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Allgemeine Zeitung. Nr. 74. Augsburg (Bayern), 15. März 1871.

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[Spaltenumbruch] des Frhrn. v. Schack die Rückkehr des Ritters v. Gleichen aus dem ge-
lobten Lande malte, für welches ihm jedenfalls, da er versucht hat die
Freude der Gattin beim Wiedersehen des Gatten mit ihrer Freude über
die zweite Gattin die er mitgebracht, zu einem wahrhaftigen Ausdruck
zu bringen, ein in früherer Zeit von Grillparzer gegen ihn ausgesprochenes
Wort: "Wer wird denn das Mögliche machen wollen!" zum Leitstern ge-
dient hat.

Und wohl kann es sein daß das flackernde Wort mit seinem paradoxen
Schimmer ihm noch manchmal zum verlockenden Jrrlicht geworden ist. So
sieht man in derselben Gemäldesammlung nebst mehreren andern treffli-
chen Bildern Schwinds einen Berg dessen höchste Spitze in ein weibliches
Wesen ausgeht, das sich in einen Schleier hüllt, und unter welcher ein
Adler die vergebliche Anstrengung macht emporzuschweben. Es ist die
"Jungfrau" in der Schweiz, die ihr Haupt mit Nebel deckt, daß selbst der
Adler die Höhe nicht erreicht. "Wer wird denn auch das Mögliche machen
wollen?" mag der Künstler gedacht haben als ihm das Bild in einen Ge-
dankenkreis "der Liebe Schicksal" paßte, in welchem er den kalten Stolz
der unnahbaren Jungfrau schildern wollte, nachdem er dem Liebenden die
Geliebte in Gefangenschaft eines Riesen gezeigt; Resignation im Einsiedler-
Leben und Liebesende im gemeinschaftlichen Tode von Hero und Leander
dargestellt; alles in Gemälden die im Besitze des Frhrn. v. Schack sind.

Schwinds große und kenntnißvolle Liebe zur Musik, zu welcher wir
die Keime schon in seinen Kinderjahren wahrgenommen, hatte entschiedenen
Einfluß auf seine malerische Phantasie. Nicht nur die Eintheilung, auch
der Charakter einer Symphonie erschien ihm in Bildern, deren Linien= und
Massenbildung, wie deren Ausdruck. Aehnlicher Weise übersetzte er sich
Opernscenen und deren handelnde Personen -- und zwar ganz unabhängig
von der theatralischen Darstellung -- in seine Kunst. Welche schönere
Gelegenheit diese seine Lust zu büßen, konnte ihm geboten werden als die
Aufforderung in dem von seinem Jugendfreunde van der Nüll in seiner
Vatersiadt Wien neuerbauten großen Opernhaus den Foyer und die offene
Loggia mit Fresken auszumalen? Er griff mit beiden Händen zu.

Jm Foyer, wo die Büsten der bedeutendsten Tonkünftler aufgestellt
sind, hat Schwind einem jeden ein Frescobild gewidmet, oder auch mehrere:
für Schubert wählte er die Oper den häuslichen Krieg und von seinen Lie-
dern den Erlkönig und den Fischer; für Gluck die Armide; für Mozart die
Zauberflöte, Figaro's Hochzeit und Don Juan; alles freilich nur mit flüch-
tigen Andeutungen, so für den Don Juan den steinernen Gast, für Figaro
den Pagen, der durchs Fenster steigt, für die Zauberflöte die Feuerprobe
von Tamino und Pamina. Für Haydn wählte er die "Schöpfung," das
erste Menschenpaar zwischen zahmen und wilden Thieren, in Betrachtung
der frühlingsfrischen Erde, unter dem Schutz eines Engelchors; für Beet-
hoven Fidelio, die Sinfonia eroica und die Pastorale; für Weber den Frei-
schütz, für Rossini den Barbier von Sevilla; für Cherubini den Wasser-
träger; für Boieldieu die weiße Dame und Rothkäppchen; für Marschner
Hans Heiling; sodann für Meyerbeer die Hugenotten; für Spontini die
Vestalin; für Dittersdorf Doctor und Apotheker; für Spohr die Jessonda.

Für das so inhaltreiche Thema war der Raum viel zu beschränkt
als daß es vom Künstler hätte erschöpft werden können. Jch kann
aber auch überhaupt den Zweifel nicht unterdrücken ob es in der
Macht der Malerei liegt in ihren Darstellungen von in Musik ge-
setzten Dichtungen mehr die Musik als die Dichtkunst zu betonen.
Der Zweifel wächst wenn die Musik die ihr zu Grunde liegende Dichtung
weit übertrifft, wie bei der "Zauberflöte," welcher Schwind die offene
Loggia gewidmet hat. Wie sehr er sich anstrengt die Königin der Nacht
feierlich, die drei Knaben lieblich, Tamino und Pamina jugendlich und
schön, Papageno lustig darzustellen -- er bringt die Wirkung nicht einer
einzigen von Mozarts unsterblichen Melodien hervor, und kommt über
Schickaneder nicht hinaus, der nun freilich der doppelten Unsterblichkeit,
durch Musik und durch Malerei, sich erfreuen mag.

