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Allgemeine Zeitung. Nr. 64. Augsburg (Bayern), 5. März 1871.

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Englands Mäßigung bei Friedensschlüssen.

sym8 Berlin, 1 März. Seit der Niederlage bei Sedan waren die
englischen Einmischungsversuche zu Gunsten Frankreichs lebhafter als aus
dem Blaubuch ersichtlich wird, und Lord Granville's Empfindlichkeit über
die seiner Neugierde und seinem Vermittlungseifer widerstehende Ver-
schlossenheit des deutschen Reichskanzlers begreift sich. Mit Beginn der
Waffenstillstands= und Friedensverhandlungen der HH. Favre und Thiers
hat sich jenes Bemühen der englischen Regierung um Abminderung der
deutschen Forderungen gesteigert und Verzögerungen herbeigeführt, wenn
auch weiter keine Ergebnisse. Wenn die englischen Blätter nun gegen die
bekannt gewordenen Friedenspräliminarien aufbrausen, so kennen wir diese
wohlfeile sittliche Entrüstung längst. Aus Friedfertigkeit findet die
"Times" die Bedingungen zu hart, weil dadurch das Verlangen der Fran-
zosen nach Rache stets wach erhalten werde. Allein das Cityblatt gestatte
daß dieß Deutschlands ausschließliche Sorge bleibe. Wie England nichts
dagegen hatte daß wir die Rache für Sadowa allein ausfochten, so werden
wir auch die Rache für die zwanzig Siege von Wörth bis Hericourt schon
aushalten. Noch ehe feststand welches das Ultimatum des deutschen Haupt-
quartiers sein werde, vertröstete der jetzige Präsident der Nationalver-
sammlung zu Bordeaux auf die Revanche, und um so fester mußte Graf
Bismarck an Straßburg und Metz festhalten, als auf französische Dank-
barkeit nicht zu bauen sein möchte, selbst wenn Hr. Favre keine Handbreit
Erde zu missen und nur die Auslagen für die Promenade nach Paris zu
zahlen gehabt hätte.

Wo England selbst bei den Friedensschlüssen von 1814 den Franzosen
Mäßigung erwiesen hat, geschah es lediglich auf fremde, namentlich deut-
sche Unkosten. Schon damals war es der Herausgabe des Elsaßes und
Lothringens an Deutschland entgegen. Nicht zu Gunsten Deutschlands be-
reicherte es den König von Holland um Brabant und Flandern.

Aus der Geschichte der Erwerbung Jndiens erwähnen wir, um nicht
weiter zurückzugreifen, nur den Sultan Tippo Saib, welcher den Britten
als Eindringlingen begegnet war und, geschlagen, die Hälfte seines Reichs
Maisur einbüßte. Nachdem Tippo Saib die Hülfe des französischen Direc-
toriums angerufen hatte, verlor er auch den Rest von Maisur, ein Gebiet
also von mehr als 3000 Quadratmeilen. Jm Frieden von Amiens ließen
die Engländer sich von den Niederländern, die bekanntlich die unfrei-
willigen Verbündeten der Franzosen waren, die 1100 Quadratmeilen
messende Jnsel Ceylon abtreten; den Franzosen nahmen sie Jsle de France
( Mauritius ) und behielten es im Frieden von 1814, indem Ludwig XVIII
die Jnseln Tabago und Ste. Lucie hinzufügen mußte. Von den niederlän-
dischen Colonien behielt England damals Ceylon, das Capland von herr-
lichen 10,000 Quadratmeilen, nebst Demerary, Essequebo und Berbice.
Jm Frieden von Amiens hatte England versprochen das 1800 als eine für
den Zug nach Aegypten unentbehrliche Flottenstation besetzte Malta an
den Johanniterorden herauszugeben, ließ es sich aber 1814 von den Mächten
für immer zusprechen.

Kopenhagen war von den Engländern, die jetzt um die Beschießung
von Paris jammern, 1807 großentheils in einen Schutthaufen verwandelt
worden; die dänische Flotte wurde weggenommen, und im Pariser Frieden
mußte Dänemark Helgoland an England abtreten. Sollen wir etwa auch
noch daran erinnern mit welcher Gewaltthätigkeit das mächtige Großbri-
tannien im Jahre 1850 gegen das kleine Griechenland vorgieng, um ihm
die Abtretung der Jnseln Sapienza und Elafonisi an der Südspitze des
Peloponneses abzuringen, bloß wegen ihrer strategischen Wichtigkeit für die
englische Admiralität? Nur durch Frankreichs und Rußlands Festigkeit
wurde Lord Palmerston an der Vollendung seines völkerrechtswidrigen
Plans gehindert.

