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Allgemeine Auswanderungs-Zeitung. Nr. 47. Rudolstadt, 23. August 1847.

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Allgemeine Auswanderungs = Zeitung.

[Beginn Spaltensatz]
Organ
für
Kunde aus deutschen Ansiedlungen,
für Rath und That
zu Gunsten der fortziehenden Brüder,
sowie für
Oeffentlichkeit in Auswanderungs-
sachen überhaupt.
BREMEN:
C. Schünemann's Sortiments = Buchhandlung.

[Spaltenumbruch] [Abbildung]
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Mit
statistischen Uebersichten, Karten
und Plänen,

sowie mit einem
Jntelligenzblatte
für Bekanntmachungen von
Behörden u. Privaten.
NEW-YORK: bei William Radde.

[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz]
Pränumerationspreis des halben Jahrgangs bei allen
Buchhandlungen und Fürstl. Thurn und Taxischen
Postanstalten 1 1 / 6 Rl. == 2 fl 6 Xr.
[Spaltenumbruch]
Nro 47.
Montag, 23. August 1847.
[Spaltenumbruch]
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz]
Fr. Müller's Monographie.
( Fortsetzung. )
Der Einfluss, welchen die Auswanderungen auf die
Sitten und Lagen der Bewohner Deutschlands
gehabt haben.

Es ist kein Wahn, sondern Wahrheit, daß vor allen Theilen
der Erde der Ort, wo unsere Wiege stand, wo wir die harm-
losen Zeiten des rosigen Jugendlebens durchgespielt, wo wir unter
den Augen geliebter Eltern zu Jünglingen und Jungfrauen heran-
gereift sind, einen seltenen Reiz hat. Wenn nun gleichwohl unsere
Mitbrüder in Schaaren die deutsche Heimath verlassen, wenn die
Zahl zu Hunderttausenden anwächst, die aus eigenem Antriebe
das Vaterland meiden für immer, so ist es unverkennbar, daß
eine höhere Macht alle diese Gefühle überwältigen läßt, daß ein
erhabener Weltengeist die Schritte der Wandernden leitet, und
daß schon der einzige Gedanke, über die größten und schönsten
Theile der Erde, wo Geistesfinsterniß seit Jahrtausenden herrschte,
des Welterlösers Glauben der Liebe und Hoffnung, gleich den
Strahlen der Morgenröthe sich ausbreiten zu sehen, ein überaus
hehrer ist. Eine neue Geschichte, eine neue Welt, gegründet durch
Bildung und Humanität, entfaltet dort die ersten Blätter reicher
Begebenheiten, und mit Erstaunen sehen die Zurückgebliebenen
Cultur, Christenthum und Völkerglück von Millionen gesitteter
Menschen sich dort entfalten, wo früher wenige Wilde bloß jagend
die unermeßlichen Strecken ausbeuteten.

Unverkennbar von dem größten Nutzen sind diese Auswande-
rungen für diejenigen Länder, wohin die Fortziehenden ihre Schritte
lenken, wo sie ihre Hütten bauen, ihre Ansiedelungen gründen
und ein neues gesittetes Leben schaffen; unverkennbar haben diese
großartigen Auswanderungen aus Deutschland, wie sie das 19.
Jahrhundert dem denkenden Manne mit Staunen vorüberführt,
auch einen bedeutenden Einfluß auf die Sitten, auf die Lage und
Verhältnisse der Zurückgebliebenen; versuchen wir es, die Gegen-
wart hierüber zu beleuchten und möglichst den Schleier zu lüften,
der in den verschiedensten Erfolgen die Zukunft umhüllt.

