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[N. N.]: Warum fordern wir volles Bürgerrecht? In: Frauenwahlrecht! Hrsg. zum Zweiten Sozialdemokratischen Frauentag von Clara Zetkin. 12. Mai 1912, S. 10–12.

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nicht mehr durch vergilbte Gesetzestexte und tüftelnde Richter,
durch schnauzende Schutzleute und knuffende Gendarmen, durch
drohende Kleinkalibrige und Maschinengewehre zu hemmen,
wenn wir mit starker Faust auf die krummen Finger schlagen,
die die Frucht unserer Arbeit an sich reißen.

Wir fordern volles Bürgerrecht, weil wir Hausfrauen und
Staatsbürgerinnen sind. Knapp ist der Lohn, mit dem der
Brotherr die Arbeiterin und Angestellte abspeist. Niedrig ist
der Verdienst, den der Ausbeuter den Mann heimtragen läßt,
und von dem die ganze Familie leben soll. Kein Fürst, kein
Minister und kein Gemeinderat fragt danach, wie die Arbeiterin
in ihrem Dachstübchen satt wird; wie die Arbeiterfrau es an-
fängt, den Jhrigen den Tisch zu decken. Aber der Staat und
die Gemeinde der Reichen finden das Hungereinkommen, um
davon durch die Steuern abzuzwacken. Das Reich erhebt von
ihm kein Teil, indem es durch seine Steuern und Zölle auf
den Lebensbedarf die Kosten der Haushaltung verteuert. Reich,
Staat und Gemeinde sind Diener der Herren im Lande. Sie
sollten nicht nach den Millionenvermögen und den Riesenein-
kommen fassen, um die Kassen zu füllen. Umgekehrt, sie sollen
die Reichen noch reicher machen. Was sie den Habenichtsen
an Einkommenssteuern nehmen, das brauchen die Besitzenden
nicht zu zahlen. Was die Darbenden mehr für ihres Lebens
Nahrung und Notdurft ausgeben müssen, das steigert die Ein-
nahmen der Übersatten.

Wir wollen die öffentlichen Gewalten zwingen, ihre plündern-
den Hände von der Lohntüte der Arbeiterin und den ärmlichen
Einkommen der kleinen Leute zu lassen. Wir wollen die Nutz-
nießer der Lebensmittelteuerung von der Schüssel der Arbeiterin
und Arbeiterfamilie jagen. Wir wollen, daß die Arbeitenden
wenigstens die paar Brocken ungeschmälert verzehren, die ihnen
die Habgier der ausbeutenden Herren lassen muß. Wir wollen,
daß kein Zollräuber vom Brote bricht, das die Arbeiterfrau
in die Händchen ihres Kindes legt. Wir wollen, daß billiges
Fleisch und genug Fleisch in die Familie des Arbeiters kommen
und "Zuckererbsen nicht minder".

Wir fordern volles Bürgerrecht, weil wir Mütter sind. Die
Not, die unser Leben beherrscht, läßt uns für das Gedeihen
und das Glück unserer Kinder zittern. Die ausgebeutete Arbeit
hebt Gold zutage und stößt die Gesundheit der Männer und
Frauen des Volkes in die Grube. Die proletarischen Eltern
müssen dafür zinsen, daß die Kinder ihrer Herren mit hun-
derterlei zarter Fürsorge umgeben sind, und können dem eigenen
Fleisch und Blut nicht einmal Lebenskraft und Lebensfrische
vererben. Wir Mütter dürfen das Jammern unserer Lieblinge
nicht stillen, wenn der ausbeutende Mammon nach uns ruft.
Der läßt die Nahrung in unseren Brüsten vertrocknen, ver-
wandelt sie vielleicht auch in Gift oder zwingt uns, sie dem
fremden Säugling zu verkaufen, der seiner Mutter nicht be-
schwerlich fallen soll. Er gibt unsere Kinder den Zufälligkeiten
des Alleinseins in traurigen Stuben preis und den Gefahren
schlimmer Kameradschaft in sonnenlosen Höfen und lärm-
erfüllten Straßen. Er greift frühe nach ihnen, sperrt sie in
dumpfige Zimmer, jagt sie durch Straßen, immer treppauf,
treppab, und bannt sie spät abends zum Aussetzen an die
Kegelbahn. Die Seelen unserer Kinder müssen hungern wie
ihre Leiber; zu Zehntausenden und aber Zehntausenden wer-
den sie vernichtet wie sie.

