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Die Bayerische Presse. Nr. 142. Würzburg, 14. Juni 1850.

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Die Bayerische Presse.

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Abonnement:
Ganzjährig 6 fl.
Halbjährig 3 fl.
Vierteljährig 1 fl. 30 kr.
Monatlich für die Stadt 30 kr.

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Eine constitutionell-monarchische Zeitung.

[Spaltenumbruch]

Expedition: Jm Schenkhofe 2. Distr.
Nr. 533.

Einrückungsgebühr: die gespaltene Pe-
titzeile oder deren Raum 3 kr. Briefe
und Gelder frei.

[Ende Spaltensatz]

Nr. 142.
Würzburg, Freitag den 14. Juni. 1850.


[Beginn Spaltensatz]
Amtliche Nachrichten.

München, 12. Juni. Se. Maj. der König
haben in Gemäßheit allerhöchster Entschließung
vom 8. ds. nachstehende Personal=Beförderungen
und Veränderungen im Verwaltungsdienste des
Heeres allergnädigst anzuordnen geruht. Befördert
werden: 1 ) Zum Regimentsquartiermeister 1ster
Klasse: Der Reg.=Quartiermstr. 2. Kl. der Kom-
mandantschaft München Georg Hoppe bei der
Kommandantschaft Nürnberg. ( Krankenhaus=Jn-
spektor. ) 2 ) Zu Reg.=Quartiermstrn: a ) Joseph
Stengel beim Art.=Korpskommando, b ) Hartwig
Lohe vom 1. Armeekorpskommando beim 12. Jnf. -
Reg., c ) Mathäus Breinfalt im 11. Jnf.=Reg.,
d ) Donatus Eichenlaub im 14. Jnf.=Reg.

    ( Forts. folgt. )

Der bisherige Kuratieverweser Eizenhöfer zu
Werneck kam als Pfarrkuratieverweser nach Hohe-
stadt; auf die Kuratie Werneck der bisherige
Domkaplan J. Kühles und auf jene zu Friesen-
hausen der bisherige Pfarrvikar A. Leiber zu Retz-
bach beide als Verweser.



Hr. v. Montalembert über das all-
gemeine Stimmrecht

Wir geben in Nachstehendem den Hauptinhalt
einer bedeutenden Rede über das "allgemeine
Stimmrecht, Sie ist wohl neben der von Thiers
die in rhetorischer Hinsicht ausgezeichnetste, welche
über diesen Gegenstand in der französischen Ver-
sammlung gehalten worden ist. Der Redner sprach
im Wesentlichen Folgendes: Zwei Hauptvorwürfe
sind es, welche man nicht sowohl gegen einzelne
Bestimmungen des Gesetzes, als gegen den Geist
desselben im Allgemeinen erhoben hat. Man wirft
uns die Absicht vor, die Verfassung zu verletzen
und einen Angriff auf das allgemeine Stimmrecht
zu machen. Jch setze dem Erstern den entschie-
densten Widerspruch entgegen. Hätten wir die
Verfassung angreifen wollen, so wären wir die
Männer gewesen, es Jhnen zu sagen. ( Beweg-
ung ) . Wir haben nicht weiter gehen wollen, als
die Verfassung uns erlaubt; ja, wir haben sie
nur zu sehr geachtet; denn wenn das Gesetz wirk-
lich unwirksam werden sollte, so liegt die Schuld
nur darin, daß wir die Verfassung in allen ihren
Bestimmungen und Hemmungen geachtet haben.
Doch lassen Sie mich diesen Vorwurf der Ver-
fassungsverletzung etwas näher beleuchten, denn
seit einem Jahre bildet er die Grundlage oder
vielmehr den Vorwand aller Angriffe gegen die
Regierung und die Gesellschaft; einen Vorwand,
welchen Diejenigen uns immer entgegen halten,
welche, das Schwert in der Hand und die Schmä-
hung im Munde, die Gesellschaft bedrohen, einen
Vorwand, der jeden Tag zum Vorläufer des so-
zialen Krieges werden kann. Jch habe gegen die
Verfassung gestimmt, aber ich fühle mich ver-
pflichtet ihr zu gehorchen. Jch überlasse die un-
glückliche Theorie, daß man Gesetzen nicht zu ge-
horchen brauche, welche man nicht gemacht hat,
den Republikanern von gestern, jenen ausgedien-
ten Verschwöreren, deren ganzes Leben nur ein
fortgesetzter Angriff auf die Gesetze war, die ih-
nen mißfielen und die sie nicht gemacht hatten.
Mehr aber als Gehorsam bin ich dieser Verfass-
[Spaltenumbruch] ung nicht schuldig. Jch habe das Recht, sie zu
beurtheilen, und fühle keinen Beruf, ihr eine Art
abgöttischer Verehrung zu weihen, wie Diejenigen
es verlangen, welche jetzt die Priester dieses neuen
Kultus sind deren Leben aber, wie gesagt, ein
fortgesetzter Angriff auf die Gesetze des Landes
war. Sind doch unter diesen Menschen solche,
welche die Gesllschaft, in der sie lebten, bis zu
dem Tage bekämpft haben, wo sie die Herren
derselben wurden und denen das Geständniß der
Lebensbedingungen jeder Gesellschaft erst dann
aufging, als sie Minister oder Präsekten oder
Gesandte geworden waren!

