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Allgemeine Zeitung. Nr. 64. Augsburg (Bayern), 5. März 1871.

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[Spaltenumbruch] besetzt. Die durch dieselben führenden Wege sind nicht passirbar. An der
Ecke des Boulevard St. Martin und des Boulevard Sebastopol war ge-
stern ein großer Menschenzudrang. Man hatte nämlich fünf in dem dort
gelegenen Restaurant speisende Herren für preußische Officiere angesehen,
und man wollte sie niederwerfen und den Wellen der Seine übergeben.
Zwei der Herren retteten sich, doch die drei andern, welche in eine Droschke
gestiegen waren, wurden gepackt, und man führte sie schon nach dem Pont
de Change hin, wo sie unfehlbar ihrem Tod entgegengesehen hätten, wä-
ren nicht vernünftigere Leute den Bedrohten zu Hülfe geeilt, und hätten
sie auf ein Polizeibureau geführt, wo sich dann herausstellte daß es gute
Franzosen waren. Groß ist die Entrüstung in Paris daß Thiers nicht
gegen den Aufenthalt der Prinzen von Orleans auf französischem Boden
einschreitet. Jch war gestern Abends in einer Wahlversammlung in der
Cour de Miracle um zu hören welche Candidaten die öffentliche Meinung
beschäftigen ( in den Zeitungen verlautet nämlich nichts darüber ) , verließ
aber die Versammlung ohne etwas darüber vernommen zu haben. Jn dem
kleinen rauchigen Raum hatte sich nämlich eine entsetzlich schläfrige Gesell-
schaft von National = und Mobilgarden, alten Weibern, Frauen und Kin-
dern zusammengefunden, die mir die Pariser Wahlagitation unter einem
ganz neuen Licht zeigten. Nachdem das Bureau gewählt war, fragte der
Präsident nach der provisorischen Wahlliste, welche sich jedoch nicht vorfand.
Hierauf bat der Präsident die anwesenden Redner sich zu melden. Doch
gab es deren ebensowenig wie eine provisorische Wahlliste, und schon schien
es mir daß sich die Gesellschaft in Frieden wieder trennen oder daß sie ihre
Schlafstelle daselbst einnehmen werde, als ein Redner auftrat, der aber an-
statt von den Neuwahlen für die Nationalversammlung lang und breit
über den Einzug der Preußen sprach. Seine Ansicht war diejenige welche
überhaupt, trotz allem Geräusch einiger wenigen Aufrührer und Ruhestö-
rer, die allgemein herrschende in Paris ist, daß man sich ruhig verhalten
solle. Die Kundgebungen der Pariser gegen den Einzug der Deutschen
sind jetzt besprochen und beschlossen worden. Sämmtliche Zeitungen ( aus-
genommen das "Journal officiel," das aber, da seine Nachrichten immer
4 bis 5 Tage zu spät kommen, in der Zeit nichts neues melden wird ) wer-
den während der Besatzungszeit zu erscheinen aufhören. Sämmtliche Thea-
ter und Concerte werden sich schließen, wie ebenfalls die größern Caf e's,
Restaurants und Läden. Die Pariser werden so viel als möglich zu Hause
bleiben, und vielleicht sogar ihre Fenster verhängen. Außerdem sollen die
Börse und die Tribunale geschlossen, und soll der Wiederanfang der Gas-
beleuchtung bis nach Abzug der Deutschen verschoben werden. Jn der
Rue du Cherche=Midi sah ich heute schon eine Trauerfahne heraushängen,
doch glaube ich daß diese Art Demonstration nicht viel Anklang in Paris
finden wird.