Schwind hatte sich indeß zu tief eingelassen in die Veranschaulichung
der Musik, als daß er nach Beendigung der Wiener Arbeiten schon Lust
zur Umkehr gehabt hätte. Jetzt griff er den Don Juan an, und skizzirte
Scenen auf Scenen, und zwar nun in einer so selbständigen Weise, daß
das Ganze eine neue freie Bearbeitung des Stoffs geworden sein würde,
bei welcher der Geist Mozarts ihm treulich zur Seite stand. Leider sind
es nur flüchtige Entwürfe auf welche dieses Urtheil sich gründet.

Vollkommen ausgeführt dagegen sind vier Scenen aus "Fidelio,"
welche -- gestochen von Merz und Gonzenbach -- einer Prachtausgabe dieser
Oper, für die Jubelfeier Beethovens am 16 Dec. 1870 veranstaltet, einge-
fügt sind: Fidelio neben dem Schließer die Ketten des Gefangenen weh-
müthig betrachtend; Fidelio sieht den Gefangenen im Kerker schlafend;
Fidelio setzt dem Gouverneur die Pistole auf die Brust; endlich Befreiung
aller Gefangenen.

Mit besonderer Lust gieng Schwind noch an eine große Unterneh-
[Spaltenumbruch] mung, an eine Bilderfolge zu sämmtlichen Dramen seines von ihm hoch-
und dankbar verehrten Freundes Grillparzer. Doch hat er es nicht über
vorbereitende Studien und flüchtige Versuche gebracht. Dagegen widmete
er seine letzten gesunden Kräfte, und zwar mit bestem Erfolg, seinem und
unserm Lieblingswerk: der "schönen Melusine," indem er für einen von
ihm besonders gern und oft besuchten Waldplatz am Starenberger See
eine offene runde Halle entwarf, in welcher ihre Geschichte von ihm ge-
malt werden sollte. Auch hat er sich, als mit der Ausführung beschäftigt,
in den Entwurf aufgenommen, und Franz Lachner als treu theilnehmen-
den Freund in die Halle gestellt.

Es war der letzte Zug seiner kunstbegabten Hand. Ein eingetretenes
Augenübel des Doppelsehens legte sie in Bande, die nun der Tod unlös-
lich gemacht hat.

Um politische Tagesfragen hat er sich wenig bekümmert. Als ihm
aber am Tage vor seinem Tod ein Glas Champagner zur Stärkung ge-
reicht wurde, erhob er sich vom Lager mit den Worten: "Jch bin in der
Kaiserstadt Wien geboren noch unter der Herrschaft des Kaisers vom alten
deutschen Reich. Wir haben ein neues deutsches Reich und einen neuen
Kaiser. Es lebe der deutsche Kaiser!" Und so konnte der Großherzog von
Weimar in seinem theilnahmvollen Brief an die Wittwe Schwinds aus
Versailles mit Recht schreiben: "den deutschesten der Künstler in dem Mo-
ment zu verlieren wo das deutsche Vaterland in alter Herrlichkeit sich zeigt,
ist mir ein tief ergreifendes Gefühl."

Wenn ein vielbegabter Mensch auf immer von uns scheidet, so em-
pfindet die ganze Gegenwart den Verlust, und der Schmerz dringt ins
Herz aller Zeitgenossen in Näh' und Ferne. Wien und Dresden haben
Todtenfeiern für Schwind veranstaltet; Wien bereitet eine Ausstellung
seiner Werke vor; Frankfurt hat sie veranstaltet. Und München? Ja,
der Verein für christliche Kunst hat ihm eine Gedächtnißfeier gehalten.
Aber die Akademie, an der er seit 1847 als Lehrer gewirkt, aber die
deutsche und die Münchner Künstlergenossenschaft, deren Mitglied er war? --
stumm und still wie das Grab, in das man ihn, den begeisterten Freund
der Tonkunst, ohne Sang und Klang gesenkt, gleich einem Fremden,
Unbekannten! Und doch ist man nicht karg hier mit Zeichen der Theil-
nahme in der Stunde der Trennung. Und doch hätten unsere Künstler
sich selbst geehrt, wenn sie ihrem unsterblichen Kunstgenossen die Ehre er-
wiesen hätten!