Wir wollen die öffentlichen Gewalten zwingen, dem ge-
wissenlosen Goldhunger unserer Herren eine Schranke zu setzen.
Er darf sich nicht länger an unseren Kindern, an unserer Zu-
kunft sättigen. Wir wollen, daß jene, die von uns reich ge-
macht werden, in den Eltern das noch verschlossene und kei-
mende Leben der Kinder schonen. Wir wollen, daß sie uns
Zeit lassen, unsere Kinder zu pflegen; Heiterkeit, mit ihnen
zu lachen; Ruhe und Reife, um sie zu beraten. Wir wollen,
daß der ausbeutende Besitz nicht mehr das Rot von den
Wangen unserer Kleinen streift und die Fröhlichkeit aus ihren
Herzen reißt. Wir wollen nicht länger dulden, daß er sich
die Taschen mit klingender Münze füllt, die er ihnen in den
Stunden abpreßt, die dem Spiel, dem Lernen, der Ruhe ge-
hören müßten.

[Spaltenumbruch]

Wir wollen die öffentlichen Gewalten zwingen, daran zu
denken, daß ihre Schatzkästen leer stünden, wenn unser und
der Unserigen Blagen und Entbehren nicht wäre. Wir wollen,
daß sie von dem Reichtum drinnen nehmen, um hungernde
Kinder zu speisen, frierende zu kleiden und verwahrlosenden
eine Stätte liebevoller Pflege und verständiger Erziehung zu
bereiten. Wir wollen, daß sie davon Häuser erbauen, zwischen
blühenden Beeten und rauschenden Bäumen voller Vogel-
gezwitscher; Häuser, in denen zu lernen und zu werden allen
Kindern des Volkes eine Lust ist. Wir wollen, daß sie davon
Männer und Frauen bereitstellen, die nicht im Dienste der Herr-
schenden freudlose Drillmeister der Jugend sind, sondern ihre
freundschaftlichen Bildner. Wir wollen, daß Wissen und Schön-
heit, die ohne unser und der Unserigen Werk nicht zu erblicken
vermöchten, das Hirn und das Herz unserer Kinder nähren.
Wir wollen nicht Bettler säugen und Knechte und Mägde im
Geiste groß ziehen. Wir wollen, daß uns ein Geschlecht nach-
folgt, das schön und frei ist; schön, weil stark und frei, weil kühn.

Wir fordern volles Bürgerrecht, weil wir Kämpferinnen
Für die Befreiung des Volkes der Arbeit sind. Wir sind es
müde, mit den Unserigen "die Tyrannei der Not und die
Not der Tyrannei" zu tragen. Genug der Qualen! Der faule
Bauch soll nicht mehr den Segen verschlemmen, der aus
unseren und der Unserigen Händen quillt. Jeder Gesunde
ein Arbeitender, und kein Arbeitender ein leiblich und geistig
Darbender. Die Arbeit soll nicht länger Millionen in Armut
erhalten und für Wenige Schätze auftürmen.

Dem Volke der Arbeit müssen die Felder, Wiesen und
Wälder, müssen die Fabriken, Bergwerke, Maschinen, Roh-
stoffe und Gelder gehören, die heute nicht Mittel sind, ihre
Eigentümer arbeitend zu erhalten, sondern Werkzeuge, daß
diese auch nicht arbeitend fremdes Schaffen ausbeuten. Was
wird aus Äckern und Gärten ohne die Arbeit, die pflügt,
gräbt, sät, pflanzt und pflegt? Eine Wildnis. Was ist in
den Fabriken und Zechenanlagen, in den Maschinen und
Werkzeugen kristallisiert, in dem gleißenden Gold, den blin-
kenden Silberstücken, den Banknoten? Unsere Arbeit und die
unserer Voreltern. Was ist der sinnreichst eingerichtete Be-
trieb, wenn das Volk der Arbeit die Arme kreuzt? Ein
Totenhaus. Was sind die kunstvollsten Maschinen, wenn wir
sie nicht bewegen und mit unserem Schweiße fruchtbar machen?
Wertloses Gerümpel. Das Volk der Arbeit muß selbst Herr
sein über die Mittel, die dem Leben aller dienen. Nur dann
wird es sein eigener Herr sein und sich vor niemand bücken
müssen des Brotes wegen.

