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Badener Zeitung. Nr. 91, Baden (Niederösterreich), 14.11.1900.

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Mittwoch Badener Zeitung 14. November 1900. Nr. 91.

[Spaltenumbruch]

Compromisses Herrn v. Körber aufs äußerste zu
compromittieren wissen. Ja, wenn jetzt die Re-
gierung Körber, für die Herr Biehlohlawek und
neuesteus der Confusionsprofessor Schlesinger in
die Bresche treten, nicht gerettet ist, dann ist der
"weithin sichtbar unparteiischen" Regierung, deren
Statthalter soeben sich durch eine famose Erle-
digung von Wahlbeschwerden um die christlich-
socialen Schooßkinder der Regierung hoch ver-
dient gemacht hat, auf keinen Fall mehr zu helfen.

Der steirische Großgrundbesitz möchte gerne
allen, auch den bisher außerhalb der deutschen
Gemeinbürgschaft Stehenden, an welcher der
Großgrundbesitz in deutscher Treue festzuhalten
erklärt, die Hand reichen zur deutschen Streit-
genossenschaft, vorausgesetzt, dass diese sich nur
ehrlich und aufrichtig gewillt zeigen, für die er-
erbte Stellung des deutschen Volkes in Oester-
reich einzutreten. Nun ist das recht schön gedacht;
vielleicht könnte man, was das ehrlich und auf-
richtig anbelangt, bei einem Kathrein und Schöpfer
nicht ganz verzweifeln, denn diese gehören zu den
wenigen persönlich ehrenhaften Erscheinungen
unter den Clericalen. Allein bei einem Ebenhoch,
einem Treuinfels oder gar bei einem Dipauli
wäre in dieser Beziehung Hopfen und Malz ver-
loren. Ehrlich und aufrichtig, das sind kautschuck-
artig dehnbare Begriffe bei einem Ebenhoch, der
seine Gesinnung wohl eben so oft wechselt, als
seine Wäsche. Daran kann auch der jüngst vom
Papste an Dipauli geschickte Gregoriusorden
nichts ändern; der Kalterer Baron kann es eben
in der Politik noch nicht lassen, das zu treiben,
was ihm von den Bauern im Weinkeller nach
gerühmt wird, zu pantschen und zu fälschen,
natürlich für das Volkswohl. Wohl wird dieser
Mann auf dem Schaubrette der Feudalen noch
eine wichtige Figur abgeben, denn Herr v. Körber
will ihm, den die Bauern verwerfen, wieder in
den Sattel helfen. Auch das kennzeichnet die
künftige Richtung des Cabinettes Körber.




Zur Wahlbewegung.

Der Umstand, dass der Städte-Wahlbezirk
Baden--Bruck während einer completten Sessions-
periode des Reichsrathes so gut wie verwaist war,
hat der gesammten Wählerschaft oder wenigstens
ihrer überwiegenden Majorität die bittere Erkenntnis
nahegebracht, wie undankbar und gegen die eigenen
Interessen verstoßend es war, den früheren verdienst-
vollen Abgeordneten dieses Bezirkes, Professor
Marchet, so schnöde fallen zu lassen. Nicht nur der
Weinbauer hatte an ihm einen treuen Berather und
Helfer verloren, sondern alle Berufsstände ohne Aus-
nahme erblickten sich dadurch schwer geschädigt, dass
sie in der Reichsvertretung niemanden hatten, denen
[Spaltenumbruch] sie ihre dringenden und gewiss berechtigten Wünsche
anvertrauen konnten. Erst nachdem Marchet gefallen
und seine unermüdliche Schaffenskraft durch die negative
Thätigkeit seines Nachfolgers abgelöst worden war,
fand sich eine große Anzahl von Landwirten und
Gewerbetreibenden aller Branchen, welche nicht genug
zu rühmen wussten, was der so schmählich hinaus-
gestoßene Marchet für sie gewesen, was er für sie
gethan, wie er zu jeder Stunde bereit war, ihre
Wünsche entgegenzunehmen, entgegen der mehr abge-
schmackten als witzigen Behauptung seiner Gegner,
dass man zu ihm nur in Frack und Handschuhen
kommen dürfe. Freilich, ein einziges Werk war es
nur, welches Marchet am Ausgange seiner Thätigkeit
als Abgeordneter als abgeschlossen seinen Wählern
hinterlassen konnte, die Weinbaufrage. Aber dass ihm
die Lösung so mancher anderen Frage nicht gelang,
das war nicht seine Schuld, daran verhinderte ihn
der Ausfall der Neuwahlen. Die Frage der Haus-
zinssteuer in Baden war nahezu spruchreif, in der
Gewerbegesetznovelle hatte Marchet in einer Reihe
von eingehenden Besprechungen die Wünsche und
Beschwerden der Gewerbetreibenden seines Wahlbe-
zirkes zur Kenntnis genommen und hatte sich für
ihre Durchsetzung ein reiches Materiale zurechtgelegt;
zahlreiche Anliegen einzelner Wähler in Gewerbe-
und Steuersachen hatte er in aller Stille, aber mit
dem Aufgebote seines Einflusses bei den maßgebenden
Behörden zu Gunsten der Beschwerdeführer erledigt.
Was Wunder, dass allerorten, nachdem die erste Auf-
regung nach den Wahlen vorüber war, und ruhigere
Ueberlegung dem Parteihasse Platz gemacht hatte, so
mancher seiner Widersacher sich mit Bedauern des
Mannes erinnerte, der trotz seiner Verdienste um die
Wählerschaft, wie sie kaum ein zweiter Abgeordneter
aufzuweisen haben dürfte, dem blinden Parteihasse
zum Opfer fallen musste.