Erst wenn diese Partei dem Lande 40 oder
50 Jahre lang Bürgschaften für die Achtung der
Gesetze gegeben haben wird, erst wenn sie sich
für die Befestigung der Gesellschaft eben so be-
müht haben wird, wie seit 50 Jahren für die
Vernichtung derselben, dann und nur dann wird
sie das Recht haben, uns, die wir niemals gegen
den Staat konspirirt, niemals eine Revolution ge-
macht haben, die Achtung vor Gesetz und Ver-
fassung zu predigen. Ein wenig Bescheidenheit
steht Jedermann wohl an; auch diesen Herren.
Gar viele Verfassungen haben wir schon erlebt,
welche Unterschriften trugen von nicht weniger
Gewicht, als diejenigen sind, welche die neueste
zieren; allein alle diese Unterschriften waren keine
Bürgschaften der Dauer. Diese wird den Ver-
fassungen nur durch die Wohlfahrt gesichert, und
diese Wohlthaten gehen nur hervor aus dem Ein-
klang der Verfassung mit den Sitten und den
Zuständen der Gesellschaft; dieser Einklang selbst
aber wird nur durch die Zeit als wirksam be-
wiesen. Es ist eine geschichtliche Thatsache, daß,
je länger eine Verfassung diskutirt wird, um so
kürzer sie dauert; die Verfassung von 1791, wel-
che 28 Monate lang von 1200 Mitgliedern be-
rathen wurde, hat gerade die Hälfte der Zeit ge-
dauert, welche für die Berathung in Anspruch ge-
nommen wurde. Die einzige nennenswerthe Ver-
fassung in der Welt, die einzige, welche die Probe
der Geschichte bestanden hat, die englische, ist auch
die einzige, welche niemals diskutirt noch geschrie-
ben wurde. Jnzwischen nehme ich die Verfassung,
wie wir sie haben; ich meinestheils bin ihr unter-
than und weiter Nichts; Sie aber sind ihre lei-
denschaftlichen Freunde, ihre ausschließlichen An-
beter, und ich kann nicht umhin, zu bemerken, daß
Sie ihr nach der Weise leidenschaftlicher Freunde
und Anbeter das Leben ziemlich sauer machen.
Sie machen es ihr sauer dadurch, daß Sie dem
Socialismus erlauben, sie als seine Fahne aufzu-
pflanzen, und dadurch, daß Sie sie immer als
verletzt oder in der Gefahr, verletzt zu werden,
darstellen.

