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Mährisches Tagblatt. Nr. 122, Olmütz, 28.05.1895.

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[Spaltenumbruch]

Betracht kommen, fast ausschließlich auf der Ein-
kommensteuer als der directen Abgabe aller Be-
völkerungsschichten. Ergänzend ist vor Kurzem die
Vermögenssteuer hinzugetreten, welche vom fun-
dirten Einkommen geleistet wird, während Grund-
steuer, Gebäudesteuer und Erwerbsteuer den Com-
munalverwaltungen zufließen, so daß das viel-
beklagte System der Zuschläge und Umlagen auf-
gegeben werden konnte.

Auch die Steuerreform in Oesterreich ist auf
dieses Ziel gerichtet. Für die große Masse der
Bevölkerung hätte hauptsächlich die Frage In-
teresse: Welche Steuer wird jetzt gezahlt; welche
wird künftig gezahlt werden müssen? Eine ziffer-
mäßig genaue Beantwortung dieser Frage ist
heute Niemandem möglich, es sei denn, daß man
sich mit dem im Gesetz verwirklichten Grundsatz
zufrieden geben wollte, daß im Verhältniß zur
jetzigen Steuerleistung die Reichsten und Reichen
mehr, die Bemittelten gleichviel, die Minderbe-
mittelten weit weniger und die wirklich Unbe-
mittelten gar nichts zahlen werden.

Mit der Erledigung der Steuerreform wäre
dem Parlamente heute eine That gelungen, welche
schon seit 30 Jahren vergeblich angestrebt wird.
So lange ist es her, daß der "alte Plener" mit
dem Gesetzentwurfe einer Personaleinkommensteuer
hervorgetreten ist. An seinem 85. Geburtstage
erlebt er die Genugthuung, daß seine Ideen durch
das Gesetz verwirklicht werden, und daß sein Sohn
es ist, der die Action entscheidend beeinflußt, die
sicherlich zum Wohle des Vaterlandes gereichen wird.




Eine Antisemiten-Debatte in der
französischen Kammer.


In der französischen Kammer interpellirten
am letzten Samstag die zwei antisemitischen Mit-
glieder der Kammer, Denis und Vicomte
Hugues, über das angebliche Vorherrschen des
jüdischen Elements in der französischen Beamten-
schaft, und die Deputirten, sowie die Parlaments-
berichterstatter erachteten es offenbar für amusanter,
draußen in den Wandelgängen zu promeniren,
als drin im überheißen Saale den Ausführungen
des antisemitischen Paares zuzuhören. Bekanntlich
wurde vor mehreren Monaten der höhere Staats-
beamte Levaillant seines Postens enthoben,
weil aus dem Cridaprocesse der Juweliere Brüder
Schwob hervorging daß er denselben in seiner
früheren Eigenschaft als Director der Staats-
polizei zugesichert hatte, sich für sie bei Gerichts-
personen zu verwenden. Levaillant ist Jude und
dieser Umstand war die Veranlassung der samstägigen
Interpellation.

Denis fragte, ob auch bezüglich der Ge-
[Spaltenumbruch] richtspersonen, auf welche Levaillant anspielte, die
Untersuchung gepflogen werde.

Ministerpräsident Ribot: Natürlich.

Denis läßt nun die üblichen antisemiti-
schen Gehässigkeiten gegen die Juden los.

Präsident Brisson: Ich fordere Sie auf,
nicht eine ganz[e] Kategorie von Mitbürgern an-
zugreifen.

Denis fuhr fort, die Juden seien Frankreich
durch ihren Kosmopolismus gefährlich; man möge
sie Geschäfte machen, aber keine Aemter bekleiden
lassen. Die öffentlichen Aemter und die Ministe-
rien seien voll Juden. Im Staatsrathe gebe
es 9, im Cassationshofe 10, im Unterrichtsmini-
sterium 35 Juden, überdies zähle man 18 bis
20 jüdische Präfecten und Unterpräfecten.

Ministerpräsident Ribot: Ich möchte Ihr
statistisches Bureau kennen lernen. (Heiterkeit.)

Trotz der Theilnahmslosigkeit, welcher Denis
begegnet, nimmt sein Partner, Vicomte Hugues,
dasselbe Thema auf. Hugues findet, daß es auch
in der Armee zu viel Juden gebe und das jüdische
Element nicht bloß in öffentlichen Aemtern, son-
dern in allen Verwaltungskörpern vorherrsche.
Der stärkste Actionär des Credit foncier sei
Baron Hirsch. Daß auch der Name Rothschild
bei solchem Anlasse erwähnt wurde, ist selbst-
verständlich.

Das Interesse für die Debatte belebte sich,
als der Socialist Rouanet die Trübüne be-
stieg und den Standpunct der Socialisten in der
Antisemitenfrage darlegte. Rouanet erklärte unter
lebhaftem Beifalle der Kammer, daß von den
Antisemiten die edelsten Principien der großen
Revolution, welche die Menschenrechte und Bür-
gerrechte ohne Unterschied der Race und der
Religion proclamirte, mit Füßen getreten wer-
den. (Rufe: Sehr richtig!) Die Juden haben die
gegenwärtigen gesellschaftlichen Zustände nicht ge-
schaffen. Agiotage und Wucher bestand schon bei
den alten Römern, zu Zeiten der römischen
Republik. Die Formen der angeblichen jüdischen
Agiotage gleichen vollkommen jenen der christ-
lichen Agiotage. Redner weist hierauf auf jenen
katholischen Financier (Bontoux) hin, der sich
französischen Geldes bedient habe, um durch
Gründungen in Oesterreich den österreichisch-
deutschen Einfluß gegen, den französisch-russischen
Einfluß zu begünstigen. Er sagt dann weiter:
Waren die Betrügereien der Panamageschäfte
etwa eine jüdische Angelegenheit? Es gibt aller-
dings jüdische Capitalisten, aber es gibt auch
christliche Capitalisten, und von den Socialisten
kann zwischen jüdischem und christlichem Capital
kein Unterschied gemacht werden. Gegen Wucher
und unlautere Börsenmanöver gibt es gesetzliche
Bestimmungen, die Regierung will jedoch nichts
dagegen unternehmen.