Aus allen diesen Gründen hat die von uns
gebrachte Nachricht, dass Marchet dem Drängen der
freiheitlich gesinnten Vertrauensmänner aller sieben
Wahlorte nach langem und begreiflichen Zögern nach-
gegeben und die Candidatur für den Reichsrath an-
genommen habe, in allen Kreisen der Bevölkerung
lebhafte und auch unverhohlen zur Schau getragene
Befriedigung hervorgerufen. Wie die Dinge heute
liegen, ist die Candidatur eine sichere; sie ist es schon
deshalb, weil diesmal sowohl die Parteifreunde des
Candidaten, als auch viele seiner politischen Gegner
sich in dem Wunsche treffen, Marchet wieder als Ver-
treter des Bezirkes begrüßen zu können. Die loyalen
politischen Gegner -- und es gibt deren erfreulicher
Weise -- sagen zwar ganz offen, Marchet sei in
politischer Beziehung nicht ihr Mann; allein sie ver-
hehlen auch nicht im geringsten das Vertrauen, das
sie in seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit setzen
und erwarten von seiner Wiederwahl das Beste für
den Bezirk. Wir haben Gelegenheit gehabt, diesfalls
die Meinung von Männern aus allen Berufskreisen,
[Spaltenumbruch] aus den handwerksmäßigen Gewerben, aus der Kauf-
mannsschaft, aus der Lehrer- und Beamtenschaft zu
hören; die Argumente, welche für die Wiederwahl
Marchet's geltend gemacht werden, sind überall dieselben:
Wir kennen Marchet als einen überzeugungstreuen
Fortschrittler, wir kennen ihn aber auch als einen
tüchtigen, in die Bedürfnisse aller Berufskreise ein-
geweihten Mann, als einen Mann von eiserner That-
kraft und Arbeitsfreudigkeit, der selbst den scheinbar
größten Hindernissen spielend zu begegnen weiß, wir
kennen ihn vor allem als wackeren Ehrenmann, der
in ungezählten Fällen während seiner Thätigkeit als
Abgeordneter selbst seinen politischen Widersachern
als uneigennütziger Helfer zur Seite gestanden ist.
Darum, weil wir wissen, was wir an Marchet haben
werden, falls er aus der Wahl als unser Vertreter
hervorgeht, darum wollen wir, die wir ihm einst
entgegenstanden, unsere Stimme geben, überzeugt,
dass er, unbeschadet seiner politischen Anschauungen,
das wirtschaftliche Wohl Aller, einerlei, ob Partei-
freunde oder nicht, zu wahren trachten wird. Das ist
so ungefähr der Succus aus den vielen Meinungs-
äußerungen, welche bisher über die Wiedercandidatur
Marchet's laut wurden. Sie ehren den Mann, wie
er es verdient und jedermann wird ihm diese nach-
trägliche Anerkennung seiner persönlichen Vorzüge aus
vollem Herzen gönnen, Sie ehren aber auch in dem-
selben Maße jene Männer, welche von blinder Partei-
leidenschaft geheilt, offen und rückhaltslos seine Ver-
dienste anerkennen und für ihn einzutreten sich ver-
pflichten. Der Tag des Jahres 1897, an welchem Marchet
sich so schmählich geschlagen fühlte, am schmählichsten in
seiner Vaterstadt selbst, war für ihn ein bitterer und
wird ihm sicherlich durch sein ganzes Leben in herber Er-
innerung bleiben; aber wenn etwas imstande ist, das Leid
wett zu machen, das er damals erfahren, so ist es
die Kundgebung der lange schon im Stillen gehegten
Sympathien, die jetzt beim Bekanntwerden seiner
Wiedercandidatur so spontan, wir möchten sagen, aus
vollem Herzen, hervorgetreten sind. Freilich, die Schlacht
ist ja noch lange nicht gewonnen; es wird großer
Anstrengungen bedürfen, um den Sieg zu erringen.
Aber eine gewisse frohe Zuversicht erfüllt uns und
alle, die wir Marchet kennen und hochschätzen gelernt
haben; hoffen wir, dass sich der Erfolg an die Fahne
hefte, die wir für Marchet entrollen und dass ihn der
Badener Bezirk wieder zurückgewinne!

Wir haben in unserer letzten Nummer über
den Ingenier Raunig berichtet, der von den
Industriellen des Städte-Wahlbezirkes Baden-Bruck
als Candidat aufgestellt worden sein soll. Verleitet
wurden wir zu dieser Nachricht durch eine uns zur
Verfügung gestellte hectographierte Notiz, in der es
wörtlich heißt: "Wie verlautet, candidieren die
Industriellen des Städtebezirkes Baden Herrn
Ingenieur Raunig, Secretär etc." Diese Form der
Verlautbarung ist nun, wie man uns mittheilt, un-
richtig und hat unter den Industriellen des Bezirkes




[Spaltenumbruch]

"Ah -- nein -- aber ich bitte Sie -- ich er-
kenne Sie ja wieder -- wenn ich Sie auch nur ein
einzigesmal früher gesehen, nur wenige Worte mit
Ihnen gewechselt -- ich habe ein gutes Physiogno-
miengedächtnis und vergesse niemals jemanden, den
ich auch nur ein einzigesmal flüchtig gesehen oder
gesprochen habe."

"Aber umso leichter Stücke, die Ihnen einge-
reicht wurden", erwiderte der Fremde sarkastisch. Ein
furchtbarer Hustenanfall schnitt ihm jedoch jedes weitere
Wort ab.

"Um Gotteswillen, was ist das?" rief der
Bühnenleiter bestürzt. "Bitte, setzen Sie sich doch!"

"Wenn Sie -- gestatten --" und hustend sank
er auf einen Sessel nieder.

Als er sich so weit erholt hatte, um wieder
sprechen zu können, sagte er: "Ich danke Ihnen,
muss Ihnen aber noch mit einer weiteren Bitte
kommen. Wie Sie sehen, geht es mir nicht zum
besten -- aber es ist noch weit schlimmer als es
aussieht. Alles, was ich besitze, trage ich bei mir, ich
habe nicht einen Pfennig in der Tasche und seit
gestern Adend einen leeren Magen --"

"Himmel!" rief halblaut der elegante Mann,
von seinem Sitze auffahrend. "Da werde ich aber
gleich --"

"Ja", sagte der andere ruhig, "ich muss wirklich
um einen kleinen Imbiss und einen Schluck bitten --
als Vorschuss auf die Premiere, so viel wird wohl
noch dabei abfallen", fügte er mit bitterem Lächeln
noch hinzu.

"Aber, ich bitte Sie, verehrter Meister, Sie
wollen mich doch nicht kränken! Und nun kommen
Sie, kommen Sie."

Er drückte auf einen Knopf. Das Mädchen trat
[Spaltenumbruch] ein, er gab ihr einige kurze Weisungen und führte
dann den Fremden ins Speisezimmer.

"Greifen Sie zu", bat der Director artig, "es
ist mir eine Ehre, den Mann zu bewirten, in dem
Deutschland morgen einen neuen Dramatiker be-
grüßen wird."

"Und der vor einer Stunde am Wege fast ver-
hungert liegen geblieben wäre", ergänzte der Dichter
mit beißendem Spott.