Suchen wir keine Erklärung dieser auffallenden Erscheinung; wen-
den wir uns lieber zu dem Geschiedenen zurück, dessen Umgang wohl
keiner ohne reichen Gewinn für seine Anschauungen von Kunst und Poesie
genossen hat. Wohl waren seine Reden scharf wie Schwerthiebe und derb
wie Hammerschläge; aber nie gegen das Gute und Echte in der Kunst
gerichtet. Mit unerbittlicher Strenge verurtheilte er den nichtigen Schein,
den aufgeputzten Nihilismus, die geistlose Virtuosität. Kein Wunder
daß er sich -- zumal bei der seit längerer Zeit in München herrschen-
den Kunstrichtung -- durch seine oft vernichtenden Bemerkungen hier
manchen offenen oder versteckten Feind zugezogen; aber wahr auch daß er durch
die Unabhängigkeit und treffende Wahrheit seines Urtheils und durch den
Ernst des eigenen künstlerischen Strebens nach den höchsten Zielen, sowie
durch seine classischen Werke, einen heilsamen Damm gegen die über-
fluthende Strömung des Modegeschmacks aufgeworfen hat. Jnzwischen ver-
hehlte er sich nicht daß er in letzter Zeit den meisten seiner Kunstgenossen
gegenüber immer auf dem Kampfplatze sich befand; was ihn bestimmte sich
mehr und mehr von ihnen zurückzuziehen. Gern verkehrte er mit seinem
Landsmann, dem Bildhauer Schaller, mit dem Maler G. König, dem
Kupferstecher Thäter -- sie sind ihm vorausgegangen in den Tod! Liebe-
voll und mittheilend bewies er sich gegen seine Schüler, namentlich gegen
Naue, den Maler von König Heinrich und der Nymphe Else, und gegen
Moßdorf, der ihm auf der Wartburg, in Reichenhall und im Wiener
Opernhaus treulich Hülfe geleistet. Am liebsten suchte er einen Umgang
der ihm musikalische Freuden bot, wie er sie namentlich bei dem Freund
aus seiner Jugendzeit, bei Franz Lachner, in vollem Maße fand; oder mit
einem Kenner der Musik und musikalischen Literatur, wie dem Bibliothekar
Dr. Mayer, oder dem treu bewährten Freunde, dem Erzgießer F. v. Miller.
Darf ich aber sagen wo er sich am wohlsten fühlte, wo sein Verlangen nach
einem liebreichen, Geist und Herz befriedigenden, gemüthlichen Dasein
volle Befriedigung fand -- es war im Schooße seiner Familie! Und wer
ihn auf dem Gipfel seines Glücks, in der rosigsten Laune seiner Phantasie,
in regster Schaffenslust sehen wollte, der mußte ihn in der reizenden länd-
lichen Villa auffuchen die er sich auf grünumlaubtem Plan am Uferabhang
des Starenberger Sees erbaut hatte! -- Weithin im Vaterlande sind seine
Werke zerstreut: in Westen und Osten, in Norden und Süden müssen wir
sie aufsuchen. Aber die herrlichste Blüthe seines schöpferischen Geistes,
sein liebstes Seelenkind, die schöne Melusine, soll, darf sie eine andere
Heimath haben als die Stätte ihrer Geburt, als München?

[Spaltenumbruch] des Frhrn. v. Schack die Rückkehr des Ritters v. Gleichen aus dem ge-
lobten Lande malte, für welches ihm jedenfalls, da er versucht hat die
Freude der Gattin beim Wiedersehen des Gatten mit ihrer Freude über
die zweite Gattin die er mitgebracht, zu einem wahrhaftigen Ausdruck
zu bringen, ein in früherer Zeit von Grillparzer gegen ihn ausgesprochenes
Wort: „Wer wird denn das Mögliche machen wollen!“ zum Leitstern ge-
dient hat.

Und wohl kann es sein daß das flackernde Wort mit seinem paradoxen
Schimmer ihm noch manchmal zum verlockenden Jrrlicht geworden ist. So
sieht man in derselben Gemäldesammlung nebst mehreren andern treffli-
chen Bildern Schwinds einen Berg dessen höchste Spitze in ein weibliches
Wesen ausgeht, das sich in einen Schleier hüllt, und unter welcher ein
Adler die vergebliche Anstrengung macht emporzuschweben. Es ist die
„Jungfrau“ in der Schweiz, die ihr Haupt mit Nebel deckt, daß selbst der
Adler die Höhe nicht erreicht. „Wer wird denn auch das Mögliche machen
wollen?“ mag der Künstler gedacht haben als ihm das Bild in einen Ge-
dankenkreis „der Liebe Schicksal“ paßte, in welchem er den kalten Stolz
der unnahbaren Jungfrau schildern wollte, nachdem er dem Liebenden die
Geliebte in Gefangenschaft eines Riesen gezeigt; Resignation im Einsiedler-
Leben und Liebesende im gemeinschaftlichen Tode von Hero und Leander
dargestellt; alles in Gemälden die im Besitze des Frhrn. v. Schack sind.

