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Der Arbeitgeber. Nr. 668. Frankfurt a. M., 18. Februar 1870.

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[Spaltenumbruch] auch keinem Vernünftigen ein; also wozu sich an einer Wissenschaft stoßen,
welche durchaus noch nicht zu ihren letzten Resultaten gekommen ist, weil
sie sich vorerst noch zur Sozialwissenschaft auszubilden hat. Jn die
Schule gehört aber überhaupt keine Wissenschaft, sie heiße wie sie wolle,
sondern nur Unterricht, und zwar solcher, der darnach strebt, sich so
eng als möglich an das nach humanen Prinzipien geartete Leben zu
lehnen; sonst müßte man die Kinder ja belügen, während man ihnen
doch nur das Beste zu geben pflegt. Will man die Jugend wirth-
schaftlich belehren, so wird man sich weder als Weltverbesserer geriren,
wie das so häufig geschieht, um den Leuten die Dinge leicht zu
machen und ihnen die persönliche Verantwortlichkeit zu nehmen, noch
gewisse unerfindliche Begriffe und Gesetze erläutern, über welche sich
die Fachgelehrten herumstreiten, noch aus einer unvollständigen Reihe
von Thatsachen einseitige und falsche Schlüsse ziehen, sondern wird
in erster Linie darauf ausgehen, unbestreitbare Thatsachen und Beob-
achtungen vorzubringen, welche zum richtigen Nachdenken anregen,
womit wohl das Beste erreicht sein wird, was der Unterricht über-
haupt fertig bringen kann; denn das richtige Handeln ist Sache des
praktischen Lebens. Aus der Volkswirthschaftslehre gar Verhaltungs-
regeln fürs Handeln ableiten zu wollen, wäre gar zu utilitarisch und
sehr unpädagogisch. Hat ein Knabe am rechten Stoffe in rechter
Weise denken gelernt, so wird er vorkommendenfalls auch recht handeln,
wenigstens hätte er es thun können. Der Jrrthum sollte aber heut-
zutage verbannt sein, als ob man formaliter denken lernen und später
die concreten Dinge doch richtig auffassen und sofort richtig handeln
könnte; denn das ist ohne neue Unterweisung nicht möglich. Wir
halten es daher für geboten, die Unterrichtsstoffe so zu wählen, daß
sie dem Leben so nahe als nur immer möglich liegen und Alles
ferne zu halten, was erst auf Umwegen, die öfters viel zu weit vom
Ziele abführen und in der Regel gar nicht bis dahin verfolgt wer-
den, zum richtigen Denken und Handeln führen könnte. Das im
Allgemeinen. Wenn nun ein Kritikus gesagt hat: "Aufgabe der
gewöhnlichen Volkswirthschaft ist, den Menschen als ein Wesen mit
unendlichen ( ! ) Bedürfnissen ( als einen Nimmersatt ) darzustellen, deren
Befriedigung die Aufgabe der Volkswirthschaft ist. Die Bedürfnisse
wachsen mit der Kultur, viele Bedürfnisse sind ein Zeichen hoher
Kultur, also muß die Produktion möglichst viele derselben zu befrie-
digen suchen, muß sich fortwährend steigern. Dazu gehört möglichst
großes Kapital und höchste Ausnutzung der Arbeit. Beide Produk-
tionsfaktoren regulirt das Naturgesetz von Angebot und Nachfrage,
wie das Gesetz der Schwere die Himmelskörper", so hat der volks-
wirthschaftliche Schulunterricht mit alledem gar nichts zu schaffen;
denn das mögen die Herrn erst unter sich ausmachen. Die Schule
kann aber nicht warten, bis die Gelehrten einig sind; es wäre das
gerade, als ob sie mit der religiösen Bildung zuwarten wollte, bis alle
Theologen einig wären.

Das wirthschaftliche Leben ergreift nach der gewöhnlichen Schul-
zeit wie ein ungeheures Rad mit unwiderstehlicher Gewalt unsere
Jugend, und die Erfahrung lehrt uns, daß nur eine geringe Zahl
junger Leute zur wirthschaftlichen Selbständigkeit gelangt -- wie man
oberflächlich behauptet, aus Mangel an wirthschaftlicher Energie und
Uebermaß an frühzeitigen Bedürfnissen. Wir leben aber in einer
Uebergangszeit, wo alte Gewohnheiten mit höheren Anforderungen
im Kampfe liegen; die Alten sprechen von früheren, leichteren Lebens-
verhältnissen und haben ihre Bedürfnisse in bewußter oder unbewußter
Weise über die Maßen ausgedehnt, auch die Kinder in den Strudel
mithineingezogen. Ohne weiter zu gehen, halte ich es für dringende
Pflicht der Schule, diesen Verhältnissen Rechnung zu tragen und
auf unterrichtlichem Wege die Erwerbsfähigkeit zu steigern, damit die
Jugend so wohl vorbereitet als möglich den Kampf ums Dasein
antreten kann. Das kann aber nicht besser geschehen, als wenn man
die Erscheinungen des wirthschaftlichen Lebens in den Unterricht ein-
führt, sei es gelegentlich oder im Zusammenhang.

