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N. N.: Öffentliche Charaktere II: Johann Jacoby. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 434-452.

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Jacobs ihre Flüche zu schleudern. Ganz Deutschland jubelte bei dieser ersten Bot¬
schaft, das reactionäre Preußen sei endlich zum Bewußtsein gekommen, und werde
sich nun den liberalen Tendenzen seiner süddeutschen Brüder mit der Entschieden¬
heit und Kraft einer Großmacht auschließen. Dem freigewordenen Preußen wäre
man nicht abgeneigt gewesen, die Hegemonie zuzugestehen. Die Idee des Rechts¬
staates wurde ein Stichwort der liberalen Partei.

Man vergaß, daß ein Rechtsverhältniß nur zwischen constituirten Parteien
stattfinden kann; das Preußische Volk hätte erst constituirt sein müssen, um der
Krone gegenüber Rechte in Anspruch zu nehmen. Die Anhänger der alten legi¬
timen Feudalstäude konnten so sprechen, der Radicale nur mit halbem Herzen.
Jacoby verwarf ausdrücklich die ständische Vertretung. Ihm war der Rechtsboden
nicht Princip, sondern Waffe.

Der ganze Rechtsboden beruhte auf einem einseitigen Versprechen. Der
Schüler der Romantik konnte mit Faust antworten:

Braust nicht die Welt in allen Stürmen fort?
Und mich soll ein Versprechen halten!

Auf der andern Seite ist aber nicht zu leugnen, daß die sonst übliche Argu¬
mentation -- der Zweckmäßigkeit -- eben so schwierig ist. Es wird schwer sein,
die Krone zu überzeugen, daß es für sie zweckmäßiger sei, beschränkt als unbe¬
schränkt zu herrschen, so lange die Tradition des aufgeklärten Despotismus von
Friedrich, Joseph und Napoleon hier noch in den Köpfen spukt. Allerdings wäre
es für Karl I. zweckmäßiger gewesen, wenn er nach dem Gesetz regiert hätte, denn
er wäre dann nicht geköpft worden; aber so etwas mag man nicht voraussehen.

Jacoby's Schrift hatte nichts "Herzerwärmendes", um mich dieses officiellen
Ausdrucks noch einmal zu bedienen; sie war sententiös und in der juristisch-ab-
stracten Logik der alten Schule gehalten. In den beiden Denkschriften, die er zu
seiner Vertheidigung den Gerichten einreichte und später veröffentlichte, ist diese
Methode viel glücklicher angewendet. Es ist hier die eigne Dialektik des Poli¬
zeistaats, dessen einzelne Bestimmungen in ihrer innern Hohlheit sich einander
widerlegen. Durch seinen Rechtsspruch erkannte das Tribunal diese Dialektik an,
und die Regierung hatte ohne Nutzen ihre reactionären Gelüste verrathen.

Bei dem raschen Aufschwung der Presse ging Königsberg voran. Die Har-
tungsche Zeitung, sonst ein bloßes Localblatt, brachte täglich einen leitenden Ar¬
tikel, worin die Anforderungen des Liberalismus in scharf pointirter und populärer
Fassung dargestellt waren. Es waren die positiven Dogmen der politischen Frei¬
heit, nach Rubriken geordnet, ohne den Aufwand philosophisch-dilettantischer
Dialektik, in welchem sich in derselben Zeit die Rheinische Zeitung erging. Beide
waren reicher an Wünschen, Hoffnungen und Postulaten, als an bestimmten
Begriffen, wie im Einzelnen das politische Ideal durchgeführt werden sollte; beide
hatten den Fehler, zu wohlgefällig mit ihrer Gesinnung zu coquettiren. Die

Jacobs ihre Flüche zu schleudern. Ganz Deutschland jubelte bei dieser ersten Bot¬
schaft, das reactionäre Preußen sei endlich zum Bewußtsein gekommen, und werde
sich nun den liberalen Tendenzen seiner süddeutschen Brüder mit der Entschieden¬
heit und Kraft einer Großmacht auschließen. Dem freigewordenen Preußen wäre
man nicht abgeneigt gewesen, die Hegemonie zuzugestehen. Die Idee des Rechts¬
staates wurde ein Stichwort der liberalen Partei.

Man vergaß, daß ein Rechtsverhältniß nur zwischen constituirten Parteien
stattfinden kann; das Preußische Volk hätte erst constituirt sein müssen, um der
Krone gegenüber Rechte in Anspruch zu nehmen. Die Anhänger der alten legi¬
timen Feudalstäude konnten so sprechen, der Radicale nur mit halbem Herzen.
Jacoby verwarf ausdrücklich die ständische Vertretung. Ihm war der Rechtsboden
nicht Princip, sondern Waffe.

Der ganze Rechtsboden beruhte auf einem einseitigen Versprechen. Der
Schüler der Romantik konnte mit Faust antworten:

Braust nicht die Welt in allen Stürmen fort?
Und mich soll ein Versprechen halten!

Auf der andern Seite ist aber nicht zu leugnen, daß die sonst übliche Argu¬
mentation — der Zweckmäßigkeit — eben so schwierig ist. Es wird schwer sein,
die Krone zu überzeugen, daß es für sie zweckmäßiger sei, beschränkt als unbe¬
schränkt zu herrschen, so lange die Tradition des aufgeklärten Despotismus von
Friedrich, Joseph und Napoleon hier noch in den Köpfen spukt. Allerdings wäre
es für Karl I. zweckmäßiger gewesen, wenn er nach dem Gesetz regiert hätte, denn
er wäre dann nicht geköpft worden; aber so etwas mag man nicht voraussehen.