Wollte Graf Bismarck nach englischem Beispiel verfahren, so durfte
er sich weder mit der Herausgabe von Elsaß und Lothringen begnügen,
noch sich eine Herabminderung der ursprünglichen Kriegsentschädigungs-
forderung auf 5 Milliarden Fr. gefallen lassen, es sei denn daß wir die
Herabsetzung der englischen Forderung für den Consul Pacifico zu 800,000
Drachmen auf die schließlich durch schiedsrichterlichen Spruch festgestellte
Summe von 150 Pf. St. als mustergültig anerkennen müßten! Allein
wir verehren in den Engländern weder unsere Lehrmeister noch unsere
Aufseher.

Das päpstliche Garantien=Gesetz.
I.

sym14 Breslau, 27 Febr. Ein Ereigniß vollzieht sich gegenwärtig
in Jtalien welches durch die Großartigkeit seines Zweckes und durch den
merkwürdigen Versuch zur Verwirklichung dieses Zweckes das Jnteresse von
ganz Europa zu erregen berechtigt ist. Die weltliche Macht wurde dem
Papstthum entzogen, die geistliche Macht desselben, welche in den wesent-
lichsten Punkten mit der weltlichen verknüpft war, soll in ihrer bisherigen
[Spaltenumbruch] vollen Ausdehnung fortbestehen -- fortbestehen als eine Macht welche sich,
über die engeren Gränzen Jtaliens erhebend, auf die ganze katholische
Christenheit erstreckt, trotzdem daß zur Stärkung dieser Macht jede weltliche
Autorität fehlt.

Sollte nicht die katholische Weltkirche in viele getrennte Landeskirchen
sich verwandeln, welche in Folge ihrer äußeren Getrenntheit allmählich
sich auch in religiöser und ritualer Beziehung trennen müßten, so war es
nothwendig das Papstthum, als die Spitze der katholischen Kirche, in seiner
Souveränetät zu erhalten, in welcher es sich bisher befand, damit es, gleich-
wie früher, ungehindert seine Beziehungen zu allen Ländern in denen Ka-
tholiken sich befinden fortsetzen kann. Katholischen Staaten mußte es ge-
fährlich erscheinen unter die geistliche Autorität eines Mannes sich zu
beugen der nichts mehr ist als ein italienischer Bürger, stehend unter den
italienischen Gesetzen. Jtalien aber selbst konnte weder es wagen durch
sein Vorgehen einen derartigen Zustand herbeizuführen, der leicht gefähr-
liche Oppositionen aus allen Theilen der Erde hätte hervorrufen können,
noch mochte die Regierung dieses Landes des hohen Nutzens sich begeben
der für den ganzen Staat dadurch erzielt werde daß in ihm eine Person
sich aufhalte welche als eine weltbeherrschende den materiellen Vortheil,
vornehmlich aber das politische Gewicht des Staates ausnehmend heben
könne. Dazu kam noch die hohe Frömmigkeit des Königs Victor Emmanuel,
der, gleich seinem Vater Karl Albert, trotz der Schädigungen die ihnen in
den wichtigsten Momenten das Papstthum bereitet hatte, von der Ehrfurcht
gegen das Oberhaupt der katholischen Kirche, gegen den heiligen Vater,
nicht abließ. Was das Staatsinteresse zur Erhaltung der geistlichen
Souveränetät des Papstthums anrieth, das stimmte durchaus mit den
religiösen Gefühlen des Königs überein. Alle Momente für die ernsthafte
Lösung der von der italienischen Regierung sich selbst gestellten Aufgabe
waren vorhanden. Die Lösung aber, wie sie in dem von der Regierung
dem italienischen Parlament vorgelegten Gesetzentwurf von zwanzig Artikeln
versucht worden, und wie sie gegenwärtig zum größeren Theil ohne wesent-
liche Modificationen sanctionirt ist, zeichnet sich weniger durch eine prin-
cipielle Durchführung der Unabhängigkeit der geistlichen Macht des päpst-
lichen Stuhles aus, als durch eine Formulirung welche der Praxis hohe
Rechnung trägt.

Die Bürgschaften welche die geistliche Unabhängigkeit des Papstthums
sichern sollen, haben eine Entwicklungsgeschichte die in ihren einzelnen
Phasen interessante Momente zum Nachdenken und zur gehörigen Würdi-
gung der Sachlage darbieten.