"Ja, aber -- ich habe doch, nachdem Ihr Stück
angenommen war, in einer ganzen Reihe von Blättern
an Sie die Bitte richten lassen, mir Ihren Aufent-
haltsort bekanntzugeben, um das nähere mit Ihnen
zu besprechen. Wie ist es nur möglich, dass Sie das
nicht gelesen haben?"

"Das war vor einem halben Jahre", sagte der
Dichter, den Schätzen, die das Buffet in Gestalt von
kaltem Braten, Schinken, italienischem Salat etc. her-
gegeben, mit wahrem Heißhunger zusprechend, und
den Portwein in dürftigen Zügen trinkend, "wie ist
es möglich, dass ein Stück drei und ein halbes Jahr
im Theaterarchiv verstaubt und dann doch noch ans
Licht gezogen wird?"

"Ja, sehen Sie", entgegnete der Director etwas
verlegen, während das Mädchen vor den Gast eine
Schale mit gekochten Eiern hinstellte und ihm aus
dem brodelnden Samovar eine Tasse Thee füllte,
"mein lieber Freund, der langjährige Dramaturg
meines Theaters, Dr. Hillger, starb ungefähr vor
Jahresfrist. Dem guten Alten war die Arbeit zuletzt
über den Kopf gewachsen, und er hat sie sich ein
wenig vereinfacht. Er hatte sich die bekannten Schrift-
steller in verschiedene Klassen eingetheilt, je nach
ihrem literarischen Rufe und las die Eingänge
"classenweise", nicht in der Reihenfolge wie sie ein-
[Spaltenumbruch] liefen. Alle Manuscripte von unbekannten Autoren
legte er in einen Winkel seines Bureaus, wo sie sich
zu einem ganze Berge anhäuften. War das Reper-
toire auf Monate hinaus festgelegt, so begann er
mit diesen sich zu beschäftigen, das heißt, er legte
vier Manuscripte auf seinen Schreibtisch, las davon
eines, ließ es retournieren, während er die übrigen
drei ungelesen zurückgehen ließ --". Ein schneidendes
Lachen unterbrach hier den harmlos Plaudernden.

"Das ist ja recht heiter, recht erbaulich", stieß
der Dichter dann in äußerster Erregung hervor.

"Aber nicht zu ändern", fiel ihm der Bühnen-
leiter ruhig ins Wort, "hätten sie eine Ahnung, welche
Stöße von Manuscripten täglich bei uns einlaufen!
Ich engagierte einen neuen Dramaturgen, einen Lite-
rarhistoriker und Idealisten vom reinsten Wasser, der
seinen Lauf mit Feuereifer aufnahm. Drei Stücke
hat der Aermste täglich gelesen und drei andere von
einigen seiner Freunde und Gesinnungsgenossen prüfen
lassen. Da wurde endlich einmal ein wenig unter dem
Wust aufgeräumt! Unter den Arbeiten, die er mir
zur näheren Prüfung unterbreitete, befand sich auch
Ihre "Fredegundis". Ich las sie und während ich sie
las, erinnerte ich mich auch Ihrer Person, ich schrieb
Ihnen, ich erkundigte mich nach Ihnen -- ich erließ
die Aufforderung in den Zeitungen -- alles ver-
geblich -- -- aber bitte, greifen Sie doch zu --"

"Ich danke bestens, ich bin vollkommen satt".

"Nun, anscheinend hat es Ihnen geschmeckt, das
freut mich! Und nun bitte, erzählen Sie mir doch,
wie es Ihnen ergangen ist und wie es möglich war,
dass man Sie nicht fand."

"Die Geschichte ist einfach genug", entgegnete
der andere, "ich war ein armer Teufel von Philo-
loge, der die drei oder vier Jahre bis zu seiner


Mittwoch Badener Zeitung 14. November 1900. Nr. 91.

[Spaltenumbruch]

Compromiſſes Herrn v. Körber aufs äußerſte zu
compromittieren wiſſen. Ja, wenn jetzt die Re-
gierung Körber, für die Herr Biehlohlawek und
neueſteus der Confuſionsprofeſſor Schleſinger in
die Breſche treten, nicht gerettet iſt, dann iſt der
„weithin ſichtbar unparteiiſchen“ Regierung, deren
Statthalter ſoeben ſich durch eine famoſe Erle-
digung von Wahlbeſchwerden um die chriſtlich-
ſocialen Schooßkinder der Regierung hoch ver-
dient gemacht hat, auf keinen Fall mehr zu helfen.

Der ſteiriſche Großgrundbeſitz möchte gerne
allen, auch den bisher außerhalb der deutſchen
Gemeinbürgſchaft Stehenden, an welcher der
Großgrundbeſitz in deutſcher Treue feſtzuhalten
erklärt, die Hand reichen zur deutſchen Streit-
genoſſenſchaft, vorausgeſetzt, daſs dieſe ſich nur
ehrlich und aufrichtig gewillt zeigen, für die er-
erbte Stellung des deutſchen Volkes in Oeſter-
reich einzutreten. Nun iſt das recht ſchön gedacht;
vielleicht könnte man, was das ehrlich und auf-
richtig anbelangt, bei einem Kathrein und Schöpfer
nicht ganz verzweifeln, denn dieſe gehören zu den
wenigen perſönlich ehrenhaften Erſcheinungen
unter den Clericalen. Allein bei einem Ebenhoch,
einem Treuinfels oder gar bei einem Dipauli
wäre in dieſer Beziehung Hopfen und Malz ver-
loren. Ehrlich und aufrichtig, das ſind kautſchuck-
artig dehnbare Begriffe bei einem Ebenhoch, der
ſeine Geſinnung wohl eben ſo oft wechſelt, als
ſeine Wäſche. Daran kann auch der jüngſt vom
Papſte an Dipauli geſchickte Gregoriusorden
nichts ändern; der Kalterer Baron kann es eben
in der Politik noch nicht laſſen, das zu treiben,
was ihm von den Bauern im Weinkeller nach
gerühmt wird, zu pantſchen und zu fälſchen,
natürlich für das Volkswohl. Wohl wird dieſer
Mann auf dem Schaubrette der Feudalen noch
eine wichtige Figur abgeben, denn Herr v. Körber
will ihm, den die Bauern verwerfen, wieder in
den Sattel helfen. Auch das kennzeichnet die
künftige Richtung des Cabinettes Körber.




Zur Wahlbewegung.

