinne der deutſchen Ge- werkſchaftsbewegung läßt ſich der Congreß ver- werthen. Stärker noch als vorher hat ſich heraus- geſtellt, daß die deutſchen Gewerkſchaften keine Spur von Selbſtſtändigkeit gegenüber der ſocial- democratiſchen Parteileitung beanſpruchen können. Sie ſind einfache Filialen der Partei, nichts als eine andere Form für den politiſchen Kampf, ſtatt unpolitiſche Organe für die Durchſetzung rein wirthſchaftlicher Forderungen zu ſein. Wenn die Socialdemocraten behaupten, daß ſich Partei- politik und Wirthſchaftskampf überhaupt nicht trennen laſſe, und wenn ihnen das auch außer- halb ihrer engeren Reihen ſo häufig geglaubt wird, ſo erſcheint es doppelt nützlich, daß die Engländer durch ihr Beiſpiel gezeigt haben, wie weit die radical-politiſche Phraſe und die ſorg- fältige gerechte, rührig vorwärtsſchreitende Thätig- keit organiſirter Intereſſenverbände auseinander- liegen. Die engliſchen Gewerkſchaften ſind keine Heimſtätte der Socialdemocratie, und ſehr an- ſehnliche Erfolge laſſen ſich erreichen, ohne daß die Vertreter der Arbeiterintereſſen ſogleich in die radicalſte politiſche Anſchauungsweiſe verfallen. Das ſind die bedeutſamen Lehren, die die Eng- länder immer ſchon gegeben haben, die ſich aber jetzt auf dem Congreß noch eindringlicher darge- ſtellt haben. In keinem Lande der Welt haben die Bergarbeiter ſo Vieles erreicht wie in Eng- land. Nirgends beziehen ſie höhere Löhne, nir- gends haben ſie kürzere Arbeitszeit, nirgends ver- ſtehen ſie es ſo gut wie dort, auf Sicherheit des Betriebes und ausreichende Entſchädigung für Unfälle zu dringen. Dieß Alles alſo iſt möglich ohne daß man Socialdemocrat zu ſein braucht, um zum Ziele zu gelangen. Es erſcheint undenk- bar, daß unſere ſocialdemocratiſchen Führer und ihre Blätter den ſtarken Eindruck dieſes engliſchen Vorbildes von den Arbeitern werden fernhalten können. Das Bemühen, es zu thun, iſt ſo krampf- haft, daß man merkt, wie Großes für die Social- democratie dabei auf dem Spiele ſteht. Es iſt beiſpielsweiſe ganz unſocialdemocratiſch, zuzugeben, wie es die Engländer gethan haben, daß die Löhne eventuell auch herabgeſetzt werden müßten, wenn die Arbeitgeber nachweiſen könnten, daß ſie ſonſt mit Verluſt arbeiten würden. Es iſt noch weniger parteimäßig, zu beſchließen, daß die un- gelernten Arbeiter künftig von der Bergwerksein- fahrt abzuhalten ſeien. Die Socialdemocratie will ja gerade der ſogenannten induſtriellen Reform- Armee den Zutritt zu ebenſo quten Arbeitsſtätten eröffnen, wie die organiſirten und gelernten Arbeiter ſie haben. Der practiſche Engländer mag nicht für „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ ſein, wenn er zunächſt für ſich ſorgt; aber er iſt nun einmal ſo hartherzig, zwiſchen gelernten Arbeitern und ungelernten, zwiſchen den Oraani- firten und dem regelloſen Haufen zu unterſcheiden, und er macht ſich nichts daraus, wenn man ihm vorwirft, eine Zunftariſtocratie im Arbeiterſtande großzuziehen. Alles in Allem iſt der Congreß nach ſei- nem Verlauf und ſeinen Beſchlüßen eine ſchwere Niederlage für die ſocialdemocratiſchen Phraſeure, ein Erfolg für die Vertreter poſitiver Arbeit. Zur Einführung von Gewerbe- gerichten. Olmütz, 1. Juni. Der Abgeordnete Dr. Baernreither, einer der hervorragendſten Fachmänner in der Vereinigten Deutſchen Linken hat als Zuſatzantrag zur Civil- proceßordnung im Abgeordnetenhauſe einen An- Feuilleton. Moderner Zauberſpuk. Von Wilhelm Bölſche. (Schluß.) Nehmen wir ein Beiſpiel. Aufgeklärt, iſt es ſo thöricht, daß man ſich beinahe genirt, es zu erzählen. Praktiſch gut vorgemacht, würde es uns wahrſcheinlich betrügen. Die Geiſter ſollen eine Schrift auf die Innenſeite einer ge- ſchloſſenen Doppeltafel practiciren. Herr „Medium“ nimmt die Tafel und hält ſie, indem er ſie mit einem Finger von unten ſtützt, halb unter den Tiſch, — es iſt das ſo Uſus bei den Geiſtern. Nach einer Weile (Abwarten iſt immer eine Hauptſache in der Myſtik, man erwartet, wenn die Sache recht brav geht, gelegentlich eine ge- ſchlagene Stunde lang) kritzelt es leiſe in der Tafel. Aber das nöthige Klopfen, das den Schluß des Werkes andeuten ſoll, erfolgt nicht. Nach einer Weile ſagt das Medium: „Ich glaube, es glückt nicht.