Die Verletzung einer Konstitution aber dis-
kutirt man nicht; sie zeigt sich weniger in Wor-
ten als in Thaten, und doch machen Sie sie zum
täglichen Stoff Jhrer Polemik gegen die Regie-
rung und die Mehrheit der Versammlung. Das
ist kindisch, das ist lächerlich; es erinnert mich an
die Fabel vom einfältigen Hirten, der immer
schrie: "Der Wolf kommt! der Wolf kommt!"
und als der wirkliche Wolf kam, Niemand fand,
der ihm Glauben schenkte und zu Hülfe kam. Jch
habe mich oft gefragt, wie ich es wohl anfangen
[Spaltenumbruch] müßte, wenn ich die Verfassung zerstören und ver-
ächtlich machen wollte, und ich habe mich über-
zeugt, daß ich nur Das zu thun brauchte, was
ihre kühnsten Vertheidiger täglich thun; denn ich
wäre sicher, sie eben so lächerlich als verhaßt zu
machen, indem ich bei jeder und bei keiner Ver-
anlassung von ihrer Verletzung spräche; ich würde
sie so auf eine Art von einer lächerlichen Vestalin
machen, deren verhöhnte Tugend der Spott der
Gassen und das Gelächter der Nationen wäre.
Verhaßt aber würde ich sie machen auf diese
Weise: So oft dieses große Land Maßregeln der
Ehre, der öffentlichen Sicherheit, der guten Po-
litik würde treffen wollen, würde ich die Ver-
fassung in der Hand dazwischen treten und sagen:
Die Verfassung verbietet es; Jhr könnt nicht in
Rom die Ehre des französischen Volkes rächen
und nach den Ueberlieferungen der ältesten Toch-
ter der Kirche handeln; die Verfassung verbietet
es; Jhr könnt nicht das Vereinsrecht regeln,
nicht dem Skandal der Clubbs ein Ziel setzen;
die Verfassung verbietet es; Jhr könnt der Zü-
gellosigkeit der Presse kein Ende machen; die Ver-
fassung verbietet es; Jhr könnt dem allgemeinen
Stimmrecht nicht die Ehre und Wahrhaftigkeit
zurückgeben; die Verfassung verbietet es! Ja, so
oft dieses unglückliche Volk versuchen würde, sich
den erdrückenden Umarmungen des Sozialismus
zu entziehen; so oft diese Gesellschaft verzweiflungs-
voll um Hülfe rufen würde, würde ich zwischen
sie und die Ehre, zwischen sie und das Gute im-
mer die Verfassung hinstellen als eine Schranke
oder einen Abgrund; ich würde sie zum Symbol
alles Dessen machen, was der Feind der mensch-
lichen Gesellschaft ist. -- Aber es gibt noch Et-
was, was mehr als lächerlich, mehr als gehäs-
sig, was wahrhaft aberteuerlich ist: es ist Dies,
daß man die angebliche Verletzung der Verfassung
als Vorwand gebraucht, um das Recht des Auf-
ruhrs im Lande zu organisiren. Sie verleugnen
diese Taktik hier; aber was ereignet sich seit ei-
nem Monat, seit 14 Tagen außerhalb dieser Ver-
sammlung? Das Recht des Aufruhrs wird syste-
matisch erörtert, wie ein Rechtsspruch oder ein
Festprogramm; man bespricht Ort, Zeit, Mittel,
Zweckmäßigkeit des Aufruhrs. Damit aber ist
ein Zustand herbeigeführt, der weder mit der Mo-
narchie, noch mit der Republik, noch mit irgend
einer Staatsform vereinbar ist; denn er ist im
Widerspruch mit der Natur der Gesellschaft selbst,
und würde uns in eine Barbarei stürzen, wie die
Geschichte keine ähnliche kennt. Bemerken Sie,
meine Herren, den Hauptunterschied zwischen un-
sern Gegnern und uns. Wir suchen zu bewei-
sen, daß die Verfassung mit den wesentlichen Be-
dingungen des gesellschaftlichen Lebens und der
politischen Größe des Landes verteäglich ist; un-
sere Gegner suchen das Gegentheil zu beweisen.
Wer ist es, der der Verfassung den besten Dienst
leistet? Die Verfassung selbst stellt Rechte und
Pflichten auf, welche vor und über allen Gesetzen
in der menschlichen Natur selbst gegründet sind.
Die erste dieser Rechte und Pflichten ist nach mei-
nem Dafürhalten für die Gesellschaft das Recht,
zu leben, und für uns die Pflicht, ihr das Leben
zu sichern. Dieses Recht wollen wir üben, diese
Pflicht erfüllen. Jch weiß es wohl, daß es in

Die Bayerische Presse.

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vom 8. ds. nachstehende Personal=Beförderungen
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Heeres allergnädigst anzuordnen geruht. Befördert
werden: 1 ) Zum Regimentsquartiermeister 1ster
Klasse: Der Reg.=Quartiermstr. 2. Kl. der Kom-
mandantschaft München Georg Hoppe bei der
Kommandantschaft Nürnberg. ( Krankenhaus=Jn-
spektor. ) 2 ) Zu Reg.=Quartiermstrn: a ) Joseph
Stengel beim Art.=Korpskommando, b ) Hartwig
Lohe vom 1. Armeekorpskommando beim 12. Jnf. -
Reg., c ) Mathäus Breinfalt im 11. Jnf.=Reg.,
d ) Donatus Eichenlaub im 14. Jnf.=Reg.