Nizza, 28 Febr. Jch bin heut in der Lage Jhnen den Haupt-
inhalt des Memorandums mitzutheilen das die Comites der nizzardischen
Emigranten den auswärtigen Gesandten am Florentiner Hofe überreicht
haben. Nach einer Darlegung der gegenwärtigen Lage der Dinge kommt
das Memorandum zu folgenden Schlüssen: Solche Zustände können nicht
ohne Ende fortdauern, das Nationalgefühl der Nizzarden könne nicht im-
mer gewaltsam niedergehalten werden. Die gemäßigte italienische Presse
halte daran fest: das italienische Volk müsse auch den Anschein von Perfidie
vermeiden, und es wäre eine Erbärmlichkeit sich das Unglück Frankreichs
zu nutze zu machen, als ob die Verträge Victor Emmanuel gehindert
hätten sich der Lombardei, Venetiens und Roms zu bemächtigen. Die Be-
völkerung Nizza's verlange keineswegs daß die italienische Regierung mit
bewaffneter Hand in die Grafschaft einfalle, aber die Regierung dürfe auch
nicht vergessen unter welchen Umständen sie gezwungen gewesen einen
treu ergebenen Landstrich abzutreten, wer die Ursache davon gewesen, und
daß es kein Unrecht sei ein Unrecht wieder gut zu machen, vielmehr die
heiligste von allen Pflichten. Das Plebiscit vom 15 April sei von allen
Publicisten und Statistikern Europa's verurtheilt worden, denn es sei kein
wahres Plebiscit wenn nicht alle Anschauungen sich gleichmäßig aussprechen
und geltend machen dürften, wenn es an eine Formel gebunden sei welche
dem Wähler keine Wahl lasse und so die Wahlfreiheit illusorisch mache.
Schon 1814 habe Frankreich Nizza zu erwerben gesucht, und seine Be-
mühungen seien nur an dem Einfluß des Generals Michaud, des Flügel-
adjutanten des Kaisers Alexanders, gescheitert, und so sei Nizza durch den
Tractat vom Jahr 1815 dem Hause Savoyen zurückgegeben worden.
Die Natur habe den Varo zur Gränze zwischen Jtalien und Frank-
reich gesetzt, aber die geistige Gränze zwischen Nizza und Frankreich
könne keine Anziehungkraft der großen Nation beseitigen. Nizza
sei Napoleon III und seinen Nachkommen abgetreten worden, wolle
die Republik Frankreich, welche sich rühme das Banner der Civilisation und
Freiheit zu tragen, ihren Grundsätzen nicht untreu werden, so müsse sie,
nachdem sie die Plebiscite von 1852 und 1870 für ungültig erklärt,
auch Nizza über sein Geschick frei bestimmen lassen. Die französische De-
[Spaltenumbruch] mokratie dürfe die öffentliche Meinung, diese Herrscherin der Welt, nicht
verachten; sie müsse das von England bezüglich Joniens gegebene edle
Beispiel nachahmen, das auch die Verträge von 1815 ignorirt habe. Ge-
schehe dies nicht, so müsse das Volk von Nizza den Schutz und die Hülfe
des civilisirten Europa anrufen. Die nizzardischen Comites geben sich
dem Vertrauen hin daß der bevorstehende Congreß ihre Bitten erhöre,
und im Hinblick auf die Nichtigkeit der Cession Nizza's an eine vertriebene
Dynastie mittelst eines gefälschten Plebiscits den Nizzarden das Recht
zurückgebe über ihre politische Zukunft zu entscheiden. So klein das Land
Nizza sei, so werde es doch immerfort der Zankapfel zwischen Frankreich
und Jtalien bleiben, und das müsse vermieden werden. Jede Verletzung
des Dogma's der Nationalität bringe einen Rückschritt der Civilisation,
des Handels und des allgemeinen Völkerverkehrs und stachle den Natio-
nalhaß auf.

Jtalien.

