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N. N.: Öffentliche Charaktere II: Johann Jacoby. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 434-452.

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des Rechts mehr und mehr nach Frankfurt wendet, während die Radikalen, die
ursprünglich die Einheit Dentschlands predigten, weil sie in derselben die Zersetzung
der wirklich bestehenden Staatsgewalten sahen, von dem Reich nichts mehr wis¬
sen wollen.

Zum ersten Male trat Jacoby auf, in dem berühmten Antrag über
die Anerkennung der Centralgewalt. Die Regierung hatte sie anerkannt,
zugleich aber die Voraussetzung ausgesprochen, daß sie den bestehenden Zu¬
ständen Rechnung tragen würde; für die Radikalen, denen es gar nicht
darum zu thun war, eine Centralgewalt zu haben, die das Bestehende schonte,
war solche Erklärung eine bedingte Anerkennung, d. h. eine Auflehnung gegen
die Souveränität der Nation. Jacoby's Antrag ging also dahin: die Pauls¬
kirche ihrer Entscheidung wegen zu tadeln, das Recht zu dieser Entscheidung aber
anzuerkennen, und demnach der Preußischen Regierung das Recht auch nur über¬
haupt der Anerkennung abzusprechen. "Nach den Beschlüssen des Vorparlaments"
u. s. w., so lautete immer die Argumentation dieser umgekehrten Legitimität. Jener
Antrag war nicht unlogisch, wie ihn Herr v. Berg nannte; er war zwar nach
verschiedenen Seiten hin gerichtet, hatte aber einen innern Zusammenhang. Er
betrachtete die beiden Versammlungen als Centralorgane des Volks, d. h. der
radicalen Gesinnung gegen die Regierung, und da konnte denn Bruder Volk sich
gegen den Bruder Volk schon einen Tadel erlauben, zudem er seinem Feinde, der
Regierung, das Recht absprach. Der preußische Particularismus, sofern er von
der Regierung ausgeht
, ist gegen die Souveränität des Volks, ebenso die
Einheit, wenn sie die Regierung hebt, indessen ist die letztere immer noch radi-
caler als die erste, weil sie als Regierung in partibus gegen die bestehenden Re¬
gierungen Partei nimmt.

Es ist Consequenz darin, aber -- die Consequenz des unproductiven Radi¬
kalismus; es ist eine Strebsamkeit, aber eine abstracte und negative, die alte Kritik
gegen den Absolutismus ist festgehalten in einer Zeit, wo er bereits gestürzt ist,
und wo es die Organisation der neuen Ideen gilt. Nirgends finden wir bei die¬
sem Manne auch nur eine Spur von einem positiven Vorschlag, wo es etwas Be¬
stimmtes gilt; nie auch nur die Ahnung, daß es sich um etwas mehr handle, als
um eine bloß formelle Veränderung der Verfassung. Jacoby's Wirkung hat eigent¬
lich noch weniger Inhalt als Blum's, denn dieser nimmt den Mund voll, und
trägt immer dazu bei, das Volk zu cultiviren, dem er bei aller Oberflächlichkeit
doch an Bildung überlegen sein muß. Blum ist der Mann des Volks aus Na¬
tur; Jacoby aus Reflexion; seine Bildung streift, freilich dilettantisch, an aristo¬
kratische Genüsse; er kümmert sich ernstlich um Poesie u. dgl., er studirt den Feuer¬
bach, die Jahrbücher, er interesstrt sich für junge Talente, wahrend für Blum
nichts existirt, was nicht unmittelbare Beziehung auf seinen Zweck hat. Blum
verwendet Alles, was er gelegentlich aufgreift, in Redestoff; Jacoby drängt sei-

des Rechts mehr und mehr nach Frankfurt wendet, während die Radikalen, die
ursprünglich die Einheit Dentschlands predigten, weil sie in derselben die Zersetzung
der wirklich bestehenden Staatsgewalten sahen, von dem Reich nichts mehr wis¬
sen wollen.

Zum ersten Male trat Jacoby auf, in dem berühmten Antrag über
die Anerkennung der Centralgewalt. Die Regierung hatte sie anerkannt,
zugleich aber die Voraussetzung ausgesprochen, daß sie den bestehenden Zu¬
ständen Rechnung tragen würde; für die Radikalen, denen es gar nicht
darum zu thun war, eine Centralgewalt zu haben, die das Bestehende schonte,
war solche Erklärung eine bedingte Anerkennung, d. h. eine Auflehnung gegen
die Souveränität der Nation. Jacoby's Antrag ging also dahin: die Pauls¬
kirche ihrer Entscheidung wegen zu tadeln, das Recht zu dieser Entscheidung aber
anzuerkennen, und demnach der Preußischen Regierung das Recht auch nur über¬
haupt der Anerkennung abzusprechen. „Nach den Beschlüssen des Vorparlaments“
u. s. w., so lautete immer die Argumentation dieser umgekehrten Legitimität. Jener
Antrag war nicht unlogisch, wie ihn Herr v. Berg nannte; er war zwar nach
verschiedenen Seiten hin gerichtet, hatte aber einen innern Zusammenhang. Er
betrachtete die beiden Versammlungen als Centralorgane des Volks, d. h. der
radicalen Gesinnung gegen die Regierung, und da konnte denn Bruder Volk sich
gegen den Bruder Volk schon einen Tadel erlauben, zudem er seinem Feinde, der
Regierung, das Recht absprach. Der preußische Particularismus, sofern er von
der Regierung ausgeht
, ist gegen die Souveränität des Volks, ebenso die
Einheit, wenn sie die Regierung hebt, indessen ist die letztere immer noch radi-
caler als die erste, weil sie als Regierung in partibus gegen die bestehenden Re¬
gierungen Partei nimmt.

