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Allgemeine Zeitung. Nr. 61. Augsburg (Bayern), 2. März 1871.

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[Spaltenumbruch] des Friedens daß in einzelnen Städten geflaggt und geschossen wurde;
aber nur um alsbald wieder die Flaggen einzuziehen, denn allmählich
kamen Nachrichten aus Brüssel von einer erheblichen Herabminderung
unserer Forderungen, der Zurückgabe von Belfort und einem neuen Waf-
fenstillstand bis zum 6 März. Als im Laufe des Nachmittags die Depesche
des Kaisers nach Berlin bekannt wurde, die nichts als die Unterzeichnung
der Präliminarien enthielt, glaubte man in den Brüsseler Nachrichten nur
französische Wünsche entdecken zu können, und die Zuversicht auf unsere
diplomatische Vertretung wuchs wieder; als aber noch am Abend eine
badische Ministerialdepesche durchs Land flog, welche die Brüsseler De-
pesche bestätigte, gab sich überall eine große Enttäuschung kund, welche
wohl von ganz Deutschland getheilt, aber nirgends so tief gefühlt wird
als gerade bis uns.

Erst sechs Wochen sind es her wo unser Südosten von einer starken
französischen Armee ernstlich bedroht wurde, wo nach einem halbjährigen
Kampfe mit lauter deutschen Siegen sich doch eine französische Armee bis
auf wenige Stunden unserer Gränze näherte, und nach noch einem einzigen
Tagemarsch das ganze Elsaß zu hellem Aufstand entflammen konnte, und
wo nur der heldenmüthige Widerstand des Werder'schen Corps mit der
badischen Division unter schweren Verlusten unser Land vor dem feind-
lichen Raubeinfall gerettet hat, und jetzt sollte das Bollwerk, vor dem
unsere Widerstandskraft sich jene uneinnehmbaren Stellungen an der
Lisaine geschaffen hatte, wenige Tage nachdem wir es mit Landwehr und
großen Verlusten bestürmt und dann durch diplomatische Mittel in unsere
deutsche Hand bekommen hatten, wieder herausgegeben werden an die
Franzosen, nachdem es sich so recht gezeigt welche furchtbare Ausfallpforte
Belfort gegen Deutschland bildet? Wahrlich, die Nachricht erschien den
meisten als geradezu unglaublich, und ich sah manchem wackern Mann, der
sonst keiner Gemüthsüberwältigung zugänglich war, die hellen Thränen
über das Antlitz rollen, und ich hörte Aeußerungen welche da auch mein-
ten: die Diplomatie habe wieder verdorben was die Armee gut gemacht
hatte.

Jch bin nicht derjenige welcher unsere großen Strategiker zu meistern
sich unterfängt, aber hier liegt doch im natürlichen Jnstincte des Volks
etwas das noch höher geht als strategische Bedenken und Zugeständnisse.
Es sind erst wenige Tage her daß man die Nothwendigkeit des Besitzes
von Belfort für Deutschland in einer Weise demonstrirte wie man
es bei keinem andern Waffenplatz, außer Straßburg, so schlagend ge-
than hatte. Nachdem man hundertfach das Minimum unserer Forderun-
gen dargelegt und begründet hatte, und vor Paris ein Waffenstillstand
abgeschlossen wurde, nahm man ausdrücklich das Operationsfeld im Osten
davon aus, denn hier lag noch der Theil des Oberelsaßes in französischem
Besitze der für uns als unumgänglich nothwendig erklärt wurde, und
noch vor dem Beginne der eigentlichen Friedensverhandlungen um jeden
Preis in unsere Hände gelangen sollte. Vor diesem Waffenplatze bluteten
in den Tagen des 15 -- 17 Jan. so viele unserer Söhne und Brüder, nur
um den Entsatz desselben durch die Franzosen zu verhindern, und von Ver-
sailles aus hat man auch den Kampf an der Lisaine für eine der größten
Waffenthaten aller Zeiten erklärt; nachher gieng man mit vermehrter Eile
und Energie daran um den Platz zum Falle zu bringen, und es wurde
sogar Landwehr zum Stürmen verwendet. Dann bedang man auf diplo-
matischem Wege die Uebergabe von Belfort in unsere Hände, offenbar nur
deßhalb um bei den Unterhandlungen bereits im Besitze des ganzen Gebiets
zu sein das wir verlangten.