# Rom, 28 Febr. An dem reinen Himmel der Roma Libera zei-
gen sich schon jetzt weiße Wölkchen, daß manchem bei der Aussicht in die
Ferne bangt. Die freisinnigen Blätter widmeten gestern wie auf Verab-
redung der Erscheinung ihre Aufmerksamkeit; alle waren darin einig: es
komme von der klerikalen Reaction wider den Fortbestand der neuen Ord-
nung der Dinge. Die Fortschritte der katholischen Bewegung außerhalb
Jtaliens äußern selbstverständlich hier, von wo sie ausgieng und geleitet
wird, eine entschiedenere Rückwirkung, je weniger man in so kurzer Zeit
erwartet hatte. So kehrt Muth und Vertrauen auf die eigene Sache den
Klerikalen wieder, davon geben die schnell nach einander folgenden kirch-
lichen Monitorien des Cardinal=Generalvicars öffentliches Zeugniß. Wer
das vorangegangene las, der tritt gewiß vor das neueste mit der Erwar-
tung nun zu hören daß er über diese "sittlich verkommende und schauder-
haft regierte" Stadt das Feuer des Propheten Elias herabrufen werde.
Nun aber ist auch der Gesandte des Norddeutschen Bundes Hr. v. Arnim
vorgestern abgereist, in andern Zeiten etwas ziemlich gleichgültiges, das
jedoch heute die Aufmerksamkeit aufs lebhafteste beschäftigt. Denn wäh-
rend die verblüfften Liberalen durch die Florentiner "Gazzetta del Popolo"
wissen daß er gestern mit dem Minister des Auswärtigen, wenn auch nur
flüchtig, conversirte, lassen sie seine Reise doch in Alessandria und zwar in
Familienangelegenheiten endigen, während der gestrige "Osservatore Ro-
mano " die Ankunft von Depeschen J. Favre's und Bismarcks aus Ver-
sailles anzeigt, welche nach der Versicherung desselben Blattes v. Arnims
Berufung oder Abberufung dorthin allein veranlaßten. Jnzwischen wird
die k. bayerische Gesandtschaft das geeinigte Deutschland hier diplomatisch
vertreten. Nimmt man hiezu noch die kategorische Haltung der fran-
zösisch redenden Prälatur in der Umgebung des Papstes mit Monsignor
de Merode voran, wie sie die specifisch=italienische oder römische Partei
neuerlich sich völlig unterordnen konnten, so können die Nationallibera-
len nicht mehr im Zweifel darüber sein daß man im Vatican sich eine
feste Sauvegarde in Frankreich und in Deutschland zu schaffen bemüht ist. Die
liberale Presse hat darauf nichts zu erwiedern als daß sie das alles voraus-
gewußt, und daß die Jtaliener endlich begreifen möchten von woher ihrer
selbständigen nationalen Entwicklung Gefahr droht, und von woher nicht:
Gefahr von Frankreich, Gefahr von Oesterreich, Gedeihen und Größe durch
den politischen und commerciellen Anschluß an Deutschland. Die neapo-
litanische "Roma" vom 22 d. M. schließt eine ausführliche Mahnung zu
dem deutschen Bunde mit der weisen Lehre: chi ha tempo non aspetti
tempo
. Jmmer aber wird man sich in Rom mit dem Papst arrangiren
müssen, und das ist eine Aufgabe wie die Quadratur des Cirkels. -- Jn
den niedern Classen des Volkes ist eine Petition an die Kammern im Gange,
um die Ausweisung der Jesuiten zu vereiteln. Die Förderer derselben wer-
den als fromme Bornirte oder bestechliche Schelme bezeichnet, die Samm-
ler von Unterschriften aber machen gute Geschäfte. -- Außer zwei, von
mir früher erwähnten evangelischen Buchhandlungen für ascetische Lite-
ratur ( Allg. Ztg. Nr. 55 außerord. Beil. ) ist nun auch eine Filiale der Wal-
denser Gemeine im Werden. Jn ihrem Saal hört man Sonntags italie-
nisch predigen, und an einem andern Tag einem zahlreichen Publicum die
Unterscheidungslehren der evangelischen und der katholischen Kirche aus-
einandersetzen.

Verschiedenes.

sym5 München, 3 März. Von Friedrich Müller bearbeitet ist dieser
Tage, bei Fritsch dahier, eine detaillirte Zusammenstellung der Verluste der
bayerischen Armee
in dem nun glücklich beendeten Krieg erschienen. Nach
derselben hatte unsere tapfere Armee, und zwar in der Zeit vom 4 Aug. 1870
bis 22 Febr. 1871, einen Gesammtverlust von 730 Officieren und 11,497
Unterofficiexen, Spielleuten und Soldaten erlitten. Hievon sind auf dem Felde
der Ehre geblieben 159 Officiere und 1494 Unterofficiere und Soldaten; ver-
wundet wurden 571 Officiere, 10,003 Unterofficiere und Soldaten, und es sind
von ersteren bis jetzt 108, von letzteren 465 an den erhaltenen Wunden gestorben.
Die meisten Verluste hatte das 2. Jnfanterieregiment: 17 Officiere und 160