[Spaltenumbruch]

Beim Auswandern gewinnt das neue Land, das verlassene ver-
liert an Menschen; der Mensch verdient, das Verdiente schlagen
wir zu Gelde an; das Geld bestimmt also den Verlust. Nehmen
wir den Erwerb des Tages, des Jahres, capitalisiren solchen,
so haben wir in einer Geldzahl den Werth des Menschen für
das bürgerliche und staatliche Leben. Jm Süden Deutschlands
stellt sich dieser auf 750 Thaler für das einzelne Jndividuum,
im Norden auf 1500 Thaler; die Mitte ergibt demnach den
den Werth von 1125 Thalern für den einzelnen Kopf, und rechnen
wir die jetzt jährlich wandernde Zahl nur auf 50,000, so verliert
Deutschland alle Jahre in dieser Periode 56,250,000 Thaler an
Werth der Menschenkräfte. Wie manche Jahre gibt es aber,
wo die Zahl der Auswandernden um noch Vieles höher ist.
Hunderttausend Hände für ein Land zu entbehren, diesen Abgang
von einem Jahre zum andern wiederkehren zu sehen, ist eine be-
denkliche Erscheinung, da das Glück und die Wohlfahrt der Reiche
so oft nach der Seelenzahl geschätzt wird: Der Verlust an
Menschen ist also der erste Einfluß auf das Vaterland.

Erschrecken müßte uns dieses, wenn nicht die Jahre eines
langen Friedens das große, schöne Deutschland mit bedeutender
Menschen = Ueberzahl gesegnet hätten. Nehmen wir mal einen
südlichen Staat, Baden, und einen nördlichen, Hannover, und
sehen, daß ersterer jährlich 10,600 Seelen übergewinnt, letzterer
15,000, und erwägen, daß ganz Deutschland 300,000 Menschen
Zuwachs alle Jahre hat, von denen 50 bis 60,000 jährlich aus-
wandern, so brauchen wir nicht allein nicht besorgt zu sein, sondern
müssen das Verhängniß segnen, welches dem Ueberflusse an Menschen
in andern Welttheilen Nahrung und Brod gibt, und können der
Sache ruhig zu sehen, so lange nicht der zehnte Mann aus Ger-
maniens Gauen geht. Bis dahin hat es aber noch gute Weile.

Bei der an vielen Stellen stattfindenden Uebervölkerung sind
diese Ableitungen für Deutschland und für die Lage
der zurückbleibenden Bewohner wahrhaft heilbringend;

denn wohin würde und müßte es zuletzt geführt haben, wenn
Alle die wegen Mangels an Erwerb, wegen Uebervölkerung be-
reits Fortgezogenen oder noch Ziehenden geblieben wären; wenn
der Zuwachs stufenweise mit den Jahren noch gestiegen wäre? --
Zu weiter nichts, als zum Hunger, zu Jammer und Elend; zur

Allgemeine Auswanderungs = Zeitung.

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Organ
für
Kunde aus deutschen Ansiedlungen,
für Rath und That
zu Gunsten der fortziehenden Brüder,
sowie für
Oeffentlichkeit in Auswanderungs-
sachen überhaupt.
BREMEN:
C. Schünemann's Sortiments = Buchhandlung.

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Mit
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und Plänen,

sowie mit einem
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für Bekanntmachungen von
Behörden u. Privaten.
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Pränumerationspreis des halben Jahrgangs bei allen
Buchhandlungen und Fürstl. Thurn und Taxischen
Postanstalten 1 1 / 6 Rl. == 2 fl 6 Xr.
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Nro 47.
Montag, 23. August 1847.
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[Beginn Spaltensatz]
Fr. Müller's Monographie.
( Fortsetzung. )
Der Einfluss, welchen die Auswanderungen auf die
Sitten und Lagen der Bewohner Deutschlands
gehabt haben.

Es ist kein Wahn, sondern Wahrheit, daß vor allen Theilen
der Erde der Ort, wo unsere Wiege stand, wo wir die harm-
losen Zeiten des rosigen Jugendlebens durchgespielt, wo wir unter
den Augen geliebter Eltern zu Jünglingen und Jungfrauen heran-
gereift sind, einen seltenen Reiz hat. Wenn nun gleichwohl unsere
Mitbrüder in Schaaren die deutsche Heimath verlassen, wenn die
Zahl zu Hunderttausenden anwächst, die aus eigenem Antriebe
das Vaterland meiden für immer, so ist es unverkennbar, daß
eine höhere Macht alle diese Gefühle überwältigen läßt, daß ein
erhabener Weltengeist die Schritte der Wandernden leitet, und
daß schon der einzige Gedanke, über die größten und schönsten
Theile der Erde, wo Geistesfinsterniß seit Jahrtausenden herrschte,
des Welterlösers Glauben der Liebe und Hoffnung, gleich den
Strahlen der Morgenröthe sich ausbreiten zu sehen, ein überaus
hehrer ist. Eine neue Geschichte, eine neue Welt, gegründet durch
Bildung und Humanität, entfaltet dort die ersten Blätter reicher
Begebenheiten, und mit Erstaunen sehen die Zurückgebliebenen
Cultur, Christenthum und Völkerglück von Millionen gesitteter
Menschen sich dort entfalten, wo früher wenige Wilde bloß jagend
die unermeßlichen Strecken ausbeuteten.