Wenn je dem deutschen Hauptquartier die Möglichkeit vor Augen ge-
schwebt hätte auf der Erlangung von Belfort nicht zu bestehen, nachdem
man dasselbe so nachdrücklich verlangt hatte, so hätte man doch wahrlich
den Platz besser noch den Franzosen gelassen, und nicht die schweren Opfer
zu seiner Erlangung gebracht; denn man kann doch leichter auf etwas ver-
zichten was man noch nicht besitzt, als auf das was man mit so vielem
Blut bezahlen mußte und dem deutschen Volk als der höchsten Opfer werth
erklärte. Außerdem tritt aber bei Belfort noch ein Moment hervor das
man wohl zu beachten hat. Wir wollen die Wiedererlangung von Elsaß-
Lothringen hauptsächlich aus dem Grund um uns auf der Westgränze gegen
die Angriffe Frankreichs besser zu schützen, und erachteten dafür den Besitz
von Metz, Straßburg und Belfort als unumgänglich nothwendig. Alle
drei Plätze hatten sich bisher bewährt als die besten Ausfallpforten gegen
Deutschland und gewaltige Stützpunkte für einen Angriffskrieg; ob und
wie sich dieselben als Vertheidigungsstützen gegen den Westen bewähren,
darüber liegen aber noch gar keine Erfahrungen bezüglich der erstgenann-
ten Festungen vor, und in allen militärischen Kreisen wird ausdrücklich
hervorgehoben daß gegen einen neuen französischen Angriff noch neue for-
tificatorische Arbeiten unternommen werden müssen.

Belfort allein hat im Januar gezeigt daß es der Schlüssel zum Ober-
Elsaß und dem Schwarzwald ist; denn hatten wir noch während der Be-
[Spaltenumbruch] lagerung von Belfort dort einen unüberwindlichen Wall gegen einen drei-
fach so starken französischen Angriff gebildet, so würden wir, schon im Besitze
von Belfort, noch viel leichter den Feind haben abweisen und zurückwerfen
können. Kehrt dieser Platz nun an Frankreich zurück, so liegt nur wenige
Stunden von unserer Gränze und in unmittelbarer Nähe einer wider-
willigen Bevölkerung des Oberelsaßes diese französische Ausfallpforte, und
es ist die Frage ob wir auch mit dem Aufwand von vielen Millionen die-
selbe durch ein deutsches Werk werden paralysiren können. Die durch die
neuesten Depeschen hervorgerufene Enttäuschung hat daher gerade am
Oberrhein, wo wir der größten Gefahr erst in den letzten Wochen so unmittel-
bar nahe gerückt waren, eine ungemeine Mißstimmung hervorgerufen, und
dieselbe wird auch die Freude über den wirklichen Friedensschluß dämpfen,
wie überhaupt eine solche ganz unerwartete und für unmöglich gehaltene
Enttäuschung auf jeden Fall in diesem Zeitpunkt hätte vermieden werden
müssen, wo wir in wenigen Tagen die Wahlen in den Reichstag vorneh-
men, und die Gegner, ihre alten Vorwürfe gegen Preußen wieder hervor-
holend, sagen werden: es habe dieses wohl zu seinem besseren eigenen
Schutze das für die Franzosen schmerzlichste Opfer der Abtretung von Metz
durchgesetzt, aber dafür das für die Vertheidigung Süddeutschlands so
nothwendige Belfort den Franzosen aus Courtoisie zurückgegeben.

Die Mißstimmung wird aber auch noch gerade in dem Moment
erregt wo am Oberrhein ein wahres Werderfieber herrschte, und man sich
gegenseitig darin zu überbieten suchte wie man die tapfere Vertheidigung
vor Belfort würdig ehren könne. Nicht bloß Ehrengaben kamen für Werder
in Vorschlag, sondern Freiburg will dem Lebenden sogar schon ein Denk-
mal setzen, und andere Landestheile wollen ihm ein Landgut schenken. Auch
darauf wird diese Enttäuschung wie kaltes Wasser wirken, und ich halte es
daher für dringend nothwendig daß, sobald als möglich tüchtige strategische
Stimmen dieses Zugeständniß rechtfertigen, den Ersatz dafür bestimmt nach-
weisen und so wieder das Volk beruhigen. Heute wenigstens herrscht hier die
erwähnte Stimmung vor, die sich theilweise dazu verstieg die Abweisung der
Präliminarien in Bordeaux zu wünschen, und ziemlich allgemein die Ansicht
hervorrief daß die Rückgabe von Belfort nur um so eher die Franzosen zu
einem neuen Krieg gegen Deutschland veranlassen werde, in welchem wir
sodann das heute Versäumte nachholen müßten.

Es thut mir leid in diesem wichtigen Augenblick, wo wir endlich vor
dem ersehnten Frieden stehen, dieser Mißstimmung hier Ausdruck geben
zu müssen, aber sie offenbarte sich ja auch schon sofort in allen Zeitungen
des Landes welche diese Zurücknahme mit einem Frage= oder Ausrufungs-
zeichen begleiteten, und daher selbst daran zu glauben sich scheuten!

