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Allgemeine Zeitung. Nr. 64. Augsburg (Bayern), 5. März 1871.

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[Spaltenumbruch] den Politiker nicht; aber die Erbsünde dieses Grundgedankens kann er
nicht von sich abthun. Bei der Liebe die er für Deutschland hegt, beklagt
er "diesen unseren Fehler" mehr als er ihn tadelt, ja er ist sogar mit
deutscher Gewissenhaftigkeit bemüht ihn zu entschuldigen und zu motiviren.
Er nennt unser nationales Bestreben une noble folie, aber diese Beschö-
nigung ist keine Berichtigung, und wir begehren daß unsere Handlungen
auf dem Wege der Vernunft, nicht auf dem der Narrheit interpretirt wer-
den. Jn Frankreich würde vielleicht ein Buch durch einige Sätze unwill-
kommener Politik sich um jeden Erfolg bringen; wir Deutschen ziehen ledig-
lich diesen Mangel von der Summe des Guten ab, und alle übrigen Vor-
züge bleiben dem Verfasser unverkümmert zugestanden. Ohne Zweifel ist
der größte dieser Vorzüge aber die Art und Weise wie Legrelle sich über
die deutsche Wissenschaft und über die deutsche Bildung im allgemeinen
äußert. Den nächsten Anlaß hiezu gibt ein Besuch in Leipzig, der unser
Buch mit einem werthvollen Capitel bereichert.

Jn allen Hörsälen der Universität begegnen wir dem Verfasser; die
Einfachheit des Vortrages und die Gediegenheit dieses Lernens entzückte
ihn, wenn er an die effectvollen Causerien der Sorbonne zurückdenkt, an
denen die Feder so emsig feilte, und die nun der Mund so vornehm zu
improvisiren scheint. Hier aber stehen Namen von europäischem Ruf und
dennoch -- quel dedain pour la pompe!

Der deutsche Professor ist Legrelle's Jdeal. Kein Loos dünkt ihm
schöner als das eines solchen Gelehrten, bei welchem die Kraft des Geistes mit
den Eigenschaften des Herzens wetteifert, der sich ebenso glücklich fühlt in
seinem engen Familienkreise, wie im weiten Reiche der Wissenschaft.

L'activite dans l'independance, das ist die Lebensweisheit dieser
Männer, deren Büste man an jeder Straßenecke kaufen kann, auch ohne
daß sie Minister waren. Jn der Lehrfreiheit der deutschen Hochschulen
und in der Bildung des Mittelstandes wurzelt der Ruhm und "das Ueber-
gewicht das Deutschland in Europa besitzt." Einem Franzosen der also
spricht, sehen wir gern eine politische Tirade nach; einem Pariser der für
das Dasein eines deutschen Privatdocenten schwärmt, dem dieser wissen-
schaftliche Heroismus mehr imponirt als jedes gallonirte Heldenthum,
dem muß auch mehr vergeben werden als manchem anderen.

Möchten doch die Franzosen zur Einsicht gelangen daß selbst die Wur-
zeln unserer Wehrkraft nur in diesem Grunde ruhen. Nicht 7 deutsche
Streiter, aber 7 Deutsche die lesen und schreiben können, stehen einem
Franzosen gegenüber. Die Wildheit ist im Kriege verbraucht seit die
Hunnen und die Lanzknechte mit derselben siegten, seit Hannibal seine
Turcos nach Rom führte; in unseren Zeiten ist die stärkste Waffe der
Charakter, und auch im Kriege gilt das Friedenswort: Bildung ist
Macht.

Minder erbaut, als von den Lehrern, ist Legrelle von dem Studenten-
wesen der deutschen Universitäten. Er findet den Ton zu burschikos, und
diese Gesichter, qui sont a moitie lunettes et a moitie cicatrices, allzu-
sehr herausfordernd. Nicht etwa als ob er ein Feind der Freude wäre,
sondern weil er mit richtigem Gefühl erkennt daß wir hier vor Formen stehen
aus denen der Geist gewichen ist. Jn großen Städten ist der Nimbus
der bunten Mütze ohnehin verbleicht, und eine große Zeit wird das übrige
thun um seine Bedeutung zu erschöpfen.

Zur Zeit daunser Verfasser in Leipzig war, hatte die Messe ihre Zelte
dort aufgeschlagen, und ein wahrhaft betäubender Lärm tönte uns aus allen
Straßen entgegen. Da man nirgends geneigter ist sein Geld auszugeben
als dort wo man es einnimmt, so sind alle Schaubuden und öffentlichen
Locale überfüllt, deßgleichen " les cryptes dediees a Bacchus."