Schwinds große und kenntnißvolle Liebe zur Musik, zu welcher wir
die Keime schon in seinen Kinderjahren wahrgenommen, hatte entschiedenen
Einfluß auf seine malerische Phantasie. Nicht nur die Eintheilung, auch
der Charakter einer Symphonie erschien ihm in Bildern, deren Linien= und
Massenbildung, wie deren Ausdruck. Aehnlicher Weise übersetzte er sich
Opernscenen und deren handelnde Personen -- und zwar ganz unabhängig
von der theatralischen Darstellung -- in seine Kunst. Welche schönere
Gelegenheit diese seine Lust zu büßen, konnte ihm geboten werden als die
Aufforderung in dem von seinem Jugendfreunde van der Nüll in seiner
Vatersiadt Wien neuerbauten großen Opernhaus den Foyer und die offene
Loggia mit Fresken auszumalen? Er griff mit beiden Händen zu.

Jm Foyer, wo die Büsten der bedeutendsten Tonkünftler aufgestellt
sind, hat Schwind einem jeden ein Frescobild gewidmet, oder auch mehrere:
für Schubert wählte er die Oper den häuslichen Krieg und von seinen Lie-
dern den Erlkönig und den Fischer; für Gluck die Armide; für Mozart die
Zauberflöte, Figaro's Hochzeit und Don Juan; alles freilich nur mit flüch-
tigen Andeutungen, so für den Don Juan den steinernen Gast, für Figaro
den Pagen, der durchs Fenster steigt, für die Zauberflöte die Feuerprobe
von Tamino und Pamina. Für Haydn wählte er die „Schöpfung,“ das
erste Menschenpaar zwischen zahmen und wilden Thieren, in Betrachtung
der frühlingsfrischen Erde, unter dem Schutz eines Engelchors; für Beet-
hoven Fidelio, die Sinfonia eroica und die Pastorale; für Weber den Frei-
schütz, für Rossini den Barbier von Sevilla; für Cherubini den Wasser-
träger; für Boieldieu die weiße Dame und Rothkäppchen; für Marschner
Hans Heiling; sodann für Meyerbeer die Hugenotten; für Spontini die
Vestalin; für Dittersdorf Doctor und Apotheker; für Spohr die Jessonda.

Für das so inhaltreiche Thema war der Raum viel zu beschränkt
als daß es vom Künstler hätte erschöpft werden können. Jch kann
aber auch überhaupt den Zweifel nicht unterdrücken ob es in der
Macht der Malerei liegt in ihren Darstellungen von in Musik ge-
setzten Dichtungen mehr die Musik als die Dichtkunst zu betonen.
Der Zweifel wächst wenn die Musik die ihr zu Grunde liegende Dichtung
weit übertrifft, wie bei der „Zauberflöte,“ welcher Schwind die offene
Loggia gewidmet hat. Wie sehr er sich anstrengt die Königin der Nacht
feierlich, die drei Knaben lieblich, Tamino und Pamina jugendlich und
schön, Papageno lustig darzustellen -- er bringt die Wirkung nicht einer
einzigen von Mozarts unsterblichen Melodien hervor, und kommt über
Schickaneder nicht hinaus, der nun freilich der doppelten Unsterblichkeit,
durch Musik und durch Malerei, sich erfreuen mag.

Schwind hatte sich indeß zu tief eingelassen in die Veranschaulichung
der Musik, als daß er nach Beendigung der Wiener Arbeiten schon Lust
zur Umkehr gehabt hätte. Jetzt griff er den Don Juan an, und skizzirte
Scenen auf Scenen, und zwar nun in einer so selbständigen Weise, daß
das Ganze eine neue freie Bearbeitung des Stoffs geworden sein würde,
bei welcher der Geist Mozarts ihm treulich zur Seite stand. Leider sind
es nur flüchtige Entwürfe auf welche dieses Urtheil sich gründet.

Vollkommen ausgeführt dagegen sind vier Scenen aus „Fidelio,“
welche -- gestochen von Merz und Gonzenbach -- einer Prachtausgabe dieser
Oper, für die Jubelfeier Beethovens am 16 Dec. 1870 veranstaltet, einge-
fügt sind: Fidelio neben dem Schließer die Ketten des Gefangenen weh-
müthig betrachtend; Fidelio sieht den Gefangenen im Kerker schlafend;
Fidelio setzt dem Gouverneur die Pistole auf die Brust; endlich Befreiung
aller Gefangenen.

