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Allgemeine Zeitung. Nr. 72. Augsburg (Bayern), 13. März 1871.

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[Spaltenumbruch] die Grammatik geblieben sei, daß er also rufen konnte: Alles verloren,
nur die Ehre nicht. Aber deßhalb darf man nicht zu voreilig diese frem-
den Elemente im Patois als die siegreichen Spitzen des feindlichen Heeres
betrachten; könnten sie nicht auch abgeschnittene und gefangene Heeres-
massen, nicht auch Deserteure bedeuten? Annectiren sie oder werden sie
annectirt? Die Frage ist gerade ebenso schwierig zu beantworten als die:
ob die Deutschen in Paris den Parisern, oder diese jenen mehr zu verdan-
ken haben. Jmmerhin steht das eine fest: wo zwei Sprachen bei sonst
gleichen Bedingungen um ein Terrain ringen, wird diejenige den Sieg
davon tragen welche am meisten aus dem Wortschatze der andern annimmt;
die sprödere, heiklere unterliegen. Jene hat den Nachtheil übel zugerichtet
zu sein, den Vortheil den Platz zu behaupten. Es kommt also auch hier,
wie beim Maccaroni=Wettessen, auf den guten Magen an. -- Spärlicher
und weniger leicht erkennbar ist der deutsche Beisatz im Metzischen z. B.:
ch lone, schlagen, ch pekeur, Spieker ( Schiffsnagel ) , couesse, Zwetsche,
handle, kehren, honque, Hengst, houre, ro ch a, Rock ( vgl. franz. rochet,
Chorrock ) . Die Wörter germanischen Ursprungs gehören nämlich hier
schon meist derselben Kategorie an wie die in den Mundarten des innern
Frankreichs, d. h. ihre Matrikel ist eine sehr alte. Die Mundarten stehen
hierin noch auf der Stufe des Altfranzösischen, das an solchen Wörtern
viel reicher ist als die neufranzösische Schriftsprache, obwohl auch so der
Akademie der Schmerz nicht erspart geblieben ist fast auf jedem Blatt
ihres Wörterbuchs Spuren barbarischer Jnvasionen verzeichnen zu müssen.

Hr. Edelestand du Meril, um nichts mit den Deutschen zu thun zu
haben, scheut die weite Fahrt nach Jsland nicht um von dort allen barbari-
schen Wortvorrath der romanischen Sprachen herzuholen; doch dünkt es
uns er habe zu viel mitgebracht, denn sollte erst der Jsländer den Jtalie-
ner das andare ( andra ) und den Franzosen die courtoisie ( kurteisi )
gelehrt haben? Freilich erschien seine Histoire de la poesie scandinave
zu einer Zeit in welcher man schon stark nach dem deutschen Rhein schielte
und ein gelinder Wahnsinn alle guten Franzosen befieng, womit indessen
keineswegs gesagt sein soll daß dieser Wahnsinn bei ihm ein vorübergehen-
der gewesen sei. Uebrigens dürfte auch neuerdings, während der Feld-
züge von 1814 und 1815 und nachher, manches deutsche Wort tiefer nach
Frankreich hineinverschlagen worden sein; wenn man z. B. in der Cham-
pagne das Wort chelm hört, so ist daran vielleicht eine Scene a la Kur-
märker und Picarde schuld. -- Jn Steinthal merkt man noch an manchem
anderen die deutsche Nachbarschaft. So sind z. B. den deutschen Wörtern
Katze, Arbeit, Predigt, Luft zu Liebe chat, travail, preche, air zum
weiblichen Geschlecht übergetreten. Bekannt ist de romanische Unbestän-
digkeit des Adjectivs, das seinem Substantiv bald voraneilt, bald hinter
ihm herhinkt. Der Deutsche sieht auf Zucht und Ordnung; er stellt es
immer vor. Die Steinthaler haben manche Neuerung im deutschen Sinne
gemacht; sie sagen z. B.: d'aigres - dchottes für des choux aigres, sa-
vaidge djas
für coq sauvage. Die Malmedyer, nun schon geraume
Zeit Preußen, haben es noch weiter gebracht: l'cras vai für le veau
gras
ist ihnen mundgerecht worden; doch möchten wir warnen einen direc-
ten landräthlichen Einfluß vorauszusetzen.