[Spaltenumbruch]

Justizminister Trarieux: Citiren Sie
einen Fall.

Rouanet nennt die franco-englische Gold-
minengesellschaft,
deren Actien nur mit
Umgehung des Gesetzes auf den Markt gelangen
konnten.

Justizminister: Wir studiren eben die
Frage, da uns das bisherige Gesetz dagegen kein
Mittel an die Hand gibt.

Rouanet schloß seine Ausführungen mit
der Erklärung: Nicht die Juden, sondern die ca-
pitalistische Organisation sei für die socialen Miß-
stände verantwortlich zu machen. (Siehe Telegr.)




Reichsrath.
Sitzung des Abgeordnetenhauses vom
27. Mai.


In der heutigen Sitzung des Abgeordneten-
hauses beantwortete der Ministerpräsident Fürst
Windischgrätz die von den Abg. Exner
und Genossen in der Affaire Deckert ein-
gebrachte Interpellation. (Wir haben diese Ant-
wort bereits gestern mitgetheilt. Die Red.)

Es wird hierauf zur Tagesordnung, d. i.
Fortsetzung der Specialberathung über die
Steuerreform (Personaleinkommen- und Besol-
dungssteuer) übergegangen. In Verhandlung
stehen die §§ 233--237 (besondere Bestimmungen
über Dienstbezüge.)

Abg. Formanek beantragt nach längerer
Motivirung die Weglassung der §§ 234--237
und beantragt weiters, falls dies abgelehnt wird,
eine geänderte Fassung des § 234.

Abg. Dr. Kronawetter wendet sich
gegen die Besoldungssteuer, mit welcher eine
doppelte Besteuerung in das Gesetz aufgenommen
werden würde. Er spricht sein Bedauern ange-
sichts des langsamen Tempos der Behandlung
der Wahlreform aus und wünscht, daß die
Steuerreform so rasch als möglich erledigt wer-
den sollte.

Finanzminister Dr. v. Plener ergreift das
Wort. Der Minister bemerkt gegenüber Dr. Krona-
wetter, der Umstand, daß das Subcomite der
Steuercommission des Herrenhauses gegenwärtig
sich mit der Steuerreform beschäftigt, sei weder
gegen die Geschäftsordnung des Herrenhauses,
noch gesetzwidrig und entspreche einer langjährigen
Uebung des Hauses bei großen Gesetzvorlagen.
Selbstverständlich könne der definitive Abschluß
der Commissionsberathungen und demnach die
Verhandlung im Plenum des Herrenhauses erst
dann beginnen, wenn das Gesetz im Abgeord-




[Spaltenumbruch]

ciata-Orden verleiht diesen Titel) so kümmerlich
ergehen, daß er 1852 die ihn kaum ernährende
Journalistik aufzugeben beschloß, und sich -- ver-
geblich! -- um ein kleines Communalamt be-
warb. Ja, man warf den unruhigen, conspiriren-
den Menschen sogar als politisch verdächtig in's
Gefängniß und endlich wies man ihn aus. Er
ging -- aber nicht allein. Sein liebebedürftiges
Herz hatte sich in dieser trüben Zeit an eine
kleine blühende Wäscherin, Rosalie Montmasson
geschlossen, die ihn auf seiner weiteren Irrfahrt
begleitete. In Malta legte ein reisender Jesuit
die Hände Beider in einander, und Rosalie Mont-
masson galt von nun an als Crispi's Frau.
Sie folgte ihm, als er auch diese Insel verlassen
mußte, zuerst nach London, dann nach Paris
und wieder nach London. Der Polizei-Präfect
von Paris hatte dem "Verschwörer", der sich
mühsam genug als Journalist und Sprachlehrer
durchbrachte, einen nicht mißzuverstehenden Wink
gegeben.

Ein "Verschwörer" war er, denn wo er
war, unablässig und nachdrücklich arbeitete
er an dem Sturz der Bourbonenherrschaft
in Sicilien. Ja, derselbe Mann, der im
vorigen Jahre als leitender Minister durch
das Gewicht seiner Persönlichkeit scharfe Aus-
nahmegesetze gegen die Bomben schleudernden
Anarchisten durchzudrücken verstand, versuchte sich
damals selbst in der Fabrikation solcher Mord-
instrumente!

An seinem 40. Geburtstag sollte der ent-
scheidende Schlag geführt werden: aber es wurde
wieder ein verunglückter Putsch daraus. Flüchtend
[Spaltenumbruch] wandte er sich abermals nach Piemont, von wo
aus er Fühlung mit den leitenden Männern der
nationalen Erhebung suchte und zum Theil auch
fand. Zum Theil nur: ein Mann wie Graf
Camillo Cavour, nahm den revolutionären Feuer-
kampf nichts weniger als freundlich auf und
nannte ihn spöttisch den "großen Mann". Ein
Jahr später -- 1860 -- sehen wir Crispi das
rothe Hemd des Garibaldianers anziehen; ja, er
war es, der den unlustigen schwankenden "Gene-
ral" solange -- zuletzt durch eigenhändig herge-
stellte Depeschen aus Palermo -- bearbeitete, bis
er den berühmt gewordenen Zug der Tausend
nach Sicilien unternahm.*) Endlich ein Glücks-
strahl nach fast zwanzigjährigem Ringen!