“ Er ſchlägt die Tafeln auseinander. Enttäuſchte Geſichter: — es ſteht wirklich nichts darauf. Probiren wir’s noch einmal. Wieder das Kritzeln, diesmal ſehr laut. Und richtig, da klopft’s auch ſchon. Raſch die Tafel auf: da ſtehen, etwas ſchief, aber ganz deutlich, zwei Worte. Unſinn natürlich, aber das macht nichts. Das Wunderbare liegt ja darin, daß ſie über- haupt in die Tafel hineingekommen ſind. Einfach unbegreiflich! „Aber,“ ſagt ein Herr im Kreiſe, „mich ärgert doch das Heimlichthun halb unter dem Tiſch. Ich wäre erſt völlig überzeugt, wenn die Tafel etwa mitten auf dem Tiſch läge, weit von unſerm Medium ab, — und wenn dann die Geiſter etwas auf die untere, gegen die Tiſch- platte gekehrte Seite ſchreiben.“ „Wird ſchwer halten,“ ſagt das Medium drauf, „aber wir wollen’s verſuchen, wir haben einen braven Geiſt.“ Die Tafel kommt auf den Tiſch, die Hände des Mediums liegen zwei Fuß breit davon fromm gekreuzt auf der Ecke. Große Kunſtpauſe, dann ein Gekritzel, — wie es ſcheint, direct unter dem Tiſch, wo die Tafel liegt. Klopfen, Enthüllung. Auf der Unterſeite ſtehen abermals ein paar Worte, der Anfang eines bekannten Operetten- Couplets, der auf die Moral der Geiſter ein ſeltſames Licht wirft. Höchſtes Staunen Aller, das Medium triumphirt. Der ſkeptiſche Herr wird geneigt, den Spiritismus fortan ernſt zu nehmen. So weit der officielle Hergang. Die Auflöſung iſt banal zum Umkommen! Als das Medium die Tafel zum erſten Mal unter die Tiſchplatte geſchoben hielt, hat es mit einem unter den Nagel des Mittelfingers geklemmten Spitzchen Griffel auf die Unterſeite der Tafel jene Worte geſchrieben, die nachher inwendig ſtanden. Das Schreiben in dieſer Form iſt eine Uebungsſache und glückt leicht. Nachdem die Tafel das erſte Mal geöffnet worden war und (natürlich) in- wendig nichts gezeigt hatte, klappte das Medium beim Wiederzumachen raſch und unbemerkt ſo herum, daß die vorhin beſchriebene, von Niemand beachtete Unterſeite jetzt mit inwendig war. Unter dem Tiſch ſchreibt es diesmal auf die jetzt leere, neue Unterſeite die drei Coupletworte. Das Klopfen macht die große Zehe im Stiefel, — es iſt das auch eine Uebungsſache ſehr billiger Art. Die Tafel öffnet ſich und die erſte Schrift wird jetzt innen bewundert. Nun kommt als Hauptſtreich die Tafel mitten auf den Tiſch. Die Inſchrift, die werden ſoll, ſteht aber bereits auf der Unterſeite von eben her. Es iſt nichts mehr nöthig, als mit dem Stiefel etwas gegen die Tiſchplatte zu kratzen, um den Schein des Schreibens zu erwecken, und zu klopfen. Blödfinnig: nicht wahr? Und doch iſt in dem nackten Exempel alles im Kern enthalten, was der bewußte Schwindel als „Spiritismus“ bisher geleiſtet hat. Vor allem: immer die nächſte Sache vorbereiten, während ein erſtes Experiment ſchein bar mißlingt, — das iſt das Haupt- kunſtſtück. In der Sprache der Gläubigen heißt es: die Geiſter ſind mißtrauiſch, ſie folgen nicht gleich dem erſten Ruf, ſie wollen mit Höflichkeit und Ausdauer erſt gewonnen werden. Aber das iſt doch verzweifelt mißlich, wirft man ein, daß die Geiſterpraxis gerade der Taſchenſpielerpraxis ſo bequem in die Hände arbeitet. Ja, ſagt der Spiritiſt mit Ernſt, es iſt eine ſchwere Sache und deshalb gibt’s eben ſo viel Schwindler unter den Medien; aber die Geiſter exiſtiren darum doch nach wie vor; ſie ſind die Stückchen, die in der Suppe ſchwimmen, man erhaſcht nicht immer eins, aber zuweilen glückt’s doch dem Beharrlichen. Lieber Gott, ich bin auch beharrlich geweſen. Ich habe, mit gefalteten Händen oder auch in die des Nachbars verſchränkt, Stunden um Stun- den geſeſſen und wenn man Geiſter ſchwitzen

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Zitationshilfe: Mährisches Tagblatt. Nr. 124, Olmütz, 01.06.1894, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_maehrisches124_1894/1>, abgerufen am 29.03.2024.