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N. N.: Öffentliche Charaktere II: Johann Jacoby. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 434-452.

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nen wirklichen Inhalt zurück, um durch Gemessenheit zu imponiren. Daher hat
er sich in die Clubs nicht eingelassen; er würde auch darin nichts ausrichten. Er
will nur durch den Verstand wirken, durch die formelle Entweder-Oder Logik:
"Alles ist blau oder nicht blau, frei oder nicht frei," oder positiv gesagt "radical
oder reactionär,"
eine Logik, die in der Wissenschaft längst überwunden ist, die
aber im Leben sich gerade jetzt unerträglich breit macht. Diese abstracte Logik
verblendet gegen die Wirklichkeit, wie die Gewohnheit der Declamation, aber nach
meinem Gefühl auf eine unangenehmere Weise. Denn der Phraseur ist doch wirk¬
lich ein Pathos, wenn er sich auch zuerst hinein randalirt, aber die Abstraction
blendet, ohne das Gefühl der Erhebung. Die Abstraction führt leichter zum Fa¬
natismus als die Phrase.

Es ist aus dem Gange, den die abstracte Opposition in diesem von Natur
ehrenwerthen Charakter genommen hat, begreiflich, daß er sich in die Intriguen
einer Partei einläßt, in der Held und ähnliche Subjecte eine Rolle spielen; daß
er mit Brill u. s. w. einen Abgeordneten der Untersuchung über die Theilnahme
jener nichtswürdigen Zeughausplünderei entziehen will; daß er die ebenso infamen
als lächerlichen Lügen der Meneurs seiner Partei ohne Weiteres als baare Münze
gelten läßt -- des guten Zweckes willen; daß er bei einer der wenigen Gelegen¬
heiten, wo er spricht -- in der Bürgerwehrfrage -- in wenig Sätzen eine Reihe
von Verkehrtheiten, eine Theorie zu Tage fördert, wie sie sich für die Placate
des demokratischen Vereins schicken würde; -- es wäre wahrlich der Mühe werth,
die Absurditäten dieser Bürgerwehrtheorie zu beleuchten, wenn nicht mit jedem
Tage die Berliner Demokratie einen neuen Einfall auftischte, gegen welchen der
gestrige ein Kinderspiel war, wenn man in der Bedlamsprache dieser neuen Pro¬
pheten nicht jeden Satz, der nicht geradezu nach dein Irrenhaus schmeckt, wie ei¬
nen köstlichen Fund begrüßen müßte -- -- ich sage, alles das ist begreiflich, denn
die Abstraction macht zuletzt blind gegen alle Realität, gegen alle Wahrheit und
alles Recht. -- Und doch ist es mir unbegreiflich.



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nen wirklichen Inhalt zurück, um durch Gemessenheit zu imponiren. Daher hat
er sich in die Clubs nicht eingelassen; er würde auch darin nichts ausrichten. Er
will nur durch den Verstand wirken, durch die formelle Entweder-Oder Logik:
„Alles ist blau oder nicht blau, frei oder nicht frei,“ oder positiv gesagt „radical
oder reactionär,“
eine Logik, die in der Wissenschaft längst überwunden ist, die
aber im Leben sich gerade jetzt unerträglich breit macht. Diese abstracte Logik
verblendet gegen die Wirklichkeit, wie die Gewohnheit der Declamation, aber nach
meinem Gefühl auf eine unangenehmere Weise. Denn der Phraseur ist doch wirk¬
lich ein Pathos, wenn er sich auch zuerst hinein randalirt, aber die Abstraction
blendet, ohne das Gefühl der Erhebung. Die Abstraction führt leichter zum Fa¬
natismus als die Phrase.