Als die italienische Regierung im September des vergangenen Jahres
die Expedition nach Rom vorbereitete, schickte sie den Grafen Ponza San Mar-
tino mit Vollmachten an den päpstlichen Stuhl, um sich mit diesem über die
Garantien für die geistliche Unabhängigkeit des Papstthums ins Verneh-
men zu setzen. Dieser Bevollmächtigte hatte weitgehende Vollmachten;
das Papstthum sollte nach denselben die geistliche Oberhoheit über ganz
Jtalien, durchaus unabhängig von der königlichen Regierung, ausüben.
Diese Proposition konnte nur zur Voraussetzung haben entweder die völlige
Unterordnung der Regierung unter das Papstthum in religiösen Sachen,
oder die absolute Trennung der Kirche vom Staate. Da das erstere aber
den bisherigen freiheitlichen Tendenzen der italienischen Regierung nicht
entsprach, so konnte bei den Vorschlägen welche Graf San Martino dem päpst-
lichen Stuhl überbrachte nur das andere von der italienischen Regierung
vorausgesetzt werden. Aber der päpstliche Stuhl ließ sich auf den Vor-
schlag des Grafen San Martino gar nicht ein, indem er auf seiner alten An-
schauung beharrte: daß nur die weltliche Herrschaft genügende Bürgschaft
für seine geistliche Autorität gewähre. Die Verhandlungen wurden ab-
gebrochen, und der Einzug der italienischen Truppen in Rom fand ohne
irgend eine Gewährleistung der päpstlichen Souveränetät statt.

Jetzt nach vollendeter Thatsache konnte die italienische Regierung
selbständig an die Festsetzung eines päpstlichen Garantiengesetzes gehen,
ohne mit dem heiligen Stuhle sich ins Einvernehmen zu setzen, da dieser
jede Verhandlung über jenen Punkt ausschlug. Die Vorschläge des Grafen
San Martino, welche in die eine Proposition zusammengefaßt werden können:
"Freiheit der geistlichen Functionen in ganz Jtalien," waren entworfen,
als der wichtigste Schritt, die Einnahme Roms, noch nicht geschehen; sie
waren entworfen um mit dem Papst auf Grund derselben ein Compro-
miß zu schließen. Unter den nach der Einnahme Roms veränderten Ver-
hältnissen konnte jedoch die italienische Regierung sich nicht veranlaßt sehen
diese Propositionen aufrecht zu erhalten, da sie leicht zum Schaden des
jungen Jtaliens ausschlagen konnten. Es unterliegt unter den westeuro-
päischen Staaten nächst Spanien wohl in keinem Staate die Menge so
dem kirchlichen Einfluß wie die Bewohner Unter=Jtaliens und Siciliens.
Die Freiheit der kirchlichen Beziehungen zum Volke von jeder Oberaufsicht
des Staates und ihre Abhängigkeit von einem Souverän, dem Papste, welcher
die freiheitliche Entwicklung Jtaliens, als die hauptsächliche Schwächung

[Spaltenumbruch]
Englands Mäßigung bei Friedensschlüssen.

sym8 Berlin, 1 März. Seit der Niederlage bei Sedan waren die
englischen Einmischungsversuche zu Gunsten Frankreichs lebhafter als aus
dem Blaubuch ersichtlich wird, und Lord Granville's Empfindlichkeit über
die seiner Neugierde und seinem Vermittlungseifer widerstehende Ver-
schlossenheit des deutschen Reichskanzlers begreift sich. Mit Beginn der
Waffenstillstands= und Friedensverhandlungen der HH. Favre und Thiers
hat sich jenes Bemühen der englischen Regierung um Abminderung der
deutschen Forderungen gesteigert und Verzögerungen herbeigeführt, wenn
auch weiter keine Ergebnisse. Wenn die englischen Blätter nun gegen die
bekannt gewordenen Friedenspräliminarien aufbrausen, so kennen wir diese
wohlfeile sittliche Entrüstung längst. Aus Friedfertigkeit findet die
„Times“ die Bedingungen zu hart, weil dadurch das Verlangen der Fran-
zosen nach Rache stets wach erhalten werde. Allein das Cityblatt gestatte
daß dieß Deutschlands ausschließliche Sorge bleibe. Wie England nichts
dagegen hatte daß wir die Rache für Sadowa allein ausfochten, so werden
wir auch die Rache für die zwanzig Siege von Wörth bis Héricourt schon
aushalten. Noch ehe feststand welches das Ultimatum des deutschen Haupt-
quartiers sein werde, vertröstete der jetzige Präsident der Nationalver-
sammlung zu Bordeaux auf die Revanche, und um so fester mußte Graf
Bismarck an Straßburg und Metz festhalten, als auf französische Dank-
barkeit nicht zu bauen sein möchte, selbst wenn Hr. Favre keine Handbreit
Erde zu missen und nur die Auslagen für die Promenade nach Paris zu
zahlen gehabt hätte.