Die heute Herren über diese Mittel sind, sind auch Herren
über unser Leben. Sie wollen ihre Macht nicht fahren lassen,
ohne Arbeit durch uns reich zu werden. Sie lassen durch ihre
Gesetze und durch ihre Kirchen als ihr Eigentum heiligen,
was ihre Vorväter den unsrigen genommen haben, was die
Frucht unserer Arbeit ist. Sie schützen ihre Macht über unser
Leben durch Polizisten, Staatsanwälte und Zuchthäuser. Sie
lassen zu ihrer Verteidigung Kasernen erbauen und Kanonen
auffahren und machen sich zu Herren über unseren Tod, wenn
wir uns gegen ihre knechtende Macht auflehnen. Und doch
zittern sie dabei! Müssen nicht die Werkzeuge zum Tode wie
die Werkzeuge zum Leben vom Volke der Arbeit bedient werden?
Unsere Herren flüstern sich erbleichend zu, daß wir trotz allem
die Stärkeren sind, wenn wir wissen und wenn wir wollen.
Deshalb genügt es ihnen nicht, daß uns die Armut den Weg
zur Erkenntnis versperrt. Sie lassen durch ihre Profitmühlen
unseren Geist abstumpfen und unseren Willen schwächen. Sie
sorgen dafür, daß Schulen, Zeitungen, Bücher uns die Wahr-
heit vorenthalten, daß sie uns verfälschte und vergiftete Bro-
samen von Kenntnissen reichen und uns die Demut von
Sklaven predigen. Sie tragen Zwietracht unter uns, um uns
zu beherrschen.

Wir Frauen des Volkes wollen durch Arbeit und Kampf
dies alles wenden helfen. Wir wollen lernen, wissen, handeln.
Wir wollen uns sammeln, wo das Volk der Arbeit - unser
Volk - die Schlachten der Befreiung schlägt. Wir wollen
unsere Kinder dorthin führen. Wir wollen dabei die tot-[Spaltenumbruch]

nicht mehr durch vergilbte Gesetzestexte und tüftelnde Richter,
durch schnauzende Schutzleute und knuffende Gendarmen, durch
drohende Kleinkalibrige und Maschinengewehre zu hemmen,
wenn wir mit starker Faust auf die krummen Finger schlagen,
die die Frucht unserer Arbeit an sich reißen.

Wir fordern volles Bürgerrecht, weil wir Hausfrauen und
Staatsbürgerinnen sind. Knapp ist der Lohn, mit dem der
Brotherr die Arbeiterin und Angestellte abspeist. Niedrig ist
der Verdienst, den der Ausbeuter den Mann heimtragen läßt,
und von dem die ganze Familie leben soll. Kein Fürst, kein
Minister und kein Gemeinderat fragt danach, wie die Arbeiterin
in ihrem Dachstübchen satt wird; wie die Arbeiterfrau es an-
fängt, den Jhrigen den Tisch zu decken. Aber der Staat und
die Gemeinde der Reichen finden das Hungereinkommen, um
davon durch die Steuern abzuzwacken. Das Reich erhebt von
ihm kein Teil, indem es durch seine Steuern und Zölle auf
den Lebensbedarf die Kosten der Haushaltung verteuert. Reich,
Staat und Gemeinde sind Diener der Herren im Lande. Sie
sollten nicht nach den Millionenvermögen und den Riesenein-
kommen fassen, um die Kassen zu füllen. Umgekehrt, sie sollen
die Reichen noch reicher machen. Was sie den Habenichtsen
an Einkommenssteuern nehmen, das brauchen die Besitzenden
nicht zu zahlen. Was die Darbenden mehr für ihres Lebens
Nahrung und Notdurft ausgeben müssen, das steigert die Ein-
nahmen der Übersatten.

Wir wollen die öffentlichen Gewalten zwingen, ihre plündern-
den Hände von der Lohntüte der Arbeiterin und den ärmlichen
Einkommen der kleinen Leute zu lassen. Wir wollen die Nutz-
nießer der Lebensmittelteuerung von der Schüssel der Arbeiterin
und Arbeiterfamilie jagen. Wir wollen, daß die Arbeitenden
wenigstens die paar Brocken ungeschmälert verzehren, die ihnen
die Habgier der ausbeutenden Herren lassen muß. Wir wollen,
daß kein Zollräuber vom Brote bricht, das die Arbeiterfrau
in die Händchen ihres Kindes legt. Wir wollen, daß billiges
Fleisch und genug Fleisch in die Familie des Arbeiters kommen
und „Zuckererbsen nicht minder“.