Der Umſtand, daſs der Städte-Wahlbezirk
Baden—Bruck während einer completten Seſſions-
periode des Reichsrathes ſo gut wie verwaist war,
hat der geſammten Wählerſchaft oder wenigſtens
ihrer überwiegenden Majorität die bittere Erkenntnis
nahegebracht, wie undankbar und gegen die eigenen
Intereſſen verſtoßend es war, den früheren verdienſt-
vollen Abgeordneten dieſes Bezirkes, Profeſſor
Marchet, ſo ſchnöde fallen zu laſſen. Nicht nur der
Weinbauer hatte an ihm einen treuen Berather und
Helfer verloren, ſondern alle Berufsſtände ohne Aus-
nahme erblickten ſich dadurch ſchwer geſchädigt, daſs
ſie in der Reichsvertretung niemanden hatten, denen
[Spaltenumbruch] ſie ihre dringenden und gewiſs berechtigten Wünſche
anvertrauen konnten. Erſt nachdem Marchet gefallen
und ſeine unermüdliche Schaffenskraft durch die negative
Thätigkeit ſeines Nachfolgers abgelöst worden war,
fand ſich eine große Anzahl von Landwirten und
Gewerbetreibenden aller Branchen, welche nicht genug
zu rühmen wuſsten, was der ſo ſchmählich hinaus-
geſtoßene Marchet für ſie geweſen, was er für ſie
gethan, wie er zu jeder Stunde bereit war, ihre
Wünſche entgegenzunehmen, entgegen der mehr abge-
ſchmackten als witzigen Behauptung ſeiner Gegner,
daſs man zu ihm nur in Frack und Handſchuhen
kommen dürfe. Freilich, ein einziges Werk war es
nur, welches Marchet am Ausgange ſeiner Thätigkeit
als Abgeordneter als abgeſchloſſen ſeinen Wählern
hinterlaſſen konnte, die Weinbaufrage. Aber daſs ihm
die Löſung ſo mancher anderen Frage nicht gelang,
das war nicht ſeine Schuld, daran verhinderte ihn
der Ausfall der Neuwahlen. Die Frage der Haus-
zinsſteuer in Baden war nahezu ſpruchreif, in der
Gewerbegeſetznovelle hatte Marchet in einer Reihe
von eingehenden Beſprechungen die Wünſche und
Beſchwerden der Gewerbetreibenden ſeines Wahlbe-
zirkes zur Kenntnis genommen und hatte ſich für
ihre Durchſetzung ein reiches Materiale zurechtgelegt;
zahlreiche Anliegen einzelner Wähler in Gewerbe-
und Steuerſachen hatte er in aller Stille, aber mit
dem Aufgebote ſeines Einfluſſes bei den maßgebenden
Behörden zu Gunſten der Beſchwerdeführer erledigt.
Was Wunder, daſs allerorten, nachdem die erſte Auf-
regung nach den Wahlen vorüber war, und ruhigere
Ueberlegung dem Parteihaſſe Platz gemacht hatte, ſo
mancher ſeiner Widerſacher ſich mit Bedauern des
Mannes erinnerte, der trotz ſeiner Verdienſte um die
Wählerſchaft, wie ſie kaum ein zweiter Abgeordneter
aufzuweiſen haben dürfte, dem blinden Parteihaſſe
zum Opfer fallen muſste.

Aus allen dieſen Gründen hat die von uns
gebrachte Nachricht, daſs Marchet dem Drängen der
freiheitlich geſinnten Vertrauensmänner aller ſieben
Wahlorte nach langem und begreiflichen Zögern nach-
gegeben und die Candidatur für den Reichsrath an-
genommen habe, in allen Kreiſen der Bevölkerung
lebhafte und auch unverhohlen zur Schau getragene
Befriedigung hervorgerufen. Wie die Dinge heute
liegen, iſt die Candidatur eine ſichere; ſie iſt es ſchon
deshalb, weil diesmal ſowohl die Parteifreunde des
Candidaten, als auch viele ſeiner politiſchen Gegner
ſich in dem Wunſche treffen, Marchet wieder als Ver-
treter des Bezirkes begrüßen zu können. Die loyalen
politiſchen Gegner — und es gibt deren erfreulicher
Weiſe — ſagen zwar ganz offen, Marchet ſei in
politiſcher Beziehung nicht ihr Mann; allein ſie ver-
hehlen auch nicht im geringſten das Vertrauen, das
ſie in ſeine wirtſchaftliche Leiſtungsfähigkeit ſetzen
und erwarten von ſeiner Wiederwahl das Beſte für
den Bezirk. Wir haben Gelegenheit gehabt, diesfalls
die Meinung von Männern aus allen Berufskreiſen,
[Spaltenumbruch] aus den handwerksmäßigen Gewerben, aus der Kauf-
mannsſchaft, aus der Lehrer- und Beamtenſchaft zu
hören; die Argumente, welche für die Wiederwahl
Marchet’s geltend gemacht werden, ſind überall dieſelben:
Wir kennen Marchet als einen überzeugungstreuen
Fortſchrittler, wir kennen ihn aber auch als einen
tüchtigen, in die Bedürfniſſe aller Berufskreiſe ein-
geweihten Mann, als einen Mann von eiſerner That-
kraft und Arbeitsfreudigkeit, der ſelbſt den ſcheinbar
größten Hinderniſſen ſpielend zu begegnen weiß, wir
kennen ihn vor allem als wackeren Ehrenmann, der
in ungezählten Fällen während ſeiner Thätigkeit als
Abgeordneter ſelbſt ſeinen politiſchen Widerſachern
als uneigennütziger Helfer zur Seite geſtanden iſt.
Darum, weil wir wiſſen, was wir an Marchet haben
werden, falls er aus der Wahl als unſer Vertreter
hervorgeht, darum wollen wir, die wir ihm einſt
entgegenſtanden, unſere Stimme geben, überzeugt,
daſs er, unbeſchadet ſeiner politiſchen Anſchauungen,
das wirtſchaftliche Wohl Aller, einerlei, ob Partei-
freunde oder nicht, zu wahren trachten wird. Das iſt
ſo ungefähr der Succus aus den vielen Meinungs-
äußerungen, welche bisher über die Wiedercandidatur
Marchet’s laut wurden. Sie ehren den Mann, wie
er es verdient und jedermann wird ihm dieſe nach-
trägliche Anerkennung ſeiner perſönlichen Vorzüge aus
vollem Herzen gönnen, Sie ehren aber auch in dem-
ſelben Maße jene Männer, welche von blinder Partei-
leidenſchaft geheilt, offen und rückhaltslos ſeine Ver-
dienſte anerkennen und für ihn einzutreten ſich ver-
pflichten. Der Tag des Jahres 1897, an welchem Marchet
ſich ſo ſchmählich geſchlagen fühlte, am ſchmählichſten in
ſeiner Vaterſtadt ſelbſt, war für ihn ein bitterer und
wird ihm ſicherlich durch ſein ganzes Leben in herber Er-
innerung bleiben; aber wenn etwas imſtande iſt, das Leid
wett zu machen, das er damals erfahren, ſo iſt es
die Kundgebung der lange ſchon im Stillen gehegten
Sympathien, die jetzt beim Bekanntwerden ſeiner
Wiedercandidatur ſo ſpontan, wir möchten ſagen, aus
vollem Herzen, hervorgetreten ſind. Freilich, die Schlacht
iſt ja noch lange nicht gewonnen; es wird großer
Anſtrengungen bedürfen, um den Sieg zu erringen.
Aber eine gewiſſe frohe Zuverſicht erfüllt uns und
alle, die wir Marchet kennen und hochſchätzen gelernt
haben; hoffen wir, daſs ſich der Erfolg an die Fahne
hefte, die wir für Marchet entrollen und daſs ihn der
Badener Bezirk wieder zurückgewinne!