Die Geschichte der französischen Sprachgemeinden am östlichen Ab-
hange der Wasgen ist noch nicht aufgehellt. Man berufe sich nicht auf
deutsche Ortsnamen, mit denen es sich verhalten kann wie mit manchen
in Graubünden, Tirol und Friaul. Zu Rothau und Waldersbach im
Steinthal erscheint das Romanische als altansässig; und wenn die Rothauer
die Waldersbacher grobiches nennen ( was von diesen durch h abla, d. i.
hableurs, erwiedert wird ) , so deutet dieß nicht etwa auf die grob= germanische
Abkunft der letzteren, sondern bezieht sich darauf daß bei ihnen der Ge-
brauch des Lautes tch in höchster Blüthe steht, der zu Roth au unbekannt
ist; grobiches wird gesagt für grobitches, Dickschnäbler. Auch lasse man
sich, wenn man die sonst treffliche Kiepert'sche Karte der Gränzländer vor
sich hat, nicht durch die gelbe Farbe beirren, welche früher deutsches, seither
größtentheils französisch gewordenes Sprachgebiet bezeichnet. Viel wahr-
scheinlicher ist es uns daß hier das Germanische das Romanische zurück-
gedrängt habe, als daß es von ihm zurückgedrängt worden sei. Aber es
ist noch ein anderer Fall denkbar: es ist weder germanisirt noch romanisirt
worden; jede Gemeinde ist bei ihrer ursprünglichen Sprache verblieben,
und die Gemischtheit des Sprachgebiets ist nicht so zu erklären, daß Gränz-
festungen durch Eroberung aus der einen Hand in die andere übergegan-
gen sind, als vielmehr so daß die Demarcationslinie von der einen oder
von beiden Seiten durch Colonisation überschritten ist. So besteht Sainte-
Marie = aux = Mines ( Leberthal ) aus zwei Kirchspielen, einem lothringischen
und einem elsäßischen, die eine Brücke über den kleinen Fluß verbindet.
Jenes ist katholisch und französisch, dieses protestantisch und deutsch, und
sogar in Sitte und Kleidung verräth sich die verschiedene Abstammung.
Wenigstens bestand dieser Gegensatz vor nicht zu langer Zeit noch in sei-
ner ganzen Schroffheit; seitdem mag er sich vielfach verwischt haben. Da
[Spaltenumbruch] in diesem Orte sogar manche Häuser zu einem Theil dieser und zum andern
jener Provinz angehören, so sagt man scherzend: man macht das Brod im
Elsaß, und man backt es in Lothringen, oder die Frau schlafe im Elsaß und
der Mann in Lothringen.

Neueste Posten.

x München, 11 März. Se. Maj. der König hat am 9 d. den
Staatsminister des Aeußern, Grafen Bray, empfangen und dessen Bericht
über seine Thätigkeit in Versailles entgegengenommen, dann gestern mit
dem Staatsminister des Jnnern v. Braun conferirt. -- Jn allen Kirchen
der Stadt fand heute feierlicher Trauergottesdienst für die gefallenen Krie-
ger statt. Die Theilnahme des Publicums an der kirchlichen Feier war
eine allgemeine, und die Kirchen waren sämmtlich überfüllt. Dem Gottes-
dienst in der Frauenkirche, wo der Erzbischof das Seelenamt celebrirte,
wohnte der König mit dem großen Cortege bei, ferner die Prinzen des
königlichen und des herzoglichen Hauses, die Beamten, Officiere und Ab-
theilungen aller hier garnisonirenden Regimenter, die Professoren der
Universität und die Mitglieder beider Gemeindecollegien. Von den beiden
Frauenthürmen wehen zwei riesige Trauerflaggen. -- Nach dem vom
Kriegsministerium bezüglich der Abrüstung des Heeres getroffenen Anord-
nungen werden die in Bayern stehenden Landwehrbataillone sofort auf
den Bereitschaftsstand zurückgeführt ( 447 Mann mit 3 Officieren ) ; die Er-
satzbataillone und die Ersatzcompagnien der Jägerbataillone dagegen wer-
den vorerst auf einen Stand von 100 Gefreiten und Gemeinen gesetzt.
Da wo die Mannschaften zum Bewachungsdienst der Kriegsgefangenen
verwendet sind, tritt die Reduction nach Maßgabe der Evacuation der
Gefangenendepots ein. Die Trainpferde der in Bayern stehenden Land-
wehrbataillone, sowie die Pferde zweiter und dritter Classe der Ersatzab-
theilungen der Cavallerie, Artillerie und des Genieregiments werden dem
sofortigen Verkaufe unterstellt.

* München, 11 März. Se. Maj. der König hat dem Kriegs-
minister Frhrn. v. Pranckh das Großkreuz des Militär=Verdienst=Ordens
verliehen.

sym19 München, 11 März. Das in der Beilage zur "Allg. Ztg."
mitgetheilte und auch in andern Blättern reproducirte Gerücht über be-
vorstehenden Rücktritt des Hrn. v. Lutz vom Cultusministerium ist gänzlich
aus der Luft gegriffen, da uns aus bester Quelle und mit aller Bestimmt-
heit mitgetheilt wird: ein derartiger Rücktritt werde weder von Hrn. v. Lutz
persönlich noch sonst an maßgebendem Orte beabsichtigt.