Mit besonderer Lust gieng Schwind noch an eine große Unterneh-
[Spaltenumbruch] mung, an eine Bilderfolge zu sämmtlichen Dramen seines von ihm hoch-
und dankbar verehrten Freundes Grillparzer. Doch hat er es nicht über
vorbereitende Studien und flüchtige Versuche gebracht. Dagegen widmete
er seine letzten gesunden Kräfte, und zwar mit bestem Erfolg, seinem und
unserm Lieblingswerk: der „schönen Melusine,“ indem er für einen von
ihm besonders gern und oft besuchten Waldplatz am Starenberger See
eine offene runde Halle entwarf, in welcher ihre Geschichte von ihm ge-
malt werden sollte. Auch hat er sich, als mit der Ausführung beschäftigt,
in den Entwurf aufgenommen, und Franz Lachner als treu theilnehmen-
den Freund in die Halle gestellt.

Es war der letzte Zug seiner kunstbegabten Hand. Ein eingetretenes
Augenübel des Doppelsehens legte sie in Bande, die nun der Tod unlös-
lich gemacht hat.

Um politische Tagesfragen hat er sich wenig bekümmert. Als ihm
aber am Tage vor seinem Tod ein Glas Champagner zur Stärkung ge-
reicht wurde, erhob er sich vom Lager mit den Worten: „Jch bin in der
Kaiserstadt Wien geboren noch unter der Herrschaft des Kaisers vom alten
deutschen Reich. Wir haben ein neues deutsches Reich und einen neuen
Kaiser. Es lebe der deutsche Kaiser!“ Und so konnte der Großherzog von
Weimar in seinem theilnahmvollen Brief an die Wittwe Schwinds aus
Versailles mit Recht schreiben: „den deutschesten der Künstler in dem Mo-
ment zu verlieren wo das deutsche Vaterland in alter Herrlichkeit sich zeigt,
ist mir ein tief ergreifendes Gefühl.“

Wenn ein vielbegabter Mensch auf immer von uns scheidet, so em-
pfindet die ganze Gegenwart den Verlust, und der Schmerz dringt ins
Herz aller Zeitgenossen in Näh' und Ferne. Wien und Dresden haben
Todtenfeiern für Schwind veranstaltet; Wien bereitet eine Ausstellung
seiner Werke vor; Frankfurt hat sie veranstaltet. Und München? Ja,
der Verein für christliche Kunst hat ihm eine Gedächtnißfeier gehalten.
Aber die Akademie, an der er seit 1847 als Lehrer gewirkt, aber die
deutsche und die Münchner Künstlergenossenschaft, deren Mitglied er war? --
stumm und still wie das Grab, in das man ihn, den begeisterten Freund
der Tonkunst, ohne Sang und Klang gesenkt, gleich einem Fremden,
Unbekannten! Und doch ist man nicht karg hier mit Zeichen der Theil-
nahme in der Stunde der Trennung. Und doch hätten unsere Künstler
sich selbst geehrt, wenn sie ihrem unsterblichen Kunstgenossen die Ehre er-
wiesen hätten!

Suchen wir keine Erklärung dieser auffallenden Erscheinung; wen-
den wir uns lieber zu dem Geschiedenen zurück, dessen Umgang wohl
keiner ohne reichen Gewinn für seine Anschauungen von Kunst und Poesie
genossen hat. Wohl waren seine Reden scharf wie Schwerthiebe und derb
wie Hammerschläge; aber nie gegen das Gute und Echte in der Kunst
gerichtet. Mit unerbittlicher Strenge verurtheilte er den nichtigen Schein,
den aufgeputzten Nihilismus, die geistlose Virtuosität. Kein Wunder
daß er sich -- zumal bei der seit längerer Zeit in München herrschen-
den Kunstrichtung -- durch seine oft vernichtenden Bemerkungen hier
manchen offenen oder versteckten Feind zugezogen; aber wahr auch daß er durch
die Unabhängigkeit und treffende Wahrheit seines Urtheils und durch den
Ernst des eigenen künstlerischen Strebens nach den höchsten Zielen, sowie
durch seine classischen Werke, einen heilsamen Damm gegen die über-
fluthende Strömung des Modegeschmacks aufgeworfen hat. Jnzwischen ver-
hehlte er sich nicht daß er in letzter Zeit den meisten seiner Kunstgenossen
gegenüber immer auf dem Kampfplatze sich befand; was ihn bestimmte sich
mehr und mehr von ihnen zurückzuziehen. Gern verkehrte er mit seinem
Landsmann, dem Bildhauer Schaller, mit dem Maler G. König, dem
Kupferstecher Thäter -- sie sind ihm vorausgegangen in den Tod! Liebe-
voll und mittheilend bewies er sich gegen seine Schüler, namentlich gegen
Naue, den Maler von König Heinrich und der Nymphe Else, und gegen
Moßdorf, der ihm auf der Wartburg, in Reichenhall und im Wiener
Opernhaus treulich Hülfe geleistet. Am liebsten suchte er einen Umgang
der ihm musikalische Freuden bot, wie er sie namentlich bei dem Freund
aus seiner Jugendzeit, bei Franz Lachner, in vollem Maße fand; oder mit
einem Kenner der Musik und musikalischen Literatur, wie dem Bibliothekar
Dr. Mayer, oder dem treu bewährten Freunde, dem Erzgießer F. v. Miller.
Darf ich aber sagen wo er sich am wohlsten fühlte, wo sein Verlangen nach
einem liebreichen, Geist und Herz befriedigenden, gemüthlichen Dasein
volle Befriedigung fand -- es war im Schooße seiner Familie! Und wer
ihn auf dem Gipfel seines Glücks, in der rosigsten Laune seiner Phantasie,
in regster Schaffenslust sehen wollte, der mußte ihn in der reizenden länd-
lichen Villa auffuchen die er sich auf grünumlaubtem Plan am Uferabhang
des Starenberger Sees erbaut hatte! -- Weithin im Vaterlande sind seine
Werke zerstreut: in Westen und Osten, in Norden und Süden müssen wir
sie aufsuchen. Aber die herrlichste Blüthe seines schöpferischen Geistes,
sein liebstes Seelenkind, die schöne Melusine, soll, darf sie eine andere
Heimath haben als die Stätte ihrer Geburt, als München?