Unverkennbar von dem größten Nutzen sind diese Auswande-
rungen für diejenigen Länder, wohin die Fortziehenden ihre Schritte
lenken, wo sie ihre Hütten bauen, ihre Ansiedelungen gründen
und ein neues gesittetes Leben schaffen; unverkennbar haben diese
großartigen Auswanderungen aus Deutschland, wie sie das 19.
Jahrhundert dem denkenden Manne mit Staunen vorüberführt,
auch einen bedeutenden Einfluß auf die Sitten, auf die Lage und
Verhältnisse der Zurückgebliebenen; versuchen wir es, die Gegen-
wart hierüber zu beleuchten und möglichst den Schleier zu lüften,
der in den verschiedensten Erfolgen die Zukunft umhüllt.

[Spaltenumbruch]

Beim Auswandern gewinnt das neue Land, das verlassene ver-
liert an Menschen; der Mensch verdient, das Verdiente schlagen
wir zu Gelde an; das Geld bestimmt also den Verlust. Nehmen
wir den Erwerb des Tages, des Jahres, capitalisiren solchen,
so haben wir in einer Geldzahl den Werth des Menschen für
das bürgerliche und staatliche Leben. Jm Süden Deutschlands
stellt sich dieser auf 750 Thaler für das einzelne Jndividuum,
im Norden auf 1500 Thaler; die Mitte ergibt demnach den
den Werth von 1125 Thalern für den einzelnen Kopf, und rechnen
wir die jetzt jährlich wandernde Zahl nur auf 50,000, so verliert
Deutschland alle Jahre in dieser Periode 56,250,000 Thaler an
Werth der Menschenkräfte. Wie manche Jahre gibt es aber,
wo die Zahl der Auswandernden um noch Vieles höher ist.
Hunderttausend Hände für ein Land zu entbehren, diesen Abgang
von einem Jahre zum andern wiederkehren zu sehen, ist eine be-
denkliche Erscheinung, da das Glück und die Wohlfahrt der Reiche
so oft nach der Seelenzahl geschätzt wird: Der Verlust an
Menschen ist also der erste Einfluß auf das Vaterland.

Erschrecken müßte uns dieses, wenn nicht die Jahre eines
langen Friedens das große, schöne Deutschland mit bedeutender
Menschen = Ueberzahl gesegnet hätten. Nehmen wir mal einen
südlichen Staat, Baden, und einen nördlichen, Hannover, und
sehen, daß ersterer jährlich 10,600 Seelen übergewinnt, letzterer
15,000, und erwägen, daß ganz Deutschland 300,000 Menschen
Zuwachs alle Jahre hat, von denen 50 bis 60,000 jährlich aus-
wandern, so brauchen wir nicht allein nicht besorgt zu sein, sondern
müssen das Verhängniß segnen, welches dem Ueberflusse an Menschen
in andern Welttheilen Nahrung und Brod gibt, und können der
Sache ruhig zu sehen, so lange nicht der zehnte Mann aus Ger-
maniens Gauen geht. Bis dahin hat es aber noch gute Weile.