Mehr jedoch als für solchen Lärm und für den Anblick der vielen Mil-
lionäre interessirt sich Legrelle für die Verhältnisse des deutschen Bücher-
marktes, die in den Tagen der Messe ans Licht treten. Mit der Freigebigkeit
der Verleger ist er keineswegs zufrieden, denn diese fördern nach seiner
Meinung den Schriftsteller nur insofern als das Talent durch die Noth
gefördert wird. Ueberall erscheint ihm das Honorar zu niedrig und der
Preis der Bücher zu hoch gegriffen, und während hiedurch der Verfasser
zum Hunger gezwungen wird, sieht sich das Publicum genöthigt, seinen
Wissensdurst aus jenen "schmutzigen Pfützen zu stillen die man Leihbiblio-
theken nennt." Welches Entsetzen befällt den vornehmen Franzosen vor die-
ser ästhetischen Table d'hote!

Jn wenigen Stunden erreichen wir Dresden, das Jdeal einer deut-
schen Stadt, das Musterbild wohlthuender Proportionen. Es ist Sonntag
Morgen, und die Schloßkirche öffnet ihre Thore, um die elegante Welt zur
Andacht zu empfangen; allein dem Verfasser will diese Andacht nicht recht
gefallen -- er nennt sie einen religiösen Dilettantismus, der in Sammet
und Seide zur Kirche kommt um schöne Musik zu hören und schöne Toi-
letten zu zeigen. Durch die Reichthümer des grünen Gewölbes und durch
den Reichthum der Gallerie werden wir nun von kundiger Hand geleitet;
hier wohnt die echte Muse, hier herrscht wahrhaftige Andacht, wenn wir
[Spaltenumbruch] vor dem Bilde der Sixtinischen Madonna stehen demüthig und doch er-
hoben, ergriffen und gesegnet in einem Gefühle.

Sehr treffend sind die Bemerkungen die Legrelle bei diesem Anlaß
über die moderne französische Malerei und vor allem über ihre Stoffe macht,
wenn er die letzteren als "vivisections" bezeichnet. Er kann nicht begreifen
warum die Kunst den Menschen stets in jener Stunde aufsucht wo er ge-
quält wird, wo er ein tete a tete mit dem Henker hält.

Um sich von den Mühen der großen Stadt zu erholen, macht Legrelle
einen kurzen Besuch in der sächsischen Schweiz, von dort begibt er sich über
Magdeburg nach Hause. Da er einen Theil des Weges im Postwagen zu-
rücklegt, so ergibt sich Zeit und Gelegenheit über mancherlei Anstalten des
äußeren Lebens und der Bequemlichkeit zu philosophiren, über die wir
selber uns längst resignirt haben. Wer wüßte es nicht von uns allen daß
der Hausknecht, " l'esclave de l'hotel," im Durchschnitt ein Grobian ist --
wie reizend ist das Erstaunen das den correcten Franzosen überkommt da
plötzlich einer der angesehensten Passagiere den Postillon als "Schwager"
begrüßt! Am schlimmsten aber ist es um die deutschen Betten bestellt, die
fast alle aus der Fabrik "Procrustes u. Comp." zu stammen scheinen, die schon
im Alterthum so berüchtigt war. Sie sind schmal wie ein Sarg, und dazu
kommt eine Decke die nicht größer ist als eine Serviette! Nur die Tugend
der Deutschen und ihr gutes Gewissen können auf solchem Lager Ruhe finden,
" un Francais ne peut pas dormir dans ces fosses de bois." Und obwohl
er wochenlang in solchen Gräben gebettet lag, schwärmt der Verfasser den-
noch für unser Land, dennoch ist es ihm hier so wohl daß er mit einer Art
von Wehmuth von uns scheidet. Auch wir verlieren ungern sein Geleite.
Denn in seinem Wesen sind jene Eigenschaften vereinigt die uns in inner-
ster Seele ansprechen; die Gabe sie auszusprechen besitzt Legrelle
wie wenige seiner Landsleute vor ihm. Es gibt eine Darstellungsweise die
ohne leichtfertig zu sein, doch so lebendig und beweglich ist, daß sie dem ge-
schriebenen Worte fast eine gewisse Mimik verleiht; daß wir den Autor reden
hören, indem er schreibt.

