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Allgemeine Auswanderungs-Zeitung. Nr. 55. Rudolstadt, 18. Oktober 1847.

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[Spaltenumbruch] Lande, welches theilweise durch Contract an Hrn. Castro über-
gegangen ist. Wie sollten also die Emigranten ohne Führung
und Leitung sich dahin finden, wie dort ohne Lebensmittel existiren?
Nach Ostern landeten sie in Port La Vacca von allen Mitteln
gänzlich entblößt, und verweilten hier einige Wochen, sich von
unreifen Cactus = Aepfeln und anderem unreifen Obste nährend.
Mittlerweile hatte man in San Antonio de Berar Kunde von
dem Zustande dieser Unglücklichen erhalten, und ein in der Truppe
des Majors Hays dienender Soldat, Johann Rahm aus dem
Canton Schaffhausen, obgleich selbst arm und von seinem Solde
lebend, verschaffte durch seinen und seines Majors Credit sich die
Mittel, seine unglücklichen Landsleute in Karren abholen und bis
San Antonio bringen zu können. Schon unterwegs brach das
Gallenfieber unter ihnen aus, und am Tage nach ihrer Ankunft
und den folgenden starben 23 dieser armen Leute. Die Uebrigen
siechten an Zehr = und Wechselfiebern bis in den Winter hinein.
Jch habe viel Elend unter den Zigeunern in Ungarn und der
niedern Classe der Juden in Polen gesehen, aber dieß Alles, fand
ich, ist Kinderspiel gegen das Elend dieser Unglücklichen. Ganze
Familien lagen in den Ruinen des Alamo hingestreckt, keines im
Stande auch nur einen Trunk Wasser zu holen, um ihre trockne
Zunge anzufeuchten, ihren fieberhaften Durst zu stillen. Was
zur Erleichterung dieser leidenden Menschen gethan werden konnte,
das thaten einige der Bewohner von San Antonio; vor allem
aber gebührt dem Johann Rahm das Zeugniß, auf die edelste
und uneigennützigste Weise für sie gesorgt zu haben. Hr. Castro,
welcher persönlich in San Antonio anwesend war, und an welchen
sich diese von ihm verführten Menschen natürlich zuerst, um Hülfe
bittend, wandten, stieß sie mit einer Herzlosigkeit zurück, die Alle
empörte. Sein ganzes Verfahren ist von den französischen Assisen
( Elsaß ) gewürdigt, und er sammt seinen Helfershelfern schuldig
befunden und verurtheilt worden."

Das traurige Loos der ersten, unter dem Schutze des Main-
zer Vereins in Texas eingewanderten Deutschen ist zu gut bekannt,
als daß wir bei einer Schilderung desselben hier länger zu ver-
weilen brauchten. Hunderte starben an der ungesunden Küste,
weil der "schützende Verein" seiner Verpflichtung, sie weiterzu-
schaffen, erst nach vielen Monaten nachkam; Hunderte schleppten
einen siechen Körper von dannen, Alle lagen unthätig, mißmuthig
und den Augenblick verwünschend da, in welchem sie -- auf das
Wort von Fürsten und anderen sogenannten hohen Herren ver-
trauend -- sich dem Vereine angeschlossen hatten. Dieß ist be-
kannt; der Verein selbst hat es nie zu leugnen gewagt, nur hie
und da wagte ein getreuer Sancho Pansa eine Lanze für ihn
einzulegen, um von schreienden Thatsachen zu Boden geschmettert,
oder nicht der Antwort gewürdigt zu werden. Und Angesichts alles
dieses Elends, das der Verein über seine Schutzbefohlenen brachte,
wagt es hier das Haupt desselben noch als Richter über einen
andern Kolonieengründer aufzutreten, dessen Verhalten wir freilich
nie und nimmer vertheidigen werden, dessen Schuld aber doch bei
weitem nicht so viel Unheil anrichtete als das unüberlegte Ver-
fahren des Mainzer Vereins! -- Wir wollen dieß Unterfangen
[Spaltenumbruch] nur ein auffallendes nennen; es hat ja zu allen Zeiten Leute
gegeben, die den Splitter in eines Andern Auge, nicht aber den
Balken in dem eignen sehen konnten!