* Wir haben im vorstehenden die Aeußerungen unseres Hrn. Cor-
respondenten unverändert wiedergeben zu müssen geglaubt, da sie die An-
sichten eines ansehnlichen Theils der Bevölkerung Süddeutschlands zum
Ausdruck bringen, müssen aber bemerken daß wir dieselben -- insbesondere
soweit sie die große Wichtigkeit der Festung Belfort betreffen -- nicht für
richtig halten, und beziehen uns zum Belege dieser Meinung auf ein Urtheil
welches der militärische Berichterstatter der "Schles. Ztg." vor einiger Zeit,
als die Festung noch nicht genommen war, fällte. Derselbe, dessen Urtheile
sich bis jetzt immer als richtig und zutreffend erwiesen, schrieb: "Sollte auf
den Erwerb von Belfort vielleicht schließlich verzichtet werden müssen, so
würde uns das damit zu bringende Opfer als ein unschwer zu verschmerzen-
des erscheinen. Die Lage der Festung inmitten des natürlichen Thores
welches sich zwischen den Vogesen und dem Jura öffnet und das obere
Elsaß mit den Thälern des Oignon und des Doubs verbindet, gibt dem-
selben zwar strategische Wichtigkeit, dennoch aber möchten wir davon ab-
mahnen dieselbe zu überschätzen. Aller Voraussicht nach werden die fran-
zösischen Gebiete an den Gränzen der Schweiz auch in einem künftigen
Krieg immer nur ein secundäres Operationsgebiet bilden. Die Festung
Belfort ist schon ihren Dimensionen nach keiner von denjenigen festen
Plätzen welche bei einer Offensiv=Unternehmung gegen das obere Elsaß
dem Feind außerordentliche Vortheile zu gewähren vermöchten. Bleibt es
nicht in französischer Hand, so würde eintretenden Falles Besancon diesel-
ben und wohl noch bessere Dienste zu leisten vermögen... Eine deutsche
Offensive gegen das südliche Frankreich, wie sie dießmal eingeleitet wurde,
liegt jedenfalls nicht in dem Maß im Gebiete der Wahrscheinlichkeit daß
bei den neuen Gränzbestimmungen auf dieselbe in entscheidender Weise
Rücksicht genommen werden müßte; gegen eine Offensive von französischer
Seite aber würde uns ein großes verschanztes Lager bei Mülhausen und
Altkirch gewiß denselben, wenn nicht besseren, Schutz gewähren als der
Besitz von Belfort." Diesem Urtheil des Militärs darf noch der politische
Grund beigefügt werden: daß nämlich Belfort und seine nächste Umgebung
französisch ist, und daß aus diesem Grund eine Einverleibung desselben,
wenn nicht zwingende strategische Gründe dieselbe erheischen, unzweckmäßig
erscheint. Auch darf nicht vergessen werden daß die Schweiz in dem Verzicht
auf Belfort ein wichtiges Zugeständniß an ihre Jnteressen erblicken wird.
Seien wir zufrieden mit den Bedingungen des langersehnten Friedens;
sie enthalten mehr als wir je erwarten zu können glaubten!


[Spaltenumbruch] des Friedens daß in einzelnen Städten geflaggt und geschossen wurde;
aber nur um alsbald wieder die Flaggen einzuziehen, denn allmählich
kamen Nachrichten aus Brüssel von einer erheblichen Herabminderung
unserer Forderungen, der Zurückgabe von Belfort und einem neuen Waf-
fenstillstand bis zum 6 März. Als im Laufe des Nachmittags die Depesche
des Kaisers nach Berlin bekannt wurde, die nichts als die Unterzeichnung
der Präliminarien enthielt, glaubte man in den Brüsseler Nachrichten nur
französische Wünsche entdecken zu können, und die Zuversicht auf unsere
diplomatische Vertretung wuchs wieder; als aber noch am Abend eine
badische Ministerialdepesche durchs Land flog, welche die Brüsseler De-
pesche bestätigte, gab sich überall eine große Enttäuschung kund, welche
wohl von ganz Deutschland getheilt, aber nirgends so tief gefühlt wird
als gerade bis uns.