Bald war Crispi die rechte Hand Garibal-
dis, und nur der Rücksicht, die auf diesen volks-
thümlichen Einigungskämpfer zu nehmen war,
hatte dessen Adlatus es zu verdanken, daß die
Regierungsmänner ihn nicht gewaltsam bei Seite
schoben. In Cavours Augen wurde er immer
mehr zur bete noire. Aber nun ließ er sich
nicht mehr niederdrücken. Anfang der sechziger
Jahre zum Deputirten gewählt, nahm er seinen
Platz auf der äußersten Linken. Die Rechte haßte
ihn, wie kaum je einen andern ihrer politischen
Gegner, und seinen radicalen Genossen flößte er
bald Mißtrauen ein. Sie, die geschworenen Re-
publikaner mußten 1864 mit Entsetzen aus Crispis
Munde das berühmt gewordene Wort hören:
La Monarchia ci unisce; la Republica ci
[Spaltenumbruch] divide!
Ein völliger Bruch mit Mazzini und ein
Hindrängen Crispis zu den Bänken der ge-
mäßigteren Linken waren die Folgen dieses mo-
narchistischen Glaubensbekenntnisses. Die Noth-
wendigkeit eines starken Staates war so sehr
Ueberzeugung in Crispi, daß er im Jahre 1866
selbst mehreren die persönliche Freiheit beschrän-
kenden Gesetzen seine Zustimmung gab. In das-
selbe Jahr fällt die Gründung einer eigenen
Zeitung. der "Riforma", die noch heute Crispis
Sprachrohr ist, ihrem Gründer aber keineswegs
einen pekuniären Vortheil gebracht hat.

Ebenso wie das Joch Mazzinis 1864, brach
er 1867 das des Alten von Caprera. Crispi
war -- mit Rücksicht auf die Haltung Frank-
reichs -- ein entschiedener Gegner des von
Garibaldi geplanten Zuges nach Rom: der
Tag von Mentana sollte seinen Vorhersagungen
nur zu sehr recht geben.

Inzwischen war seine Verbindung mit Rosalie
Montmasson für eine ungesetzliche Scheinehe er-
klärt und getrennt worden. Als er dann später
in dritter Ehe seiner "Lina", die ihm noch heute
treu zur Seite steht, die Hände reichte, da such-
ten die politischen Gegner den bitter gehaßten
Mann dadurch unschädlich zu machen, daß sie ihn
der Bigamie beschuldigten. Zwar mißlang der
Streich, denn die gerichtliche Verhandlung eudete
mit Freisprechung, aber der Vorgang zog doch
seine Kreise und erschwerte Crispi später das
Hochkommen.

In den Jahren 1869--71 war das politi-
sche Ansehen Crispis bereits gestiegen. Es heißt,
daß er damals, als Kammerpräsident, bereits im


*) Gegenwärtig soll Crispi neben seinen Re-
gierungsgeschäften noch Zeit finden, die Geschichte dieser
Expedition zu schreiben.
[Spaltenumbruch]

Betracht kommen, faſt ausſchließlich auf der Ein-
kommenſteuer als der directen Abgabe aller Be-
völkerungsſchichten. Ergänzend iſt vor Kurzem die
Vermögensſteuer hinzugetreten, welche vom fun-
dirten Einkommen geleiſtet wird, während Grund-
ſteuer, Gebäudeſteuer und Erwerbſteuer den Com-
munalverwaltungen zufließen, ſo daß das viel-
beklagte Syſtem der Zuſchläge und Umlagen auf-
gegeben werden konnte.

Auch die Steuerreform in Oeſterreich iſt auf
dieſes Ziel gerichtet. Für die große Maſſe der
Bevölkerung hätte hauptſächlich die Frage In-
tereſſe: Welche Steuer wird jetzt gezahlt; welche
wird künftig gezahlt werden müſſen? Eine ziffer-
mäßig genaue Beantwortung dieſer Frage iſt
heute Niemandem möglich, es ſei denn, daß man
ſich mit dem im Geſetz verwirklichten Grundſatz
zufrieden geben wollte, daß im Verhältniß zur
jetzigen Steuerleiſtung die Reichſten und Reichen
mehr, die Bemittelten gleichviel, die Minderbe-
mittelten weit weniger und die wirklich Unbe-
mittelten gar nichts zahlen werden.

Mit der Erledigung der Steuerreform wäre
dem Parlamente heute eine That gelungen, welche
ſchon ſeit 30 Jahren vergeblich angeſtrebt wird.
So lange iſt es her, daß der „alte Plener“ mit
dem Geſetzentwurfe einer Perſonaleinkommenſteuer
hervorgetreten iſt. An ſeinem 85. Geburtstage
erlebt er die Genugthuung, daß ſeine Ideen durch
das Geſetz verwirklicht werden, und daß ſein Sohn
es iſt, der die Action entſcheidend beeinflußt, die
ſicherlich zum Wohle des Vaterlandes gereichen wird.




Eine Antiſemiten-Debatte in der
franzöſiſchen Kammer.