Wilhelmshöhe, 8 März. Die "Situation" veröffentlicht die Pro-
testation welche der Kaiser Napoleon an den Präsidenten der Nationalver-
sammlung von hier aus gerichtet hat; sie lautet: "An den Präsidenten der
Nationalversammlung in Bordeaux. Hr. Präsident! Jn dem Augenblick
wo alle Franzosen, tief betrübt über die Bedingungen des Friedens, nur
an die Leiden des Vaterlandes dachten, hat die Nationalversammlung
die Absetzung meiner Dynastie ausgesprochen, und behauptet daß ich
allein verantwortlich sei für das öffentliche Unglück. Jch protestire gegen
diese ungerechte und ungesetzliche Erklärung. Ungerecht, denn als
der Krieg erklärt ward, hatte das Nationalgefühl, überreizt durch
Ursachen die von meinem Willen unabhängig waren, eine allgemeine
und unwiderstehliche Ueberstürzung ( entraeinement ) hervorgebracht. Un-
gesetzlich, denn die Versammlung, zu dem einzigen Zweck erwählt um
Frieden zu machen, hat ihre Vollmachten überschritten, indem sie Fragen
entschied welche über ihrer Competenz waren; wäre sie selbst eine consti-
tuirende Versammlung, so wäre sie doch nicht im Stand ihren Willen dem
der Nation zu substituiren. Das Beispiel der Vergangenheit ist da um
es zu beweisen. Die Feindseligkeit der Constituante ist 1848 an der Wahl
des 10 Decembers gescheitert, und 1851 hat das Volk durch mehr als sieben
Millionen Stimmen mir gegen die gesetzgebende Versammlung Recht gegeben.
Die politische Leidenschaft kann nicht das Recht überwiegen, und das
französische öffentliche Recht für die Gründung jeder legitimen Regierung
ist das Plebiscit. Außerhalb von diesem besteht nur Usurpation für die
einen, Unterdrückung für die andern. Auch bin ich bereit mich vor dem
freien Ausdrucke des nationalen Willens zu beugen, aber nur vor diesem.
Jn Gegenwart schmerzlicher Ereignisse, welche allen Entsagung und Selbst-
verläugnung auferlegen, hätte ich gern Schweigen gewahrt, aber die Er-
klärung der Versammlung zwingt mich im Namen der beleidigten Wahr-
heit und der verkannten Rechte der Nation zu protestiren. Empfangen
Sie, Hr. Präsident, die Versicherung meiner Hochachtung. Wilhelms-
höhe, 6 März 1871. Napoleon. " ( K. Z. )

Bern, 10 März. Wie man von officieller Seite vernimmt, ist
die Rückkehr der internirten Franzosen nun auch über Pontarlier durch den
noch von den Deutschen besetzt gehaltenen Landestheil mittelst einer vom
eidgenössischen Oberstlieutenant v. Sinner und dem Commando der deut-
schen Südarmee abgeschlossenen Convention geregelt worden. Dieß und
die Wiederherstellung des Eisenbahnverkehrs von Genf über Culoz haben
den Bundesrath bestimmt die Heimbeförderung der Mannschaften der ehe-
maligen Armee Bourbaki's nicht länger zu verzögern, sondern ihren Be-

[Spaltenumbruch] die Grammatik geblieben sei, daß er also rufen konnte: Alles verloren,
nur die Ehre nicht. Aber deßhalb darf man nicht zu voreilig diese frem-
den Elemente im Patois als die siegreichen Spitzen des feindlichen Heeres
betrachten; könnten sie nicht auch abgeschnittene und gefangene Heeres-
massen, nicht auch Deserteure bedeuten? Annectiren sie oder werden sie
annectirt? Die Frage ist gerade ebenso schwierig zu beantworten als die:
ob die Deutschen in Paris den Parisern, oder diese jenen mehr zu verdan-
ken haben. Jmmerhin steht das eine fest: wo zwei Sprachen bei sonst
gleichen Bedingungen um ein Terrain ringen, wird diejenige den Sieg
davon tragen welche am meisten aus dem Wortschatze der andern annimmt;
die sprödere, heiklere unterliegen. Jene hat den Nachtheil übel zugerichtet
zu sein, den Vortheil den Platz zu behaupten. Es kommt also auch hier,
wie beim Maccaroni=Wettessen, auf den guten Magen an. -- Spärlicher
und weniger leicht erkennbar ist der deutsche Beisatz im Metzischen z. B.:
ch loné, schlagen, ch pékeur, Spieker ( Schiffsnagel ) , couesse, Zwetsche,
handlé, kehren, honque, Hengst, houre, ro ch a, Rock ( vgl. franz. rochet,
Chorrock ) . Die Wörter germanischen Ursprungs gehören nämlich hier
schon meist derselben Kategorie an wie die in den Mundarten des innern
Frankreichs, d. h. ihre Matrikel ist eine sehr alte. Die Mundarten stehen
hierin noch auf der Stufe des Altfranzösischen, das an solchen Wörtern
viel reicher ist als die neufranzösische Schriftsprache, obwohl auch so der
Akademie der Schmerz nicht erspart geblieben ist fast auf jedem Blatt
ihres Wörterbuchs Spuren barbarischer Jnvasionen verzeichnen zu müssen.