Erst sechs Wochen sind es her wo unser Südosten von einer starken
französischen Armee ernstlich bedroht wurde, wo nach einem halbjährigen
Kampfe mit lauter deutschen Siegen sich doch eine französische Armee bis
auf wenige Stunden unserer Gränze näherte, und nach noch einem einzigen
Tagemarsch das ganze Elsaß zu hellem Aufstand entflammen konnte, und
wo nur der heldenmüthige Widerstand des Werder'schen Corps mit der
badischen Division unter schweren Verlusten unser Land vor dem feind-
lichen Raubeinfall gerettet hat, und jetzt sollte das Bollwerk, vor dem
unsere Widerstandskraft sich jene uneinnehmbaren Stellungen an der
Lisaine geschaffen hatte, wenige Tage nachdem wir es mit Landwehr und
großen Verlusten bestürmt und dann durch diplomatische Mittel in unsere
deutsche Hand bekommen hatten, wieder herausgegeben werden an die
Franzosen, nachdem es sich so recht gezeigt welche furchtbare Ausfallpforte
Belfort gegen Deutschland bildet? Wahrlich, die Nachricht erschien den
meisten als geradezu unglaublich, und ich sah manchem wackern Mann, der
sonst keiner Gemüthsüberwältigung zugänglich war, die hellen Thränen
über das Antlitz rollen, und ich hörte Aeußerungen welche da auch mein-
ten: die Diplomatie habe wieder verdorben was die Armee gut gemacht
hatte.

Jch bin nicht derjenige welcher unsere großen Strategiker zu meistern
sich unterfängt, aber hier liegt doch im natürlichen Jnstincte des Volks
etwas das noch höher geht als strategische Bedenken und Zugeständnisse.
Es sind erst wenige Tage her daß man die Nothwendigkeit des Besitzes
von Belfort für Deutschland in einer Weise demonstrirte wie man
es bei keinem andern Waffenplatz, außer Straßburg, so schlagend ge-
than hatte. Nachdem man hundertfach das Minimum unserer Forderun-
gen dargelegt und begründet hatte, und vor Paris ein Waffenstillstand
abgeschlossen wurde, nahm man ausdrücklich das Operationsfeld im Osten
davon aus, denn hier lag noch der Theil des Oberelsaßes in französischem
Besitze der für uns als unumgänglich nothwendig erklärt wurde, und
noch vor dem Beginne der eigentlichen Friedensverhandlungen um jeden
Preis in unsere Hände gelangen sollte. Vor diesem Waffenplatze bluteten
in den Tagen des 15 -- 17 Jan. so viele unserer Söhne und Brüder, nur
um den Entsatz desselben durch die Franzosen zu verhindern, und von Ver-
sailles aus hat man auch den Kampf an der Lisaine für eine der größten
Waffenthaten aller Zeiten erklärt; nachher gieng man mit vermehrter Eile
und Energie daran um den Platz zum Falle zu bringen, und es wurde
sogar Landwehr zum Stürmen verwendet. Dann bedang man auf diplo-
matischem Wege die Uebergabe von Belfort in unsere Hände, offenbar nur
deßhalb um bei den Unterhandlungen bereits im Besitze des ganzen Gebiets
zu sein das wir verlangten.

Wenn je dem deutschen Hauptquartier die Möglichkeit vor Augen ge-
schwebt hätte auf der Erlangung von Belfort nicht zu bestehen, nachdem
man dasselbe so nachdrücklich verlangt hatte, so hätte man doch wahrlich
den Platz besser noch den Franzosen gelassen, und nicht die schweren Opfer
zu seiner Erlangung gebracht; denn man kann doch leichter auf etwas ver-
zichten was man noch nicht besitzt, als auf das was man mit so vielem
Blut bezahlen mußte und dem deutschen Volk als der höchsten Opfer werth
erklärte. Außerdem tritt aber bei Belfort noch ein Moment hervor das
man wohl zu beachten hat. Wir wollen die Wiedererlangung von Elsaß-
Lothringen hauptsächlich aus dem Grund um uns auf der Westgränze gegen
die Angriffe Frankreichs besser zu schützen, und erachteten dafür den Besitz
von Metz, Straßburg und Belfort als unumgänglich nothwendig. Alle
drei Plätze hatten sich bisher bewährt als die besten Ausfallpforten gegen
Deutschland und gewaltige Stützpunkte für einen Angriffskrieg; ob und
wie sich dieselben als Vertheidigungsstützen gegen den Westen bewähren,
darüber liegen aber noch gar keine Erfahrungen bezüglich der erstgenann-
ten Festungen vor, und in allen militärischen Kreisen wird ausdrücklich
hervorgehoben daß gegen einen neuen französischen Angriff noch neue for-
tificatorische Arbeiten unternommen werden müssen.