In der franzöſiſchen Kammer interpellirten
am letzten Samſtag die zwei antiſemitiſchen Mit-
glieder der Kammer, Denis und Vicomte
Hugues, über das angebliche Vorherrſchen des
jüdiſchen Elements in der franzöſiſchen Beamten-
ſchaft, und die Deputirten, ſowie die Parlaments-
berichterſtatter erachteten es offenbar für amuſanter,
draußen in den Wandelgängen zu promeniren,
als drin im überheißen Saale den Ausführungen
des antiſemitiſchen Paares zuzuhören. Bekanntlich
wurde vor mehreren Monaten der höhere Staats-
beamte Levaillant ſeines Poſtens enthoben,
weil aus dem Cridaproceſſe der Juweliere Brüder
Schwob hervorging daß er denſelben in ſeiner
früheren Eigenſchaft als Director der Staats-
polizei zugeſichert hatte, ſich für ſie bei Gerichts-
perſonen zu verwenden. Levaillant iſt Jude und
dieſer Umſtand war die Veranlaſſung der ſamſtägigen
Interpellation.

Denis fragte, ob auch bezüglich der Ge-
[Spaltenumbruch] richtsperſonen, auf welche Levaillant anſpielte, die
Unterſuchung gepflogen werde.

Miniſterpräſident Ribot: Natürlich.

Denis läßt nun die üblichen antiſemiti-
ſchen Gehäſſigkeiten gegen die Juden los.

Präſident Briſſon: Ich fordere Sie auf,
nicht eine ganz[e] Kategorie von Mitbürgern an-
zugreifen.

Denis fuhr fort, die Juden ſeien Frankreich
durch ihren Kosmopolismus gefährlich; man möge
ſie Geſchäfte machen, aber keine Aemter bekleiden
laſſen. Die öffentlichen Aemter und die Miniſte-
rien ſeien voll Juden. Im Staatsrathe gebe
es 9, im Caſſationshofe 10, im Unterrichtsmini-
ſterium 35 Juden, überdies zähle man 18 bis
20 jüdiſche Präfecten und Unterpräfecten.

Miniſterpräſident Ribot: Ich möchte Ihr
ſtatiſtiſches Bureau kennen lernen. (Heiterkeit.)

Trotz der Theilnahmsloſigkeit, welcher Denis
begegnet, nimmt ſein Partner, Vicomte Hugues,
dasſelbe Thema auf. Hugues findet, daß es auch
in der Armee zu viel Juden gebe und das jüdiſche
Element nicht bloß in öffentlichen Aemtern, ſon-
dern in allen Verwaltungskörpern vorherrſche.
Der ſtärkſte Actionär des Crédit foncier ſei
Baron Hirſch. Daß auch der Name Rothſchild
bei ſolchem Anlaſſe erwähnt wurde, iſt ſelbſt-
verſtändlich.

Das Intereſſe für die Debatte belebte ſich,
als der Socialiſt Rouanet die Trübüne be-
ſtieg und den Standpunct der Socialiſten in der
Antiſemitenfrage darlegte. Rouanet erklärte unter
lebhaftem Beifalle der Kammer, daß von den
Antiſemiten die edelſten Principien der großen
Revolution, welche die Menſchenrechte und Bür-
gerrechte ohne Unterſchied der Race und der
Religion proclamirte, mit Füßen getreten wer-
den. (Rufe: Sehr richtig!) Die Juden haben die
gegenwärtigen geſellſchaftlichen Zuſtände nicht ge-
ſchaffen. Agiotage und Wucher beſtand ſchon bei
den alten Römern, zu Zeiten der römiſchen
Republik. Die Formen der angeblichen jüdiſchen
Agiotage gleichen vollkommen jenen der chriſt-
lichen Agiotage. Redner weiſt hierauf auf jenen
katholiſchen Financier (Bontoux) hin, der ſich
franzöſiſchen Geldes bedient habe, um durch
Gründungen in Oeſterreich den öſterreichiſch-
deutſchen Einfluß gegen, den franzöſiſch-ruſſiſchen
Einfluß zu begünſtigen. Er ſagt dann weiter:
Waren die Betrügereien der Panamageſchäfte
etwa eine jüdiſche Angelegenheit? Es gibt aller-
dings jüdiſche Capitaliſten, aber es gibt auch
chriſtliche Capitaliſten, und von den Socialiſten
kann zwiſchen jüdiſchem und chriſtlichem Capital
kein Unterſchied gemacht werden. Gegen Wucher
und unlautere Börſenmanöver gibt es geſetzliche
Beſtimmungen, die Regierung will jedoch nichts
dagegen unternehmen.


[Spaltenumbruch]

Juſtizminiſter Trarieux: Citiren Sie
einen Fall.

Rouanet nennt die franco-engliſche Gold-
minengeſellſchaft,
deren Actien nur mit
Umgehung des Geſetzes auf den Markt gelangen
konnten.

Juſtizminiſter: Wir ſtudiren eben die
Frage, da uns das bisherige Geſetz dagegen kein
Mittel an die Hand gibt.

Rouanet ſchloß ſeine Ausführungen mit
der Erklärung: Nicht die Juden, ſondern die ca-
pitaliſtiſche Organiſation ſei für die ſocialen Miß-
ſtände verantwortlich zu machen. (Siehe Telegr.)




Reichsrath.
Sitzung des Abgeordnetenhauſes vom
27. Mai.


In der heutigen Sitzung des Abgeordneten-
hauſes beantwortete der Miniſterpräſident Fürſt
Windiſchgrätz die von den Abg. Exner
und Genoſſen in der Affaire Deckert ein-
gebrachte Interpellation. (Wir haben dieſe Ant-
wort bereits geſtern mitgetheilt. Die Red.)

Es wird hierauf zur Tagesordnung, d. i.
Fortſetzung der Specialberathung über die
Steuerreform (Perſonaleinkommen- und Beſol-
dungsſteuer) übergegangen. In Verhandlung
ſtehen die §§ 233—237 (beſondere Beſtimmungen
über Dienſtbezüge.)