Die Zeit der wir entgegengehen ist dem Verständniß zwischen Deutsch-
land und Frankreich nicht eben förderlich; denn auf Jahre und vielleicht Genera-
tionen hinaus wird der Hader sich fortspinnen. Solange der Krieg noch
währte mußte natürlich jeder Deutsche darauf beharren daß die volle Kraft
unseres Schwertes walte, wie es der Uebermuth des Gegners verdient; allein
wie der Kampf ehrlich war, so soll auch der Friede ehrlich sein,
nachdem er nun wirklich geschlossen ist. Es liegt nicht im deut-
schen Wesen auch dann noch die Streitpunkte anzufachen, sondern vielmehr
die Berührungspunkte die uns übrig bleiben aufzusuchen; es liegt uns
nicht bloß am Herzen den Feind zu besiegen, sondern auch ihn ohne Bitter-
keit zu überzeugen warum er besiegt ward. Erst darin werden wir un-
sere volle Genugthuung und die moralische Macht unseres Sieges finden.

Dieser Sinn der Gerechtigkeit war von jeher die größte politische
Tugend des deutschen Volkes, und in diesem Sinn heißen wir die Männer
beider Nationen willkommen welche die Gaben eines edlen Verstandes der
Verständigung widmen, wenn die Stunde derselben gekommen ist.

Zu diesen Männern aber zählen wir Legrelle ohne Bedenken. Wir
werden uns freuen wenn er nun nach Ablauf eines Decenniums wieder in
unser Vaterland kommt; denn vielleicht wird er manche Anregung und
manche neue Einsicht gewinnen. Daß auch wir bei seinem Besuche nur
gewinnen können, das zeigt uns sein erstes meisterhaftes Buch.

Dr. Julius Weisbach.

B. O. Freiberg, 28 Febr. Gestern wurde in der alten Hauptbergstadt
Freiberg ein Mann zur Ruhe geleitet dessen Name nicht bloß in den engen
Gränzen seines Vaterlandes Sachsen, sondern weit über dieselben hinaus,
in allen Ländern der Erde wo Wissenschaft blüht und gedeiht, einen ehren-
vollen Klang hat. Dieser Mann war Dr. Julius Weisbach, königl. säch-
sischer Oberbergrath und Professor an der hiesigen königl. Bergakademie.

Der Dahingeschiedene war am 10 August 1806 auf der Eisenhütte
Mittelschmiedeberg bei Annaberg ( im sächsischen Erzgebirge ) geboren, kam
1820 auf die damalige Hauptbergschule, 1822 auf die hiesige Bergakademie,
gieng 1827 nach Göttingen und 1829 nach Wien, wo er die Vorlesungen
an der Universität und dem polytechnischen Jnstitut besuchte. Jm fol-
genden Jahre machte er eine bergmännische Reise durch den größten Theil
der österreichischen Staaten und kehrte nach Freiberg zurück, wo er 1833
nach dem Tode des Professors Hecht als Lehrer der angewandten mathe-
matischen Wissenschaften an der hiesigen Bergakademie eintrat. Jm Jahre
1835 übernahm er die Vorlesung über allgemeine Markscheidekunst, und
nach dem Abgang des Professors Brückmann 1858 wurde ihm auch der
Vortrag über Maschinenbaukunst übertragen. Früh schon hatte Weisbach
seine Aufmerksamkeit ganz besonders der Hydraulik zugewendet, und die-
selbe zu der Blüthe deren sie sich jetzt erfreut gebracht zu haben, ist ganz
besonders sein Verdienst; namentlich ist durch die von ihm aufgestellte Jdee

[Spaltenumbruch] den Politiker nicht; aber die Erbsünde dieses Grundgedankens kann er
nicht von sich abthun. Bei der Liebe die er für Deutschland hegt, beklagt
er „diesen unseren Fehler“ mehr als er ihn tadelt, ja er ist sogar mit
deutscher Gewissenhaftigkeit bemüht ihn zu entschuldigen und zu motiviren.
Er nennt unser nationales Bestreben une noble folie, aber diese Beschö-
nigung ist keine Berichtigung, und wir begehren daß unsere Handlungen
auf dem Wege der Vernunft, nicht auf dem der Narrheit interpretirt wer-
den. Jn Frankreich würde vielleicht ein Buch durch einige Sätze unwill-
kommener Politik sich um jeden Erfolg bringen; wir Deutschen ziehen ledig-
lich diesen Mangel von der Summe des Guten ab, und alle übrigen Vor-
züge bleiben dem Verfasser unverkümmert zugestanden. Ohne Zweifel ist
der größte dieser Vorzüge aber die Art und Weise wie Legrelle sich über
die deutsche Wissenschaft und über die deutsche Bildung im allgemeinen
äußert. Den nächsten Anlaß hiezu gibt ein Besuch in Leipzig, der unser
Buch mit einem werthvollen Capitel bereichert.

Jn allen Hörsälen der Universität begegnen wir dem Verfasser; die
Einfachheit des Vortrages und die Gediegenheit dieses Lernens entzückte
ihn, wenn er an die effectvollen Causerien der Sorbonne zurückdenkt, an
denen die Feder so emsig feilte, und die nun der Mund so vornehm zu
improvisiren scheint. Hier aber stehen Namen von europäischem Ruf und
dennoch -- quel dédain pour la pompe!