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Der bisherige Kuratieverweser Eizenhöfer zu
Werneck kam als Pfarrkuratieverweser nach Hohe-
stadt; auf die Kuratie Werneck der bisherige
Domkaplan J. Kühles und auf jene zu Friesen-
hausen der bisherige Pfarrvikar A. Leiber zu Retz-
bach beide als Verweser.



Hr. v. Montalembert über das all-
gemeine Stimmrecht

Wir geben in Nachstehendem den Hauptinhalt
einer bedeutenden Rede über das „allgemeine
Stimmrecht, Sie ist wohl neben der von Thiers
die in rhetorischer Hinsicht ausgezeichnetste, welche
über diesen Gegenstand in der französischen Ver-
sammlung gehalten worden ist. Der Redner sprach
im Wesentlichen Folgendes: Zwei Hauptvorwürfe
sind es, welche man nicht sowohl gegen einzelne
Bestimmungen des Gesetzes, als gegen den Geist
desselben im Allgemeinen erhoben hat. Man wirft
uns die Absicht vor, die Verfassung zu verletzen
und einen Angriff auf das allgemeine Stimmrecht
zu machen. Jch setze dem Erstern den entschie-
densten Widerspruch entgegen. Hätten wir die
Verfassung angreifen wollen, so wären wir die
Männer gewesen, es Jhnen zu sagen. ( Beweg-
ung ) . Wir haben nicht weiter gehen wollen, als
die Verfassung uns erlaubt; ja, wir haben sie
nur zu sehr geachtet; denn wenn das Gesetz wirk-
lich unwirksam werden sollte, so liegt die Schuld
nur darin, daß wir die Verfassung in allen ihren
Bestimmungen und Hemmungen geachtet haben.
Doch lassen Sie mich diesen Vorwurf der Ver-
fassungsverletzung etwas näher beleuchten, denn
seit einem Jahre bildet er die Grundlage oder
vielmehr den Vorwand aller Angriffe gegen die
Regierung und die Gesellschaft; einen Vorwand,
welchen Diejenigen uns immer entgegen halten,
welche, das Schwert in der Hand und die Schmä-
hung im Munde, die Gesellschaft bedrohen, einen
Vorwand, der jeden Tag zum Vorläufer des so-
zialen Krieges werden kann. Jch habe gegen die
Verfassung gestimmt, aber ich fühle mich ver-
pflichtet ihr zu gehorchen. Jch überlasse die un-
glückliche Theorie, daß man Gesetzen nicht zu ge-
horchen brauche, welche man nicht gemacht hat,
den Republikanern von gestern, jenen ausgedien-
ten Verschwöreren, deren ganzes Leben nur ein
fortgesetzter Angriff auf die Gesetze war, die ih-
nen mißfielen und die sie nicht gemacht hatten.
Mehr aber als Gehorsam bin ich dieser Verfass-
[Spaltenumbruch] ung nicht schuldig. Jch habe das Recht, sie zu
beurtheilen, und fühle keinen Beruf, ihr eine Art
abgöttischer Verehrung zu weihen, wie Diejenigen
es verlangen, welche jetzt die Priester dieses neuen
Kultus sind deren Leben aber, wie gesagt, ein
fortgesetzter Angriff auf die Gesetze des Landes
war. Sind doch unter diesen Menschen solche,
welche die Gesllschaft, in der sie lebten, bis zu
dem Tage bekämpft haben, wo sie die Herren
derselben wurden und denen das Geständniß der
Lebensbedingungen jeder Gesellschaft erst dann
aufging, als sie Minister oder Präsekten oder
Gesandte geworden waren!