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[1251/0011] des Frhrn. v. Schack die Rückkehr des Ritters v. Gleichen aus dem ge- lobten Lande malte, für welches ihm jedenfalls, da er versucht hat die Freude der Gattin beim Wiedersehen des Gatten mit ihrer Freude über die zweite Gattin die er mitgebracht, zu einem wahrhaftigen Ausdruck zu bringen, ein in früherer Zeit von Grillparzer gegen ihn ausgesprochenes Wort: „Wer wird denn das Mögliche machen wollen!“ zum Leitstern ge- dient hat. Und wohl kann es sein daß das flackernde Wort mit seinem paradoxen Schimmer ihm noch manchmal zum verlockenden Jrrlicht geworden ist. So sieht man in derselben Gemäldesammlung nebst mehreren andern treffli- chen Bildern Schwinds einen Berg dessen höchste Spitze in ein weibliches Wesen ausgeht, das sich in einen Schleier hüllt, und unter welcher ein Adler die vergebliche Anstrengung macht emporzuschweben. Es ist die „Jungfrau“ in der Schweiz, die ihr Haupt mit Nebel deckt, daß selbst der Adler die Höhe nicht erreicht. „Wer wird denn auch das Mögliche machen wollen?“ mag der Künstler gedacht haben als ihm das Bild in einen Ge- dankenkreis „der Liebe Schicksal“ paßte, in welchem er den kalten Stolz der unnahbaren Jungfrau schildern wollte, nachdem er dem Liebenden die Geliebte in Gefangenschaft eines Riesen gezeigt; Resignation im Einsiedler- Leben und Liebesende im gemeinschaftlichen Tode von Hero und Leander dargestellt; alles in Gemälden die im Besitze des Frhrn. v. Schack sind. Schwinds große und kenntnißvolle Liebe zur Musik, zu welcher wir die Keime schon in seinen Kinderjahren wahrgenommen, hatte entschiedenen Einfluß auf seine malerische Phantasie. Nicht nur die Eintheilung, auch der Charakter einer Symphonie erschien ihm in Bildern, deren Linien= und Massenbildung, wie deren Ausdruck. Aehnlicher Weise übersetzte er sich Opernscenen und deren handelnde Personen -- und zwar ganz unabhängig von der theatralischen Darstellung -- in seine Kunst. Welche schönere Gelegenheit diese seine Lust zu büßen, konnte ihm geboten werden als die Aufforderung in dem von seinem Jugendfreunde van der Nüll in seiner Vatersiadt Wien neuerbauten großen Opernhaus den Foyer und die offene Loggia mit Fresken auszumalen? Er griff mit beiden Händen zu. Jm Foyer, wo die Büsten der bedeutendsten Tonkünftler aufgestellt sind, hat Schwind einem jeden ein Frescobild gewidmet, oder auch mehrere: für Schubert wählte er die Oper den häuslichen Krieg und von seinen Lie- dern den Erlkönig und den Fischer; für Gluck die Armide; für Mozart die Zauberflöte, Figaro's Hochzeit und Don Juan; alles freilich nur mit flüch- tigen Andeutungen, so für den Don Juan den steinernen Gast, für Figaro den Pagen, der durchs Fenster steigt, für die Zauberflöte die Feuerprobe von Tamino und Pamina. Für Haydn wählte er die „Schöpfung,“ das erste Menschenpaar zwischen zahmen und wilden Thieren, in Betrachtung der frühlingsfrischen Erde, unter dem Schutz eines Engelchors; für Beet- hoven Fidelio, die Sinfonia eroica und die Pastorale; für Weber den Frei- schütz, für Rossini den Barbier von Sevilla; für Cherubini den Wasser- träger; für Boieldieu die weiße Dame und Rothkäppchen; für Marschner Hans Heiling; sodann für Meyerbeer die Hugenotten; für Spontini die Vestalin; für Dittersdorf Doctor und Apotheker; für Spohr die Jessonda. Für das so inhaltreiche Thema war der Raum viel zu beschränkt als daß es vom Künstler hätte erschöpft werden können. Jch kann aber auch überhaupt den Zweifel nicht unterdrücken ob es in der Macht der Malerei liegt in ihren Darstellungen von in Musik ge- setzten Dichtungen mehr die Musik als die Dichtkunst zu betonen. Der Zweifel wächst wenn die Musik die ihr zu Grunde liegende Dichtung weit