Der deutsche Professor ist Legrelle's Jdeal. Kein Loos dünkt ihm
schöner als das eines solchen Gelehrten, bei welchem die Kraft des Geistes mit
den Eigenschaften des Herzens wetteifert, der sich ebenso glücklich fühlt in
seinem engen Familienkreise, wie im weiten Reiche der Wissenschaft.

L'activité dans l'indépendance, das ist die Lebensweisheit dieser
Männer, deren Büste man an jeder Straßenecke kaufen kann, auch ohne
daß sie Minister waren. Jn der Lehrfreiheit der deutschen Hochschulen
und in der Bildung des Mittelstandes wurzelt der Ruhm und „das Ueber-
gewicht das Deutschland in Europa besitzt.“ Einem Franzosen der also
spricht, sehen wir gern eine politische Tirade nach; einem Pariser der für
das Dasein eines deutschen Privatdocenten schwärmt, dem dieser wissen-
schaftliche Heroismus mehr imponirt als jedes gallonirte Heldenthum,
dem muß auch mehr vergeben werden als manchem anderen.

Möchten doch die Franzosen zur Einsicht gelangen daß selbst die Wur-
zeln unserer Wehrkraft nur in diesem Grunde ruhen. Nicht 7 deutsche
Streiter, aber 7 Deutsche die lesen und schreiben können, stehen einem
Franzosen gegenüber. Die Wildheit ist im Kriege verbraucht seit die
Hunnen und die Lanzknechte mit derselben siegten, seit Hannibal seine
Turcos nach Rom führte; in unseren Zeiten ist die stärkste Waffe der
Charakter, und auch im Kriege gilt das Friedenswort: Bildung ist
Macht.

Minder erbaut, als von den Lehrern, ist Legrelle von dem Studenten-
wesen der deutschen Universitäten. Er findet den Ton zu burschikos, und
diese Gesichter, qui sont à moitié lunettes et à moitié cicatrices, allzu-
sehr herausfordernd. Nicht etwa als ob er ein Feind der Freude wäre,
sondern weil er mit richtigem Gefühl erkennt daß wir hier vor Formen stehen
aus denen der Geist gewichen ist. Jn großen Städten ist der Nimbus
der bunten Mütze ohnehin verbleicht, und eine große Zeit wird das übrige
thun um seine Bedeutung zu erschöpfen.

Zur Zeit daunser Verfasser in Leipzig war, hatte die Messe ihre Zelte
dort aufgeschlagen, und ein wahrhaft betäubender Lärm tönte uns aus allen
Straßen entgegen. Da man nirgends geneigter ist sein Geld auszugeben
als dort wo man es einnimmt, so sind alle Schaubuden und öffentlichen
Locale überfüllt, deßgleichen „ les cryptes dédiées à Bacchus.“

Mehr jedoch als für solchen Lärm und für den Anblick der vielen Mil-
lionäre interessirt sich Legrelle für die Verhältnisse des deutschen Bücher-
marktes, die in den Tagen der Messe ans Licht treten. Mit der Freigebigkeit
der Verleger ist er keineswegs zufrieden, denn diese fördern nach seiner
Meinung den Schriftsteller nur insofern als das Talent durch die Noth
gefördert wird. Ueberall erscheint ihm das Honorar zu niedrig und der
Preis der Bücher zu hoch gegriffen, und während hiedurch der Verfasser
zum Hunger gezwungen wird, sieht sich das Publicum genöthigt, seinen
Wissensdurst aus jenen „schmutzigen Pfützen zu stillen die man Leihbiblio-
theken nennt.“ Welches Entsetzen befällt den vornehmen Franzosen vor die-
ser ästhetischen Table d'hôte!

Jn wenigen Stunden erreichen wir Dresden, das Jdeal einer deut-
schen Stadt, das Musterbild wohlthuender Proportionen. Es ist Sonntag
Morgen, und die Schloßkirche öffnet ihre Thore, um die elegante Welt zur
Andacht zu empfangen; allein dem Verfasser will diese Andacht nicht recht
gefallen -- er nennt sie einen religiösen Dilettantismus, der in Sammet
und Seide zur Kirche kommt um schöne Musik zu hören und schöne Toi-
letten zu zeigen. Durch die Reichthümer des grünen Gewölbes und durch
den Reichthum der Gallerie werden wir nun von kundiger Hand geleitet;
hier wohnt die echte Muse, hier herrscht wahrhaftige Andacht, wenn wir
[Spaltenumbruch] vor dem Bilde der Sixtinischen Madonna stehen demüthig und doch er-
hoben, ergriffen und gesegnet in einem Gefühle.