Wir haben in unſerer letzten Nummer über
den Ingenier Raunig berichtet, der von den
Induſtriellen des Städte-Wahlbezirkes Baden-Bruck
als Candidat aufgeſtellt worden ſein ſoll. Verleitet
wurden wir zu dieſer Nachricht durch eine uns zur
Verfügung geſtellte hectographierte Notiz, in der es
wörtlich heißt: „Wie verlautet, candidieren die
Induſtriellen des Städtebezirkes Baden Herrn
Ingenieur Raunig, Secretär ꝛc.“ Dieſe Form der
Verlautbarung iſt nun, wie man uns mittheilt, un-
richtig und hat unter den Induſtriellen des Bezirkes




[Spaltenumbruch]

„Ah — nein — aber ich bitte Sie — ich er-
kenne Sie ja wieder — wenn ich Sie auch nur ein
einzigesmal früher geſehen, nur wenige Worte mit
Ihnen gewechſelt — ich habe ein gutes Phyſiogno-
miengedächtnis und vergeſſe niemals jemanden, den
ich auch nur ein einzigesmal flüchtig geſehen oder
geſprochen habe.“

„Aber umſo leichter Stücke, die Ihnen einge-
reicht wurden“, erwiderte der Fremde ſarkaſtiſch. Ein
furchtbarer Huſtenanfall ſchnitt ihm jedoch jedes weitere
Wort ab.

„Um Gotteswillen, was iſt das?“ rief der
Bühnenleiter beſtürzt. „Bitte, ſetzen Sie ſich doch!“

„Wenn Sie — geſtatten —“ und huſtend ſank
er auf einen Seſſel nieder.

Als er ſich ſo weit erholt hatte, um wieder
ſprechen zu können, ſagte er: „Ich danke Ihnen,
muſs Ihnen aber noch mit einer weiteren Bitte
kommen. Wie Sie ſehen, geht es mir nicht zum
beſten — aber es iſt noch weit ſchlimmer als es
ausſieht. Alles, was ich beſitze, trage ich bei mir, ich
habe nicht einen Pfennig in der Taſche und ſeit
geſtern Adend einen leeren Magen —“

„Himmel!“ rief halblaut der elegante Mann,
von ſeinem Sitze auffahrend. „Da werde ich aber
gleich —“

„Ja“, ſagte der andere ruhig, „ich muſs wirklich
um einen kleinen Imbiſs und einen Schluck bitten —
als Vorſchuſs auf die Premiere, ſo viel wird wohl
noch dabei abfallen“, fügte er mit bitterem Lächeln
noch hinzu.

„Aber, ich bitte Sie, verehrter Meiſter, Sie
wollen mich doch nicht kränken! Und nun kommen
Sie, kommen Sie.“

Er drückte auf einen Knopf. Das Mädchen trat
[Spaltenumbruch] ein, er gab ihr einige kurze Weiſungen und führte
dann den Fremden ins Speiſezimmer.

„Greifen Sie zu“, bat der Director artig, „es
iſt mir eine Ehre, den Mann zu bewirten, in dem
Deutſchland morgen einen neuen Dramatiker be-
grüßen wird.“

„Und der vor einer Stunde am Wege faſt ver-
hungert liegen geblieben wäre“, ergänzte der Dichter
mit beißendem Spott.

„Ja, aber — ich habe doch, nachdem Ihr Stück
angenommen war, in einer ganzen Reihe von Blättern
an Sie die Bitte richten laſſen, mir Ihren Aufent-
haltsort bekanntzugeben, um das nähere mit Ihnen
zu beſprechen. Wie iſt es nur möglich, daſs Sie das
nicht geleſen haben?“

„Das war vor einem halben Jahre“, ſagte der
Dichter, den Schätzen, die das Buffet in Geſtalt von
kaltem Braten, Schinken, italieniſchem Salat ꝛc. her-
gegeben, mit wahrem Heißhunger zuſprechend, und
den Portwein in dürftigen Zügen trinkend, „wie iſt
es möglich, daſs ein Stück drei und ein halbes Jahr
im Theaterarchiv verſtaubt und dann doch noch ans
Licht gezogen wird?“

„Ja, ſehen Sie“, entgegnete der Director etwas
verlegen, während das Mädchen vor den Gaſt eine
Schale mit gekochten Eiern hinſtellte und ihm aus
dem brodelnden Samovar eine Taſſe Thee füllte,
„mein lieber Freund, der langjährige Dramaturg
meines Theaters, Dr. Hillger, ſtarb ungefähr vor
Jahresfriſt. Dem guten Alten war die Arbeit zuletzt
über den Kopf gewachſen, und er hat ſie ſich ein
wenig vereinfacht. Er hatte ſich die bekannten Schrift-
ſteller in verſchiedene Klaſſen eingetheilt, je nach
ihrem literariſchen Rufe und las die Eingänge
„claſſenweiſe“, nicht in der Reihenfolge wie ſie ein-
[Spaltenumbruch] liefen. Alle Manuſcripte von unbekannten Autoren
legte er in einen Winkel ſeines Bureaus, wo ſie ſich
zu einem ganze Berge anhäuften. War das Reper-
toire auf Monate hinaus feſtgelegt, ſo begann er
mit dieſen ſich zu beſchäftigen, das heißt, er legte
vier Manuſcripte auf ſeinen Schreibtiſch, las davon
eines, ließ es retournieren, während er die übrigen
drei ungeleſen zurückgehen ließ —“. Ein ſchneidendes
Lachen unterbrach hier den harmlos Plaudernden.