[Spaltenumbruch] besetzt. Die durch dieselben führenden Wege sind nicht passirbar. An der
Ecke des Boulevard St. Martin und des Boulevard Sebastopol war ge-
stern ein großer Menschenzudrang. Man hatte nämlich fünf in dem dort
gelegenen Restaurant speisende Herren für preußische Officiere angesehen,
und man wollte sie niederwerfen und den Wellen der Seine übergeben.
Zwei der Herren retteten sich, doch die drei andern, welche in eine Droschke
gestiegen waren, wurden gepackt, und man führte sie schon nach dem Pont
de Change hin, wo sie unfehlbar ihrem Tod entgegengesehen hätten, wä-
ren nicht vernünftigere Leute den Bedrohten zu Hülfe geeilt, und hätten
sie auf ein Polizeibureau geführt, wo sich dann herausstellte daß es gute
Franzosen waren. Groß ist die Entrüstung in Paris daß Thiers nicht
gegen den Aufenthalt der Prinzen von Orleans auf französischem Boden
einschreitet. Jch war gestern Abends in einer Wahlversammlung in der
Cour de Miracle um zu hören welche Candidaten die öffentliche Meinung
beschäftigen ( in den Zeitungen verlautet nämlich nichts darüber ) , verließ
aber die Versammlung ohne etwas darüber vernommen zu haben. Jn dem
kleinen rauchigen Raum hatte sich nämlich eine entsetzlich schläfrige Gesell-
schaft von National = und Mobilgarden, alten Weibern, Frauen und Kin-
dern zusammengefunden, die mir die Pariser Wahlagitation unter einem
ganz neuen Licht zeigten. Nachdem das Bureau gewählt war, fragte der
Präsident nach der provisorischen Wahlliste, welche sich jedoch nicht vorfand.
Hierauf bat der Präsident die anwesenden Redner sich zu melden. Doch
gab es deren ebensowenig wie eine provisorische Wahlliste, und schon schien
es mir daß sich die Gesellschaft in Frieden wieder trennen oder daß sie ihre
Schlafstelle daselbst einnehmen werde, als ein Redner auftrat, der aber an-
statt von den Neuwahlen für die Nationalversammlung lang und breit
über den Einzug der Preußen sprach. Seine Ansicht war diejenige welche
überhaupt, trotz allem Geräusch einiger wenigen Aufrührer und Ruhestö-
rer, die allgemein herrschende in Paris ist, daß man sich ruhig verhalten
solle. Die Kundgebungen der Pariser gegen den Einzug der Deutschen
sind jetzt besprochen und beschlossen worden. Sämmtliche Zeitungen ( aus-
genommen das „Journal officiel,“ das aber, da seine Nachrichten immer
4 bis 5 Tage zu spät kommen, in der Zeit nichts neues melden wird ) wer-
den während der Besatzungszeit zu erscheinen aufhören. Sämmtliche Thea-
ter und Concerte werden sich schließen, wie ebenfalls die größern Caf é's,
Restaurants und Läden. Die Pariser werden so viel als möglich zu Hause
bleiben, und vielleicht sogar ihre Fenster verhängen. Außerdem sollen die
Börse und die Tribunale geschlossen, und soll der Wiederanfang der Gas-
beleuchtung bis nach Abzug der Deutschen verschoben werden. Jn der
Rue du Cherche=Midi sah ich heute schon eine Trauerfahne heraushängen,
doch glaube ich daß diese Art Demonstration nicht viel Anklang in Paris
finden wird.

Nizza, 28 Febr. Jch bin heut in der Lage Jhnen den Haupt-
inhalt des Memorandums mitzutheilen das die Comités der nizzardischen
Emigranten den auswärtigen Gesandten am Florentiner Hofe überreicht
haben. Nach einer Darlegung der gegenwärtigen Lage der Dinge kommt
das Memorandum zu folgenden Schlüssen: Solche Zustände können nicht
ohne Ende fortdauern, das Nationalgefühl der Nizzarden könne nicht im-
mer gewaltsam niedergehalten werden. Die gemäßigte italienische Presse
halte daran fest: das italienische Volk müsse auch den Anschein von Perfidie
vermeiden, und es wäre eine Erbärmlichkeit sich das Unglück Frankreichs
zu nutze zu machen, als ob die Verträge Victor Emmanuel gehindert
hätten sich der Lombardei, Venetiens und Roms zu bemächtigen. Die Be-
völkerung Nizza's verlange keineswegs daß die italienische Regierung mit
bewaffneter Hand in die Grafschaft einfalle, aber die Regierung dürfe auch
nicht vergessen unter welchen Umständen sie gezwungen gewesen einen
treu ergebenen Landstrich abzutreten, wer die Ursache davon gewesen, und
daß es kein Unrecht sei ein Unrecht wieder gut zu machen, vielmehr die
heiligste von allen Pflichten. Das Plebiscit vom 15 April sei von allen
Publicisten und Statistikern Europa's verurtheilt worden, denn es sei kein
wahres Plebiscit wenn nicht alle Anschauungen sich gleichmäßig aussprechen
und geltend machen dürften, wenn es an eine Formel gebunden sei welche
dem Wähler keine Wahl lasse und so die Wahlfreiheit illusorisch mache.
Schon 1814 habe Frankreich Nizza zu erwerben gesucht, und seine Be-
mühungen seien nur an dem Einfluß des Generals Michaud, des Flügel-
adjutanten des Kaisers Alexanders, gescheitert, und so sei Nizza durch den
Tractat vom Jahr 1815 dem Hause Savoyen zurückgegeben worden.
Die Natur habe den Varo zur Gränze zwischen Jtalien und Frank-
reich gesetzt, aber die geistige Gränze zwischen Nizza und Frankreich
könne keine Anziehungkraft der großen Nation beseitigen. Nizza
sei Napoleon III und seinen Nachkommen abgetreten worden, wolle
die Republik Frankreich, welche sich rühme das Banner der Civilisation und
Freiheit zu tragen, ihren Grundsätzen nicht untreu werden, so müsse sie,
nachdem sie die Plebiscite von 1852 und 1870 für ungültig erklärt,
auch Nizza über sein Geschick frei bestimmen lassen. Die französische De-
[Spaltenumbruch] mokratie dürfe die öffentliche Meinung, diese Herrscherin der Welt, nicht
verachten; sie müsse das von England bezüglich Joniens gegebene edle
Beispiel nachahmen, das auch die Verträge von 1815 ignorirt habe. Ge-
schehe dies nicht, so müsse das Volk von Nizza den Schutz und die Hülfe
des civilisirten Europa anrufen. Die nizzardischen Comités geben sich
dem Vertrauen hin daß der bevorstehende Congreß ihre Bitten erhöre,
und im Hinblick auf die Nichtigkeit der Cession Nizza's an eine vertriebene
Dynastie mittelst eines gefälschten Plebiscits den Nizzarden das Recht
zurückgebe über ihre politische Zukunft zu entscheiden. So klein das Land
Nizza sei, so werde es doch immerfort der Zankapfel zwischen Frankreich
und Jtalien bleiben, und das müsse vermieden werden. Jede Verletzung
des Dogma's der Nationalität bringe einen Rückschritt der Civilisation,
des Handels und des allgemeinen Völkerverkehrs und stachle den Natio-
nalhaß auf.