Sehr treffend sind die Bemerkungen die Legrelle bei diesem Anlaß
über die moderne französische Malerei und vor allem über ihre Stoffe macht,
wenn er die letzteren als „vivisections“ bezeichnet. Er kann nicht begreifen
warum die Kunst den Menschen stets in jener Stunde aufsucht wo er ge-
quält wird, wo er ein tête à tête mit dem Henker hält.

Um sich von den Mühen der großen Stadt zu erholen, macht Legrelle
einen kurzen Besuch in der sächsischen Schweiz, von dort begibt er sich über
Magdeburg nach Hause. Da er einen Theil des Weges im Postwagen zu-
rücklegt, so ergibt sich Zeit und Gelegenheit über mancherlei Anstalten des
äußeren Lebens und der Bequemlichkeit zu philosophiren, über die wir
selber uns längst resignirt haben. Wer wüßte es nicht von uns allen daß
der Hausknecht, „ l'esclave de l'hôtel,“ im Durchschnitt ein Grobian ist --
wie reizend ist das Erstaunen das den correcten Franzosen überkommt da
plötzlich einer der angesehensten Passagiere den Postillon als „Schwager“
begrüßt! Am schlimmsten aber ist es um die deutschen Betten bestellt, die
fast alle aus der Fabrik „Procrustes u. Comp.“ zu stammen scheinen, die schon
im Alterthum so berüchtigt war. Sie sind schmal wie ein Sarg, und dazu
kommt eine Decke die nicht größer ist als eine Serviette! Nur die Tugend
der Deutschen und ihr gutes Gewissen können auf solchem Lager Ruhe finden,
un Français ne peut pas dormir dans ces fosses de bois.“ Und obwohl
er wochenlang in solchen Gräben gebettet lag, schwärmt der Verfasser den-
noch für unser Land, dennoch ist es ihm hier so wohl daß er mit einer Art
von Wehmuth von uns scheidet. Auch wir verlieren ungern sein Geleite.
Denn in seinem Wesen sind jene Eigenschaften vereinigt die uns in inner-
ster Seele ansprechen; die Gabe sie auszusprechen besitzt Legrelle
wie wenige seiner Landsleute vor ihm. Es gibt eine Darstellungsweise die
ohne leichtfertig zu sein, doch so lebendig und beweglich ist, daß sie dem ge-
schriebenen Worte fast eine gewisse Mimik verleiht; daß wir den Autor reden
hören, indem er schreibt.

Die Zeit der wir entgegengehen ist dem Verständniß zwischen Deutsch-
land und Frankreich nicht eben förderlich; denn auf Jahre und vielleicht Genera-
tionen hinaus wird der Hader sich fortspinnen. Solange der Krieg noch
währte mußte natürlich jeder Deutsche darauf beharren daß die volle Kraft
unseres Schwertes walte, wie es der Uebermuth des Gegners verdient; allein
wie der Kampf ehrlich war, so soll auch der Friede ehrlich sein,
nachdem er nun wirklich geschlossen ist. Es liegt nicht im deut-
schen Wesen auch dann noch die Streitpunkte anzufachen, sondern vielmehr
die Berührungspunkte die uns übrig bleiben aufzusuchen; es liegt uns
nicht bloß am Herzen den Feind zu besiegen, sondern auch ihn ohne Bitter-
keit zu überzeugen warum er besiegt ward. Erst darin werden wir un-
sere volle Genugthuung und die moralische Macht unseres Sieges finden.

Dieser Sinn der Gerechtigkeit war von jeher die größte politische
Tugend des deutschen Volkes, und in diesem Sinn heißen wir die Männer
beider Nationen willkommen welche die Gaben eines edlen Verstandes der
Verständigung widmen, wenn die Stunde derselben gekommen ist.

Zu diesen Männern aber zählen wir Legrelle ohne Bedenken. Wir
werden uns freuen wenn er nun nach Ablauf eines Decenniums wieder in
unser Vaterland kommt; denn vielleicht wird er manche Anregung und
manche neue Einsicht gewinnen. Daß auch wir bei seinem Besuche nur
gewinnen können, das zeigt uns sein erstes meisterhaftes Buch.

Dr. Julius Weisbach.

B. O. Freiberg, 28 Febr. Gestern wurde in der alten Hauptbergstadt
Freiberg ein Mann zur Ruhe geleitet dessen Name nicht bloß in den engen
Gränzen seines Vaterlandes Sachsen, sondern weit über dieselben hinaus,
in allen Ländern der Erde wo Wissenschaft blüht und gedeiht, einen ehren-
vollen Klang hat. Dieser Mann war Dr. Julius Weisbach, königl. säch-
sischer Oberbergrath und Professor an der hiesigen königl. Bergakademie.