Hr. Edélestand du Méril, um nichts mit den Deutschen zu thun zu
haben, scheut die weite Fahrt nach Jsland nicht um von dort allen barbari-
schen Wortvorrath der romanischen Sprachen herzuholen; doch dünkt es
uns er habe zu viel mitgebracht, denn sollte erst der Jsländer den Jtalie-
ner das andare ( andra ) und den Franzosen die courtoisie ( kurteisi )
gelehrt haben? Freilich erschien seine Histoire de la poésie scandinave
zu einer Zeit in welcher man schon stark nach dem deutschen Rhein schielte
und ein gelinder Wahnsinn alle guten Franzosen befieng, womit indessen
keineswegs gesagt sein soll daß dieser Wahnsinn bei ihm ein vorübergehen-
der gewesen sei. Uebrigens dürfte auch neuerdings, während der Feld-
züge von 1814 und 1815 und nachher, manches deutsche Wort tiefer nach
Frankreich hineinverschlagen worden sein; wenn man z. B. in der Cham-
pagne das Wort chelm hört, so ist daran vielleicht eine Scene à la Kur-
märker und Picarde schuld. -- Jn Steinthal merkt man noch an manchem
anderen die deutsche Nachbarschaft. So sind z. B. den deutschen Wörtern
Katze, Arbeit, Predigt, Luft zu Liebe chat, travail, prêche, air zum
weiblichen Geschlecht übergetreten. Bekannt ist de romanische Unbestän-
digkeit des Adjectivs, das seinem Substantiv bald voraneilt, bald hinter
ihm herhinkt. Der Deutsche sieht auf Zucht und Ordnung; er stellt es
immer vor. Die Steinthaler haben manche Neuerung im deutschen Sinne
gemacht; sie sagen z. B.: d'aigres - dchottes für des choux aigres, sâ-
vaidge djas
für coq sauvage. Die Malmedyer, nun schon geraume
Zeit Preußen, haben es noch weiter gebracht: l'cras vai für le veau
gras
ist ihnen mundgerecht worden; doch möchten wir warnen einen direc-
ten landräthlichen Einfluß vorauszusetzen.

Die Geschichte der französischen Sprachgemeinden am östlichen Ab-
hange der Wasgen ist noch nicht aufgehellt. Man berufe sich nicht auf
deutsche Ortsnamen, mit denen es sich verhalten kann wie mit manchen
in Graubünden, Tirol und Friaul. Zu Rothau und Waldersbach im
Steinthal erscheint das Romanische als altansässig; und wenn die Rothauer
die Waldersbacher grobiches nennen ( was von diesen durch h abla, d. i.
hableurs, erwiedert wird ) , so deutet dieß nicht etwa auf die grob= germanische
Abkunft der letzteren, sondern bezieht sich darauf daß bei ihnen der Ge-
brauch des Lautes tch in höchster Blüthe steht, der zu Roth au unbekannt
ist; grobiches wird gesagt für grobitches, Dickschnäbler. Auch lasse man
sich, wenn man die sonst treffliche Kiepert'sche Karte der Gränzländer vor
sich hat, nicht durch die gelbe Farbe beirren, welche früher deutsches, seither
größtentheils französisch gewordenes Sprachgebiet bezeichnet. Viel wahr-
scheinlicher ist es uns daß hier das Germanische das Romanische zurück-
gedrängt habe, als daß es von ihm zurückgedrängt worden sei. Aber es
ist noch ein anderer Fall denkbar: es ist weder germanisirt noch romanisirt
worden; jede Gemeinde ist bei ihrer ursprünglichen Sprache verblieben,
und die Gemischtheit des Sprachgebiets ist nicht so zu erklären, daß Gränz-
festungen durch Eroberung aus der einen Hand in die andere übergegan-
gen sind, als vielmehr so daß die Demarcationslinie von der einen oder
von beiden Seiten durch Colonisation überschritten ist. So besteht Sainte-
Marie = aux = Mines ( Leberthal ) aus zwei Kirchspielen, einem lothringischen
und einem elsäßischen, die eine Brücke über den kleinen Fluß verbindet.
Jenes ist katholisch und französisch, dieses protestantisch und deutsch, und
sogar in Sitte und Kleidung verräth sich die verschiedene Abstammung.
Wenigstens bestand dieser Gegensatz vor nicht zu langer Zeit noch in sei-
ner ganzen Schroffheit; seitdem mag er sich vielfach verwischt haben. Da
[Spaltenumbruch] in diesem Orte sogar manche Häuser zu einem Theil dieser und zum andern
jener Provinz angehören, so sagt man scherzend: man macht das Brod im
Elsaß, und man backt es in Lothringen, oder die Frau schlafe im Elsaß und
der Mann in Lothringen.