Wir fordern volles Bürgerrecht, weil wir Mütter sind. Die
Not, die unser Leben beherrscht, läßt uns für das Gedeihen
und das Glück unserer Kinder zittern. Die ausgebeutete Arbeit
hebt Gold zutage und stößt die Gesundheit der Männer und
Frauen des Volkes in die Grube. Die proletarischen Eltern
müssen dafür zinsen, daß die Kinder ihrer Herren mit hun-
derterlei zarter Fürsorge umgeben sind, und können dem eigenen
Fleisch und Blut nicht einmal Lebenskraft und Lebensfrische
vererben. Wir Mütter dürfen das Jammern unserer Lieblinge
nicht stillen, wenn der ausbeutende Mammon nach uns ruft.
Der läßt die Nahrung in unseren Brüsten vertrocknen, ver-
wandelt sie vielleicht auch in Gift oder zwingt uns, sie dem
fremden Säugling zu verkaufen, der seiner Mutter nicht be-
schwerlich fallen soll. Er gibt unsere Kinder den Zufälligkeiten
des Alleinseins in traurigen Stuben preis und den Gefahren
schlimmer Kameradschaft in sonnenlosen Höfen und lärm-
erfüllten Straßen. Er greift frühe nach ihnen, sperrt sie in
dumpfige Zimmer, jagt sie durch Straßen, immer treppauf,
treppab, und bannt sie spät abends zum Aussetzen an die
Kegelbahn. Die Seelen unserer Kinder müssen hungern wie
ihre Leiber; zu Zehntausenden und aber Zehntausenden wer-
den sie vernichtet wie sie.

Wir wollen die öffentlichen Gewalten zwingen, dem ge-
wissenlosen Goldhunger unserer Herren eine Schranke zu setzen.
Er darf sich nicht länger an unseren Kindern, an unserer Zu-
kunft sättigen. Wir wollen, daß jene, die von uns reich ge-
macht werden, in den Eltern das noch verschlossene und kei-
mende Leben der Kinder schonen. Wir wollen, daß sie uns
Zeit lassen, unsere Kinder zu pflegen; Heiterkeit, mit ihnen
zu lachen; Ruhe und Reife, um sie zu beraten. Wir wollen,
daß der ausbeutende Besitz nicht mehr das Rot von den
Wangen unserer Kleinen streift und die Fröhlichkeit aus ihren
Herzen reißt. Wir wollen nicht länger dulden, daß er sich
die Taschen mit klingender Münze füllt, die er ihnen in den
Stunden abpreßt, die dem Spiel, dem Lernen, der Ruhe ge-
hören müßten.

[Spaltenumbruch]

Wir wollen die öffentlichen Gewalten zwingen, daran zu
denken, daß ihre Schatzkästen leer stünden, wenn unser und
der Unserigen Blagen und Entbehren nicht wäre. Wir wollen,
daß sie von dem Reichtum drinnen nehmen, um hungernde
Kinder zu speisen, frierende zu kleiden und verwahrlosenden
eine Stätte liebevoller Pflege und verständiger Erziehung zu
bereiten. Wir wollen, daß sie davon Häuser erbauen, zwischen
blühenden Beeten und rauschenden Bäumen voller Vogel-
gezwitscher; Häuser, in denen zu lernen und zu werden allen
Kindern des Volkes eine Lust ist. Wir wollen, daß sie davon
Männer und Frauen bereitstellen, die nicht im Dienste der Herr-
schenden freudlose Drillmeister der Jugend sind, sondern ihre
freundschaftlichen Bildner. Wir wollen, daß Wissen und Schön-
heit, die ohne unser und der Unserigen Werk nicht zu erblicken
vermöchten, das Hirn und das Herz unserer Kinder nähren.
Wir wollen nicht Bettler säugen und Knechte und Mägde im
Geiste groß ziehen. Wir wollen, daß uns ein Geschlecht nach-
folgt, das schön und frei ist; schön, weil stark und frei, weil kühn.