Der Dahingeschiedene war am 10 August 1806 auf der Eisenhütte
Mittelschmiedeberg bei Annaberg ( im sächsischen Erzgebirge ) geboren, kam
1820 auf die damalige Hauptbergschule, 1822 auf die hiesige Bergakademie,
gieng 1827 nach Göttingen und 1829 nach Wien, wo er die Vorlesungen
an der Universität und dem polytechnischen Jnstitut besuchte. Jm fol-
genden Jahre machte er eine bergmännische Reise durch den größten Theil
der österreichischen Staaten und kehrte nach Freiberg zurück, wo er 1833
nach dem Tode des Professors Hecht als Lehrer der angewandten mathe-
matischen Wissenschaften an der hiesigen Bergakademie eintrat. Jm Jahre
1835 übernahm er die Vorlesung über allgemeine Markscheidekunst, und
nach dem Abgang des Professors Brückmann 1858 wurde ihm auch der
Vortrag über Maschinenbaukunst übertragen. Früh schon hatte Weisbach
seine Aufmerksamkeit ganz besonders der Hydraulik zugewendet, und die-
selbe zu der Blüthe deren sie sich jetzt erfreut gebracht zu haben, ist ganz
besonders sein Verdienst; namentlich ist durch die von ihm aufgestellte Jdee