Wo England selbst bei den Friedensschlüssen von 1814 den Franzosen
Mäßigung erwiesen hat, geschah es lediglich auf fremde, namentlich deut-
sche Unkosten. Schon damals war es der Herausgabe des Elsaßes und
Lothringens an Deutschland entgegen. Nicht zu Gunsten Deutschlands be-
reicherte es den König von Holland um Brabant und Flandern.

Aus der Geschichte der Erwerbung Jndiens erwähnen wir, um nicht
weiter zurückzugreifen, nur den Sultan Tippo Saib, welcher den Britten
als Eindringlingen begegnet war und, geschlagen, die Hälfte seines Reichs
Maisur einbüßte. Nachdem Tippo Saib die Hülfe des französischen Direc-
toriums angerufen hatte, verlor er auch den Rest von Maisur, ein Gebiet
also von mehr als 3000 Quadratmeilen. Jm Frieden von Amiens ließen
die Engländer sich von den Niederländern, die bekanntlich die unfrei-
willigen Verbündeten der Franzosen waren, die 1100 Quadratmeilen
messende Jnsel Ceylon abtreten; den Franzosen nahmen sie Jsle de France
( Mauritius ) und behielten es im Frieden von 1814, indem Ludwig XVIII
die Jnseln Tabago und Ste. Lucie hinzufügen mußte. Von den niederlän-
dischen Colonien behielt England damals Ceylon, das Capland von herr-
lichen 10,000 Quadratmeilen, nebst Demerary, Essequebo und Berbice.
Jm Frieden von Amiens hatte England versprochen das 1800 als eine für
den Zug nach Aegypten unentbehrliche Flottenstation besetzte Malta an
den Johanniterorden herauszugeben, ließ es sich aber 1814 von den Mächten
für immer zusprechen.

Kopenhagen war von den Engländern, die jetzt um die Beschießung
von Paris jammern, 1807 großentheils in einen Schutthaufen verwandelt
worden; die dänische Flotte wurde weggenommen, und im Pariser Frieden
mußte Dänemark Helgoland an England abtreten. Sollen wir etwa auch
noch daran erinnern mit welcher Gewaltthätigkeit das mächtige Großbri-
tannien im Jahre 1850 gegen das kleine Griechenland vorgieng, um ihm
die Abtretung der Jnseln Sapienza und Elafonisi an der Südspitze des
Peloponneses abzuringen, bloß wegen ihrer strategischen Wichtigkeit für die
englische Admiralität? Nur durch Frankreichs und Rußlands Festigkeit
wurde Lord Palmerston an der Vollendung seines völkerrechtswidrigen
Plans gehindert.

Wollte Graf Bismarck nach englischem Beispiel verfahren, so durfte
er sich weder mit der Herausgabe von Elsaß und Lothringen begnügen,
noch sich eine Herabminderung der ursprünglichen Kriegsentschädigungs-
forderung auf 5 Milliarden Fr. gefallen lassen, es sei denn daß wir die
Herabsetzung der englischen Forderung für den Consul Pacifico zu 800,000
Drachmen auf die schließlich durch schiedsrichterlichen Spruch festgestellte
Summe von 150 Pf. St. als mustergültig anerkennen müßten! Allein
wir verehren in den Engländern weder unsere Lehrmeister noch unsere
Aufseher.

Das päpstliche Garantien=Gesetz.
I.

sym14 Breslau, 27 Febr. Ein Ereigniß vollzieht sich gegenwärtig
in Jtalien welches durch die Großartigkeit seines Zweckes und durch den
merkwürdigen Versuch zur Verwirklichung dieses Zweckes das Jnteresse von
ganz Europa zu erregen berechtigt ist. Die weltliche Macht wurde dem
Papstthum entzogen, die geistliche Macht desselben, welche in den wesent-
lichsten Punkten mit der weltlichen verknüpft war, soll in ihrer bisherigen
[Spaltenumbruch] vollen Ausdehnung fortbestehen -- fortbestehen als eine Macht welche sich,
über die engeren Gränzen Jtaliens erhebend, auf die ganze katholische
Christenheit erstreckt, trotzdem daß zur Stärkung dieser Macht jede weltliche
Autorität fehlt.