Wir fordern volles Bürgerrecht, weil wir Kämpferinnen
Für die Befreiung des Volkes der Arbeit sind. Wir sind es
müde, mit den Unserigen „die Tyrannei der Not und die
Not der Tyrannei“ zu tragen. Genug der Qualen! Der faule
Bauch soll nicht mehr den Segen verschlemmen, der aus
unseren und der Unserigen Händen quillt. Jeder Gesunde
ein Arbeitender, und kein Arbeitender ein leiblich und geistig
Darbender. Die Arbeit soll nicht länger Millionen in Armut
erhalten und für Wenige Schätze auftürmen.

Dem Volke der Arbeit müssen die Felder, Wiesen und
Wälder, müssen die Fabriken, Bergwerke, Maschinen, Roh-
stoffe und Gelder gehören, die heute nicht Mittel sind, ihre
Eigentümer arbeitend zu erhalten, sondern Werkzeuge, daß
diese auch nicht arbeitend fremdes Schaffen ausbeuten. Was
wird aus Äckern und Gärten ohne die Arbeit, die pflügt,
gräbt, sät, pflanzt und pflegt? Eine Wildnis. Was ist in
den Fabriken und Zechenanlagen, in den Maschinen und
Werkzeugen kristallisiert, in dem gleißenden Gold, den blin-
kenden Silberstücken, den Banknoten? Unsere Arbeit und die
unserer Voreltern. Was ist der sinnreichst eingerichtete Be-
trieb, wenn das Volk der Arbeit die Arme kreuzt? Ein
Totenhaus. Was sind die kunstvollsten Maschinen, wenn wir
sie nicht bewegen und mit unserem Schweiße fruchtbar machen?
Wertloses Gerümpel. Das Volk der Arbeit muß selbst Herr
sein über die Mittel, die dem Leben aller dienen. Nur dann
wird es sein eigener Herr sein und sich vor niemand bücken
müssen des Brotes wegen.

Die heute Herren über diese Mittel sind, sind auch Herren
über unser Leben. Sie wollen ihre Macht nicht fahren lassen,
ohne Arbeit durch uns reich zu werden. Sie lassen durch ihre
Gesetze und durch ihre Kirchen als ihr Eigentum heiligen,
was ihre Vorväter den unsrigen genommen haben, was die
Frucht unserer Arbeit ist. Sie schützen ihre Macht über unser
Leben durch Polizisten, Staatsanwälte und Zuchthäuser. Sie
lassen zu ihrer Verteidigung Kasernen erbauen und Kanonen
auffahren und machen sich zu Herren über unseren Tod, wenn
wir uns gegen ihre knechtende Macht auflehnen. Und doch
zittern sie dabei! Müssen nicht die Werkzeuge zum Tode wie
die Werkzeuge zum Leben vom Volke der Arbeit bedient werden?
Unsere Herren flüstern sich erbleichend zu, daß wir trotz allem
die Stärkeren sind, wenn wir wissen und wenn wir wollen.
Deshalb genügt es ihnen nicht, daß uns die Armut den Weg
zur Erkenntnis versperrt. Sie lassen durch ihre Profitmühlen
unseren Geist abstumpfen und unseren Willen schwächen. Sie
sorgen dafür, daß Schulen, Zeitungen, Bücher uns die Wahr-
heit vorenthalten, daß sie uns verfälschte und vergiftete Bro-
samen von Kenntnissen reichen und uns die Demut von
Sklaven predigen. Sie tragen Zwietracht unter uns, um uns
zu beherrschen.

Wir Frauen des Volkes wollen durch Arbeit und Kampf
dies alles wenden helfen. Wir wollen lernen, wissen, handeln.
Wir wollen uns sammeln, wo das Volk der Arbeit – unser
Volk – die Schlachten der Befreiung schlägt. Wir wollen
unsere Kinder dorthin führen. Wir wollen dabei die tot-[Spaltenumbruch]