Abg. Formanek beantragt nach längerer
Motivirung die Weglaſſung der §§ 234—237
und beantragt weiters, falls dies abgelehnt wird,
eine geänderte Faſſung des § 234.

Abg. Dr. Kronawetter wendet ſich
gegen die Beſoldungsſteuer, mit welcher eine
doppelte Beſteuerung in das Geſetz aufgenommen
werden würde. Er ſpricht ſein Bedauern ange-
ſichts des langſamen Tempos der Behandlung
der Wahlreform aus und wünſcht, daß die
Steuerreform ſo raſch als möglich erledigt wer-
den ſollte.

Finanzminiſter Dr. v. Plener ergreift das
Wort. Der Miniſter bemerkt gegenüber Dr. Krona-
wetter, der Umſtand, daß das Subcomité der
Steuercommiſſion des Herrenhauſes gegenwärtig
ſich mit der Steuerreform beſchäftigt, ſei weder
gegen die Geſchäftsordnung des Herrenhauſes,
noch geſetzwidrig und entſpreche einer langjährigen
Uebung des Hauſes bei großen Geſetzvorlagen.
Selbſtverſtändlich könne der definitive Abſchluß
der Commiſſionsberathungen und demnach die
Verhandlung im Plenum des Herrenhauſes erſt
dann beginnen, wenn das Geſetz im Abgeord-




[Spaltenumbruch]

ciata-Orden verleiht dieſen Titel) ſo kümmerlich
ergehen, daß er 1852 die ihn kaum ernährende
Journaliſtik aufzugeben beſchloß, und ſich — ver-
geblich! — um ein kleines Communalamt be-
warb. Ja, man warf den unruhigen, conſpiriren-
den Menſchen ſogar als politiſch verdächtig in’s
Gefängniß und endlich wies man ihn aus. Er
ging — aber nicht allein. Sein liebebedürftiges
Herz hatte ſich in dieſer trüben Zeit an eine
kleine blühende Wäſcherin, Roſalie Montmaſſon
geſchloſſen, die ihn auf ſeiner weiteren Irrfahrt
begleitete. In Malta legte ein reiſender Jeſuit
die Hände Beider in einander, und Roſalie Mont-
maſſon galt von nun an als Crispi’s Frau.
Sie folgte ihm, als er auch dieſe Inſel verlaſſen
mußte, zuerſt nach London, dann nach Paris
und wieder nach London. Der Polizei-Präfect
von Paris hatte dem „Verſchwörer“, der ſich
mühſam genug als Journaliſt und Sprachlehrer
durchbrachte, einen nicht mißzuverſtehenden Wink
gegeben.

Ein „Verſchwörer“ war er, denn wo er
war, unabläſſig und nachdrücklich arbeitete
er an dem Sturz der Bourbonenherrſchaft
in Sicilien. Ja, derſelbe Mann, der im
vorigen Jahre als leitender Miniſter durch
das Gewicht ſeiner Perſönlichkeit ſcharfe Aus-
nahmegeſetze gegen die Bomben ſchleudernden
Anarchiſten durchzudrücken verſtand, verſuchte ſich
damals ſelbſt in der Fabrikation ſolcher Mord-
inſtrumente!

An ſeinem 40. Geburtstag ſollte der ent-
ſcheidende Schlag geführt werden: aber es wurde
wieder ein verunglückter Putſch daraus. Flüchtend
[Spaltenumbruch] wandte er ſich abermals nach Piemont, von wo
aus er Fühlung mit den leitenden Männern der
nationalen Erhebung ſuchte und zum Theil auch
fand. Zum Theil nur: ein Mann wie Graf
Camillo Cavour, nahm den revolutionären Feuer-
kampf nichts weniger als freundlich auf und
nannte ihn ſpöttiſch den „großen Mann“. Ein
Jahr ſpäter — 1860 — ſehen wir Crispi das
rothe Hemd des Garibaldianers anziehen; ja, er
war es, der den unluſtigen ſchwankenden „Gene-
ral“ ſolange — zuletzt durch eigenhändig herge-
ſtellte Depeſchen aus Palermo — bearbeitete, bis
er den berühmt gewordenen Zug der Tauſend
nach Sicilien unternahm.*) Endlich ein Glücks-
ſtrahl nach faſt zwanzigjährigem Ringen!

Bald war Crispi die rechte Hand Garibal-
dis, und nur der Rückſicht, die auf dieſen volks-
thümlichen Einigungskämpfer zu nehmen war,
hatte deſſen Adlatus es zu verdanken, daß die
Regierungsmänner ihn nicht gewaltſam bei Seite
ſchoben. In Cavours Augen wurde er immer
mehr zur bête noire. Aber nun ließ er ſich
nicht mehr niederdrücken. Anfang der ſechziger
Jahre zum Deputirten gewählt, nahm er ſeinen
Platz auf der äußerſten Linken. Die Rechte haßte
ihn, wie kaum je einen andern ihrer politiſchen
Gegner, und ſeinen radicalen Genoſſen flößte er
bald Mißtrauen ein. Sie, die geſchworenen Re-
publikaner mußten 1864 mit Entſetzen aus Crispis
Munde das berühmt gewordene Wort hören:
La Monarchia ci unisce; la Republica ci
[Spaltenumbruch] divide!
Ein völliger Bruch mit Mazzini und ein
Hindrängen Crispis zu den Bänken der ge-
mäßigteren Linken waren die Folgen dieſes mo-
narchiſtiſchen Glaubensbekenntniſſes. Die Noth-
wendigkeit eines ſtarken Staates war ſo ſehr
Ueberzeugung in Crispi, daß er im Jahre 1866
ſelbſt mehreren die perſönliche Freiheit beſchrän-
kenden Geſetzen ſeine Zuſtimmung gab. In das-
ſelbe Jahr fällt die Gründung einer eigenen
Zeitung. der „Riforma“, die noch heute Crispis
Sprachrohr iſt, ihrem Gründer aber keineswegs
einen pekuniären Vortheil gebracht hat.