"Wenn Amerikaner im oberen Lande selbst am Wechselfieber
leiden" -- schreibt der Prinz --, "so liegt dieß an der ganzen
Lebensweise dieser Leute. Schon als Kinder werden sie mit Calomel
gestopft, welches dem Körper nachtheilig ist und bei ihnen bleiche
Gesichtsfarbe, die schlechten Zähne, sowie das greise Aussehen der
Knaben und jungen Mädchen verursacht. Jhre Nahrung besteht
in Salzfleisch, Speck, Maisbrod und Kaffee, ( soll wohl eher Thee
heißen? ) lauter an und für sich erhitzende Nahrungsmittel. Statt
grünen Gemüses, essen sie Wassermelonen in großer Quantität,
und wie sie zu faul sind, sich einen Gemüsegarten anzupflanzen,
so sind sie auch zu träge, um sich bei ihrem Hause einen Brunnen
zu graben. Sie trinken deswegen das zuweilen faule Wasser
eines bei ihrem Hause befindlichen Baches, welches in der heißen
Jahreszeit niemals frisch ist. Kommt der Amerikaner nun ein-
mal zur Stadt, um seine Producte gegen das umzusetzen, dessen
er in der Haushaltung bedarf, so trinkt er tüchtig Whisky, einen
aus Mais destillirten Branntwein, welcher eine Art Tollrausch
verursacht, so daß er nie die richtige Mitte hält, sondern von einem
Extrem zum andern übergeht."

Wenn der Prinz sich, statt cavalierement ins Blaue hinein-
zuschreiben, bei tüchtigen Aerzten -- wohin in Nordamerika un-
streitig die Deutschen zu zählen sind -- erkundigt hätte, so würde
er erfahren haben, daß Krankheiten, deren Verlauf in Deutsch-
land ganz einfach ist, in Amerika und ganz besonders in den
südlicheren Staaten, leicht einen inflammatorischen Charakter an-
nehmen; daß der in Deutschland verpönte Merkur in Amerika
oft in starken Dosen gegeben und dort in Fällen angewendet werden
muß, wo dem Arzte in Deutschland viele andere Mittel zu Ge-
bote stehen. Hatte der Prinz Gelegenheit zu bemerken, und war
er überhaupt im Stande, ein stichhaltiges Urtheil darüber zu
fällen, daß Calomel in überreichlichen Dosen gegeben wurde, so
hätte er dieß rügen, nicht aber zu offenbarer Uebertreibung seine
Zuflucht nehmen und erzählen sollen, man stopfe in Amerika die
Kinder mit Calomel. Glaubt man ihm dieß aufs Wort, so macht
er die Amerikaner -- gelinde gesagt -- lächerlich, glaubt man
ihm nicht, und wir dürfen dieß wohl annehmen, so läuft er Ge-
fahr selbst verlacht zu werden.

Wie in England, wird auch in ganz Amerika wenig Gemüse
gegessen; -- folgt aber aus dieser Lebensweise, daß Engländer
und Amerikaner "zu faul sind, sich einen Gemüsegarten anzu-
pflanzen "? Eine beklagenswerthe Oberflächlichkeit des durch-
lauchtigsten Volkssittenschilderers! -- Schon von ferne wird der
Reisende in Amerika bei fast jedem Farmerhause die Ziehstange
eines Brunen bemerken; sieht er sie nicht, so findet er in der
Nähe eine kühle, nie versiegende Quelle, und nur ausnahmsweise
-- wir behaupten dieß aufs bestimmteste -- wird man finden,
daß der Farmer sein Trinkwasser aus einem Bache holt, dessen
Wasser im Sommer warm oder gar faul ist. Solch' eine seltene
Ausnahme
-- wir appelliren an das Urtheil eines Jeden, der

[Spaltenumbruch] Lande, welches theilweise durch Contract an Hrn. Castro über-
gegangen ist. Wie sollten also die Emigranten ohne Führung
und Leitung sich dahin finden, wie dort ohne Lebensmittel existiren?
Nach Ostern landeten sie in Port La Vacca von allen Mitteln
gänzlich entblößt, und verweilten hier einige Wochen, sich von
unreifen Cactus = Aepfeln und anderem unreifen Obste nährend.
Mittlerweile hatte man in San Antonio de Berar Kunde von
dem Zustande dieser Unglücklichen erhalten, und ein in der Truppe
des Majors Hays dienender Soldat, Johann Rahm aus dem
Canton Schaffhausen, obgleich selbst arm und von seinem Solde
lebend, verschaffte durch seinen und seines Majors Credit sich die
Mittel, seine unglücklichen Landsleute in Karren abholen und bis
San Antonio bringen zu können. Schon unterwegs brach das
Gallenfieber unter ihnen aus, und am Tage nach ihrer Ankunft
und den folgenden starben 23 dieser armen Leute. Die Uebrigen
siechten an Zehr = und Wechselfiebern bis in den Winter hinein.
Jch habe viel Elend unter den Zigeunern in Ungarn und der
niedern Classe der Juden in Polen gesehen, aber dieß Alles, fand
ich, ist Kinderspiel gegen das Elend dieser Unglücklichen. Ganze
Familien lagen in den Ruinen des Alamo hingestreckt, keines im
Stande auch nur einen Trunk Wasser zu holen, um ihre trockne
Zunge anzufeuchten, ihren fieberhaften Durst zu stillen. Was
zur Erleichterung dieser leidenden Menschen gethan werden konnte,
das thaten einige der Bewohner von San Antonio; vor allem
aber gebührt dem Johann Rahm das Zeugniß, auf die edelste
und uneigennützigste Weise für sie gesorgt zu haben. Hr. Castro,
welcher persönlich in San Antonio anwesend war, und an welchen
sich diese von ihm verführten Menschen natürlich zuerst, um Hülfe
bittend, wandten, stieß sie mit einer Herzlosigkeit zurück, die Alle
empörte. Sein ganzes Verfahren ist von den französischen Assisen
( Elsaß ) gewürdigt, und er sammt seinen Helfershelfern schuldig
befunden und verurtheilt worden.“