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Reich, Staat und Gemeinde sind Diener der Herren im Lande. Sie sollten nicht nach den Millionenvermögen und den Riesenein- kommen fassen, um die Kassen zu füllen. Umgekehrt, sie sollen die Reichen noch reicher machen. Was sie den Habenichtsen an Einkommenssteuern nehmen, das brauchen die Besitzenden nicht zu zahlen. Was die Darbenden mehr für ihres Lebens Nahrung und Notdurft ausgeben müssen, das steigert die Ein- nahmen der Übersatten. Wir wollen die öffentlichen Gewalten zwingen, ihre plündern- den Hände von der Lohntüte der Arbeiterin und den ärmlichen Einkommen der kleinen Leute zu lassen. Wir wollen die Nutz- nießer der Lebensmittelteuerung von der Schüssel der Arbeiterin und Arbeiterfamilie jagen. Wir wollen, daß die Arbeitenden wenigstens die paar Brocken ungeschmälert verzehren, die ihnen die Habgier der ausbeutenden Herren lassen muß. Wir wollen, daß kein Zollräuber vom Brote bricht, das die Arbeiterfrau in die Händchen ihres Kindes legt. Wir wollen, daß billiges Fleisch und genug Fleisch in die Familie des Arbeiters kommen und „Zuckererbsen nicht minder“. Wir fordern volles Bürgerrecht, weil wir Mütter sind. Die Not, die unser Leben beherrscht, läßt uns für das Gedeihen und das Glück unserer Kinder zittern. Die ausgebeutete Arbeit hebt Gold zutage und stößt die Gesundheit der Männer und Frauen des Volkes in die Grube. Die proletarischen Eltern müssen dafür zinsen, daß die Kinder ihrer Herren mit hun- derterlei zarter Fürsorge umgeben sind, und können dem eigenen Fleisch und Blut nicht einmal Lebenskraft und Lebensfrische vererben. Wir Mütter dürfen das Jammern unserer Lieblinge nicht stillen, wenn der ausbeutende Mammon nach uns ruft. Der läßt die Nahrung in unseren Brüsten vertrocknen, ver- wandelt sie vielleicht auch in Gift oder zwingt uns, sie dem fremden Säugling zu verkaufen, der seiner Mutter nicht be- schwerlich fallen soll. Er gibt unsere Kinder den Zufälligkeiten des Alleinseins in traurigen Stuben preis und den Gefahren schlimmer Kameradschaft in sonnenlosen Höfen und lärm- erfüllten Straßen. Er greift frühe nach ihnen, sperrt sie in dumpfige Zimmer, jagt sie durch Straßen, immer treppauf, treppab, und bannt sie spät abends zum Aussetzen an die Kegelbahn. Die Seelen unserer Kinder müssen hungern wie ihre Leiber; zu Zehntausenden und aber Zehntausenden wer- den sie vernichtet wie sie. Wir wollen die öffentlichen Gewalten zwingen, dem ge- wissenlosen Goldhunger unserer Herren eine Schranke zu setzen. Er darf sich nicht länger an unseren Kindern, an unserer Zu- kunft sättigen. Wir wollen, daß jene, die von uns reich ge- macht werden, in den Eltern das noch verschlossene und kei- mende Leben der Kinder schonen. Wir wollen, daß sie uns Zeit lassen, unsere Kinder zu pflegen; Heiterkeit, mit ihnen zu lachen; Ruhe und Reife, um sie zu beraten. Wir wollen, daß der ausbeutende Besitz nicht mehr das Rot von den Wangen unserer Kleinen streift und die Fröhlichkeit aus ihren Herzen reißt. Wir wollen nicht länger dulden, daß er sich die Taschen mit klingender Münze füllt, die er ihnen in den Stunden abpreßt, die dem Spiel, dem Lernen, der Ruhe ge- hören müßten. Wir wollen die öffentlichen Gewalten zwingen, daran zu denken, daß ihre Schatzkästen leer stünden, wenn unser und der Unserigen Blagen und Entbehren nicht wäre. Wir wollen, daß sie von dem Reichtum drinnen nehmen, um hungernde Kinder zu speisen, frierende zu kleiden und verwahrlosenden eine Stätte liebevoller Pflege und verständiger Erziehung zu bereiten. Wir wollen, daß sie davon Häuser erbauen, zwischen blühenden Beeten und rauschenden Bäumen voller Vogel- gezwitscher; Häuser, in denen zu lernen und zu werden allen Kindern des Volkes eine Lust ist. Wir wollen, daß sie davon Männer und Frauen bereitstellen, die nicht im Dienste der Herr- schenden freudlose Drillmeister der Jugend sind, sondern ihre freundschaftlichen