Es handelt sich dabei weder um Manchesterweisheit, noch um
Lassallische Grundsätze, noch um Jakoby'sche Ansichten, sondern um
die Erkenntniß höchst einfacher und deshalb unerbittlicher Thatsachen,
welche uns zeigen, daß wir heutzutage und je länger je mehr die
Ohren spitzen, die Augen schärfen, die Hände rühren müssen, um
durchzukommen. -- Das verlangt die blinde Nothwendigkeit, aus
welcher wir uns aber herausarbeiten, um zur freien Bethätigung
unserer Kräfte zu gelangen; denn die Arbeit, der Erwerb, der Besitz
führt zur Freiheit, die Armuth zur Sklaverei.

Wir glauben nunmehr unsern Standpunkt in der Frage genü-
[Spaltenumbruch] gend angedeutet zu haben und werden in der Folge die betreffende
Literatur verfolgen, um das nöthige Material für den volkswirth-
schaftlichen Schulunterricht zu sammeln.

Die Sage von dem Verfall der Welt

taucht von Zeit zu Zeit stets wieder auf, und kehrt widerlegt doch
immer wieder; sie ist vermuthlich so alt wie das Menschengeschlecht
selbst, sie ist die Zwillings=Schwester der Sage von der guten alten
Zeit ( da wir noch jung waren und noch kein Zipperlein hatten ) .

Aus Breslau erhalten wir darüber folgende Zuschrift, der wir
gerne Raum gönnen, weil sie den Beweis liefert, wie mangelhaft
noch die Kenntnisse von den Lehren der Volkswirthschaft, und welch'
falsche Angaben über faktische wirthschaftliche Zustände verbreitet sind.

"Jch habe heute, lautet die Zuschrift, No. 662 des " Arbeit-
geber " erhalten, worin Sie sagen: der "Arbeitgeber" kämpfe für das
materielle Wohlergehen des Volkes. Diese Aufgabe zu lösen habe
ich schon seit 1829 gearbeitet, als ich das Fabrikenelend in England
entstehen sah. Jn Jhren Aufsätzen räsoniren Sie sehr viel, aber das
nützt doch nichts, so lange man nicht Mittel angibt, wie man es
besser machen soll. Wir sehen, daß jede Fabrikstadt wo das Fabriken-
wesen bis in die dritte Generation kommt verarmt und verwildert?
wie kommt denn das? Manchester, Elberfeld, Barmen ec.

Wir sehen von allen Produkten menschlicher Arbeit ungeheure
Vorräthe, die Märkte überfüllt, so daß man die Waaren in's Aus-
land zu schaffen sucht, und die Arbeiter haben Mangel an diesen
Dingen; Unmassen Leinwand und daneben zerrissene Hemden. An
Baumaterial kein Mangel, und daneben schlechte Wohnungen? Jn
der Fabrikstadt haben die Kinder keine Erziehung und Pflege, und
die Alten kommen um.

Alle industriellen Anstalten sinken im Preise und schon viele
sind unter den Hammer gekommen, und weit unter dem Kostenpreise
verkauft worden? und diese Entwerthung steigt stetig fort, nicht nur
einzeln, sondern im Ganzen. Jm Jahre 1835 waren in Breslau
noch nicht der vierte Theil aller Ehen, die geschlossen wurden in die
besitzlosen Klassen, als Gesellen aller Art, Haushälter, Tagearbeiter ec.
zu zählen, und heute sind das schon 5 / 6, und bei 2 / 3 hat die Braut
keinen Kranz mehr. Woher kommt denn das?

Die besten englischen Eisenbahnen bringen kaum noch die Unter-
haltungskosten, und die Spinnereien arbeiten kaum halbe Zeit, und
Tausende hungern und darben in dem von Gott reich gesegneten
Lande, so daß man überall fürchten muß angefallen zu werden. Es
ist nicht genug, daß man darüber räsonirt, sondern es kommt darauf
an, den Grund des Uebels zu finden, denn nur dann kann man
Heilmittel angeben.

Jhr Blatt schwärmt für die Gewerkvereine, und in England
sehen wir, daß ihre Wirksamkeit immer traurigere Folgen hat, das
Elend nicht heilt, sondern Oel in's Feuer gießt.