Belfort allein hat im Januar gezeigt daß es der Schlüssel zum Ober-
Elsaß und dem Schwarzwald ist; denn hatten wir noch während der Be-
[Spaltenumbruch] lagerung von Belfort dort einen unüberwindlichen Wall gegen einen drei-
fach so starken französischen Angriff gebildet, so würden wir, schon im Besitze
von Belfort, noch viel leichter den Feind haben abweisen und zurückwerfen
können. Kehrt dieser Platz nun an Frankreich zurück, so liegt nur wenige
Stunden von unserer Gränze und in unmittelbarer Nähe einer wider-
willigen Bevölkerung des Oberelsaßes diese französische Ausfallpforte, und
es ist die Frage ob wir auch mit dem Aufwand von vielen Millionen die-
selbe durch ein deutsches Werk werden paralysiren können. Die durch die
neuesten Depeschen hervorgerufene Enttäuschung hat daher gerade am
Oberrhein, wo wir der größten Gefahr erst in den letzten Wochen so unmittel-
bar nahe gerückt waren, eine ungemeine Mißstimmung hervorgerufen, und
dieselbe wird auch die Freude über den wirklichen Friedensschluß dämpfen,
wie überhaupt eine solche ganz unerwartete und für unmöglich gehaltene
Enttäuschung auf jeden Fall in diesem Zeitpunkt hätte vermieden werden
müssen, wo wir in wenigen Tagen die Wahlen in den Reichstag vorneh-
men, und die Gegner, ihre alten Vorwürfe gegen Preußen wieder hervor-
holend, sagen werden: es habe dieses wohl zu seinem besseren eigenen
Schutze das für die Franzosen schmerzlichste Opfer der Abtretung von Metz
durchgesetzt, aber dafür das für die Vertheidigung Süddeutschlands so
nothwendige Belfort den Franzosen aus Courtoisie zurückgegeben.

Die Mißstimmung wird aber auch noch gerade in dem Moment
erregt wo am Oberrhein ein wahres Werderfieber herrschte, und man sich
gegenseitig darin zu überbieten suchte wie man die tapfere Vertheidigung
vor Belfort würdig ehren könne. Nicht bloß Ehrengaben kamen für Werder
in Vorschlag, sondern Freiburg will dem Lebenden sogar schon ein Denk-
mal setzen, und andere Landestheile wollen ihm ein Landgut schenken. Auch
darauf wird diese Enttäuschung wie kaltes Wasser wirken, und ich halte es
daher für dringend nothwendig daß, sobald als möglich tüchtige strategische
Stimmen dieses Zugeständniß rechtfertigen, den Ersatz dafür bestimmt nach-
weisen und so wieder das Volk beruhigen. Heute wenigstens herrscht hier die
erwähnte Stimmung vor, die sich theilweise dazu verstieg die Abweisung der
Präliminarien in Bordeaux zu wünschen, und ziemlich allgemein die Ansicht
hervorrief daß die Rückgabe von Belfort nur um so eher die Franzosen zu
einem neuen Krieg gegen Deutschland veranlassen werde, in welchem wir
sodann das heute Versäumte nachholen müßten.

Es thut mir leid in diesem wichtigen Augenblick, wo wir endlich vor
dem ersehnten Frieden stehen, dieser Mißstimmung hier Ausdruck geben
zu müssen, aber sie offenbarte sich ja auch schon sofort in allen Zeitungen
des Landes welche diese Zurücknahme mit einem Frage= oder Ausrufungs-
zeichen begleiteten, und daher selbst daran zu glauben sich scheuten!