Sollte nicht die katholische Weltkirche in viele getrennte Landeskirchen
sich verwandeln, welche in Folge ihrer äußeren Getrenntheit allmählich
sich auch in religiöser und ritualer Beziehung trennen müßten, so war es
nothwendig das Papstthum, als die Spitze der katholischen Kirche, in seiner
Souveränetät zu erhalten, in welcher es sich bisher befand, damit es, gleich-
wie früher, ungehindert seine Beziehungen zu allen Ländern in denen Ka-
tholiken sich befinden fortsetzen kann. Katholischen Staaten mußte es ge-
fährlich erscheinen unter die geistliche Autorität eines Mannes sich zu
beugen der nichts mehr ist als ein italienischer Bürger, stehend unter den
italienischen Gesetzen. Jtalien aber selbst konnte weder es wagen durch
sein Vorgehen einen derartigen Zustand herbeizuführen, der leicht gefähr-
liche Oppositionen aus allen Theilen der Erde hätte hervorrufen können,
noch mochte die Regierung dieses Landes des hohen Nutzens sich begeben
der für den ganzen Staat dadurch erzielt werde daß in ihm eine Person
sich aufhalte welche als eine weltbeherrschende den materiellen Vortheil,
vornehmlich aber das politische Gewicht des Staates ausnehmend heben
könne. Dazu kam noch die hohe Frömmigkeit des Königs Victor Emmanuel,
der, gleich seinem Vater Karl Albert, trotz der Schädigungen die ihnen in
den wichtigsten Momenten das Papstthum bereitet hatte, von der Ehrfurcht
gegen das Oberhaupt der katholischen Kirche, gegen den heiligen Vater,
nicht abließ. Was das Staatsinteresse zur Erhaltung der geistlichen
Souveränetät des Papstthums anrieth, das stimmte durchaus mit den
religiösen Gefühlen des Königs überein. Alle Momente für die ernsthafte
Lösung der von der italienischen Regierung sich selbst gestellten Aufgabe
waren vorhanden. Die Lösung aber, wie sie in dem von der Regierung
dem italienischen Parlament vorgelegten Gesetzentwurf von zwanzig Artikeln
versucht worden, und wie sie gegenwärtig zum größeren Theil ohne wesent-
liche Modificationen sanctionirt ist, zeichnet sich weniger durch eine prin-
cipielle Durchführung der Unabhängigkeit der geistlichen Macht des päpst-
lichen Stuhles aus, als durch eine Formulirung welche der Praxis hohe
Rechnung trägt.

Die Bürgschaften welche die geistliche Unabhängigkeit des Papstthums
sichern sollen, haben eine Entwicklungsgeschichte die in ihren einzelnen
Phasen interessante Momente zum Nachdenken und zur gehörigen Würdi-
gung der Sachlage darbieten.

Als die italienische Regierung im September des vergangenen Jahres
die Expedition nach Rom vorbereitete, schickte sie den Grafen Ponza San Mar-
tino mit Vollmachten an den päpstlichen Stuhl, um sich mit diesem über die
Garantien für die geistliche Unabhängigkeit des Papstthums ins Verneh-
men zu setzen. Dieser Bevollmächtigte hatte weitgehende Vollmachten;
das Papstthum sollte nach denselben die geistliche Oberhoheit über ganz
Jtalien, durchaus unabhängig von der königlichen Regierung, ausüben.
Diese Proposition konnte nur zur Voraussetzung haben entweder die völlige
Unterordnung der Regierung unter das Papstthum in religiösen Sachen,
oder die absolute Trennung der Kirche vom Staate. Da das erstere aber
den bisherigen freiheitlichen Tendenzen der italienischen Regierung nicht
entsprach, so konnte bei den Vorschlägen welche Graf San Martino dem päpst-
lichen Stuhl überbrachte nur das andere von der italienischen Regierung
vorausgesetzt werden. Aber der päpstliche Stuhl ließ sich auf den Vor-
schlag des Grafen San Martino gar nicht ein, indem er auf seiner alten An-
schauung beharrte: daß nur die weltliche Herrschaft genügende Bürgschaft
für seine geistliche Autorität gewähre. Die Verhandlungen wurden ab-
gebrochen, und der Einzug der italienischen Truppen in Rom fand ohne
irgend eine Gewährleistung der päpstlichen Souveränetät statt.