Jtalien.

# Rom, 28 Febr. An dem reinen Himmel der Roma Libera zei-
gen sich schon jetzt weiße Wölkchen, daß manchem bei der Aussicht in die
Ferne bangt. Die freisinnigen Blätter widmeten gestern wie auf Verab-
redung der Erscheinung ihre Aufmerksamkeit; alle waren darin einig: es
komme von der klerikalen Reaction wider den Fortbestand der neuen Ord-
nung der Dinge. Die Fortschritte der katholischen Bewegung außerhalb
Jtaliens äußern selbstverständlich hier, von wo sie ausgieng und geleitet
wird, eine entschiedenere Rückwirkung, je weniger man in so kurzer Zeit
erwartet hatte. So kehrt Muth und Vertrauen auf die eigene Sache den
Klerikalen wieder, davon geben die schnell nach einander folgenden kirch-
lichen Monitorien des Cardinal=Generalvicars öffentliches Zeugniß. Wer
das vorangegangene las, der tritt gewiß vor das neueste mit der Erwar-
tung nun zu hören daß er über diese „sittlich verkommende und schauder-
haft regierte“ Stadt das Feuer des Propheten Elias herabrufen werde.
Nun aber ist auch der Gesandte des Norddeutschen Bundes Hr. v. Arnim
vorgestern abgereist, in andern Zeiten etwas ziemlich gleichgültiges, das
jedoch heute die Aufmerksamkeit aufs lebhafteste beschäftigt. Denn wäh-
rend die verblüfften Liberalen durch die Florentiner „Gazzetta del Popolo“
wissen daß er gestern mit dem Minister des Auswärtigen, wenn auch nur
flüchtig, conversirte, lassen sie seine Reise doch in Alessandria und zwar in
Familienangelegenheiten endigen, während der gestrige „Osservatore Ro-
mano “ die Ankunft von Depeschen J. Favre's und Bismarcks aus Ver-
sailles anzeigt, welche nach der Versicherung desselben Blattes v. Arnims
Berufung oder Abberufung dorthin allein veranlaßten. Jnzwischen wird
die k. bayerische Gesandtschaft das geeinigte Deutschland hier diplomatisch
vertreten. Nimmt man hiezu noch die kategorische Haltung der fran-
zösisch redenden Prälatur in der Umgebung des Papstes mit Monsignor
de Mérode voran, wie sie die specifisch=italienische oder römische Partei
neuerlich sich völlig unterordnen konnten, so können die Nationallibera-
len nicht mehr im Zweifel darüber sein daß man im Vatican sich eine
feste Sauvegarde in Frankreich und in Deutschland zu schaffen bemüht ist. Die
liberale Presse hat darauf nichts zu erwiedern als daß sie das alles voraus-
gewußt, und daß die Jtaliener endlich begreifen möchten von woher ihrer
selbständigen nationalen Entwicklung Gefahr droht, und von woher nicht:
Gefahr von Frankreich, Gefahr von Oesterreich, Gedeihen und Größe durch
den politischen und commerciellen Anschluß an Deutschland. Die neapo-
litanische „Roma“ vom 22 d. M. schließt eine ausführliche Mahnung zu
dem deutschen Bunde mit der weisen Lehre: chi ha tempo non aspetti
tempo
. Jmmer aber wird man sich in Rom mit dem Papst arrangiren
müssen, und das ist eine Aufgabe wie die Quadratur des Cirkels. -- Jn
den niedern Classen des Volkes ist eine Petition an die Kammern im Gange,
um die Ausweisung der Jesuiten zu vereiteln. Die Förderer derselben wer-
den als fromme Bornirte oder bestechliche Schelme bezeichnet, die Samm-
ler von Unterschriften aber machen gute Geschäfte. -- Außer zwei, von
mir früher erwähnten evangelischen Buchhandlungen für ascetische Lite-
ratur ( Allg. Ztg. Nr. 55 außerord. Beil. ) ist nun auch eine Filiale der Wal-
denser Gemeine im Werden. Jn ihrem Saal hört man Sonntags italie-
nisch predigen, und an einem andern Tag einem zahlreichen Publicum die
Unterscheidungslehren der evangelischen und der katholischen Kirche aus-
einandersetzen.