Neueste Posten.

× München, 11 März. Se. Maj. der König hat am 9 d. den
Staatsminister des Aeußern, Grafen Bray, empfangen und dessen Bericht
über seine Thätigkeit in Versailles entgegengenommen, dann gestern mit
dem Staatsminister des Jnnern v. Braun conferirt. -- Jn allen Kirchen
der Stadt fand heute feierlicher Trauergottesdienst für die gefallenen Krie-
ger statt. Die Theilnahme des Publicums an der kirchlichen Feier war
eine allgemeine, und die Kirchen waren sämmtlich überfüllt. Dem Gottes-
dienst in der Frauenkirche, wo der Erzbischof das Seelenamt celebrirte,
wohnte der König mit dem großen Cortége bei, ferner die Prinzen des
königlichen und des herzoglichen Hauses, die Beamten, Officiere und Ab-
theilungen aller hier garnisonirenden Regimenter, die Professoren der
Universität und die Mitglieder beider Gemeindecollegien. Von den beiden
Frauenthürmen wehen zwei riesige Trauerflaggen. -- Nach dem vom
Kriegsministerium bezüglich der Abrüstung des Heeres getroffenen Anord-
nungen werden die in Bayern stehenden Landwehrbataillone sofort auf
den Bereitschaftsstand zurückgeführt ( 447 Mann mit 3 Officieren ) ; die Er-
satzbataillone und die Ersatzcompagnien der Jägerbataillone dagegen wer-
den vorerst auf einen Stand von 100 Gefreiten und Gemeinen gesetzt.
Da wo die Mannschaften zum Bewachungsdienst der Kriegsgefangenen
verwendet sind, tritt die Reduction nach Maßgabe der Evacuation der
Gefangenendepots ein. Die Trainpferde der in Bayern stehenden Land-
wehrbataillone, sowie die Pferde zweiter und dritter Classe der Ersatzab-
theilungen der Cavallerie, Artillerie und des Genieregiments werden dem
sofortigen Verkaufe unterstellt.

* München, 11 März. Se. Maj. der König hat dem Kriegs-
minister Frhrn. v. Pranckh das Großkreuz des Militär=Verdienst=Ordens
verliehen.

sym19 München, 11 März. Das in der Beilage zur „Allg. Ztg.“
mitgetheilte und auch in andern Blättern reproducirte Gerücht über be-
vorstehenden Rücktritt des Hrn. v. Lutz vom Cultusministerium ist gänzlich
aus der Luft gegriffen, da uns aus bester Quelle und mit aller Bestimmt-
heit mitgetheilt wird: ein derartiger Rücktritt werde weder von Hrn. v. Lutz
persönlich noch sonst an maßgebendem Orte beabsichtigt.

Wilhelmshöhe, 8 März. Die „Situation“ veröffentlicht die Pro-
testation welche der Kaiser Napoleon an den Präsidenten der Nationalver-
sammlung von hier aus gerichtet hat; sie lautet: „An den Präsidenten der
Nationalversammlung in Bordeaux. Hr. Präsident! Jn dem Augenblick
wo alle Franzosen, tief betrübt über die Bedingungen des Friedens, nur
an die Leiden des Vaterlandes dachten, hat die Nationalversammlung
die Absetzung meiner Dynastie ausgesprochen, und behauptet daß ich
allein verantwortlich sei für das öffentliche Unglück. Jch protestire gegen
diese ungerechte und ungesetzliche Erklärung. Ungerecht, denn als
der Krieg erklärt ward, hatte das Nationalgefühl, überreizt durch
Ursachen die von meinem Willen unabhängig waren, eine allgemeine
und unwiderstehliche Ueberstürzung ( entraînement ) hervorgebracht. Un-
gesetzlich, denn die Versammlung, zu dem einzigen Zweck erwählt um
Frieden zu machen, hat ihre Vollmachten überschritten, indem sie Fragen
entschied welche über ihrer Competenz waren; wäre sie selbst eine consti-
tuirende Versammlung, so wäre sie doch nicht im Stand ihren Willen dem
der Nation zu substituiren. Das Beispiel der Vergangenheit ist da um
es zu beweisen. Die Feindseligkeit der Constituante ist 1848 an der Wahl
des 10 Decembers gescheitert, und 1851 hat das Volk durch mehr als sieben
Millionen Stimmen mir gegen die gesetzgebende Versammlung Recht gegeben.
Die politische Leidenschaft kann nicht das Recht überwiegen, und das
französische öffentliche Recht für die Gründung jeder legitimen Regierung
ist das Plebiscit. Außerhalb von diesem besteht nur Usurpation für die
einen, Unterdrückung für die andern. Auch bin ich bereit mich vor dem
freien Ausdrucke des nationalen Willens zu beugen, aber nur vor diesem.
Jn Gegenwart schmerzlicher Ereignisse, welche allen Entsagung und Selbst-
verläugnung auferlegen, hätte ich gern Schweigen gewahrt, aber die Er-
klärung der Versammlung zwingt mich im Namen der beleidigten Wahr-
heit und der verkannten Rechte der Nation zu protestiren. Empfangen
Sie, Hr. Präsident, die Versicherung meiner Hochachtung. Wilhelms-
höhe, 6 März 1871. Napoleon. “ ( K. Z. )