Jetzt nach vollendeter Thatsache konnte die italienische Regierung
selbständig an die Festsetzung eines päpstlichen Garantiengesetzes gehen,
ohne mit dem heiligen Stuhle sich ins Einvernehmen zu setzen, da dieser
jede Verhandlung über jenen Punkt ausschlug. Die Vorschläge des Grafen
San Martino, welche in die eine Proposition zusammengefaßt werden können:
„Freiheit der geistlichen Functionen in ganz Jtalien,“ waren entworfen,
als der wichtigste Schritt, die Einnahme Roms, noch nicht geschehen; sie
waren entworfen um mit dem Papst auf Grund derselben ein Compro-
miß zu schließen. Unter den nach der Einnahme Roms veränderten Ver-
hältnissen konnte jedoch die italienische Regierung sich nicht veranlaßt sehen
diese Propositionen aufrecht zu erhalten, da sie leicht zum Schaden des
jungen Jtaliens ausschlagen konnten. Es unterliegt unter den westeuro-
päischen Staaten nächst Spanien wohl in keinem Staate die Menge so
dem kirchlichen Einfluß wie die Bewohner Unter=Jtaliens und Siciliens.
Die Freiheit der kirchlichen Beziehungen zum Volke von jeder Oberaufsicht
des Staates und ihre Abhängigkeit von einem Souverän, dem Papste, welcher
die freiheitliche Entwicklung Jtaliens, als die hauptsächliche Schwächung