Es ist aus dem Gange, den die abstracte Opposition in diesem von Natur
ehrenwerthen Charakter genommen hat, begreiflich, daß er sich in die Intriguen
einer Partei einläßt, in der Held und ähnliche Subjecte eine Rolle spielen; daß
er mit Brill u. s. w. einen Abgeordneten der Untersuchung über die Theilnahme
jener nichtswürdigen Zeughausplünderei entziehen will; daß er die ebenso infamen
als lächerlichen Lügen der Meneurs seiner Partei ohne Weiteres als baare Münze
gelten läßt — des guten Zweckes willen; daß er bei einer der wenigen Gelegen¬
heiten, wo er spricht — in der Bürgerwehrfrage — in wenig Sätzen eine Reihe
von Verkehrtheiten, eine Theorie zu Tage fördert, wie sie sich für die Placate
des demokratischen Vereins schicken würde; — es wäre wahrlich der Mühe werth,
die Absurditäten dieser Bürgerwehrtheorie zu beleuchten, wenn nicht mit jedem
Tage die Berliner Demokratie einen neuen Einfall auftischte, gegen welchen der
gestrige ein Kinderspiel war, wenn man in der Bedlamsprache dieser neuen Pro¬
pheten nicht jeden Satz, der nicht geradezu nach dein Irrenhaus schmeckt, wie ei¬
nen köstlichen Fund begrüßen müßte — — ich sage, alles das ist begreiflich, denn
die Abstraction macht zuletzt blind gegen alle Realität, gegen alle Wahrheit und
alles Recht. — Und doch ist es mir unbegreiflich.



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[452/0019] nen wirklichen Inhalt zurück, um durch Gemessenheit zu imponiren. Daher hat er sich in die Clubs nicht eingelassen; er würde auch darin nichts ausrichten. Er will nur durch den Verstand wirken, durch die formelle Entweder-Oder Logik: „Alles ist blau oder nicht blau, frei oder nicht frei,“ oder positiv gesagt „radical oder reactionär,“ eine Logik, die in der Wissenschaft längst überwunden ist, die aber im Leben sich gerade jetzt unerträglich breit macht. Diese abstracte Logik verblendet gegen die Wirklichkeit, wie die Gewohnheit der Declamation, aber nach meinem Gefühl auf eine unangenehmere Weise. Denn der Phraseur ist doch wirk¬ lich ein Pathos, wenn er sich auch zuerst hinein randalirt, aber die Abstraction blendet, ohne das Gefühl der Erhebung. Die Abstraction führt leichter zum Fa¬ natismus als die Phrase. Es ist aus dem Gange, den die abstracte Opposition in diesem von Natur ehrenwerthen Charakter genommen hat, begreiflich, daß er sich in die Intriguen einer Partei einläßt, in der Held und ähnliche Subjecte eine Rolle spielen; daß er mit Brill u. s. w. einen Abgeordneten der Untersuchung über die Theilnahme jener nichtswürdigen Zeughausplünderei entziehen will; daß er die ebenso infamen als lächerlichen Lügen der Meneurs seiner Partei ohne Weiteres als baare Münze gelten läßt — des guten Zweckes willen; daß er bei einer der wenigen Gelegen¬ heiten, wo er spricht — in der Bürgerwehrfrage — in wenig Sätzen eine Reihe von Verkehrtheiten, eine Theorie zu Tage fördert, wie sie sich für die Placate des demokratischen Vereins schicken würde; — es wäre wahrlich der Mühe werth, die Absurditäten dieser Bürgerwehrtheorie zu beleuchten, wenn nicht mit jedem Tage die Berliner Demokratie einen neuen Einfall auftischte, gegen welchen der gestrige ein Kinderspiel war, wenn man in der Bedlamsprache dieser neuen Pro¬ pheten nicht jeden Satz, der nicht geradezu nach dein Irrenhaus schmeckt, wie ei¬ nen köstlichen Fund begrüßen müßte — — ich sage, alles das ist begreiflich, denn die Abstraction macht zuletzt blind gegen alle Realität, gegen alle Wahrheit und alles Recht. — Und doch ist es mir unbegreiflich. _

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Zitationshilfe: N. N.: Öffentliche Charaktere II: Johann Jacoby. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 434-452, hier S. 452. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_charaktere02_1848/19>, abgerufen am 25.04.2024.