⨁ Bern, 10 März. Wie man von officieller Seite vernimmt, ist
die Rückkehr der internirten Franzosen nun auch über Pontarlier durch den
noch von den Deutschen besetzt gehaltenen Landestheil mittelst einer vom
eidgenössischen Oberstlieutenant v. Sinner und dem Commando der deut-
schen Südarmee abgeschlossenen Convention geregelt worden. Dieß und
die Wiederherstellung des Eisenbahnverkehrs von Genf über Culoz haben
den Bundesrath bestimmt die Heimbeförderung der Mannschaften der ehe-
maligen Armee Bourbaki's nicht länger zu verzögern, sondern ihren Be-

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[1220/0004] die Grammatik geblieben sei, daß er also rufen konnte: Alles verloren, nur die Ehre nicht. Aber deßhalb darf man nicht zu voreilig diese frem- den Elemente im Patois als die siegreichen Spitzen des feindlichen Heeres betrachten; könnten sie nicht auch abgeschnittene und gefangene Heeres- massen, nicht auch Deserteure bedeuten? Annectiren sie oder werden sie annectirt? Die Frage ist gerade ebenso schwierig zu beantworten als die: ob die Deutschen in Paris den Parisern, oder diese jenen mehr zu verdan- ken haben. Jmmerhin steht das eine fest: wo zwei Sprachen bei sonst gleichen Bedingungen um ein Terrain ringen, wird diejenige den Sieg davon tragen welche am meisten aus dem Wortschatze der andern annimmt; die sprödere, heiklere unterliegen. Jene hat den Nachtheil übel zugerichtet zu sein, den Vortheil den Platz zu behaupten. Es kommt also auch hier, wie beim Maccaroni=Wettessen, auf den guten Magen an. -- Spärlicher und weniger leicht erkennbar ist der deutsche Beisatz im Metzischen z. B.: ch loné, schlagen, ch pékeur, Spieker ( Schiffsnagel ) , couesse, Zwetsche, handlé, kehren, honque, Hengst, houre, ro ch a, Rock ( vgl. franz. rochet, Chorrock ) . Die Wörter germanischen Ursprungs gehören nämlich hier schon meist derselben Kategorie an wie die in den Mundarten des innern Frankreichs, d. h. ihre Matrikel ist eine sehr alte. Die Mundarten stehen hierin noch auf der Stufe des Altfranzösischen, das an solchen Wörtern viel reicher ist als die neufranzösische Schriftsprache, obwohl auch so der Akademie der Schmerz nicht erspart geblieben ist fast auf jedem Blatt ihres Wörterbuchs Spuren barbarischer Jnvasionen verzeichnen zu müssen. Hr. Edélestand du Méril, um nichts mit den Deutschen zu thun zu haben, scheut die weite Fahrt nach Jsland nicht um von dort allen barbari- schen Wortvorrath der romanischen Sprachen herzuholen; doch dünkt es uns er habe zu viel mitgebracht, denn sollte erst der Jsländer den Jtalie- ner das andare ( andra ) und den Franzosen die courtoisie ( kurteisi ) gelehrt haben? Freilich erschien seine Histoire de la poésie scandinave zu einer Zeit in welcher man schon stark nach dem deutschen Rhein schielte und ein gelinder Wahnsinn alle guten Franzosen befieng, womit indessen keineswegs gesagt sein soll daß dieser Wahnsinn bei ihm ein vorübergehen- der gewesen sei. Uebrigens dürfte auch neuerdings, während der Feld- züge von 1814 und 1815 und nachher, manches deutsche Wort tiefer nach Frankreich hineinverschlagen worden sein; wenn man z. B. in der Cham- pagne das Wort chelm hört, so ist daran vielleicht eine Scene à la Kur- märker und Picarde schuld. -- Jn Steinthal merkt man noch an manchem anderen die deutsche Nachbarschaft. So sind z. B. den deutschen Wörtern Katze, Arbeit, Predigt, Luft zu Liebe chat, travail, prêche, air zum weiblichen Geschlecht übergetreten. Bekannt ist de romanische Unbestän- digkeit des Adjectivs, das seinem Substantiv bald voraneilt, bald hinter ihm herhinkt. Der Deutsche sieht auf Zucht und Ordnung; er stellt es immer vor. Die Steinthaler haben manche Neuerung im deutschen Sinne gemacht; sie sagen z. B.: d'aigres - dchottes für des choux aigres, sâ- vaidge djas für coq sauvage. Die Malmedyer, nun schon geraume Zeit Preußen, haben es noch weiter gebracht: l'cras vai für