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[1078/0002] Englands Mäßigung bei Friedensschlüssen. sym8 Berlin, 1 März. Seit der Niederlage bei Sedan waren die englischen Einmischungsversuche zu Gunsten Frankreichs lebhafter als aus dem Blaubuch ersichtlich wird, und Lord Granville's Empfindlichkeit über die seiner Neugierde und seinem Vermittlungseifer widerstehende Ver- schlossenheit des deutschen Reichskanzlers begreift sich. Mit Beginn der Waffenstillstands= und Friedensverhandlungen der HH. Favre und Thiers hat sich jenes Bemühen der englischen Regierung um Abminderung der deutschen Forderungen gesteigert und Verzögerungen herbeigeführt, wenn auch weiter keine Ergebnisse. Wenn die englischen Blätter nun gegen die bekannt gewordenen Friedenspräliminarien aufbrausen, so kennen wir diese wohlfeile sittliche Entrüstung längst. Aus Friedfertigkeit findet die „Times“ die Bedingungen zu hart, weil dadurch das Verlangen der Fran- zosen nach Rache stets wach erhalten werde. Allein das Cityblatt gestatte daß dieß Deutschlands ausschließliche Sorge bleibe. Wie England nichts dagegen hatte daß wir die Rache für Sadowa allein ausfochten, so werden wir auch die Rache für die zwanzig Siege von Wörth bis Héricourt schon aushalten. Noch ehe feststand welches das Ultimatum des deutschen Haupt- quartiers sein werde, vertröstete der jetzige Präsident der Nationalver- sammlung zu Bordeaux auf die Revanche, und um so fester mußte Graf Bismarck an Straßburg und Metz festhalten, als auf französische Dank- barkeit nicht zu bauen sein möchte, selbst wenn Hr. Favre keine Handbreit Erde zu missen und nur die Auslagen für die Promenade nach Paris zu zahlen gehabt hätte. Wo England selbst bei den Friedensschlüssen von 1814 den Franzosen Mäßigung erwiesen hat, geschah es lediglich auf fremde, namentlich deut- sche Unkosten. Schon damals war es der Herausgabe des Elsaßes und Lothringens an Deutschland entgegen. Nicht zu Gunsten Deutschlands be- reicherte es den König von Holland um Brabant und Flandern. Aus der Geschichte der Erwerbung Jndiens erwähnen wir, um nicht weiter zurückzugreifen, nur den Sultan Tippo Saib, welcher den Britten als Eindringlingen begegnet war und, geschlagen, die Hälfte seines Reichs Maisur einbüßte. Nachdem Tippo Saib die Hülfe des französischen Direc- toriums angerufen hatte, verlor er auch den Rest von Maisur, ein Gebiet also von mehr als 3000 Quadratmeilen. Jm Frieden von Amiens ließen die Engländer sich von den Niederländern, die bekanntlich die unfrei- willigen Verbündeten der Franzosen waren, die 1100 Quadratmeilen messende Jnsel Ceylon abtreten; den Franzosen nahmen sie Jsle de France ( Mauritius ) und behielten es im Frieden von 1814, indem Ludwig XVIII die Jnseln Tabago und Ste. Lucie hinzufügen mußte. Von den niederlän- dischen Colonien behielt England damals Ceylon, das Capland von herr- lichen 10,000 Quadratmeilen, nebst Demerary, Essequebo und Berbice. Jm Frieden von Amiens hatte England versprochen das 1800 als eine für den Zug nach Aegypten unentbehrliche Flottenstation besetzte Malta an den Johanniterorden herauszugeben, ließ es sich aber 1814 von den Mächten für immer zusprechen. Kopenhagen war von den Engländern, die jetzt um die Beschießung von Paris jammern, 1807 großentheils in einen Schutthaufen verwandelt worden; die dänische Flotte wurde weggenommen, und im Pariser Frieden mußte Dänemark Helgoland an England abtreten. Sollen wir etwa auch noch daran erinnern mit welcher Gewaltthätigkeit das mächtige Großbri- tannien im Jahre 1850 gegen das kleine Griechenland vorgieng, um ihm die Abtretung der Jnseln Sapienza und Elafonisi an der Südspitze des Peloponneses abzuringen, bloß wegen ihrer strategischen Wichtigkeit für die englische Admiralität? Nur durch Frankreichs und Rußlands Festigkeit wurde Lord Palmerston an der Vollendung seines völkerrechtswidrigen Plans gehindert. Wollte Graf Bismarck nach englischem Beispiel verfahren, so durfte er sich weder mit der Herausgabe von Elsaß und Lothringen begnügen, noch sich eine Herabminderung der ursprünglichen Kriegsentschädigungs- forderung auf 5 Milliarden Fr. gefallen lassen, es sei denn daß wir die Herabsetzung der englischen Forderung für den Consul Pacifico zu 800,000 Drachmen auf die schließlich durch schiedsrichterlichen Spruch festgestellte Summe von 150 Pf. St. als mustergültig anerkennen müßten! Allein wir verehren in den Engländern weder unsere Lehrmeister noch unsere Aufseher. Das päpstliche Garantien=Gesetz. I. sym14 Breslau, 27 Febr. Ein Ereigniß vollzieht sich gegenwärtig in Jtalien welches durch die Großartigkeit seines Zweckes und durch den merkwürdigen Versuch zur Verwirklichung dieses Zweckes das Jnteresse von ganz Europa zu erregen berechtigt ist. Die weltliche Macht wurde dem Papstthum entzogen, die geistliche Macht desselben, welche in den wesent- lichsten Punkten mit der weltlichen verknüpft war, soll in ihrer bisherigen vollen Ausdehnung fortbestehen -- fortbestehen als eine Macht welche sich, über die engeren Gränzen Jtaliens erhebend, auf die ganze katholische Christenheit erstreckt, trotzdem daß zur Stärkung dieser Macht jede weltliche Autorität fehlt. Sollte nicht die katholische Weltkirche in viele getrennte Landeskirchen sich verwandeln, welche in