„Das iſt ja recht heiter, recht erbaulich“, ſtieß
der Dichter dann in äußerſter Erregung hervor.

„Aber nicht zu ändern“, fiel ihm der Bühnen-
leiter ruhig ins Wort, „hätten ſie eine Ahnung, welche
Stöße von Manuſcripten täglich bei uns einlaufen!
Ich engagierte einen neuen Dramaturgen, einen Lite-
rarhiſtoriker und Idealiſten vom reinſten Waſſer, der
ſeinen Lauf mit Feuereifer aufnahm. Drei Stücke
hat der Aermſte täglich geleſen und drei andere von
einigen ſeiner Freunde und Geſinnungsgenoſſen prüfen
laſſen. Da wurde endlich einmal ein wenig unter dem
Wuſt aufgeräumt! Unter den Arbeiten, die er mir
zur näheren Prüfung unterbreitete, befand ſich auch
Ihre „Fredegundis“. Ich las ſie und während ich ſie
las, erinnerte ich mich auch Ihrer Perſon, ich ſchrieb
Ihnen, ich erkundigte mich nach Ihnen — ich erließ
die Aufforderung in den Zeitungen — alles ver-
geblich — — aber bitte, greifen Sie doch zu —“

„Ich danke beſtens, ich bin vollkommen ſatt“.

„Nun, anſcheinend hat es Ihnen geſchmeckt, das
freut mich! Und nun bitte, erzählen Sie mir doch,
wie es Ihnen ergangen iſt und wie es möglich war,
daſs man Sie nicht fand.“

„Die Geſchichte iſt einfach genug“, entgegnete
der andere, „ich war ein armer Teufel von Philo-
loge, der die drei oder vier Jahre bis zu ſeiner