le veau gras ist ihnen mundgerecht worden; doch möchten wir warnen einen direc- ten landräthlichen Einfluß vorauszusetzen. Die Geschichte der französischen Sprachgemeinden am östlichen Ab- hange der Wasgen ist noch nicht aufgehellt. Man berufe sich nicht auf deutsche Ortsnamen, mit denen es sich verhalten kann wie mit manchen in Graubünden, Tirol und Friaul. Zu Rothau und Waldersbach im Steinthal erscheint das Romanische als altansässig; und wenn die Rothauer die Waldersbacher grobiches nennen ( was von diesen durch h abla, d. i. hableurs, erwiedert wird ) , so deutet dieß nicht etwa auf die grob= germanische Abkunft der letzteren, sondern bezieht sich darauf daß bei ihnen der Ge- brauch des Lautes tch in höchster Blüthe steht, der zu Roth au unbekannt ist; grobiches wird gesagt für grobitches, Dickschnäbler. Auch lasse man sich, wenn man die sonst treffliche Kiepert'sche Karte der Gränzländer vor sich hat, nicht durch die gelbe Farbe beirren, welche früher deutsches, seither größtentheils französisch gewordenes Sprachgebiet bezeichnet. Viel wahr- scheinlicher ist es uns daß hier das Germanische das Romanische zurück- gedrängt habe, als daß es von ihm zurückgedrängt worden sei. Aber es ist noch ein anderer Fall denkbar: es ist weder germanisirt noch romanisirt worden; jede Gemeinde ist bei ihrer ursprünglichen Sprache verblieben, und die Gemischtheit des Sprachgebiets ist nicht so zu erklären, daß Gränz- festungen durch Eroberung aus der einen Hand in die andere übergegan- gen sind, als vielmehr so daß die Demarcationslinie von der einen oder von beiden Seiten durch Colonisation überschritten ist. So besteht Sainte- Marie = aux = Mines ( Leberthal ) aus zwei Kirchspielen, einem lothringischen und einem elsäßischen, die eine Brücke über den kleinen Fluß verbindet. Jenes ist katholisch und französisch, dieses protestantisch und deutsch, und sogar in Sitte und Kleidung verräth sich die verschiedene Abstammung. Wenigstens bestand dieser Gegensatz vor nicht zu langer Zeit noch in sei- ner ganzen Schroffheit; seitdem mag er sich vielfach verwischt haben. Da in diesem Orte sogar manche Häuser zu einem Theil dieser und zum andern jener Provinz angehören, so sagt man scherzend: man macht das Brod im Elsaß, und man backt es in Lothringen, oder die Frau schlafe im Elsaß und der Mann in Lothringen. Neueste Posten. × München, 11 März. Se. Maj. der König hat am 9 d. den Staatsminister des Aeußern, Grafen Bray, empfangen und dessen Bericht über seine Thätigkeit in Versailles entgegengenommen, dann gestern mit dem Staatsminister des Jnnern v. Braun conferirt. -- Jn allen Kirchen der Stadt fand heute feierlicher Trauergottesdienst für die gefallenen Krie- ger statt. Die Theilnahme des Publicums an der kirchlichen Feier war eine allgemeine, und die Kirchen waren sämmtlich überfüllt. Dem Gottes- dienst in der Frauenkirche, wo der Erzbischof das Seelenamt celebrirte, wohnte der König mit dem großen Cortége bei, ferner die Prinzen des königlichen und des herzoglichen Hauses, die Beamten, Officiere und Ab- theilungen aller hier garnisonirenden Regimenter, die Professoren der Universität und die Mitglieder beider Gemeindecollegien. Von den beiden Frauenthürmen wehen zwei riesige Trauerflaggen. -- Nach dem vom Kriegsministerium bezüglich der Abrüstung des Heeres getroffenen Anord- nungen werden die in Bayern stehenden Landwehrbataillone sofort auf den Bereitschaftsstand zurückgeführt ( 447 Mann mit 3 Officieren ) ; die Er- satzbataillone und die Ersatzcompagnien der Jägerbataillone dagegen wer- den vorerst auf einen Stand von 100 Gefreiten und Gemeinen gesetzt. Da wo die Mannschaften zum Bewachungsdienst der Kriegsgefangenen verwendet sind, tritt die Reduction nach Maßgabe der Evacuation der Gefangenendepots ein. Die Trainpferde der in Bayern stehenden Land- wehrbataillone, sowie die Pferde zweiter und dritter Classe der Ersatzab- theilungen der Cavallerie, Artillerie und des Genieregiments werden dem sofortigen Verkaufe unterstellt. * München, 11 März. Se. Maj. der König hat dem Kriegs- minister Frhrn. v. Pranckh das Großkreuz des Militär=Verdienst=Ordens verliehen. sym19 München, 11 März. Das in der Beilage zur „Allg. Ztg.