Das traurige Loos der ersten, unter dem Schutze des Main-
zer Vereins in Texas eingewanderten Deutschen ist zu gut bekannt,
als daß wir bei einer Schilderung desselben hier länger zu ver-
weilen brauchten. Hunderte starben an der ungesunden Küste,
weil der „schützende Verein“ seiner Verpflichtung, sie weiterzu-
schaffen, erst nach vielen Monaten nachkam; Hunderte schleppten
einen siechen Körper von dannen, Alle lagen unthätig, mißmuthig
und den Augenblick verwünschend da, in welchem sie -- auf das
Wort von Fürsten und anderen sogenannten hohen Herren ver-
trauend -- sich dem Vereine angeschlossen hatten. Dieß ist be-
kannt; der Verein selbst hat es nie zu leugnen gewagt, nur hie
und da wagte ein getreuer Sancho Pansa eine Lanze für ihn
einzulegen, um von schreienden Thatsachen zu Boden geschmettert,
oder nicht der Antwort gewürdigt zu werden. Und Angesichts alles
dieses Elends, das der Verein über seine Schutzbefohlenen brachte,
wagt es hier das Haupt desselben noch als Richter über einen
andern Kolonieengründer aufzutreten, dessen Verhalten wir freilich
nie und nimmer vertheidigen werden, dessen Schuld aber doch bei
weitem nicht so viel Unheil anrichtete als das unüberlegte Ver-
fahren des Mainzer Vereins! -- Wir wollen dieß Unterfangen
[Spaltenumbruch] nur ein auffallendes nennen; es hat ja zu allen Zeiten Leute
gegeben, die den Splitter in eines Andern Auge, nicht aber den
Balken in dem eignen sehen konnten!

„Wenn Amerikaner im oberen Lande selbst am Wechselfieber
leiden“ -- schreibt der Prinz --, „so liegt dieß an der ganzen
Lebensweise dieser Leute. Schon als Kinder werden sie mit Calomel
gestopft, welches dem Körper nachtheilig ist und bei ihnen bleiche
Gesichtsfarbe, die schlechten Zähne, sowie das greise Aussehen der
Knaben und jungen Mädchen verursacht. Jhre Nahrung besteht
in Salzfleisch, Speck, Maisbrod und Kaffee, ( soll wohl eher Thee
heißen? ) lauter an und für sich erhitzende Nahrungsmittel. Statt
grünen Gemüses, essen sie Wassermelonen in großer Quantität,
und wie sie zu faul sind, sich einen Gemüsegarten anzupflanzen,
so sind sie auch zu träge, um sich bei ihrem Hause einen Brunnen
zu graben. Sie trinken deswegen das zuweilen faule Wasser
eines bei ihrem Hause befindlichen Baches, welches in der heißen
Jahreszeit niemals frisch ist. Kommt der Amerikaner nun ein-
mal zur Stadt, um seine Producte gegen das umzusetzen, dessen
er in der Haushaltung bedarf, so trinkt er tüchtig Whisky, einen
aus Mais destillirten Branntwein, welcher eine Art Tollrausch
verursacht, so daß er nie die richtige Mitte hält, sondern von einem
Extrem zum andern übergeht.“