* Wir haben im vorstehenden die Aeußerungen unseres Hrn. Cor-
respondenten unverändert wiedergeben zu müssen geglaubt, da sie die An-
sichten eines ansehnlichen Theils der Bevölkerung Süddeutschlands zum
Ausdruck bringen, müssen aber bemerken daß wir dieselben -- insbesondere
soweit sie die große Wichtigkeit der Festung Belfort betreffen -- nicht für
richtig halten, und beziehen uns zum Belege dieser Meinung auf ein Urtheil
welches der militärische Berichterstatter der „Schles. Ztg.“ vor einiger Zeit,
als die Festung noch nicht genommen war, fällte. Derselbe, dessen Urtheile
sich bis jetzt immer als richtig und zutreffend erwiesen, schrieb: „Sollte auf
den Erwerb von Belfort vielleicht schließlich verzichtet werden müssen, so
würde uns das damit zu bringende Opfer als ein unschwer zu verschmerzen-
des erscheinen. Die Lage der Festung inmitten des natürlichen Thores
welches sich zwischen den Vogesen und dem Jura öffnet und das obere
Elsaß mit den Thälern des Oignon und des Doubs verbindet, gibt dem-
selben zwar strategische Wichtigkeit, dennoch aber möchten wir davon ab-
mahnen dieselbe zu überschätzen. Aller Voraussicht nach werden die fran-
zösischen Gebiete an den Gränzen der Schweiz auch in einem künftigen
Krieg immer nur ein secundäres Operationsgebiet bilden. Die Festung
Belfort ist schon ihren Dimensionen nach keiner von denjenigen festen
Plätzen welche bei einer Offensiv=Unternehmung gegen das obere Elsaß
dem Feind außerordentliche Vortheile zu gewähren vermöchten. Bleibt es
nicht in französischer Hand, so würde eintretenden Falles Besançon diesel-
ben und wohl noch bessere Dienste zu leisten vermögen... Eine deutsche
Offensive gegen das südliche Frankreich, wie sie dießmal eingeleitet wurde,
liegt jedenfalls nicht in dem Maß im Gebiete der Wahrscheinlichkeit daß
bei den neuen Gränzbestimmungen auf dieselbe in entscheidender Weise
Rücksicht genommen werden müßte; gegen eine Offensive von französischer
Seite aber würde uns ein großes verschanztes Lager bei Mülhausen und
Altkirch gewiß denselben, wenn nicht besseren, Schutz gewähren als der
Besitz von Belfort.“ Diesem Urtheil des Militärs darf noch der politische
Grund beigefügt werden: daß nämlich Belfort und seine nächste Umgebung
französisch ist, und daß aus diesem Grund eine Einverleibung desselben,
wenn nicht zwingende strategische Gründe dieselbe erheischen, unzweckmäßig
erscheint. Auch darf nicht vergessen werden daß die Schweiz in dem Verzicht
auf Belfort ein wichtiges Zugeständniß an ihre Jnteressen erblicken wird.
Seien wir zufrieden mit den Bedingungen des langersehnten Friedens;
sie enthalten mehr als wir je erwarten zu können glaubten!