Erst wenn diese Partei dem Lande 40 oder
50 Jahre lang Bürgschaften für die Achtung der
Gesetze gegeben haben wird, erst wenn sie sich
für die Befestigung der Gesellschaft eben so be-
müht haben wird, wie seit 50 Jahren für die
Vernichtung derselben, dann und nur dann wird
sie das Recht haben, uns, die wir niemals gegen
den Staat konspirirt, niemals eine Revolution ge-
macht haben, die Achtung vor Gesetz und Ver-
fassung zu predigen. Ein wenig Bescheidenheit
steht Jedermann wohl an; auch diesen Herren.
Gar viele Verfassungen haben wir schon erlebt,
welche Unterschriften trugen von nicht weniger
Gewicht, als diejenigen sind, welche die neueste
zieren; allein alle diese Unterschriften waren keine
Bürgschaften der Dauer. Diese wird den Ver-
fassungen nur durch die Wohlfahrt gesichert, und
diese Wohlthaten gehen nur hervor aus dem Ein-
klang der Verfassung mit den Sitten und den
Zuständen der Gesellschaft; dieser Einklang selbst
aber wird nur durch die Zeit als wirksam be-
wiesen. Es ist eine geschichtliche Thatsache, daß,
je länger eine Verfassung diskutirt wird, um so
kürzer sie dauert; die Verfassung von 1791, wel-
che 28 Monate lang von 1200 Mitgliedern be-
rathen wurde, hat gerade die Hälfte der Zeit ge-
dauert, welche für die Berathung in Anspruch ge-
nommen wurde. Die einzige nennenswerthe Ver-
fassung in der Welt, die einzige, welche die Probe
der Geschichte bestanden hat, die englische, ist auch
die einzige, welche niemals diskutirt noch geschrie-
ben wurde. Jnzwischen nehme ich die Verfassung,
wie wir sie haben; ich meinestheils bin ihr unter-
than und weiter Nichts; Sie aber sind ihre lei-
denschaftlichen Freunde, ihre ausschließlichen An-
beter, und ich kann nicht umhin, zu bemerken, daß
Sie ihr nach der Weise leidenschaftlicher Freunde
und Anbeter das Leben ziemlich sauer machen.
Sie machen es ihr sauer dadurch, daß Sie dem
Socialismus erlauben, sie als seine Fahne aufzu-
pflanzen, und dadurch, daß Sie sie immer als
verletzt oder in der Gefahr, verletzt zu werden,
darstellen.

Die Verletzung einer Konstitution aber dis-
kutirt man nicht; sie zeigt sich weniger in Wor-
ten als in Thaten, und doch machen Sie sie zum
täglichen Stoff Jhrer Polemik gegen die Regie-
rung und die Mehrheit der Versammlung. Das
ist kindisch, das ist lächerlich; es erinnert mich an
die Fabel vom einfältigen Hirten, der immer
schrie: „Der Wolf kommt! der Wolf kommt!“
und als der wirkliche Wolf kam, Niemand fand,
der ihm Glauben schenkte und zu Hülfe kam. Jch
habe mich oft gefragt, wie ich es wohl anfangen
[Spaltenumbruch] müßte, wenn ich die Verfassung zerstören und ver-
ächtlich machen wollte, und ich habe mich über-
zeugt, daß ich nur Das zu thun brauchte, was
ihre kühnsten Vertheidiger täglich thun; denn ich
wäre sicher, sie eben so lächerlich als verhaßt zu
machen, indem ich bei jeder und bei keiner Ver-
anlassung von ihrer Verletzung spräche; ich würde
sie so auf eine Art von einer lächerlichen Vestalin
machen, deren verhöhnte Tugend der Spott der
Gassen und das Gelächter der Nationen wäre.
Verhaßt aber würde ich sie machen auf diese
Weise: So oft dieses große Land Maßregeln der
Ehre, der öffentlichen Sicherheit, der guten Po-
litik würde treffen wollen, würde ich die Ver-
fassung in der Hand dazwischen treten und sagen:
Die Verfassung verbietet es; Jhr könnt nicht in
Rom die Ehre des französischen Volkes rächen
und nach den Ueberlieferungen der ältesten Toch-
ter der Kirche handeln; die Verfassung verbietet
es; Jhr könnt nicht das Vereinsrecht regeln,
nicht dem Skandal der Clubbs ein Ziel setzen;
die Verfassung verbietet es; Jhr könnt der Zü-
gellosigkeit der Presse kein Ende machen; die Ver-
fassung verbietet es; Jhr könnt dem allgemeinen
Stimmrecht nicht die Ehre und Wahrhaftigkeit
zurückgeben; die Verfassung verbietet es! Ja, so
oft dieses unglückliche Volk versuchen würde, sich
den erdrückenden Umarmungen des Sozialismus
zu entziehen; so oft diese Gesellschaft verzweiflungs-
voll um Hülfe rufen würde, würde ich zwischen
sie und die Ehre, zwischen sie und das Gute im-
mer die Verfassung hinstellen als eine Schranke
oder einen Abgrund; ich würde sie zum Symbol
alles Dessen machen, was der Feind der mensch-
lichen Gesellschaft ist. -- Aber es gibt noch Et-
was, was mehr als lächerlich, mehr als gehäs-
sig, was wahrhaft aberteuerlich ist: es ist Dies,
daß man die angebliche Verletzung der Verfassung
als Vorwand gebraucht, um das Recht des Auf-
ruhrs im Lande zu organisiren. Sie verleugnen
diese Taktik hier; aber was ereignet sich seit ei-
nem Monat, seit 14 Tagen außerhalb dieser Ver-
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matisch erörtert, wie ein Rechtsspruch oder ein
Festprogramm; man bespricht Ort, Zeit, Mittel,
Zweckmäßigkeit des Aufruhrs. Damit aber ist
ein Zustand herbeigeführt, der weder mit der Mo-
narchie, noch mit der Republik, noch mit irgend
einer Staatsform vereinbar ist; denn er ist im
Widerspruch mit der Natur der Gesellschaft selbst,
und würde uns in eine Barbarei stürzen, wie die
Geschichte keine ähnliche kennt. Bemerken Sie,
meine Herren, den Hauptunterschied zwischen un-
sern Gegnern und uns. Wir suchen zu bewei-
sen, daß die Verfassung mit den wesentlichen Be-
dingungen des gesellschaftlichen Lebens und der
politischen Größe des Landes verteäglich ist; un-
sere Gegner suchen das Gegentheil zu beweisen.
Wer ist es, der der Verfassung den besten Dienst
leistet? Die Verfassung selbst stellt Rechte und
Pflichten auf, welche vor und über allen Gesetzen
in der menschlichen Natur selbst gegründet sind.
Die erste dieser Rechte und Pflichten ist nach mei-
nem Dafürhalten für die Gesellschaft das Recht,
zu leben, und für uns die Pflicht, ihr das Leben
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Pflicht erfüllen. Jch weiß es wohl, daß es in