Folge ihrer äußeren Getrenntheit allmählich sich auch in religiöser und ritualer Beziehung trennen müßten, so war es nothwendig das Papstthum, als die Spitze der katholischen Kirche, in seiner Souveränetät zu erhalten, in welcher es sich bisher befand, damit es, gleich- wie früher, ungehindert seine Beziehungen zu allen Ländern in denen Ka- tholiken sich befinden fortsetzen kann. Katholischen Staaten mußte es ge- fährlich erscheinen unter die geistliche Autorität eines Mannes sich zu beugen der nichts mehr ist als ein italienischer Bürger, stehend unter den italienischen Gesetzen. Jtalien aber selbst konnte weder es wagen durch sein Vorgehen einen derartigen Zustand herbeizuführen, der leicht gefähr- liche Oppositionen aus allen Theilen der Erde hätte hervorrufen können, noch mochte die Regierung dieses Landes des hohen Nutzens sich begeben der für den ganzen Staat dadurch erzielt werde daß in ihm eine Person sich aufhalte welche als eine weltbeherrschende den materiellen Vortheil, vornehmlich aber das politische Gewicht des Staates ausnehmend heben könne. Dazu kam noch die hohe Frömmigkeit des Königs Victor Emmanuel, der, gleich seinem Vater Karl Albert, trotz der Schädigungen die ihnen in den wichtigsten Momenten das Papstthum bereitet hatte, von der Ehrfurcht gegen das Oberhaupt der katholischen Kirche, gegen den heiligen Vater, nicht abließ. Was das Staatsinteresse zur Erhaltung der geistlichen Souveränetät des Papstthums anrieth, das stimmte durchaus mit den religiösen Gefühlen des Königs überein. Alle Momente für die ernsthafte Lösung der von der italienischen Regierung sich selbst gestellten Aufgabe waren vorhanden. Die Lösung aber, wie sie in dem von der Regierung dem italienischen Parlament vorgelegten Gesetzentwurf von zwanzig Artikeln versucht worden, und wie sie gegenwärtig zum größeren Theil ohne wesent- liche Modificationen sanctionirt ist, zeichnet sich weniger durch eine prin- cipielle Durchführung der Unabhängigkeit der geistlichen Macht des päpst- lichen Stuhles aus, als durch eine Formulirung welche der Praxis hohe Rechnung trägt. Die Bürgschaften welche die geistliche Unabhängigkeit des Papstthums sichern sollen, haben eine Entwicklungsgeschichte die in ihren einzelnen Phasen interessante Momente zum Nachdenken und zur gehörigen Würdi- gung der Sachlage darbieten. Als die italienische Regierung im September des vergangenen Jahres die Expedition nach Rom vorbereitete, schickte sie den Grafen Ponza San Mar- tino mit Vollmachten an den päpstlichen Stuhl, um sich mit diesem über die Garantien für die geistliche Unabhängigkeit des Papstthums ins Verneh- men zu setzen. Dieser Bevollmächtigte hatte weitgehende Vollmachten; das Papstthum sollte nach denselben die geistliche Oberhoheit über ganz Jtalien, durchaus unabhängig von der königlichen Regierung, ausüben. Diese Proposition konnte nur zur Voraussetzung haben entweder die völlige Unterordnung der Regierung unter das Papstthum in religiösen Sachen, oder die absolute Trennung der Kirche vom Staate. Da das erstere aber den bisherigen freiheitlichen Tendenzen der italienischen Regierung nicht entsprach, so konnte bei den Vorschlägen welche Graf San Martino dem päpst- lichen Stuhl überbrachte nur das andere von der italienischen Regierung vorausgesetzt werden. Aber der päpstliche Stuhl ließ sich auf den Vor- schlag des Grafen San Martino gar nicht ein, indem er auf seiner alten An- schauung beharrte: daß nur die weltliche Herrschaft genügende Bürgschaft für seine geistliche Autorität gewähre. Die Verhandlungen wurden ab- gebrochen, und der Einzug der italienischen Truppen in Rom fand ohne irgend eine Gewährleistung der päpstlichen Souveränetät statt. Jetzt nach vollendeter Thatsache konnte die italienische Regierung selbständig an die Festsetzung eines päpstlichen Garantiengesetzes gehen, ohne mit dem heiligen Stuhle sich ins Einvernehmen zu setzen, da dieser jede Verhandlung über jenen Punkt ausschlug. Die Vorschläge des Grafen San Martino, welche in die eine Proposition zusammengefaßt werden können: „Freiheit der geistlichen Functionen in ganz Jtalien,“ waren entworfen, als der wichtigste Schritt, die Einnahme Roms, noch nicht geschehen; sie waren entworfen um mit dem Papst auf Grund derselben ein Compro- miß zu schließen. Unter den nach der Einnahme Roms veränderten Ver- hältnissen konnte jedoch die italienische Regierung sich nicht veranlaßt sehen diese Propositionen aufrecht zu erhalten, da sie leicht zum Schaden des jungen Jtaliens ausschlagen konnten. Es unterliegt unter den westeuro- päischen Staaten nächst Spanien wohl in keinem Staate die Menge so dem kirchlichen Einfluß wie die Bewohner Unter=Jtaliens und Siciliens. Die Freiheit der kirchlichen Beziehungen zum Volke von jeder Oberaufsicht des Staates und ihre Abhängigkeit von einem Souverän, dem Papste, welcher die freiheitliche Entwicklung Jtaliens, als die hauptsächliche Schwächung

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  • Vollständigkeit: vollständig erfasst.
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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 64. Augsburg (Bayern), 5. März 1871, S. 1078. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_augsburg64_1871/2>, abgerufen am 29.03.2024.