“ mitgetheilte und auch in andern Blättern reproducirte Gerücht über be- vorstehenden Rücktritt des Hrn. v. Lutz vom Cultusministerium ist gänzlich aus der Luft gegriffen, da uns aus bester Quelle und mit aller Bestimmt- heit mitgetheilt wird: ein derartiger Rücktritt werde weder von Hrn. v. Lutz persönlich noch sonst an maßgebendem Orte beabsichtigt. Wilhelmshöhe, 8 März. Die „Situation“ veröffentlicht die Pro- testation welche der Kaiser Napoleon an den Präsidenten der Nationalver- sammlung von hier aus gerichtet hat; sie lautet: „An den Präsidenten der Nationalversammlung in Bordeaux. Hr. Präsident! Jn dem Augenblick wo alle Franzosen, tief betrübt über die Bedingungen des Friedens, nur an die Leiden des Vaterlandes dachten, hat die Nationalversammlung die Absetzung meiner Dynastie ausgesprochen, und behauptet daß ich allein verantwortlich sei für das öffentliche Unglück. Jch protestire gegen diese ungerechte und ungesetzliche Erklärung. Ungerecht, denn als der Krieg erklärt ward, hatte das Nationalgefühl, überreizt durch Ursachen die von meinem Willen unabhängig waren, eine allgemeine und unwiderstehliche Ueberstürzung ( entraînement ) hervorgebracht. Un- gesetzlich, denn die Versammlung, zu dem einzigen Zweck erwählt um Frieden zu machen, hat ihre Vollmachten überschritten, indem sie Fragen entschied welche über ihrer Competenz waren; wäre sie selbst eine consti- tuirende Versammlung, so wäre sie doch nicht im Stand ihren Willen dem der Nation zu substituiren. Das Beispiel der Vergangenheit ist da um es zu beweisen. Die Feindseligkeit der Constituante ist 1848 an der Wahl des 10 Decembers gescheitert, und 1851 hat das Volk durch mehr als sieben Millionen Stimmen mir gegen die gesetzgebende Versammlung Recht gegeben. Die politische Leidenschaft kann nicht das Recht überwiegen, und das französische öffentliche Recht für die Gründung jeder legitimen Regierung ist das Plebiscit. Außerhalb von diesem besteht nur Usurpation für die einen, Unterdrückung für die andern. Auch bin ich bereit mich vor dem freien Ausdrucke des nationalen Willens zu beugen, aber nur vor diesem. Jn Gegenwart schmerzlicher Ereignisse, welche allen Entsagung und Selbst- verläugnung auferlegen, hätte ich gern Schweigen gewahrt, aber die Er- klärung der Versammlung zwingt mich im Namen der beleidigten Wahr- heit und der verkannten Rechte der Nation zu protestiren. Empfangen Sie, Hr. Präsident, die Versicherung meiner Hochachtung. Wilhelms- höhe, 6 März 1871. Napoleon. “ ( K. Z. ) ⨁ Bern, 10 März. Wie man von officieller Seite vernimmt, ist die Rückkehr der internirten Franzosen nun auch über Pontarlier durch den noch von den Deutschen besetzt gehaltenen Landestheil mittelst einer vom eidgenössischen Oberstlieutenant v. Sinner und dem Commando der deut- schen Südarmee abgeschlossenen Convention geregelt worden. Dieß und die Wiederherstellung des Eisenbahnverkehrs von Genf über Culoz haben den Bundesrath bestimmt die Heimbeförderung der Mannschaften der ehe- maligen Armee Bourbaki's nicht länger zu verzögern, sondern ihren Be-

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  • langes s (?): in Frakturschrift als s transkribiert, in Antiquaschrift beibehalten.
  • rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert.
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert.
  • Vollständigkeit: vollständig erfasst.
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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 72. Augsburg (Bayern), 13. März 1871, S. 1220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_augsburg72_1871/4>, abgerufen am 18.04.2024.