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[0001] Die Bayerische Presse. Abonnement: Ganzjährig 6 fl. Halbjährig 3 fl. Vierteljährig 1 fl. 30 kr. Monatlich für die Stadt 30 kr. Eine constitutionell-monarchische Zeitung. Expedition: Jm Schenkhofe 2. Distr. Nr. 533. Einrückungsgebühr: die gespaltene Pe- titzeile oder deren Raum 3 kr. Briefe und Gelder frei. Nr. 142. Würzburg, Freitag den 14. Juni. 1850. Amtliche Nachrichten. München, 12. Juni. Se. Maj. der König haben in Gemäßheit allerhöchster Entschließung vom 8. ds. nachstehende Personal=Beförderungen und Veränderungen im Verwaltungsdienste des Heeres allergnädigst anzuordnen geruht. Befördert werden: 1 ) Zum Regimentsquartiermeister 1ster Klasse: Der Reg.=Quartiermstr. 2. Kl. der Kom- mandantschaft München Georg Hoppe bei der Kommandantschaft Nürnberg. ( Krankenhaus=Jn- spektor. ) 2 ) Zu Reg.=Quartiermstrn: a ) Joseph Stengel beim Art.=Korpskommando, b ) Hartwig Lohe vom 1. Armeekorpskommando beim 12. Jnf. - Reg., c ) Mathäus Breinfalt im 11. Jnf.=Reg., d ) Donatus Eichenlaub im 14. Jnf.=Reg. ( Forts. folgt. ) Der bisherige Kuratieverweser Eizenhöfer zu Werneck kam als Pfarrkuratieverweser nach Hohe- stadt; auf die Kuratie Werneck der bisherige Domkaplan J. Kühles und auf jene zu Friesen- hausen der bisherige Pfarrvikar A. Leiber zu Retz- bach beide als Verweser. Hr. v. Montalembert über das all- gemeine Stimmrecht Wir geben in Nachstehendem den Hauptinhalt einer bedeutenden Rede über das „allgemeine Stimmrecht, Sie ist wohl neben der von Thiers die in rhetorischer Hinsicht ausgezeichnetste, welche über diesen Gegenstand in der französischen Ver- sammlung gehalten worden ist. Der Redner sprach im Wesentlichen Folgendes: Zwei Hauptvorwürfe sind es, welche man nicht sowohl gegen einzelne Bestimmungen des Gesetzes, als gegen den Geist desselben im Allgemeinen erhoben hat. Man wirft uns die Absicht vor, die Verfassung zu verletzen und einen Angriff auf das allgemeine Stimmrecht zu machen. Jch setze dem Erstern den entschie- densten Widerspruch entgegen. Hätten wir die Verfassung angreifen wollen, so wären wir die Männer gewesen, es Jhnen zu sagen. ( Beweg- ung ) . Wir haben nicht weiter gehen wollen, als die Verfassung uns erlaubt; ja, wir haben sie nur zu sehr geachtet; denn wenn das Gesetz wirk- lich unwirksam werden sollte, so liegt die Schuld nur darin, daß wir die Verfassung in allen ihren Bestimmungen und Hemmungen geachtet haben. Doch lassen Sie mich diesen Vorwurf der Ver- fassungsverletzung etwas näher beleuchten, denn seit einem Jahre bildet er die Grundlage oder vielmehr den Vorwand aller Angriffe gegen die Regierung und die Gesellschaft; einen Vorwand, welchen Diejenigen uns immer entgegen halten, welche, das Schwert in der Hand und die Schmä- hung im Munde, die Gesellschaft bedrohen, einen Vorwand, der jeden Tag zum Vorläufer des so- zialen Krieges werden kann. Jch habe gegen die Verfassung gestimmt, aber ich fühle mich ver- pflichtet ihr zu gehorchen. Jch überlasse die un- glückliche Theorie, daß man Gesetzen nicht zu ge- horchen brauche, welche man nicht gemacht hat, den Republikanern von gestern, jenen ausgedien- ten Verschwöreren, deren ganzes Leben nur ein fortgesetzter Angriff auf die Gesetze war, die ih- nen mißfielen und die sie nicht gemacht hatten. Mehr aber