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[2/0002] Mittwoch Badener Zeitung 14. November 1900. Nr. 91. Compromiſſes Herrn v. Körber aufs äußerſte zu compromittieren wiſſen. Ja, wenn jetzt die Re- gierung Körber, für die Herr Biehlohlawek und neueſteus der Confuſionsprofeſſor Schleſinger in die Breſche treten, nicht gerettet iſt, dann iſt der „weithin ſichtbar unparteiiſchen“ Regierung, deren Statthalter ſoeben ſich durch eine famoſe Erle- digung von Wahlbeſchwerden um die chriſtlich- ſocialen Schooßkinder der Regierung hoch ver- dient gemacht hat, auf keinen Fall mehr zu helfen. Der ſteiriſche Großgrundbeſitz möchte gerne allen, auch den bisher außerhalb der deutſchen Gemeinbürgſchaft Stehenden, an welcher der Großgrundbeſitz in deutſcher Treue feſtzuhalten erklärt, die Hand reichen zur deutſchen Streit- genoſſenſchaft, vorausgeſetzt, daſs dieſe ſich nur ehrlich und aufrichtig gewillt zeigen, für die er- erbte Stellung des deutſchen Volkes in Oeſter- reich einzutreten. Nun iſt das recht ſchön gedacht; vielleicht könnte man, was das ehrlich und auf- richtig anbelangt, bei einem Kathrein und Schöpfer nicht ganz verzweifeln, denn dieſe gehören zu den wenigen perſönlich ehrenhaften Erſcheinungen unter den Clericalen. Allein bei einem Ebenhoch, einem Treuinfels oder gar bei einem Dipauli wäre in dieſer Beziehung Hopfen und Malz ver- loren. Ehrlich und aufrichtig, das ſind kautſchuck- artig dehnbare Begriffe bei einem Ebenhoch, der ſeine Geſinnung wohl eben ſo oft wechſelt, als ſeine Wäſche. Daran kann auch der jüngſt vom Papſte an Dipauli geſchickte Gregoriusorden nichts ändern; der Kalterer Baron kann es eben in der Politik noch nicht laſſen, das zu treiben, was ihm von den Bauern im Weinkeller nach gerühmt wird, zu pantſchen und zu fälſchen, natürlich für das Volkswohl. Wohl wird dieſer Mann auf dem Schaubrette der Feudalen noch eine wichtige Figur abgeben, denn Herr v. Körber will ihm, den die Bauern verwerfen, wieder in den Sattel helfen. Auch das kennzeichnet die künftige Richtung des Cabinettes Körber. Zur Wahlbewegung. Der Umſtand, daſs der Städte-Wahlbezirk Baden—Bruck während einer completten Seſſions- periode des Reichsrathes ſo gut wie verwaist war, hat der geſammten Wählerſchaft oder wenigſtens ihrer überwiegenden Majorität die bittere Erkenntnis nahegebracht, wie undankbar und gegen die eigenen Intereſſen verſtoßend es war, den früheren verdienſt- vollen Abgeordneten dieſes Bezirkes, Profeſſor Marchet, ſo ſchnöde fallen zu laſſen. Nicht nur der Weinbauer hatte an ihm einen treuen Berather und Helfer verloren, ſondern alle Berufsſtände ohne Aus- nahme erblickten ſich dadurch ſchwer geſchädigt, daſs ſie in der Reichsvertretung niemanden hatten, denen ſie ihre dringenden und gewiſs berechtigten Wünſche anvertrauen konnten. Erſt nachdem Marchet gefallen und ſeine unermüdliche Schaffenskraft durch die negative Thätigkeit ſeines Nachfolgers abgelöst worden war, fand ſich eine große Anzahl von Landwirten und Gewerbetreibenden aller Branchen, welche nicht genug zu rühmen wuſsten, was der ſo ſchmählich hinaus- geſtoßene Marchet für ſie geweſen, was er für ſie gethan, wie er zu jeder Stunde bereit war, ihre Wünſche entgegenzunehmen, entgegen der mehr abge- ſchmackten als witzigen Behauptung ſeiner Gegner, daſs man zu ihm nur in Frack und Handſchuhen kommen dürfe. Freilich, ein einziges Werk war es nur, welches Marchet am Ausgange ſeiner Thätigkeit als Abgeordneter als abgeſchloſſen ſeinen Wählern hinterlaſſen konnte, die Weinbaufrage. Aber daſs ihm die Löſung ſo mancher anderen Frage nicht gelang, das war nicht ſeine Schuld, daran verhinderte ihn der Ausfall der Neuwahlen. Die Frage der Haus- zinsſteuer in Baden war nahezu ſpruchreif, in der Gewerbegeſetznovelle hatte Marchet in einer Reihe von eingehenden Beſprechungen die Wünſche und Beſchwerden der Gewerbetreibenden ſeines Wahlbe- zirkes zur Kenntnis genommen und hatte ſich für ihre Durchſetzung ein reiches Materiale zurechtgelegt; zahlreiche Anliegen einzelner Wähler in Gewerbe- und Steuerſachen hatte er in aller Stille, aber mit dem Aufgebote ſeines Einfluſſes bei den maßgebenden Behörden zu Gunſten der Beſchwerdeführer erledigt. Was Wunder, daſs allerorten, nachdem die erſte Auf- regung nach den Wahlen vorüber war, und ruhigere Ueberlegung dem Parteihaſſe Platz gemacht hatte, ſo mancher ſeiner Widerſacher ſich mit Bedauern des Mannes erinnerte, der trotz ſeiner Verdienſte um die Wählerſchaft, wie ſie kaum ein zweiter Abgeordneter aufzuweiſen haben dürfte, dem blinden Parteihaſſe zum Opfer fallen muſste. Aus allen dieſen Gründen hat die von uns gebrachte Nachricht, daſs Marchet dem Drängen der freiheitlich geſinnten Vertrauensmänner aller ſieben Wahlorte nach langem und begreiflichen Zögern nach- gegeben und die Candidatur für den Reichsrath an- genommen habe, in allen Kreiſen der Bevölkerung lebhafte und auch unverhohlen zur Schau getragene Befriedigung hervorgerufen. Wie die Dinge heute liegen, iſt die Candidatur eine ſichere; ſie iſt es ſchon deshalb, weil diesmal ſowohl die Parteifreunde des Candidaten, als auch viele ſeiner politiſchen Gegner ſich in dem Wunſche treffen, Marchet wieder als Ver- treter des Bezirkes begrüßen zu können. Die loyalen politiſchen Gegner — und es gibt deren erfreulicher Weiſe — ſagen zwar ganz offen, Marchet ſei in politiſcher Beziehung nicht ihr Mann; allein ſie ver- hehlen auch nicht im geringſten das Vertrauen, das ſie in ſeine wirtſchaftliche Leiſtungsfähigkeit ſetzen und erwarten von ſeiner Wiederwahl das Beſte für den Bezirk. Wir haben Gelegenheit gehabt, diesfalls die Meinung von Männern aus allen Berufskreiſen, aus den handwerksmäßigen Gewerben, aus der Kauf- mannsſchaft, aus der Lehrer- und Beamtenſchaft zu hören; die Argumente, welche für die Wiederwahl Marchet’s geltend gemacht werden, ſind überall dieſelben: Wir kennen Marchet als einen überzeugungstreuen Fortſchrittler, wir kennen ihn aber auch als einen tüchtigen, in die Bedürfniſſe aller Berufskreiſe ein- geweihten Mann, als einen Mann von eiſerner That- kraft und Arbeitsfreudigkeit, der ſelbſt den ſcheinbar größten Hinderniſſen ſpielend zu begegnen weiß, wir kennen ihn vor allem als wackeren Ehrenmann, der in ungezählten Fällen während ſeiner Thätigkeit als Abgeordneter ſelbſt ſeinen politiſchen Widerſachern als uneigennütziger Helfer zur Seite geſtanden iſt. Darum, weil wir wiſſen, was wir an Marchet haben werden, falls er aus der Wahl als unſer Vertreter hervorgeht, darum wollen wir, die wir ihm einſt entgegenſtanden, unſere Stimme geben, überzeugt, daſs er, unbeſchadet ſeiner politiſchen Anſchauungen, das wirtſchaftliche Wohl Aller, einerlei, ob Partei- freunde oder nicht, zu wahren trachten wird. Das iſt ſo ungefähr der Succus aus den vielen Meinungs- äußerungen, welche bisher über die Wiedercandidatur Marchet’s laut