Ebenſo wie das Joch Mazzinis 1864, brach
er 1867 das des Alten von Caprera. Crispi
war — mit Rückſicht auf die Haltung Frank-
reichs — ein entſchiedener Gegner des von
Garibaldi geplanten Zuges nach Rom: der
Tag von Mentana ſollte ſeinen Vorherſagungen
nur zu ſehr recht geben.

Inzwiſchen war ſeine Verbindung mit Roſalie
Montmaſſon für eine ungeſetzliche Scheinehe er-
klärt und getrennt worden. Als er dann ſpäter
in dritter Ehe ſeiner „Lina“, die ihm noch heute
treu zur Seite ſteht, die Hände reichte, da ſuch-
ten die politiſchen Gegner den bitter gehaßten
Mann dadurch unſchädlich zu machen, daß ſie ihn
der Bigamie beſchuldigten. Zwar mißlang der
Streich, denn die gerichtliche Verhandlung eudete
mit Freiſprechung, aber der Vorgang zog doch
ſeine Kreiſe und erſchwerte Crispi ſpäter das
Hochkommen.

In den Jahren 1869—71 war das politi-
ſche Anſehen Crispis bereits geſtiegen. Es heißt,
daß er damals, als Kammerpräſident, bereits im


*) Gegenwärtig ſoll Crispi neben ſeinen Re-
gierungsgeſchäften noch Zeit finden, die Geſchichte dieſer
Expedition zu ſchreiben.
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[[2]/0002] Betracht kommen, faſt ausſchließlich auf der Ein- kommenſteuer als der directen Abgabe aller Be- völkerungsſchichten. Ergänzend iſt vor Kurzem die Vermögensſteuer hinzugetreten, welche vom fun- dirten Einkommen geleiſtet wird, während Grund- ſteuer, Gebäudeſteuer und Erwerbſteuer den Com- munalverwaltungen zufließen, ſo daß das viel- beklagte Syſtem der Zuſchläge und Umlagen auf- gegeben werden konnte. Auch die Steuerreform in Oeſterreich iſt auf dieſes Ziel gerichtet. Für die große Maſſe der Bevölkerung hätte hauptſächlich die Frage In- tereſſe: Welche Steuer wird jetzt gezahlt; welche wird künftig gezahlt werden müſſen? Eine ziffer- mäßig genaue Beantwortung dieſer Frage iſt heute Niemandem möglich, es ſei denn, daß man ſich mit dem im Geſetz verwirklichten Grundſatz zufrieden geben wollte, daß im Verhältniß zur jetzigen Steuerleiſtung die Reichſten und Reichen mehr, die Bemittelten gleichviel, die Minderbe- mittelten weit weniger und die wirklich Unbe- mittelten gar nichts zahlen werden. Mit der Erledigung der Steuerreform wäre dem Parlamente heute eine That gelungen, welche ſchon ſeit 30 Jahren vergeblich angeſtrebt wird. So lange iſt es her, daß der „alte Plener“ mit dem Geſetzentwurfe einer Perſonaleinkommenſteuer hervorgetreten iſt. An ſeinem 85. Geburtstage erlebt er die Genugthuung, daß ſeine Ideen durch das Geſetz verwirklicht werden, und daß ſein Sohn es iſt, der die Action entſcheidend beeinflußt, die ſicherlich zum Wohle des Vaterlandes gereichen wird. Eine Antiſemiten-Debatte in der franzöſiſchen Kammer. Olmütz, 28. Mai. In der franzöſiſchen Kammer interpellirten am letzten Samſtag die zwei antiſemitiſchen Mit- glieder der Kammer, Denis und Vicomte Hugues, über das angebliche Vorherrſchen des jüdiſchen Elements in der franzöſiſchen Beamten- ſchaft, und die Deputirten, ſowie die Parlaments- berichterſtatter erachteten es offenbar für amuſanter, draußen in den Wandelgängen zu promeniren, als drin im überheißen Saale den Ausführungen des antiſemitiſchen Paares zuzuhören. Bekanntlich wurde vor mehreren Monaten der höhere Staats- beamte Levaillant ſeines Poſtens enthoben, weil aus dem Cridaproceſſe der Juweliere Brüder Schwob hervorging daß er denſelben in ſeiner früheren Eigenſchaft als Director der Staats- polizei zugeſichert hatte, ſich für ſie bei Gerichts- perſonen zu verwenden. Levaillant iſt Jude und dieſer Umſtand war die Veranlaſſung der ſamſtägigen Interpellation. Denis fragte, ob auch bezüglich der Ge- richtsperſonen, auf welche Levaillant anſpielte, die Unterſuchung gepflogen werde. Miniſterpräſident Ribot: Natürlich. Denis läßt nun die üblichen antiſemiti- ſchen Gehäſſigkeiten gegen die Juden los. Präſident Briſſon: Ich fordere Sie auf, nicht eine ganze Kategorie von Mitbürgern an- zugreifen. Denis fuhr fort, die Juden ſeien Frankreich durch ihren Kosmopolismus gefährlich; man möge ſie Geſchäfte machen, aber keine Aemter bekleiden laſſen. Die öffentlichen Aemter und die Miniſte- rien ſeien voll Juden. Im Staatsrathe gebe es 9, im Caſſationshofe 10, im Unterrichtsmini- ſterium 35 Juden, überdies zähle man 18 bis 20 jüdiſche Präfecten und Unterpräfecten. Miniſterpräſident Ribot: Ich möchte Ihr ſtatiſtiſches