Verschiedenes.

sym5 München, 3 März. Von Friedrich Müller bearbeitet ist dieser
Tage, bei Fritsch dahier, eine detaillirte Zusammenstellung der Verluste der
bayerischen Armee
in dem nun glücklich beendeten Krieg erschienen. Nach
derselben hatte unsere tapfere Armee, und zwar in der Zeit vom 4 Aug. 1870
bis 22 Febr. 1871, einen Gesammtverlust von 730 Officieren und 11,497
Unterofficiexen, Spielleuten und Soldaten erlitten. Hievon sind auf dem Felde
der Ehre geblieben 159 Officiere und 1494 Unterofficiere und Soldaten; ver-
wundet wurden 571 Officiere, 10,003 Unterofficiere und Soldaten, und es sind
von ersteren bis jetzt 108, von letzteren 465 an den erhaltenen Wunden gestorben.
Die meisten Verluste hatte das 2. Jnfanterieregiment: 17 Officiere und 160

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[1083/0007] besetzt. Die durch dieselben führenden Wege sind nicht passirbar. An der Ecke des Boulevard St. Martin und des Boulevard Sebastopol war ge- stern ein großer Menschenzudrang. Man hatte nämlich fünf in dem dort gelegenen Restaurant speisende Herren für preußische Officiere angesehen, und man wollte sie niederwerfen und den Wellen der Seine übergeben. Zwei der Herren retteten sich, doch die drei andern, welche in eine Droschke gestiegen waren, wurden gepackt, und man führte sie schon nach dem Pont de Change hin, wo sie unfehlbar ihrem Tod entgegengesehen hätten, wä- ren nicht vernünftigere Leute den Bedrohten zu Hülfe geeilt, und hätten sie auf ein Polizeibureau geführt, wo sich dann herausstellte daß es gute Franzosen waren. Groß ist die Entrüstung in Paris daß Thiers nicht gegen den Aufenthalt der Prinzen von Orleans auf französischem Boden einschreitet. Jch war gestern Abends in einer Wahlversammlung in der Cour de Miracle um zu hören welche Candidaten die öffentliche Meinung beschäftigen ( in den Zeitungen verlautet nämlich nichts darüber ) , verließ aber die Versammlung ohne etwas darüber vernommen zu haben. Jn dem kleinen rauchigen Raum hatte sich nämlich eine entsetzlich schläfrige Gesell- schaft von National = und Mobilgarden, alten Weibern, Frauen und Kin- dern zusammengefunden, die mir die Pariser Wahlagitation unter einem ganz neuen Licht zeigten. Nachdem das Bureau gewählt war, fragte der Präsident nach der provisorischen Wahlliste, welche sich jedoch nicht vorfand. Hierauf bat der Präsident die anwesenden Redner sich zu melden. Doch gab es deren ebensowenig wie eine provisorische Wahlliste, und schon schien es mir daß sich die Gesellschaft in Frieden wieder trennen oder daß sie ihre Schlafstelle daselbst einnehmen werde, als ein Redner auftrat, der aber an- statt von den Neuwahlen für die Nationalversammlung lang und breit über den Einzug der Preußen sprach. Seine Ansicht war diejenige welche überhaupt, trotz allem Geräusch einiger wenigen Aufrührer und Ruhestö- rer, die allgemein herrschende in Paris ist, daß man sich ruhig verhalten solle. Die Kundgebungen der Pariser gegen den Einzug der Deutschen sind jetzt besprochen und beschlossen worden. Sämmtliche Zeitungen ( aus- genommen das „Journal officiel,“ das aber, da seine Nachrichten immer 4 bis 5 Tage zu spät kommen, in der Zeit nichts neues melden wird ) wer- den während der Besatzungszeit zu erscheinen aufhören. Sämmtliche Thea- ter und Concerte werden sich schließen, wie ebenfalls die größern Caf é's, Restaurants und Läden. Die Pariser werden so viel als möglich zu Hause bleiben, und vielleicht sogar ihre Fenster verhängen. Außerdem sollen die Börse und die Tribunale geschlossen, und soll der Wiederanfang der Gas- beleuchtung bis nach Abzug der Deutschen verschoben werden. Jn der Rue du Cherche=Midi sah ich heute schon eine Trauerfahne heraushängen, doch glaube ich daß diese Art Demonstration nicht viel Anklang in Paris finden wird. ♂ Nizza, 28 Febr. Jch bin heut in der Lage Jhnen den Haupt- inhalt des Memorandums mitzutheilen das die Comités der nizzardischen Emigranten den auswärtigen Gesandten am Florentiner Hofe überreicht haben. Nach einer Darlegung der gegenwärtigen Lage der Dinge kommt das Memorandum zu