wurden. Sie ehren den Mann, wie er es verdient und jedermann wird ihm dieſe nach- trägliche Anerkennung ſeiner perſönlichen Vorzüge aus vollem Herzen gönnen, Sie ehren aber auch in dem- ſelben Maße jene Männer, welche von blinder Partei- leidenſchaft geheilt, offen und rückhaltslos ſeine Ver- dienſte anerkennen und für ihn einzutreten ſich ver- pflichten. Der Tag des Jahres 1897, an welchem Marchet ſich ſo ſchmählich geſchlagen fühlte, am ſchmählichſten in ſeiner Vaterſtadt ſelbſt, war für ihn ein bitterer und wird ihm ſicherlich durch ſein ganzes Leben in herber Er- innerung bleiben; aber wenn etwas imſtande iſt, das Leid wett zu machen, das er damals erfahren, ſo iſt es die Kundgebung der lange ſchon im Stillen gehegten Sympathien, die jetzt beim Bekanntwerden ſeiner Wiedercandidatur ſo ſpontan, wir möchten ſagen, aus vollem Herzen, hervorgetreten ſind. Freilich, die Schlacht iſt ja noch lange nicht gewonnen; es wird großer Anſtrengungen bedürfen, um den Sieg zu erringen. Aber eine gewiſſe frohe Zuverſicht erfüllt uns und alle, die wir Marchet kennen und hochſchätzen gelernt haben; hoffen wir, daſs ſich der Erfolg an die Fahne hefte, die wir für Marchet entrollen und daſs ihn der Badener Bezirk wieder zurückgewinne! Wir haben in unſerer letzten Nummer über den Ingenier Raunig berichtet, der von den Induſtriellen des Städte-Wahlbezirkes Baden-Bruck als Candidat aufgeſtellt worden ſein ſoll. Verleitet wurden wir zu dieſer Nachricht durch eine uns zur Verfügung geſtellte hectographierte Notiz, in der es wörtlich heißt: „Wie verlautet, candidieren die Induſtriellen des Städtebezirkes Baden Herrn Ingenieur Raunig, Secretär ꝛc.“ Dieſe Form der Verlautbarung iſt nun, wie man uns mittheilt, un- richtig und hat unter den Induſtriellen des Bezirkes „Ah — nein — aber ich bitte Sie — ich er- kenne Sie ja wieder — wenn ich Sie auch nur ein einzigesmal früher geſehen, nur wenige Worte mit Ihnen gewechſelt — ich habe ein gutes Phyſiogno- miengedächtnis und vergeſſe niemals jemanden, den ich auch nur ein einzigesmal flüchtig geſehen oder geſprochen habe.“ „Aber umſo leichter Stücke, die Ihnen einge- reicht wurden“, erwiderte der Fremde ſarkaſtiſch. Ein furchtbarer Huſtenanfall ſchnitt ihm jedoch jedes weitere Wort ab. „Um Gotteswillen, was iſt das?“ rief der Bühnenleiter beſtürzt. „Bitte, ſetzen Sie ſich doch!“ „Wenn Sie — geſtatten —“ und huſtend ſank er auf einen Seſſel nieder. Als er ſich ſo weit erholt hatte, um wieder ſprechen zu können, ſagte er: „Ich danke Ihnen, muſs Ihnen aber noch mit einer weiteren Bitte kommen. Wie Sie ſehen, geht es mir nicht zum beſten — aber es iſt noch weit ſchlimmer als es ausſieht. Alles, was ich beſitze, trage ich bei mir, ich habe nicht einen Pfennig in der Taſche und ſeit geſtern Adend einen leeren Magen —“ „Himmel!“ rief halblaut der elegante Mann, von ſeinem Sitze auffahrend. „Da werde ich aber gleich —“ „Ja“, ſagte der andere ruhig, „ich muſs wirklich um einen kleinen Imbiſs und einen Schluck bitten — als Vorſchuſs auf die Premiere, ſo viel wird wohl noch dabei abfallen“, fügte er mit bitterem Lächeln noch hinzu. „Aber, ich bitte Sie, verehrter Meiſter, Sie wollen mich doch nicht kränken! Und nun kommen Sie, kommen Sie.“ Er drückte auf einen Knopf. Das Mädchen trat ein, er gab ihr einige kurze Weiſungen und führte dann den Fremden ins Speiſezimmer. „Greifen Sie zu“, bat der Director artig, „es iſt mir eine Ehre, den Mann zu bewirten, in dem Deutſchland morgen einen neuen Dramatiker be- grüßen wird.“ „Und der vor einer Stunde am Wege faſt ver- hungert liegen geblieben wäre“, ergänzte der Dichter mit beißendem Spott. „Ja, aber — ich habe doch, nachdem Ihr Stück angenommen war, in einer ganzen Reihe von Blättern an Sie die Bitte richten laſſen, mir Ihren Aufent- haltsort bekanntzugeben, um das nähere mit Ihnen zu beſprechen. Wie iſt es nur möglich, daſs Sie das nicht geleſen haben?“ „Das war vor einem halben Jahre“, ſagte der Dichter, den Schätzen, die das Buffet in Geſtalt von kaltem Braten, Schinken, italieniſchem Salat ꝛc. her- gegeben, mit wahrem Heißhunger zuſprechend, und den Portwein in dürftigen Zügen trinkend, „wie iſt es möglich, daſs ein Stück drei und ein halbes Jahr im Theaterarchiv verſtaubt und dann doch noch ans Licht gezogen wird?“ „Ja, ſehen Sie“, entgegnete der Director etwas verlegen, während das Mädchen vor den Gaſt eine Schale mit gekochten Eiern hinſtellte und ihm aus dem brodelnden Samovar eine Taſſe Thee füllte, „mein lieber Freund, der langjährige Dramaturg meines Theaters, Dr. Hillger, ſtarb ungefähr vor Jahresfriſt. Dem guten Alten war die Arbeit zuletzt über den Kopf gewachſen, und er hat ſie ſich ein wenig vereinfacht. Er hatte ſich die bekannten Schrift- ſteller in verſchiedene Klaſſen eingetheilt, je nach ihrem literariſchen Rufe und las die Eingänge „claſſenweiſe“, nicht in der Reihenfolge wie ſie ein- liefen. Alle Manuſcripte von unbekannten Autoren legte er in einen Winkel ſeines Bureaus, wo ſie ſich zu einem ganze Berge anhäuften. War das Reper- toire auf Monate hinaus feſtgelegt, ſo begann er mit dieſen ſich zu beſchäftigen, das heißt, er legte vier Manuſcripte auf ſeinen Schreibtiſch, las davon eines, ließ es retournieren, während er die übrigen drei ungeleſen zurückgehen ließ —“. Ein ſchneidendes Lachen unterbrach hier den harmlos Plaudernden. „Das iſt ja recht heiter, recht erbaulich“, ſtieß der Dichter dann in äußerſter Erregung hervor. „Aber nicht zu ändern“, fiel ihm der Bühnen- leiter ruhig ins Wort, „hätten ſie eine Ahnung, welche Stöße von Manuſcripten täglich bei uns einlaufen! Ich engagierte einen neuen Dramaturgen, einen Lite- rarhiſtoriker und Idealiſten vom reinſten Waſſer, der ſeinen Lauf mit Feuereifer aufnahm. Drei Stücke hat der Aermſte täglich geleſen und drei andere von einigen ſeiner Freunde und Geſinnungsgenoſſen prüfen laſſen. Da wurde endlich einmal ein wenig unter dem Wuſt aufgeräumt! Unter den Arbeiten, die er mir zur näheren Prüfung unterbreitete, befand ſich auch Ihre „Fredegundis“. Ich las ſie und während ich ſie las, erinnerte ich mich auch Ihrer Perſon, ich ſchrieb Ihnen, ich erkundigte mich nach Ihnen — ich erließ die Aufforderung in den Zeitungen — alles ver- geblich — — aber bitte, greifen Sie doch zu —“ „Ich danke beſtens, ich bin vollkommen ſatt“. „Nun, anſcheinend hat es Ihnen geſchmeckt, das freut mich! Und nun bitte, erzählen Sie mir doch, wie es Ihnen ergangen iſt und wie es möglich war, daſs man Sie nicht fand.“ „Die Geſchichte iſt einfach genug“, entgegnete der andere, „ich war ein armer Teufel von Philo- loge, der die drei oder vier Jahre bis zu ſeiner

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Zitationshilfe: Badener Zeitung. Nr. 91, Baden (Niederösterreich), 14.11.1900, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_badener091_1900/2>, abgerufen am 29.03.2024.