als Gehorsam bin ich dieser Verfass- ung nicht schuldig. Jch habe das Recht, sie zu beurtheilen, und fühle keinen Beruf, ihr eine Art abgöttischer Verehrung zu weihen, wie Diejenigen es verlangen, welche jetzt die Priester dieses neuen Kultus sind deren Leben aber, wie gesagt, ein fortgesetzter Angriff auf die Gesetze des Landes war. Sind doch unter diesen Menschen solche, welche die Gesllschaft, in der sie lebten, bis zu dem Tage bekämpft haben, wo sie die Herren derselben wurden und denen das Geständniß der Lebensbedingungen jeder Gesellschaft erst dann aufging, als sie Minister oder Präsekten oder Gesandte geworden waren! Erst wenn diese Partei dem Lande 40 oder 50 Jahre lang Bürgschaften für die Achtung der Gesetze gegeben haben wird, erst wenn sie sich für die Befestigung der Gesellschaft eben so be- müht haben wird, wie seit 50 Jahren für die Vernichtung derselben, dann und nur dann wird sie das Recht haben, uns, die wir niemals gegen den Staat konspirirt, niemals eine Revolution ge- macht haben, die Achtung vor Gesetz und Ver- fassung zu predigen. Ein wenig Bescheidenheit steht Jedermann wohl an; auch diesen Herren. Gar viele Verfassungen haben wir schon erlebt, welche Unterschriften trugen von nicht weniger Gewicht, als diejenigen sind, welche die neueste zieren; allein alle diese Unterschriften waren keine Bürgschaften der Dauer. Diese wird den Ver- fassungen nur durch die Wohlfahrt gesichert, und diese Wohlthaten gehen nur hervor aus dem Ein- klang der Verfassung mit den Sitten und den Zuständen der Gesellschaft; dieser Einklang selbst aber wird nur durch die Zeit als wirksam be- wiesen. Es ist eine geschichtliche Thatsache, daß, je länger eine Verfassung diskutirt wird, um so kürzer sie dauert; die Verfassung von 1791, wel- che 28 Monate lang von 1200 Mitgliedern be- rathen wurde, hat gerade die Hälfte der Zeit ge- dauert, welche für die Berathung in Anspruch ge- nommen wurde. Die einzige nennenswerthe Ver- fassung in der Welt, die einzige, welche die Probe der Geschichte bestanden hat, die englische, ist auch die einzige, welche niemals diskutirt noch geschrie- ben wurde. Jnzwischen nehme ich die Verfassung, wie wir sie haben; ich meinestheils bin ihr unter- than und weiter Nichts; Sie aber sind ihre lei- denschaftlichen Freunde, ihre ausschließlichen An- beter, und ich kann nicht umhin, zu bemerken, daß Sie ihr nach der Weise leidenschaftlicher Freunde und Anbeter das Leben ziemlich sauer machen. Sie machen es ihr sauer dadurch, daß Sie dem Socialismus erlauben, sie als seine Fahne aufzu- pflanzen, und dadurch, daß Sie sie immer als verletzt oder in der Gefahr, verletzt zu werden, darstellen. Die Verletzung einer Konstitution aber dis- kutirt man nicht; sie zeigt sich weniger in Wor- ten als in Thaten, und doch machen Sie sie zum täglichen Stoff Jhrer Polemik gegen die Regie- rung und die Mehrheit der Versammlung. Das ist kindisch, das ist lächerlich; es erinnert mich an die Fabel vom einfältigen Hirten, der immer schrie: „Der Wolf kommt! der Wolf kommt!