folgenden Schlüssen: Solche Zustände können nicht ohne Ende fortdauern, das Nationalgefühl der Nizzarden könne nicht im- mer gewaltsam niedergehalten werden. Die gemäßigte italienische Presse halte daran fest: das italienische Volk müsse auch den Anschein von Perfidie vermeiden, und es wäre eine Erbärmlichkeit sich das Unglück Frankreichs zu nutze zu machen, als ob die Verträge Victor Emmanuel gehindert hätten sich der Lombardei, Venetiens und Roms zu bemächtigen. Die Be- völkerung Nizza's verlange keineswegs daß die italienische Regierung mit bewaffneter Hand in die Grafschaft einfalle, aber die Regierung dürfe auch nicht vergessen unter welchen Umständen sie gezwungen gewesen einen treu ergebenen Landstrich abzutreten, wer die Ursache davon gewesen, und daß es kein Unrecht sei ein Unrecht wieder gut zu machen, vielmehr die heiligste von allen Pflichten. Das Plebiscit vom 15 April sei von allen Publicisten und Statistikern Europa's verurtheilt worden, denn es sei kein wahres Plebiscit wenn nicht alle Anschauungen sich gleichmäßig aussprechen und geltend machen dürften, wenn es an eine Formel gebunden sei welche dem Wähler keine Wahl lasse und so die Wahlfreiheit illusorisch mache. Schon 1814 habe Frankreich Nizza zu erwerben gesucht, und seine Be- mühungen seien nur an dem Einfluß des Generals Michaud, des Flügel- adjutanten des Kaisers Alexanders, gescheitert, und so sei Nizza durch den Tractat vom Jahr 1815 dem Hause Savoyen zurückgegeben worden. Die Natur habe den Varo zur Gränze zwischen Jtalien und Frank- reich gesetzt, aber die geistige Gränze zwischen Nizza und Frankreich könne keine Anziehungkraft der großen Nation beseitigen. Nizza sei Napoleon III und seinen Nachkommen abgetreten worden, wolle die Republik Frankreich, welche sich rühme das Banner der Civilisation und Freiheit zu tragen, ihren Grundsätzen nicht untreu werden, so müsse sie, nachdem sie die Plebiscite von 1852 und 1870 für ungültig erklärt, auch Nizza über sein Geschick frei bestimmen lassen. Die französische De- mokratie dürfe die öffentliche Meinung, diese Herrscherin der Welt, nicht verachten; sie müsse das von England bezüglich Joniens gegebene edle Beispiel nachahmen, das auch die Verträge von 1815 ignorirt habe. Ge- schehe dies nicht, so müsse das Volk von Nizza den Schutz und die Hülfe des civilisirten Europa anrufen. Die nizzardischen Comités geben sich dem Vertrauen hin daß der bevorstehende Congreß ihre Bitten erhöre, und im Hinblick auf die Nichtigkeit der Cession Nizza's an eine vertriebene Dynastie mittelst eines gefälschten Plebiscits den Nizzarden das Recht zurückgebe über ihre politische Zukunft zu entscheiden. So klein das Land Nizza sei, so werde es doch immerfort der Zankapfel zwischen Frankreich und Jtalien bleiben, und das müsse vermieden werden. Jede Verletzung des Dogma's der Nationalität bringe einen Rückschritt der Civilisation, des Handels und des allgemeinen Völkerverkehrs und stachle den Natio- nalhaß auf. Jtalien. # Rom, 28 Febr. An dem reinen Himmel der Roma Libera zei- gen sich schon jetzt weiße Wölkchen, daß manchem bei der Aussicht in die Ferne bangt. Die freisinnigen Blätter widmeten gestern wie auf Verab- redung der Erscheinung ihre Aufmerksamkeit; alle waren darin einig: es komme von der klerikalen Reaction wider den Fortbestand der neuen Ord- nung der Dinge. Die Fortschritte der katholischen Bewegung außerhalb Jtaliens äußern selbstverständlich hier, von wo sie ausgieng und geleitet wird, eine entschiedenere Rückwirkung, je weniger man in so kurzer Zeit erwartet hatte. So kehrt Muth und Vertrauen auf die eigene Sache den Klerikalen wieder, davon geben die schnell nach einander folgenden kirch- lichen Monitorien des Cardinal=Generalvicars öffentliches Zeugniß. Wer das vorangegangene las, der tritt gewiß vor das neueste mit der Erwar- tung nun zu hören daß er über diese „sittlich verkommende und schauder- haft regierte“ Stadt das Feuer des Propheten Elias herabrufen werde. Nun aber ist auch der Gesandte des Norddeutschen Bundes Hr. v. Arnim vorgestern abgereist, in andern Zeiten