Bildner. Wir wollen, daß Wissen und Schön- heit, die ohne unser und der Unserigen Werk nicht zu erblicken vermöchten, das Hirn und das Herz unserer Kinder nähren. Wir wollen nicht Bettler säugen und Knechte und Mägde im Geiste groß ziehen. Wir wollen, daß uns ein Geschlecht nach- folgt, das schön und frei ist; schön, weil stark und frei, weil kühn. Wir fordern volles Bürgerrecht, weil wir Kämpferinnen Für die Befreiung des Volkes der Arbeit sind. Wir sind es müde, mit den Unserigen „die Tyrannei der Not und die Not der Tyrannei“ zu tragen. Genug der Qualen! Der faule Bauch soll nicht mehr den Segen verschlemmen, der aus unseren und der Unserigen Händen quillt. Jeder Gesunde ein Arbeitender, und kein Arbeitender ein leiblich und geistig Darbender. Die Arbeit soll nicht länger Millionen in Armut erhalten und für Wenige Schätze auftürmen. Dem Volke der Arbeit müssen die Felder, Wiesen und Wälder, müssen die Fabriken, Bergwerke, Maschinen, Roh- stoffe und Gelder gehören, die heute nicht Mittel sind, ihre Eigentümer arbeitend zu erhalten, sondern Werkzeuge, daß diese auch nicht arbeitend fremdes Schaffen ausbeuten. Was wird aus Äckern und Gärten ohne die Arbeit, die pflügt, gräbt, sät, pflanzt und pflegt? Eine Wildnis. Was ist in den Fabriken und Zechenanlagen, in den Maschinen und Werkzeugen kristallisiert, in dem gleißenden Gold, den blin- kenden Silberstücken, den Banknoten? Unsere Arbeit und die unserer Voreltern. Was ist der sinnreichst eingerichtete Be- trieb, wenn das Volk der Arbeit die Arme kreuzt? Ein Totenhaus. Was sind die kunstvollsten Maschinen, wenn wir sie nicht bewegen und mit unserem Schweiße fruchtbar machen? Wertloses Gerümpel. Das Volk der Arbeit muß selbst Herr sein über die Mittel, die dem Leben aller dienen. Nur dann wird es sein eigener Herr sein und sich vor niemand bücken müssen des Brotes wegen. Die heute Herren über diese Mittel sind, sind auch Herren über unser Leben. Sie wollen ihre Macht nicht fahren lassen, ohne Arbeit durch uns reich zu werden. Sie lassen durch ihre Gesetze und durch ihre Kirchen als ihr Eigentum heiligen, was ihre Vorväter den unsrigen genommen haben, was die Frucht unserer Arbeit ist. Sie schützen ihre Macht über unser Leben durch Polizisten, Staatsanwälte und Zuchthäuser. Sie lassen zu ihrer Verteidigung Kasernen erbauen und Kanonen auffahren und machen sich zu Herren über unseren Tod, wenn wir uns gegen ihre knechtende Macht auflehnen. Und doch zittern sie dabei! Müssen nicht die Werkzeuge zum Tode wie die Werkzeuge zum Leben vom Volke der Arbeit bedient werden? Unsere Herren flüstern sich erbleichend zu, daß wir trotz allem die Stärkeren sind, wenn wir wissen und wenn wir wollen. Deshalb genügt es ihnen nicht, daß uns die Armut den Weg zur Erkenntnis versperrt. Sie lassen durch ihre Profitmühlen unseren Geist abstumpfen und unseren Willen schwächen. Sie sorgen dafür, daß Schulen, Zeitungen, Bücher uns die Wahr- heit vorenthalten, daß sie uns verfälschte und vergiftete Bro- samen von Kenntnissen reichen und uns die Demut von Sklaven predigen. Sie tragen Zwietracht unter uns, um uns zu beherrschen. Wir Frauen des Volkes wollen durch Arbeit und Kampf dies alles wenden helfen. Wir wollen lernen, wissen, handeln. Wir wollen uns sammeln, wo das Volk der Arbeit – unser Volk – die Schlachten der Befreiung schlägt. Wir wollen unsere Kinder dorthin führen. Wir wollen dabei die tot-

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen : Bereitstellung der Texttranskription. (2018-06-26T14:35:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-06-26T14:35:00Z)

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Zitationshilfe: [N. N.]: Warum fordern wir volles Bürgerrecht? In: Frauenwahlrecht! Hrsg. zum Zweiten Sozialdemokratischen Frauentag von Clara Zetkin. 12. Mai 1912, S. 10–12, hier S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_buergerrecht_1912/2>, abgerufen am 23.04.2024.