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[1022/0002] des Friedens daß in einzelnen Städten geflaggt und geschossen wurde; aber nur um alsbald wieder die Flaggen einzuziehen, denn allmählich kamen Nachrichten aus Brüssel von einer erheblichen Herabminderung unserer Forderungen, der Zurückgabe von Belfort und einem neuen Waf- fenstillstand bis zum 6 März. Als im Laufe des Nachmittags die Depesche des Kaisers nach Berlin bekannt wurde, die nichts als die Unterzeichnung der Präliminarien enthielt, glaubte man in den Brüsseler Nachrichten nur französische Wünsche entdecken zu können, und die Zuversicht auf unsere diplomatische Vertretung wuchs wieder; als aber noch am Abend eine badische Ministerialdepesche durchs Land flog, welche die Brüsseler De- pesche bestätigte, gab sich überall eine große Enttäuschung kund, welche wohl von ganz Deutschland getheilt, aber nirgends so tief gefühlt wird als gerade bis uns. Erst sechs Wochen sind es her wo unser Südosten von einer starken französischen Armee ernstlich bedroht wurde, wo nach einem halbjährigen Kampfe mit lauter deutschen Siegen sich doch eine französische Armee bis auf wenige Stunden unserer Gränze näherte, und nach noch einem einzigen Tagemarsch das ganze Elsaß zu hellem Aufstand entflammen konnte, und wo nur der heldenmüthige Widerstand des Werder'schen Corps mit der badischen Division unter schweren Verlusten unser Land vor dem feind- lichen Raubeinfall gerettet hat, und jetzt sollte das Bollwerk, vor dem unsere Widerstandskraft sich jene uneinnehmbaren Stellungen an der Lisaine geschaffen hatte, wenige Tage nachdem wir es mit Landwehr und großen Verlusten bestürmt und dann durch diplomatische Mittel in unsere deutsche Hand bekommen hatten, wieder herausgegeben werden an die Franzosen, nachdem es sich so recht gezeigt welche furchtbare Ausfallpforte Belfort gegen Deutschland bildet? Wahrlich, die Nachricht erschien den meisten als geradezu unglaublich, und ich sah manchem wackern Mann, der sonst keiner Gemüthsüberwältigung zugänglich war, die hellen Thränen über das Antlitz rollen, und ich hörte Aeußerungen welche da auch mein- ten: die Diplomatie habe wieder verdorben was die Armee gut gemacht hatte. Jch bin nicht derjenige welcher unsere großen Strategiker zu meistern sich unterfängt, aber hier liegt doch im natürlichen Jnstincte des Volks etwas das noch höher geht als strategische Bedenken und Zugeständnisse. Es sind erst wenige Tage her daß man die Nothwendigkeit des Besitzes von Belfort für Deutschland in einer Weise demonstrirte wie man es bei keinem andern Waffenplatz, außer Straßburg, so schlagend ge- than hatte. Nachdem man hundertfach das Minimum unserer Forderun- gen dargelegt und begründet hatte, und vor Paris ein Waffenstillstand abgeschlossen wurde, nahm man ausdrücklich das Operationsfeld im Osten davon aus, denn hier lag noch der Theil des Oberelsaßes in französischem Besitze der für uns als unumgänglich nothwendig erklärt wurde, und noch vor dem Beginne der eigentlichen Friedensverhandlungen um jeden Preis in unsere Hände gelangen sollte. Vor diesem Waffenplatze bluteten in den Tagen des 15 -- 17 Jan. so viele unserer Söhne und Brüder, nur um den Entsatz desselben durch die Franzosen zu verhindern, und von Ver- sailles aus hat man auch den Kampf an der Lisaine für eine der größten Waffenthaten aller Zeiten erklärt; nachher gieng man mit vermehrter Eile und Energie daran um den Platz zum Falle zu bringen, und es wurde sogar Landwehr zum Stürmen verwendet. Dann bedang man auf diplo- matischem Wege die Uebergabe von Belfort in unsere Hände, offenbar nur deßhalb um bei den Unterhandlungen bereits im Besitze des ganzen Gebiets zu sein das wir verlangten. Wenn je dem deutschen Hauptquartier die Möglichkeit vor Augen ge- schwebt hätte auf der Erlangung von Belfort nicht zu bestehen, nachdem man dasselbe so nachdrücklich verlangt hatte, so hätte man doch wahrlich den Platz besser noch den Franzosen gelassen, und nicht die schweren Opfer zu seiner Erlangung gebracht; denn man kann doch leichter auf etwas ver- zichten was man noch nicht besitzt, als auf das was man mit so vielem Blut bezahlen mußte und dem deutschen Volk als der höchsten Opfer werth erklärte. Außerdem tritt aber bei Belfort noch ein Moment hervor das man wohl zu beachten hat. Wir wollen die Wiedererlangung von Elsaß- Lothringen hauptsächlich aus dem Grund um uns auf der Westgränze gegen die Angriffe Frankreichs besser zu schützen, und erachteten dafür den Besitz von Metz, Straßburg und Belfort als unumgänglich nothwendig. Alle drei Plätze hatten sich bisher bewährt als die besten Ausfallpforten gegen Deutschland und gewaltige Stützpunkte für einen Angriffskrieg; ob und wie sich dieselben als Vertheidigungsstützen gegen den Westen bewähren, darüber liegen aber noch gar keine Erfahrungen bezüglich der erstgenann- ten Festungen vor, und in allen militärischen Kreisen wird ausdrücklich hervorgehoben daß gegen einen neuen französischen Angriff noch neue for- tificatorische Arbeiten unternommen werden müssen. Belfort allein hat im Januar gezeigt daß es der Schlüssel zum Ober- Elsaß und dem Schwarzwald ist; denn hatten wir noch während der Be- lagerung von Belfort dort einen unüberwindlichen Wall gegen einen drei- fach so starken französischen Angriff gebildet, so würden wir, schon im Besitze von Belfort, noch viel leichter den Feind haben abweisen und zurückwerfen können. Kehrt dieser Platz nun an Frankreich zurück, so liegt nur wenige Stunden von unserer Gränze und