Jacoby's Schrift hatte nichts „Herzerwärmendes“, um mich dieses officiellen
Ausdrucks noch einmal zu bedienen; sie war sententiös und in der juristisch-ab-
stracten Logik der alten Schule gehalten. In den beiden Denkschriften, die er zu
seiner Vertheidigung den Gerichten einreichte und später veröffentlichte, ist diese
Methode viel glücklicher angewendet. Es ist hier die eigne Dialektik des Poli¬
zeistaats, dessen einzelne Bestimmungen in ihrer innern Hohlheit sich einander
widerlegen. Durch seinen Rechtsspruch erkannte das Tribunal diese Dialektik an,
und die Regierung hatte ohne Nutzen ihre reactionären Gelüste verrathen.

Bei dem raschen Aufschwung der Presse ging Königsberg voran. Die Har-
tungsche Zeitung, sonst ein bloßes Localblatt, brachte täglich einen leitenden Ar¬
tikel, worin die Anforderungen des Liberalismus in scharf pointirter und populärer
Fassung dargestellt waren. Es waren die positiven Dogmen der politischen Frei¬
heit, nach Rubriken geordnet, ohne den Aufwand philosophisch-dilettantischer
Dialektik, in welchem sich in derselben Zeit die Rheinische Zeitung erging. Beide
waren reicher an Wünschen, Hoffnungen und Postulaten, als an bestimmten
Begriffen, wie im Einzelnen das politische Ideal durchgeführt werden sollte; beide
hatten den Fehler, zu wohlgefällig mit ihrer Gesinnung zu coquettiren. Die

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[443/0010] Jacobs ihre Flüche zu schleudern. Ganz Deutschland jubelte bei dieser ersten Bot¬ schaft, das reactionäre Preußen sei endlich zum Bewußtsein gekommen, und werde sich nun den liberalen Tendenzen seiner süddeutschen Brüder mit der Entschieden¬ heit und Kraft einer Großmacht auschließen. Dem freigewordenen Preußen wäre man nicht abgeneigt gewesen, die Hegemonie zuzugestehen. Die Idee des Rechts¬ staates wurde ein Stichwort der liberalen Partei. Man vergaß, daß ein Rechtsverhältniß nur zwischen constituirten Parteien stattfinden kann; das Preußische Volk hätte erst constituirt sein müssen, um der Krone gegenüber Rechte in Anspruch zu nehmen. Die Anhänger der alten legi¬ timen Feudalstäude konnten so sprechen, der Radicale nur mit halbem Herzen. Jacoby verwarf ausdrücklich die ständische Vertretung. Ihm war der Rechtsboden nicht Princip, sondern Waffe. Der ganze Rechtsboden beruhte auf einem einseitigen Versprechen. Der Schüler der Romantik konnte mit Faust antworten: Braust nicht die Welt in allen Stürmen fort? Und mich soll ein Versprechen halten! Auf der andern Seite ist aber nicht zu leugnen, daß die sonst übliche Argu¬ mentation — der Zweckmäßigkeit — eben so schwierig ist. Es wird schwer sein, die Krone zu überzeugen, daß es für sie zweckmäßiger sei, beschränkt als unbe¬ schränkt zu herrschen, so lange die Tradition des aufgeklärten Despotismus von Friedrich, Joseph und Napoleon hier noch in den Köpfen spukt. Allerdings wäre es für Karl I. zweckmäßiger gewesen, wenn er nach dem Gesetz regiert hätte, denn er wäre dann nicht geköpft worden; aber so etwas mag man nicht voraussehen. Jacoby's Schrift hatte nichts „Herzerwärmendes“, um mich dieses officiellen Ausdrucks noch einmal zu bedienen; sie war sententiös und in der juristisch-ab- stracten Logik der alten Schule gehalten. In den beiden Denkschriften, die er zu seiner Vertheidigung den Gerichten einreichte und später veröffentlichte, ist diese Methode viel glücklicher angewendet. Es ist hier die eigne Dialektik des Poli¬ zeistaats, dessen einzelne Bestimmungen in ihrer innern Hohlheit sich einander widerlegen. Durch seinen Rechtsspruch erkannte das Tribunal diese Dialektik an, und die Regierung hatte ohne Nutzen ihre reactionären Gelüste verrathen. Bei dem raschen Aufschwung der Presse ging Königsberg voran. Die Har- tungsche Zeitung, sonst ein bloßes Localblatt, brachte täglich einen leitenden Ar¬ tikel, worin die Anforderungen des Liberalismus in scharf pointirter und populärer Fassung dargestellt waren. Es waren die positiven Dogmen der politischen Frei¬ heit, nach Rubriken geordnet, ohne den Aufwand philosophisch-dilettantischer Dialektik, in welchem sich in derselben Zeit die Rheinische Zeitung erging. Beide waren reicher an Wünschen, Hoffnungen und Postulaten, als an bestimmten Begriffen, wie im Einzelnen das politische Ideal durchgeführt werden sollte; beide hatten den Fehler, zu wohlgefällig mit ihrer Gesinnung zu coquettiren. Die

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Zitationshilfe: N. N.: Öffentliche Charaktere II: Johann Jacoby. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 434-452, hier S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_charaktere02_1848/10>, abgerufen am 24.04.2024.