Bei der an vielen Stellen stattfindenden Uebervölkerung sind
diese Ableitungen für Deutschland und für die Lage
der zurückbleibenden Bewohner wahrhaft heilbringend;

denn wohin würde und müßte es zuletzt geführt haben, wenn
Alle die wegen Mangels an Erwerb, wegen Uebervölkerung be-
reits Fortgezogenen oder noch Ziehenden geblieben wären; wenn
der Zuwachs stufenweise mit den Jahren noch gestiegen wäre? --
Zu weiter nichts, als zum Hunger, zu Jammer und Elend; zur

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Es ist kein Wahn, sondern Wahrheit, daß vor allen Theilen der Erde der Ort, wo unsere Wiege stand, wo wir die harm- losen Zeiten des rosigen Jugendlebens durchgespielt, wo wir unter den Augen geliebter Eltern zu Jünglingen und Jungfrauen heran- gereift sind, einen seltenen Reiz hat. Wenn nun gleichwohl unsere Mitbrüder in Schaaren die deutsche Heimath verlassen, wenn die Zahl zu Hunderttausenden anwächst, die aus eigenem Antriebe das Vaterland meiden für immer, so ist es unverkennbar, daß eine höhere Macht alle diese Gefühle überwältigen läßt, daß ein erhabener Weltengeist die Schritte der Wandernden leitet, und daß schon der einzige Gedanke, über die größten und schönsten Theile der Erde, wo Geistesfinsterniß seit Jahrtausenden herrschte, des Welterlösers Glauben der Liebe und Hoffnung, gleich den Strahlen der Morgenröthe sich ausbreiten zu sehen, ein überaus hehrer ist. Eine neue Geschichte, eine neue Welt, gegründet durch Bildung und Humanität, entfaltet dort die ersten Blätter reicher Begebenheiten, und mit Erstaunen sehen die Zurückgebliebenen Cultur, Christenthum und Völkerglück von Millionen gesitteter Menschen sich dort entfalten, wo früher wenige Wilde bloß jagend die unermeßlichen Strecken ausbeuteten. Unverkennbar von dem größten Nutzen sind diese Auswande- rungen für diejenigen Länder, wohin die Fortziehenden ihre Schritte lenken, wo sie ihre Hütten bauen, ihre Ansiedelungen gründen und ein neues gesittetes Leben schaffen; unverkennbar haben diese großartigen Auswanderungen aus Deutschland, wie sie das 19. Jahrhundert dem denkenden Manne mit Staunen vorüberführt, auch einen bedeutenden Einfluß auf die Sitten, auf die Lage und Verhältnisse der Zurückgebliebenen; versuchen wir es, die Gegen- wart hierüber zu beleuchten und möglichst den Schleier zu lüften, der in den verschiedensten Erfolgen die Zukunft umhüllt. Beim Auswandern gewinnt das neue Land, das verlassene ver- liert an Menschen; der Mensch verdient, das Verdiente schlagen wir zu Gelde an; das Geld bestimmt also den Verlust. Nehmen wir den Erwerb des Tages, des Jahres, capitalisiren solchen, so haben wir in einer Geldzahl den Werth des Menschen für das bürgerliche und staatliche Leben. Jm Süden Deutschlands stellt sich dieser auf 750 Thaler für das einzelne Jndividuum, im Norden auf 1500 Thaler; die Mitte ergibt demnach den den Werth von 1125 Thalern für den einzelnen Kopf, und rechnen wir die jetzt jährlich wandernde Zahl nur auf 50,000, so verliert Deutschland alle Jahre in dieser Periode 56,250,000 Thaler an Werth der Menschenkräfte. Wie manche Jahre gibt es aber, wo die Zahl der Auswandernden um noch Vieles höher ist. 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Nehmen wir mal einen südlichen Staat, Baden, und einen nördlichen, Hannover, und sehen, daß ersterer jährlich 10,600 Seelen übergewinnt, letzterer 15,000, und erwägen, daß ganz Deutschland 300,000 Menschen Zuwachs alle Jahre hat, von denen 50 bis 60,000 jährlich aus- wandern, so brauchen wir nicht allein nicht besorgt zu sein, sondern müssen das Verhängniß segnen, welches dem Ueberflusse an Menschen in andern Welttheilen Nahrung und Brod gibt, und können der Sache ruhig zu sehen, so lange nicht der zehnte Mann aus Ger- maniens Gauen geht. Bis dahin hat es aber noch gute Weile. 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Zitationshilfe: Allgemeine Auswanderungs-Zeitung. Nr. 47. Rudolstadt, 23. August 1847, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_auswanderer47_1847/1>, abgerufen am 19.04.2024.