in unmittelbarer Nähe einer wider- willigen Bevölkerung des Oberelsaßes diese französische Ausfallpforte, und es ist die Frage ob wir auch mit dem Aufwand von vielen Millionen die- selbe durch ein deutsches Werk werden paralysiren können. Die durch die neuesten Depeschen hervorgerufene Enttäuschung hat daher gerade am Oberrhein, wo wir der größten Gefahr erst in den letzten Wochen so unmittel- bar nahe gerückt waren, eine ungemeine Mißstimmung hervorgerufen, und dieselbe wird auch die Freude über den wirklichen Friedensschluß dämpfen, wie überhaupt eine solche ganz unerwartete und für unmöglich gehaltene Enttäuschung auf jeden Fall in diesem Zeitpunkt hätte vermieden werden müssen, wo wir in wenigen Tagen die Wahlen in den Reichstag vorneh- men, und die Gegner, ihre alten Vorwürfe gegen Preußen wieder hervor- holend, sagen werden: es habe dieses wohl zu seinem besseren eigenen Schutze das für die Franzosen schmerzlichste Opfer der Abtretung von Metz durchgesetzt, aber dafür das für die Vertheidigung Süddeutschlands so nothwendige Belfort den Franzosen aus Courtoisie zurückgegeben. Die Mißstimmung wird aber auch noch gerade in dem Moment erregt wo am Oberrhein ein wahres Werderfieber herrschte, und man sich gegenseitig darin zu überbieten suchte wie man die tapfere Vertheidigung vor Belfort würdig ehren könne. Nicht bloß Ehrengaben kamen für Werder in Vorschlag, sondern Freiburg will dem Lebenden sogar schon ein Denk- mal setzen, und andere Landestheile wollen ihm ein Landgut schenken. Auch darauf wird diese Enttäuschung wie kaltes Wasser wirken, und ich halte es daher für dringend nothwendig daß, sobald als möglich tüchtige strategische Stimmen dieses Zugeständniß rechtfertigen, den Ersatz dafür bestimmt nach- weisen und so wieder das Volk beruhigen. Heute wenigstens herrscht hier die erwähnte Stimmung vor, die sich theilweise dazu verstieg die Abweisung der Präliminarien in Bordeaux zu wünschen, und ziemlich allgemein die Ansicht hervorrief daß die Rückgabe von Belfort nur um so eher die Franzosen zu einem neuen Krieg gegen Deutschland veranlassen werde, in welchem wir sodann das heute Versäumte nachholen müßten. Es thut mir leid in diesem wichtigen Augenblick, wo wir endlich vor dem ersehnten Frieden stehen, dieser Mißstimmung hier Ausdruck geben zu müssen, aber sie offenbarte sich ja auch schon sofort in allen Zeitungen des Landes welche diese Zurücknahme mit einem Frage= oder Ausrufungs- zeichen begleiteten, und daher selbst daran zu glauben sich scheuten! * Wir haben im vorstehenden die Aeußerungen unseres Hrn. Cor- respondenten unverändert wiedergeben zu müssen geglaubt, da sie die An- sichten eines ansehnlichen Theils der Bevölkerung Süddeutschlands zum Ausdruck bringen, müssen aber bemerken daß wir dieselben -- insbesondere soweit sie die große Wichtigkeit der Festung Belfort betreffen -- nicht für richtig halten, und beziehen uns zum Belege dieser Meinung auf ein Urtheil welches der militärische Berichterstatter der „Schles. Ztg.“ vor einiger Zeit, als die Festung noch nicht genommen war, fällte. Derselbe, dessen Urtheile sich bis jetzt immer als richtig und zutreffend erwiesen, schrieb: „Sollte auf den Erwerb von Belfort vielleicht schließlich verzichtet werden müssen, so würde uns das damit zu bringende Opfer als ein unschwer zu verschmerzen- des erscheinen. Die Lage der Festung inmitten des natürlichen Thores welches sich zwischen den Vogesen und dem Jura öffnet und das obere Elsaß mit den Thälern des Oignon und des Doubs verbindet, gibt dem- selben zwar strategische Wichtigkeit, dennoch aber möchten wir davon ab- mahnen dieselbe zu überschätzen. Aller Voraussicht nach werden die fran- zösischen Gebiete an den Gränzen der Schweiz auch in einem künftigen Krieg immer nur ein secundäres Operationsgebiet bilden. Die Festung Belfort ist schon ihren Dimensionen nach keiner von denjenigen festen Plätzen welche bei einer Offensiv=Unternehmung gegen das obere Elsaß dem Feind außerordentliche Vortheile zu gewähren vermöchten. Bleibt es nicht in französischer Hand, so würde eintretenden Falles Besançon diesel- ben und wohl noch bessere Dienste zu leisten vermögen... Eine deutsche Offensive gegen das südliche Frankreich, wie sie dießmal eingeleitet wurde, liegt jedenfalls nicht in dem Maß im Gebiete der Wahrscheinlichkeit daß bei den neuen Gränzbestimmungen auf dieselbe in entscheidender Weise Rücksicht genommen werden müßte; gegen eine Offensive von französischer Seite aber würde uns ein großes verschanztes Lager bei Mülhausen und Altkirch gewiß denselben, wenn nicht besseren, Schutz gewähren als der Besitz von Belfort.“ Diesem Urtheil des Militärs darf noch der politische Grund beigefügt werden: daß nämlich Belfort und seine nächste Umgebung französisch ist, und daß aus diesem Grund eine Einverleibung desselben, wenn nicht zwingende strategische Gründe dieselbe erheischen, unzweckmäßig erscheint. Auch darf nicht vergessen werden daß die Schweiz in dem Verzicht auf Belfort ein wichtiges Zugeständniß an ihre Jnteressen erblicken wird. Seien wir zufrieden mit den Bedingungen des langersehnten Friedens; sie enthalten mehr als wir je erwarten zu können glaubten!

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  • Vollständigkeit: vollständig erfasst.
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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 61. Augsburg (Bayern), 2. März 1871, S. 1022. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_augsburg61_1871/2>, abgerufen am 28.03.2024.