übertrifft, wie bei der „Zauberflöte,“ welcher Schwind die offene Loggia gewidmet hat. Wie sehr er sich anstrengt die Königin der Nacht feierlich, die drei Knaben lieblich, Tamino und Pamina jugendlich und schön, Papageno lustig darzustellen -- er bringt die Wirkung nicht einer einzigen von Mozarts unsterblichen Melodien hervor, und kommt über Schickaneder nicht hinaus, der nun freilich der doppelten Unsterblichkeit, durch Musik und durch Malerei, sich erfreuen mag. Schwind hatte sich indeß zu tief eingelassen in die Veranschaulichung der Musik, als daß er nach Beendigung der Wiener Arbeiten schon Lust zur Umkehr gehabt hätte. Jetzt griff er den Don Juan an, und skizzirte Scenen auf Scenen, und zwar nun in einer so selbständigen Weise, daß das Ganze eine neue freie Bearbeitung des Stoffs geworden sein würde, bei welcher der Geist Mozarts ihm treulich zur Seite stand. Leider sind es nur flüchtige Entwürfe auf welche dieses Urtheil sich gründet. Vollkommen ausgeführt dagegen sind vier Scenen aus „Fidelio,“ welche -- gestochen von Merz und Gonzenbach -- einer Prachtausgabe dieser Oper, für die Jubelfeier Beethovens am 16 Dec. 1870 veranstaltet, einge- fügt sind: Fidelio neben dem Schließer die Ketten des Gefangenen weh- müthig betrachtend; Fidelio sieht den Gefangenen im Kerker schlafend; Fidelio setzt dem Gouverneur die Pistole auf die Brust; endlich Befreiung aller Gefangenen. Mit besonderer Lust gieng Schwind noch an eine große Unterneh- mung, an eine Bilderfolge zu sämmtlichen Dramen seines von ihm hoch- und dankbar verehrten Freundes Grillparzer. Doch hat er es nicht über vorbereitende Studien und flüchtige Versuche gebracht. Dagegen widmete er seine letzten gesunden Kräfte, und zwar mit bestem Erfolg, seinem und unserm Lieblingswerk: der „schönen Melusine,“ indem er für einen von ihm besonders gern und oft besuchten Waldplatz am Starenberger See eine offene runde Halle entwarf, in welcher ihre Geschichte von ihm ge- malt werden sollte. Auch hat er sich, als mit der Ausführung beschäftigt, in den Entwurf aufgenommen, und Franz Lachner als treu theilnehmen- den Freund in die Halle gestellt. Es war der letzte Zug seiner kunstbegabten Hand. Ein eingetretenes Augenübel des Doppelsehens legte sie in Bande, die nun der Tod unlös- lich gemacht hat. Um politische Tagesfragen hat er sich wenig bekümmert. Als ihm aber am Tage vor seinem Tod ein Glas Champagner zur Stärkung ge- reicht wurde, erhob er sich vom Lager mit den Worten: „Jch bin in der Kaiserstadt Wien geboren noch unter der Herrschaft des Kaisers vom alten deutschen Reich. Wir haben ein neues deutsches Reich und einen neuen Kaiser. Es lebe der deutsche Kaiser!“ Und so konnte der Großherzog von Weimar in seinem theilnahmvollen Brief an die Wittwe Schwinds aus Versailles mit Recht schreiben: „den deutschesten der Künstler in dem Mo- ment zu verlieren wo das deutsche Vaterland in alter Herrlichkeit sich zeigt, ist mir ein tief ergreifendes Gefühl.“ Wenn ein vielbegabter Mensch auf immer von uns scheidet, so em- pfindet die ganze Gegenwart den Verlust, und der Schmerz dringt ins Herz aller Zeitgenossen in Näh' und Ferne. Wien und Dresden haben Todtenfeiern für Schwind veranstaltet; Wien bereitet eine Ausstellung seiner Werke vor; Frankfurt hat sie veranstaltet. Und München? Ja, der Verein für christliche Kunst hat ihm eine Gedächtnißfeier gehalten. Aber die Akademie, an der er seit 1847 als Lehrer gewirkt, aber die deutsche und die Münchner Künstlergenossenschaft, deren Mitglied er war? -- stumm und still wie das Grab, in das man ihn, den begeisterten Freund der Tonkunst, ohne Sang und Klang gesenkt, gleich einem Fremden, Unbekannten! Und doch ist man nicht karg hier mit Zeichen der Theil- nahme in der Stunde