Es ist Consequenz darin, aber — die Consequenz des unproductiven Radi¬
kalismus; es ist eine Strebsamkeit, aber eine abstracte und negative, die alte Kritik
gegen den Absolutismus ist festgehalten in einer Zeit, wo er bereits gestürzt ist,
und wo es die Organisation der neuen Ideen gilt. Nirgends finden wir bei die¬
sem Manne auch nur eine Spur von einem positiven Vorschlag, wo es etwas Be¬
stimmtes gilt; nie auch nur die Ahnung, daß es sich um etwas mehr handle, als
um eine bloß formelle Veränderung der Verfassung. Jacoby's Wirkung hat eigent¬
lich noch weniger Inhalt als Blum's, denn dieser nimmt den Mund voll, und
trägt immer dazu bei, das Volk zu cultiviren, dem er bei aller Oberflächlichkeit
doch an Bildung überlegen sein muß. Blum ist der Mann des Volks aus Na¬
tur; Jacoby aus Reflexion; seine Bildung streift, freilich dilettantisch, an aristo¬
kratische Genüsse; er kümmert sich ernstlich um Poesie u. dgl., er studirt den Feuer¬
bach, die Jahrbücher, er interesstrt sich für junge Talente, wahrend für Blum
nichts existirt, was nicht unmittelbare Beziehung auf seinen Zweck hat. Blum
verwendet Alles, was er gelegentlich aufgreift, in Redestoff; Jacoby drängt sei-

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[451/0018] des Rechts mehr und mehr nach Frankfurt wendet, während die Radikalen, die ursprünglich die Einheit Dentschlands predigten, weil sie in derselben die Zersetzung der wirklich bestehenden Staatsgewalten sahen, von dem Reich nichts mehr wis¬ sen wollen. Zum ersten Male trat Jacoby auf, in dem berühmten Antrag über die Anerkennung der Centralgewalt. Die Regierung hatte sie anerkannt, zugleich aber die Voraussetzung ausgesprochen, daß sie den bestehenden Zu¬ ständen Rechnung tragen würde; für die Radikalen, denen es gar nicht darum zu thun war, eine Centralgewalt zu haben, die das Bestehende schonte, war solche Erklärung eine bedingte Anerkennung, d. h. eine Auflehnung gegen die Souveränität der Nation. Jacoby's Antrag ging also dahin: die Pauls¬ kirche ihrer Entscheidung wegen zu tadeln, das Recht zu dieser Entscheidung aber anzuerkennen, und demnach der Preußischen Regierung das Recht auch nur über¬ haupt der Anerkennung abzusprechen. „Nach den Beschlüssen des Vorparlaments“ u. s. w., so lautete immer die Argumentation dieser umgekehrten Legitimität. Jener Antrag war nicht unlogisch, wie ihn Herr v. Berg nannte; er war zwar nach verschiedenen Seiten hin gerichtet, hatte aber einen innern Zusammenhang. Er betrachtete die beiden Versammlungen als Centralorgane des Volks, d. h. der radicalen Gesinnung gegen die Regierung, und da konnte denn Bruder Volk sich gegen den Bruder Volk schon einen Tadel erlauben, zudem er seinem Feinde, der Regierung, das Recht absprach. Der preußische Particularismus, sofern er von der Regierung ausgeht, ist gegen die Souveränität des Volks, ebenso die Einheit, wenn sie die Regierung hebt, indessen ist die letztere immer noch radi- caler als die erste, weil sie als Regierung in partibus gegen die bestehenden Re¬ gierungen Partei nimmt. Es ist Consequenz darin, aber — die Consequenz des unproductiven Radi¬ kalismus; es ist eine Strebsamkeit, aber eine abstracte und negative, die alte Kritik gegen den Absolutismus ist festgehalten in einer Zeit, wo er bereits gestürzt ist, und wo es die Organisation der neuen Ideen gilt. Nirgends finden wir bei die¬ sem Manne auch nur eine Spur von einem positiven Vorschlag, wo es etwas Be¬ stimmtes gilt; nie auch nur die Ahnung, daß es sich um etwas mehr handle, als um eine bloß formelle Veränderung der Verfassung. Jacoby's Wirkung hat eigent¬ lich noch weniger Inhalt als Blum's, denn dieser nimmt den Mund voll, und trägt immer dazu bei, das Volk zu cultiviren, dem er bei aller Oberflächlichkeit doch an Bildung überlegen sein muß. Blum ist der Mann des Volks aus Na¬ tur; Jacoby aus Reflexion; seine Bildung streift, freilich dilettantisch, an aristo¬ kratische Genüsse; er kümmert sich ernstlich um Poesie u. dgl., er studirt den Feuer¬ bach, die Jahrbücher, er interesstrt sich für junge Talente, wahrend für Blum nichts existirt, was nicht unmittelbare Beziehung auf seinen Zweck hat. Blum verwendet Alles, was er gelegentlich aufgreift, in Redestoff; Jacoby drängt sei-

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Zitationshilfe: N. N.: Öffentliche Charaktere II: Johann Jacoby. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 434-452, hier S. 451. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_charaktere02_1848/18>, abgerufen am 28.03.2024.