“ und als der wirkliche Wolf kam, Niemand fand, der ihm Glauben schenkte und zu Hülfe kam. Jch habe mich oft gefragt, wie ich es wohl anfangen müßte, wenn ich die Verfassung zerstören und ver- ächtlich machen wollte, und ich habe mich über- zeugt, daß ich nur Das zu thun brauchte, was ihre kühnsten Vertheidiger täglich thun; denn ich wäre sicher, sie eben so lächerlich als verhaßt zu machen, indem ich bei jeder und bei keiner Ver- anlassung von ihrer Verletzung spräche; ich würde sie so auf eine Art von einer lächerlichen Vestalin machen, deren verhöhnte Tugend der Spott der Gassen und das Gelächter der Nationen wäre. Verhaßt aber würde ich sie machen auf diese Weise: So oft dieses große Land Maßregeln der Ehre, der öffentlichen Sicherheit, der guten Po- litik würde treffen wollen, würde ich die Ver- fassung in der Hand dazwischen treten und sagen: Die Verfassung verbietet es; Jhr könnt nicht in Rom die Ehre des französischen Volkes rächen und nach den Ueberlieferungen der ältesten Toch- ter der Kirche handeln; die Verfassung verbietet es; Jhr könnt nicht das Vereinsrecht regeln, nicht dem Skandal der Clubbs ein Ziel setzen; die Verfassung verbietet es; Jhr könnt der Zü- gellosigkeit der Presse kein Ende machen; die Ver- fassung verbietet es; Jhr könnt dem allgemeinen Stimmrecht nicht die Ehre und Wahrhaftigkeit zurückgeben; die Verfassung verbietet es! Ja, so oft dieses unglückliche Volk versuchen würde, sich den erdrückenden Umarmungen des Sozialismus zu entziehen; so oft diese Gesellschaft verzweiflungs- voll um Hülfe rufen würde, würde ich zwischen sie und die Ehre, zwischen sie und das Gute im- mer die Verfassung hinstellen als eine Schranke oder einen Abgrund; ich würde sie zum Symbol alles Dessen machen, was der Feind der mensch- lichen Gesellschaft ist. -- Aber es gibt noch Et- was, was mehr als lächerlich, mehr als gehäs- sig, was wahrhaft aberteuerlich ist: es ist Dies, daß man die angebliche Verletzung der Verfassung als Vorwand gebraucht, um das Recht des Auf- ruhrs im Lande zu organisiren. Sie verleugnen diese Taktik hier; aber was ereignet sich seit ei- nem Monat, seit 14 Tagen außerhalb dieser Ver- sammlung? Das Recht des Aufruhrs wird syste- matisch erörtert, wie ein Rechtsspruch oder ein Festprogramm; man bespricht Ort, Zeit, Mittel, Zweckmäßigkeit des Aufruhrs. Damit aber ist ein Zustand herbeigeführt, der weder mit der Mo- narchie, noch mit der Republik, noch mit irgend einer Staatsform vereinbar ist; denn er ist im Widerspruch mit der Natur der Gesellschaft selbst, und würde uns in eine Barbarei stürzen, wie die Geschichte keine ähnliche kennt. Bemerken Sie, meine Herren, den Hauptunterschied zwischen un- sern Gegnern und uns. Wir suchen zu bewei- sen, daß die Verfassung mit den wesentlichen Be- dingungen des gesellschaftlichen Lebens und der politischen Größe des Landes verteäglich ist; un- sere Gegner suchen das Gegentheil zu beweisen. Wer ist es, der der Verfassung den besten Dienst leistet? Die Verfassung selbst stellt Rechte und Pflichten auf, welche vor und über allen Gesetzen in der menschlichen Natur selbst gegründet sind. Die erste dieser Rechte und Pflichten ist nach mei- nem Dafürhalten für die Gesellschaft das Recht, zu leben, und für uns die Pflicht, ihr das Leben zu sichern. Dieses Recht wollen wir üben, diese Pflicht erfüllen. Jch weiß es wohl, daß es in

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Zitationshilfe: Die Bayerische Presse. Nr. 142. Würzburg, 14. Juni 1850, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_bayerische142_1850/1>, abgerufen am 16.04.2024.