Wenn der Prinz sich, statt cavalièrement ins Blaue hinein-
zuschreiben, bei tüchtigen Aerzten -- wohin in Nordamerika un-
streitig die Deutschen zu zählen sind -- erkundigt hätte, so würde
er erfahren haben, daß Krankheiten, deren Verlauf in Deutsch-
land ganz einfach ist, in Amerika und ganz besonders in den
südlicheren Staaten, leicht einen inflammatorischen Charakter an-
nehmen; daß der in Deutschland verpönte Merkur in Amerika
oft in starken Dosen gegeben und dort in Fällen angewendet werden
muß, wo dem Arzte in Deutschland viele andere Mittel zu Ge-
bote stehen. Hatte der Prinz Gelegenheit zu bemerken, und war
er überhaupt im Stande, ein stichhaltiges Urtheil darüber zu
fällen, daß Calomel in überreichlichen Dosen gegeben wurde, so
hätte er dieß rügen, nicht aber zu offenbarer Uebertreibung seine
Zuflucht nehmen und erzählen sollen, man stopfe in Amerika die
Kinder mit Calomel. Glaubt man ihm dieß aufs Wort, so macht
er die Amerikaner -- gelinde gesagt -- lächerlich, glaubt man
ihm nicht, und wir dürfen dieß wohl annehmen, so läuft er Ge-
fahr selbst verlacht zu werden.

Wie in England, wird auch in ganz Amerika wenig Gemüse
gegessen; -- folgt aber aus dieser Lebensweise, daß Engländer
und Amerikaner „zu faul sind, sich einen Gemüsegarten anzu-
pflanzen “? Eine beklagenswerthe Oberflächlichkeit des durch-
lauchtigsten Volkssittenschilderers! -- Schon von ferne wird der
Reisende in Amerika bei fast jedem Farmerhause die Ziehstange
eines Brunen bemerken; sieht er sie nicht, so findet er in der
Nähe eine kühle, nie versiegende Quelle, und nur ausnahmsweise
-- wir behaupten dieß aufs bestimmteste -- wird man finden,
daß der Farmer sein Trinkwasser aus einem Bache holt, dessen
Wasser im Sommer warm oder gar faul ist. Solch' eine seltene
Ausnahme
-- wir appelliren an das Urtheil eines Jeden, der

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Die Uebrigen siechten an Zehr = und Wechselfiebern bis in den Winter hinein. Jch habe viel Elend unter den Zigeunern in Ungarn und der niedern Classe der Juden in Polen gesehen, aber dieß Alles, fand ich, ist Kinderspiel gegen das Elend dieser Unglücklichen. Ganze Familien lagen in den Ruinen des Alamo hingestreckt, keines im Stande auch nur einen Trunk Wasser zu holen, um ihre trockne Zunge anzufeuchten, ihren fieberhaften Durst zu stillen. Was zur Erleichterung dieser leidenden Menschen gethan werden konnte, das thaten einige der Bewohner von San Antonio; vor allem aber gebührt dem Johann Rahm das Zeugniß, auf die edelste und uneigennützigste Weise für sie gesorgt zu haben. Hr. Castro, welcher persönlich in San Antonio anwesend war, und an welchen sich diese von ihm verführten Menschen natürlich zuerst, um Hülfe bittend, wandten, stieß sie mit einer Herzlosigkeit zurück, die Alle empörte. 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Hatte der Prinz Gelegenheit zu bemerken, und war er überhaupt im Stande, ein stichhaltiges Urtheil darüber zu fällen, daß Calomel in überreichlichen Dosen gegeben wurde, so hätte er dieß rügen, nicht aber zu offenbarer Uebertreibung seine Zuflucht nehmen und erzählen sollen, man stopfe in Amerika die Kinder mit Calomel. Glaubt man ihm dieß aufs Wort, so macht er die Amerikaner -- gelinde gesagt -- lächerlich, glaubt man ihm nicht, und wir dürfen dieß wohl annehmen, so läuft er Ge- fahr selbst verlacht zu werden. Wie in England, wird auch in ganz Amerika wenig Gemüse gegessen; -- folgt aber aus dieser Lebensweise, daß Engländer und Amerikaner „zu faul sind, sich einen Gemüsegarten anzu- pflanzen “? Eine beklagenswerthe Oberflächlichkeit des durch- lauchtigsten Volkssittenschilderers! -- Schon von ferne wird der Reisende in Amerika bei fast jedem Farmerhause die Ziehstange eines Brunen bemerken; sieht er sie nicht, so findet er in der Nähe eine kühle, nie versiegende Quelle, und nur ausnahmsweise -- wir behaupten dieß aufs bestimmteste -- wird man finden, daß der Farmer sein Trinkwasser aus einem Bache holt, dessen Wasser im Sommer warm oder gar faul ist. Solch' eine seltene Ausnahme -- wir appelliren an das Urtheil eines Jeden, der

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Zitationshilfe: Allgemeine Auswanderungs-Zeitung. Nr. 55. Rudolstadt, 18. Oktober 1847, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_auswanderer55_1847/2>, abgerufen am 24.04.2024.