etwas ziemlich gleichgültiges, das jedoch heute die Aufmerksamkeit aufs lebhafteste beschäftigt. Denn wäh- rend die verblüfften Liberalen durch die Florentiner „Gazzetta del Popolo“ wissen daß er gestern mit dem Minister des Auswärtigen, wenn auch nur flüchtig, conversirte, lassen sie seine Reise doch in Alessandria und zwar in Familienangelegenheiten endigen, während der gestrige „Osservatore Ro- mano “ die Ankunft von Depeschen J. Favre's und Bismarcks aus Ver- sailles anzeigt, welche nach der Versicherung desselben Blattes v. Arnims Berufung oder Abberufung dorthin allein veranlaßten. Jnzwischen wird die k. bayerische Gesandtschaft das geeinigte Deutschland hier diplomatisch vertreten. Nimmt man hiezu noch die kategorische Haltung der fran- zösisch redenden Prälatur in der Umgebung des Papstes mit Monsignor de Mérode voran, wie sie die specifisch=italienische oder römische Partei neuerlich sich völlig unterordnen konnten, so können die Nationallibera- len nicht mehr im Zweifel darüber sein daß man im Vatican sich eine feste Sauvegarde in Frankreich und in Deutschland zu schaffen bemüht ist. Die liberale Presse hat darauf nichts zu erwiedern als daß sie das alles voraus- gewußt, und daß die Jtaliener endlich begreifen möchten von woher ihrer selbständigen nationalen Entwicklung Gefahr droht, und von woher nicht: Gefahr von Frankreich, Gefahr von Oesterreich, Gedeihen und Größe durch den politischen und commerciellen Anschluß an Deutschland. Die neapo- litanische „Roma“ vom 22 d. M. schließt eine ausführliche Mahnung zu dem deutschen Bunde mit der weisen Lehre: chi ha tempo non aspetti tempo. Jmmer aber wird man sich in Rom mit dem Papst arrangiren müssen, und das ist eine Aufgabe wie die Quadratur des Cirkels. -- Jn den niedern Classen des Volkes ist eine Petition an die Kammern im Gange, um die Ausweisung der Jesuiten zu vereiteln. Die Förderer derselben wer- den als fromme Bornirte oder bestechliche Schelme bezeichnet, die Samm- ler von Unterschriften aber machen gute Geschäfte. -- Außer zwei, von mir früher erwähnten evangelischen Buchhandlungen für ascetische Lite- ratur ( Allg. Ztg. Nr. 55 außerord. Beil. ) ist nun auch eine Filiale der Wal- denser Gemeine im Werden. Jn ihrem Saal hört man Sonntags italie- nisch predigen, und an einem andern Tag einem zahlreichen Publicum die Unterscheidungslehren der evangelischen und der katholischen Kirche aus- einandersetzen. Verschiedenes. sym5 München, 3 März. Von Friedrich Müller bearbeitet ist dieser Tage, bei Fritsch dahier, eine detaillirte Zusammenstellung der Verluste der bayerischen Armee in dem nun glücklich beendeten Krieg erschienen. Nach derselben hatte unsere tapfere Armee, und zwar in der Zeit vom 4 Aug. 1870 bis 22 Febr. 1871, einen Gesammtverlust von 730 Officieren und 11,497 Unterofficiexen, Spielleuten und Soldaten erlitten. Hievon sind auf dem Felde der Ehre geblieben 159 Officiere und 1494 Unterofficiere und Soldaten; ver- wundet wurden 571 Officiere, 10,003 Unterofficiere und Soldaten, und es sind von ersteren bis jetzt 108, von letzteren 465 an den erhaltenen Wunden gestorben. Die meisten Verluste hatte das 2. Jnfanterieregiment: 17 Officiere und 160

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Peter Fankhauser: Transformation von TUSTEP nach TEI P5. Transformation von TEI P5 in das DTA TEI P5 Format.

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  • fremdsprachliches Material: nur Fremdskripte gekennzeichnet.
  • Kolumnentitel: nicht übernommen.
  • Kustoden: nicht übernommen.
  • langes s (?): in Frakturschrift als s transkribiert, in Antiquaschrift beibehalten.
  • rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert.
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert.
  • Vollständigkeit: vollständig erfasst.
  • Zeichensetzung: DTABf-getreu.



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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 64. Augsburg (Bayern), 5. März 1871, S. 1083. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_augsburg64_1871/7>, abgerufen am 19.04.2024.