Bureau kennen lernen. (Heiterkeit.) Trotz der Theilnahmsloſigkeit, welcher Denis begegnet, nimmt ſein Partner, Vicomte Hugues, dasſelbe Thema auf. Hugues findet, daß es auch in der Armee zu viel Juden gebe und das jüdiſche Element nicht bloß in öffentlichen Aemtern, ſon- dern in allen Verwaltungskörpern vorherrſche. Der ſtärkſte Actionär des Crédit foncier ſei Baron Hirſch. Daß auch der Name Rothſchild bei ſolchem Anlaſſe erwähnt wurde, iſt ſelbſt- verſtändlich. Das Intereſſe für die Debatte belebte ſich, als der Socialiſt Rouanet die Trübüne be- ſtieg und den Standpunct der Socialiſten in der Antiſemitenfrage darlegte. Rouanet erklärte unter lebhaftem Beifalle der Kammer, daß von den Antiſemiten die edelſten Principien der großen Revolution, welche die Menſchenrechte und Bür- gerrechte ohne Unterſchied der Race und der Religion proclamirte, mit Füßen getreten wer- den. (Rufe: Sehr richtig!) Die Juden haben die gegenwärtigen geſellſchaftlichen Zuſtände nicht ge- ſchaffen. Agiotage und Wucher beſtand ſchon bei den alten Römern, zu Zeiten der römiſchen Republik. Die Formen der angeblichen jüdiſchen Agiotage gleichen vollkommen jenen der chriſt- lichen Agiotage. Redner weiſt hierauf auf jenen katholiſchen Financier (Bontoux) hin, der ſich franzöſiſchen Geldes bedient habe, um durch Gründungen in Oeſterreich den öſterreichiſch- deutſchen Einfluß gegen, den franzöſiſch-ruſſiſchen Einfluß zu begünſtigen. Er ſagt dann weiter: Waren die Betrügereien der Panamageſchäfte etwa eine jüdiſche Angelegenheit? Es gibt aller- dings jüdiſche Capitaliſten, aber es gibt auch chriſtliche Capitaliſten, und von den Socialiſten kann zwiſchen jüdiſchem und chriſtlichem Capital kein Unterſchied gemacht werden. Gegen Wucher und unlautere Börſenmanöver gibt es geſetzliche Beſtimmungen, die Regierung will jedoch nichts dagegen unternehmen. Juſtizminiſter Trarieux: Citiren Sie einen Fall. Rouanet nennt die franco-engliſche Gold- minengeſellſchaft, deren Actien nur mit Umgehung des Geſetzes auf den Markt gelangen konnten. Juſtizminiſter: Wir ſtudiren eben die Frage, da uns das bisherige Geſetz dagegen kein Mittel an die Hand gibt. Rouanet ſchloß ſeine Ausführungen mit der Erklärung: Nicht die Juden, ſondern die ca- pitaliſtiſche Organiſation ſei für die ſocialen Miß- ſtände verantwortlich zu machen. (Siehe Telegr.) Reichsrath. Sitzung des Abgeordnetenhauſes vom 27. Mai. Wien, 27. Mai. In der heutigen Sitzung des Abgeordneten- hauſes beantwortete der Miniſterpräſident Fürſt Windiſchgrätz die von den Abg. Exner und Genoſſen in der Affaire Deckert ein- gebrachte Interpellation. (Wir haben dieſe Ant- wort bereits geſtern mitgetheilt. Die Red.) Es wird hierauf zur Tagesordnung, d. i. Fortſetzung der Specialberathung über die Steuerreform (Perſonaleinkommen- und Beſol- dungsſteuer) übergegangen. In Verhandlung ſtehen die §§ 233—237 (beſondere Beſtimmungen über Dienſtbezüge.) Abg. Formanek beantragt nach längerer Motivirung die Weglaſſung der §§ 234—237 und beantragt weiters, falls dies abgelehnt wird, eine geänderte Faſſung des § 234. Abg. Dr. Kronawetter wendet ſich gegen die Beſoldungsſteuer, mit welcher eine doppelte Beſteuerung in das Geſetz aufgenommen werden würde. Er ſpricht ſein Bedauern ange- ſichts des langſamen Tempos der Behandlung der Wahlreform aus und wünſcht, daß die Steuerreform ſo raſch als möglich erledigt wer- den ſollte. Finanzminiſter Dr. v. Plener ergreift das Wort. Der Miniſter bemerkt gegenüber Dr. Krona- wetter, der Umſtand, daß das Subcomité der Steuercommiſſion des Herrenhauſes gegenwärtig ſich mit der Steuerreform beſchäftigt, ſei weder gegen die Geſchäftsordnung des Herrenhauſes, noch geſetzwidrig und entſpreche einer langjährigen Uebung des Hauſes bei großen Geſetzvorlagen. Selbſtverſtändlich könne der definitive Abſchluß der Commiſſionsberathungen und demnach die Verhandlung im Plenum des Herrenhauſes erſt dann beginnen, wenn das Geſetz im Abgeord- ciata-Orden verleiht dieſen Titel) ſo kümmerlich ergehen, daß er 1852 die ihn kaum ernährende Journaliſtik aufzugeben beſchloß, und ſich — ver- geblich! — um ein kleines Communalamt be- warb. Ja, man warf den unruhigen, conſpiriren- den Menſchen ſogar als politiſch verdächtig in’s Gefängniß und endlich wies man ihn aus. Er ging — aber nicht allein. Sein liebebedürftiges Herz hatte ſich in dieſer