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[1087/0011] den Politiker nicht; aber die Erbsünde dieses Grundgedankens kann er nicht von sich abthun. Bei der Liebe die er für Deutschland hegt, beklagt er „diesen unseren Fehler“ mehr als er ihn tadelt, ja er ist sogar mit deutscher Gewissenhaftigkeit bemüht ihn zu entschuldigen und zu motiviren. Er nennt unser nationales Bestreben une noble folie, aber diese Beschö- nigung ist keine Berichtigung, und wir begehren daß unsere Handlungen auf dem Wege der Vernunft, nicht auf dem der Narrheit interpretirt wer- den. Jn Frankreich würde vielleicht ein Buch durch einige Sätze unwill- kommener Politik sich um jeden Erfolg bringen; wir Deutschen ziehen ledig- lich diesen Mangel von der Summe des Guten ab, und alle übrigen Vor- züge bleiben dem Verfasser unverkümmert zugestanden. Ohne Zweifel ist der größte dieser Vorzüge aber die Art und Weise wie Legrelle sich über die deutsche Wissenschaft und über die deutsche Bildung im allgemeinen äußert. Den nächsten Anlaß hiezu gibt ein Besuch in Leipzig, der unser Buch mit einem werthvollen Capitel bereichert. Jn allen Hörsälen der Universität begegnen wir dem Verfasser; die Einfachheit des Vortrages und die Gediegenheit dieses Lernens entzückte ihn, wenn er an die effectvollen Causerien der Sorbonne zurückdenkt, an denen die Feder so emsig feilte, und die nun der Mund so vornehm zu improvisiren scheint. Hier aber stehen Namen von europäischem Ruf und dennoch -- quel dédain pour la pompe! Der deutsche Professor ist Legrelle's Jdeal. Kein Loos dünkt ihm schöner als das eines solchen Gelehrten, bei welchem die Kraft des Geistes mit den Eigenschaften des Herzens wetteifert, der sich ebenso glücklich fühlt in seinem engen Familienkreise, wie im weiten Reiche der Wissenschaft. L'activité dans l'indépendance, das ist die Lebensweisheit dieser Männer, deren Büste man an jeder Straßenecke kaufen kann, auch ohne daß sie Minister waren. Jn der Lehrfreiheit der deutschen Hochschulen und in der Bildung des Mittelstandes wurzelt der Ruhm und „das Ueber- gewicht das Deutschland in Europa besitzt.“ Einem Franzosen der also spricht, sehen wir gern eine politische Tirade nach; einem Pariser der für das Dasein eines deutschen Privatdocenten schwärmt, dem dieser wissen- schaftliche Heroismus mehr imponirt als jedes gallonirte Heldenthum, dem muß auch mehr vergeben werden als manchem anderen. Möchten doch die Franzosen zur Einsicht gelangen daß selbst die Wur- zeln unserer Wehrkraft nur in diesem Grunde ruhen. Nicht 7 deutsche Streiter, aber 7 Deutsche die lesen und schreiben können, stehen einem Franzosen gegenüber. Die Wildheit ist im Kriege verbraucht seit die Hunnen und die Lanzknechte mit derselben siegten, seit Hannibal seine Turcos nach Rom führte; in unseren Zeiten ist die stärkste Waffe der Charakter, und auch im Kriege gilt das Friedenswort: Bildung ist Macht. Minder erbaut, als von den Lehrern, ist Legrelle von dem Studenten- wesen der deutschen Universitäten. Er findet den Ton zu burschikos, und diese Gesichter, qui sont à moitié lunettes et à moitié cicatrices, allzu- sehr herausfordernd. Nicht etwa als ob er ein Feind der Freude wäre, sondern weil er mit richtigem Gefühl erkennt daß wir hier vor Formen stehen aus denen der Geist gewichen ist. Jn großen Städten ist der Nimbus der bunten Mütze ohnehin verbleicht, und eine große Zeit wird das übrige thun um seine Bedeutung zu erschöpfen. Zur Zeit daunser Verfasser in Leipzig war, hatte die Messe ihre Zelte dort aufgeschlagen, und ein wahrhaft betäubender Lärm tönte uns aus allen Straßen entgegen. Da man nirgends geneigter ist sein Geld auszugeben als dort wo man es einnimmt, so sind alle Schaubuden und öffentlichen Locale überfüllt, deßgleichen „ les cryptes dédiées à Bacchus.“ Mehr jedoch als für solchen Lärm und für den Anblick der vielen Mil- lionäre interessirt sich Legrelle für die Verhältnisse des deutschen Bücher- marktes, die in den Tagen der Messe ans Licht treten. Mit der Freigebigkeit der Verleger ist er keineswegs zufrieden, denn diese fördern nach seiner Meinung den Schriftsteller nur insofern als das Talent durch die Noth gefördert wird. Ueberall erscheint ihm das Honorar zu niedrig und der Preis der Bücher zu hoch gegriffen, und während hiedurch der Verfasser zum Hunger gezwungen wird, sieht sich das Publicum genöthigt, seinen Wissensdurst aus jenen „schmutzigen Pfützen zu stillen die man Leihbiblio- theken nennt.“ Welches Entsetzen befällt den vornehmen Franzosen vor die- ser ästhetischen Table d'hôte! Jn wenigen Stunden erreichen wir Dresden, das Jdeal einer deut- schen Stadt, das Musterbild wohlthuender Proportionen. Es ist Sonntag Morgen, und die Schloßkirche öffnet ihre Thore, um die elegante Welt zur Andacht zu empfangen; allein dem Verfasser will diese Andacht nicht recht gefallen -- er nennt sie einen religiösen Dilettantismus, der in Sammet und Seide zur Kirche kommt um schöne Musik zu hören und schöne Toi- letten zu zeigen. Durch die Reichthümer des grünen Gewölbes und durch den Reichthum der Gallerie werden wir nun von kundiger Hand geleitet; hier wohnt die echte Muse, hier herrscht wahrhaftige Andacht, wenn wir vor dem Bilde der Sixtinischen Madonna stehen demüthig und doch er- hoben, ergriffen und gesegnet in einem Gefühle. Sehr treffend sind die Bemerkungen die Legrelle bei diesem Anlaß über die moderne französische Malerei und vor allem über ihre Stoffe macht, wenn er die letzteren als „vivisections“ bezeichnet. Er kann nicht begreifen warum die Kunst den