der Trennung. Und doch hätten unsere Künstler sich selbst geehrt, wenn sie ihrem unsterblichen Kunstgenossen die Ehre er- wiesen hätten! Suchen wir keine Erklärung dieser auffallenden Erscheinung; wen- den wir uns lieber zu dem Geschiedenen zurück, dessen Umgang wohl keiner ohne reichen Gewinn für seine Anschauungen von Kunst und Poesie genossen hat. Wohl waren seine Reden scharf wie Schwerthiebe und derb wie Hammerschläge; aber nie gegen das Gute und Echte in der Kunst gerichtet. Mit unerbittlicher Strenge verurtheilte er den nichtigen Schein, den aufgeputzten Nihilismus, die geistlose Virtuosität. Kein Wunder daß er sich -- zumal bei der seit längerer Zeit in München herrschen- den Kunstrichtung -- durch seine oft vernichtenden Bemerkungen hier manchen offenen oder versteckten Feind zugezogen; aber wahr auch daß er durch die Unabhängigkeit und treffende Wahrheit seines Urtheils und durch den Ernst des eigenen künstlerischen Strebens nach den höchsten Zielen, sowie durch seine classischen Werke, einen heilsamen Damm gegen die über- fluthende Strömung des Modegeschmacks aufgeworfen hat. Jnzwischen ver- hehlte er sich nicht daß er in letzter Zeit den meisten seiner Kunstgenossen gegenüber immer auf dem Kampfplatze sich befand; was ihn bestimmte sich mehr und mehr von ihnen zurückzuziehen. Gern verkehrte er mit seinem Landsmann, dem Bildhauer Schaller, mit dem Maler G. König, dem Kupferstecher Thäter -- sie sind ihm vorausgegangen in den Tod! Liebe- voll und mittheilend bewies er sich gegen seine Schüler, namentlich gegen Naue, den Maler von König Heinrich und der Nymphe Else, und gegen Moßdorf, der ihm auf der Wartburg, in Reichenhall und im Wiener Opernhaus treulich Hülfe geleistet. Am liebsten suchte er einen Umgang der ihm musikalische Freuden bot, wie er sie namentlich bei dem Freund aus seiner Jugendzeit, bei Franz Lachner, in vollem Maße fand; oder mit einem Kenner der Musik und musikalischen Literatur, wie dem Bibliothekar Dr. Mayer, oder dem treu bewährten Freunde, dem Erzgießer F. v. Miller. Darf ich aber sagen wo er sich am wohlsten fühlte, wo sein Verlangen nach einem liebreichen, Geist und Herz befriedigenden, gemüthlichen Dasein volle Befriedigung fand -- es war im Schooße seiner Familie! Und wer ihn auf dem Gipfel seines Glücks, in der rosigsten Laune seiner Phantasie, in regster Schaffenslust sehen wollte, der mußte ihn in der reizenden länd- lichen Villa auffuchen die er sich auf grünumlaubtem Plan am Uferabhang des Starenberger Sees erbaut hatte! -- Weithin im Vaterlande sind seine Werke zerstreut: in Westen und Osten, in Norden und Süden müssen wir sie aufsuchen. Aber die herrlichste Blüthe seines schöpferischen Geistes, sein liebstes Seelenkind, die schöne Melusine, soll, darf sie eine andere Heimath haben als die Stätte ihrer Geburt, als München? Ernst Förster.

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Peter Fankhauser: Transformation von TUSTEP nach TEI P5. Transformation von TEI P5 in das DTA TEI P5 Format.

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  • fremdsprachliches Material: nur Fremdskripte gekennzeichnet.
  • Kolumnentitel: nicht übernommen.
  • Kustoden: nicht übernommen.
  • langes s (?): in Frakturschrift als s transkribiert, in Antiquaschrift beibehalten.
  • rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert.
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert.
  • Vollständigkeit: vollständig erfasst.
  • Zeichensetzung: DTABf-getreu.



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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 74. Augsburg (Bayern), 15. März 1871, S. 1251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_augsburg74_1871/11>, abgerufen am 29.03.2024.