trüben Zeit an eine kleine blühende Wäſcherin, Roſalie Montmaſſon geſchloſſen, die ihn auf ſeiner weiteren Irrfahrt begleitete. In Malta legte ein reiſender Jeſuit die Hände Beider in einander, und Roſalie Mont- maſſon galt von nun an als Crispi’s Frau. Sie folgte ihm, als er auch dieſe Inſel verlaſſen mußte, zuerſt nach London, dann nach Paris und wieder nach London. Der Polizei-Präfect von Paris hatte dem „Verſchwörer“, der ſich mühſam genug als Journaliſt und Sprachlehrer durchbrachte, einen nicht mißzuverſtehenden Wink gegeben. Ein „Verſchwörer“ war er, denn wo er war, unabläſſig und nachdrücklich arbeitete er an dem Sturz der Bourbonenherrſchaft in Sicilien. Ja, derſelbe Mann, der im vorigen Jahre als leitender Miniſter durch das Gewicht ſeiner Perſönlichkeit ſcharfe Aus- nahmegeſetze gegen die Bomben ſchleudernden Anarchiſten durchzudrücken verſtand, verſuchte ſich damals ſelbſt in der Fabrikation ſolcher Mord- inſtrumente! An ſeinem 40. Geburtstag ſollte der ent- ſcheidende Schlag geführt werden: aber es wurde wieder ein verunglückter Putſch daraus. Flüchtend wandte er ſich abermals nach Piemont, von wo aus er Fühlung mit den leitenden Männern der nationalen Erhebung ſuchte und zum Theil auch fand. Zum Theil nur: ein Mann wie Graf Camillo Cavour, nahm den revolutionären Feuer- kampf nichts weniger als freundlich auf und nannte ihn ſpöttiſch den „großen Mann“. Ein Jahr ſpäter — 1860 — ſehen wir Crispi das rothe Hemd des Garibaldianers anziehen; ja, er war es, der den unluſtigen ſchwankenden „Gene- ral“ ſolange — zuletzt durch eigenhändig herge- ſtellte Depeſchen aus Palermo — bearbeitete, bis er den berühmt gewordenen Zug der Tauſend nach Sicilien unternahm. *) Endlich ein Glücks- ſtrahl nach faſt zwanzigjährigem Ringen! Bald war Crispi die rechte Hand Garibal- dis, und nur der Rückſicht, die auf dieſen volks- thümlichen Einigungskämpfer zu nehmen war, hatte deſſen Adlatus es zu verdanken, daß die Regierungsmänner ihn nicht gewaltſam bei Seite ſchoben. In Cavours Augen wurde er immer mehr zur bête noire. Aber nun ließ er ſich nicht mehr niederdrücken. Anfang der ſechziger Jahre zum Deputirten gewählt, nahm er ſeinen Platz auf der äußerſten Linken. Die Rechte haßte ihn, wie kaum je einen andern ihrer politiſchen Gegner, und ſeinen radicalen Genoſſen flößte er bald Mißtrauen ein. Sie, die geſchworenen Re- publikaner mußten 1864 mit Entſetzen aus Crispis Munde das berühmt gewordene Wort hören: La Monarchia ci unisce; la Republica ci divide! Ein völliger Bruch mit Mazzini und ein Hindrängen Crispis zu den Bänken der ge- mäßigteren Linken waren die Folgen dieſes mo- narchiſtiſchen Glaubensbekenntniſſes. Die Noth- wendigkeit eines ſtarken Staates war ſo ſehr Ueberzeugung in Crispi, daß er im Jahre 1866 ſelbſt mehreren die perſönliche Freiheit beſchrän- kenden Geſetzen ſeine Zuſtimmung gab. In das- ſelbe Jahr fällt die Gründung einer eigenen Zeitung. der „Riforma“, die noch heute Crispis Sprachrohr iſt, ihrem Gründer aber keineswegs einen pekuniären Vortheil gebracht hat. Ebenſo wie das Joch Mazzinis 1864, brach er 1867 das des Alten von Caprera. Crispi war — mit Rückſicht auf die Haltung Frank- reichs — ein entſchiedener Gegner des von Garibaldi geplanten Zuges nach Rom: der Tag von Mentana ſollte ſeinen Vorherſagungen nur zu ſehr recht geben. Inzwiſchen war ſeine Verbindung mit Roſalie Montmaſſon für eine ungeſetzliche Scheinehe er- klärt und getrennt worden. Als er dann ſpäter in dritter Ehe ſeiner „Lina“, die ihm noch heute treu zur Seite ſteht, die Hände reichte, da ſuch- ten die politiſchen Gegner den bitter gehaßten Mann dadurch unſchädlich zu machen, daß ſie ihn der Bigamie beſchuldigten. Zwar mißlang der Streich, denn die gerichtliche Verhandlung eudete mit Freiſprechung, aber der Vorgang zog doch ſeine Kreiſe und erſchwerte Crispi ſpäter das Hochkommen. In den Jahren 1869—71 war das politi- ſche Anſehen Crispis bereits geſtiegen. Es heißt, daß er damals, als Kammerpräſident, bereits im *) Gegenwärtig ſoll Crispi neben ſeinen Re- gierungsgeſchäften noch Zeit finden, die Geſchichte dieſer Expedition zu ſchreiben.

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Zitationshilfe: Mährisches Tagblatt. Nr. 122, Olmütz, 28.05.1895, S. [2]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_maehrisches122_1895/2>, abgerufen am 29.03.2024.