Menschen stets in jener Stunde aufsucht wo er ge- quält wird, wo er ein tête à tête mit dem Henker hält. Um sich von den Mühen der großen Stadt zu erholen, macht Legrelle einen kurzen Besuch in der sächsischen Schweiz, von dort begibt er sich über Magdeburg nach Hause. Da er einen Theil des Weges im Postwagen zu- rücklegt, so ergibt sich Zeit und Gelegenheit über mancherlei Anstalten des äußeren Lebens und der Bequemlichkeit zu philosophiren, über die wir selber uns längst resignirt haben. Wer wüßte es nicht von uns allen daß der Hausknecht, „ l'esclave de l'hôtel,“ im Durchschnitt ein Grobian ist -- wie reizend ist das Erstaunen das den correcten Franzosen überkommt da plötzlich einer der angesehensten Passagiere den Postillon als „Schwager“ begrüßt! Am schlimmsten aber ist es um die deutschen Betten bestellt, die fast alle aus der Fabrik „Procrustes u. Comp.“ zu stammen scheinen, die schon im Alterthum so berüchtigt war. Sie sind schmal wie ein Sarg, und dazu kommt eine Decke die nicht größer ist als eine Serviette! Nur die Tugend der Deutschen und ihr gutes Gewissen können auf solchem Lager Ruhe finden, „ un Français ne peut pas dormir dans ces fosses de bois.“ Und obwohl er wochenlang in solchen Gräben gebettet lag, schwärmt der Verfasser den- noch für unser Land, dennoch ist es ihm hier so wohl daß er mit einer Art von Wehmuth von uns scheidet. Auch wir verlieren ungern sein Geleite. Denn in seinem Wesen sind jene Eigenschaften vereinigt die uns in inner- ster Seele ansprechen; die Gabe sie auszusprechen besitzt Legrelle wie wenige seiner Landsleute vor ihm. Es gibt eine Darstellungsweise die ohne leichtfertig zu sein, doch so lebendig und beweglich ist, daß sie dem ge- schriebenen Worte fast eine gewisse Mimik verleiht; daß wir den Autor reden hören, indem er schreibt. Die Zeit der wir entgegengehen ist dem Verständniß zwischen Deutsch- land und Frankreich nicht eben förderlich; denn auf Jahre und vielleicht Genera- tionen hinaus wird der Hader sich fortspinnen. Solange der Krieg noch währte mußte natürlich jeder Deutsche darauf beharren daß die volle Kraft unseres Schwertes walte, wie es der Uebermuth des Gegners verdient; allein wie der Kampf ehrlich war, so soll auch der Friede ehrlich sein, nachdem er nun wirklich geschlossen ist. Es liegt nicht im deut- schen Wesen auch dann noch die Streitpunkte anzufachen, sondern vielmehr die Berührungspunkte die uns übrig bleiben aufzusuchen; es liegt uns nicht bloß am Herzen den Feind zu besiegen, sondern auch ihn ohne Bitter- keit zu überzeugen warum er besiegt ward. Erst darin werden wir un- sere volle Genugthuung und die moralische Macht unseres Sieges finden. Dieser Sinn der Gerechtigkeit war von jeher die größte politische Tugend des deutschen Volkes, und in diesem Sinn heißen wir die Männer beider Nationen willkommen welche die Gaben eines edlen Verstandes der Verständigung widmen, wenn die Stunde derselben gekommen ist. Zu diesen Männern aber zählen wir Legrelle ohne Bedenken. Wir werden uns freuen wenn er nun nach Ablauf eines Decenniums wieder in unser Vaterland kommt; denn vielleicht wird er manche Anregung und manche neue Einsicht gewinnen. Daß auch wir bei seinem Besuche nur gewinnen können, das zeigt uns sein erstes meisterhaftes Buch. Dr. Julius Weisbach. B. O. Freiberg, 28 Febr. Gestern wurde in der alten Hauptbergstadt Freiberg ein Mann zur Ruhe geleitet dessen Name nicht bloß in den engen Gränzen seines Vaterlandes Sachsen, sondern weit über dieselben hinaus, in allen Ländern der Erde wo Wissenschaft blüht und gedeiht, einen ehren- vollen Klang hat. Dieser Mann war Dr. Julius Weisbach, königl. säch- sischer Oberbergrath und Professor an der hiesigen königl. Bergakademie. Der Dahingeschiedene war am 10 August 1806 auf der Eisenhütte Mittelschmiedeberg bei Annaberg ( im sächsischen Erzgebirge ) geboren, kam 1820 auf die damalige Hauptbergschule, 1822 auf die hiesige Bergakademie, gieng 1827 nach Göttingen und 1829 nach Wien, wo er die Vorlesungen an der Universität und dem polytechnischen Jnstitut besuchte. Jm fol- genden Jahre machte er eine bergmännische Reise durch den größten Theil der österreichischen Staaten und kehrte nach Freiberg zurück, wo er 1833 nach dem Tode des Professors Hecht als Lehrer der angewandten mathe- matischen Wissenschaften an der hiesigen Bergakademie eintrat. Jm Jahre 1835 übernahm er die Vorlesung über allgemeine Markscheidekunst, und nach dem Abgang des Professors Brückmann 1858 wurde ihm auch der Vortrag über Maschinenbaukunst übertragen. Früh schon hatte Weisbach seine Aufmerksamkeit ganz besonders der Hydraulik zugewendet, und die- selbe zu der Blüthe deren sie sich jetzt erfreut gebracht zu haben, ist ganz besonders sein Verdienst; namentlich ist durch die von ihm aufgestellte Jdee

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Peter Fankhauser: Transformation von TUSTEP nach TEI P5. Transformation von TEI P5 in das DTA TEI P5 Format.

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  • langes s (?): in Frakturschrift als s transkribiert, in Antiquaschrift beibehalten.
  • rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert.
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert.
  • Vollständigkeit: vollständig erfasst.
  • Zeichensetzung: DTABf-getreu.



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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 64. Augsburg (Bayern), 5. März 1871, S. 1087. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_augsburg64_1871/11>, abgerufen am 25.04.2024.