Der Gewerkverein zu Waldenburg verlangt für die Arbeiter
höheren Lohn, und schon arbeiten mehrere Gruben nicht nur ohne
Nutzen, sondern erfordern noch Zubuße. Wo sollen denn diese das
Geld hernehmen, um höhere Löhne zu zahlen? Die dortigen Arbeiter
sind aber immer noch besser bezahlt, wie unsere hier in Breslau.
Jch war kürzlich in einer Oelmühle, und der Besitzer sagte, ich wollte
gern mehr Lohn als 10 Sgr. geben, aber ich verliere so schon an
jedem Centner Oel einen halben Thaler! und wenn der Oelpreis
nicht steigt muß ich ganz aufhören. Woher kommt denn das?
Wollen Sie die Beantwortung solcher Fragen in Jhr Blatt auf-
nehmen, so will ich sie Jhnen schicken ( sehr gern. A. d. R. ) , es
wird Jhnen freilich manches nicht passen, denn Sie halten Gesetz-
losigkeit für Freiheit, und wissen nicht was Ordnung ist,
ohne welche keine Freiheit möglich ist, darum führt Jhr
Weg ins Verderben.
Sie machen auf einer Seite Gewerbefreiheit,
und auf der andern Konsumvereine, in denen die Gewerbefreiheit keinen
Platz hat; Sie sagen Nachfrage und Angebot regeln den Preis, und
empfehlen Gewerkvereine, welche den Lohn eigenmächtig erzwingen
wollen, schlimmer als es je eine Zunft thun konnte, ja nie ge-
than hat.    H.

Es wird uns hier vorgeworfen, wir raisonirten viel und gäben
keine Mittel an, wie das Wohl des Volkes zu fördern sei. Dieser
Vorwurf kann doch wohl nur von einer mangelhaften Kenntniß

[Spaltenumbruch] auch keinem Vernünftigen ein; also wozu sich an einer Wissenschaft stoßen,
welche durchaus noch nicht zu ihren letzten Resultaten gekommen ist, weil
sie sich vorerst noch zur Sozialwissenschaft auszubilden hat. Jn die
Schule gehört aber überhaupt keine Wissenschaft, sie heiße wie sie wolle,
sondern nur Unterricht, und zwar solcher, der darnach strebt, sich so
eng als möglich an das nach humanen Prinzipien geartete Leben zu
lehnen; sonst müßte man die Kinder ja belügen, während man ihnen
doch nur das Beste zu geben pflegt. Will man die Jugend wirth-
schaftlich belehren, so wird man sich weder als Weltverbesserer geriren,
wie das so häufig geschieht, um den Leuten die Dinge leicht zu
machen und ihnen die persönliche Verantwortlichkeit zu nehmen, noch
gewisse unerfindliche Begriffe und Gesetze erläutern, über welche sich
die Fachgelehrten herumstreiten, noch aus einer unvollständigen Reihe
von Thatsachen einseitige und falsche Schlüsse ziehen, sondern wird
in erster Linie darauf ausgehen, unbestreitbare Thatsachen und Beob-
achtungen vorzubringen, welche zum richtigen Nachdenken anregen,
womit wohl das Beste erreicht sein wird, was der Unterricht über-
haupt fertig bringen kann; denn das richtige Handeln ist Sache des
praktischen Lebens. Aus der Volkswirthschaftslehre gar Verhaltungs-
regeln fürs Handeln ableiten zu wollen, wäre gar zu utilitarisch und
sehr unpädagogisch. Hat ein Knabe am rechten Stoffe in rechter
Weise denken gelernt, so wird er vorkommendenfalls auch recht handeln,
wenigstens hätte er es thun können. Der Jrrthum sollte aber heut-
zutage verbannt sein, als ob man formaliter denken lernen und später
die concreten Dinge doch richtig auffassen und sofort richtig handeln
könnte; denn das ist ohne neue Unterweisung nicht möglich. Wir
halten es daher für geboten, die Unterrichtsstoffe so zu wählen, daß
sie dem Leben so nahe als nur immer möglich liegen und Alles
ferne zu halten, was erst auf Umwegen, die öfters viel zu weit vom
Ziele abführen und in der Regel gar nicht bis dahin verfolgt wer-
den, zum richtigen Denken und Handeln führen könnte. Das im
Allgemeinen. Wenn nun ein Kritikus gesagt hat: „Aufgabe der
gewöhnlichen Volkswirthschaft ist, den Menschen als ein Wesen mit
unendlichen ( ! ) Bedürfnissen ( als einen Nimmersatt ) darzustellen, deren
Befriedigung die Aufgabe der Volkswirthschaft ist. Die Bedürfnisse
wachsen mit der Kultur, viele Bedürfnisse sind ein Zeichen hoher
Kultur, also muß die Produktion möglichst viele derselben zu befrie-
digen suchen, muß sich fortwährend steigern. Dazu gehört möglichst
großes Kapital und höchste Ausnutzung der Arbeit. Beide Produk-
tionsfaktoren regulirt das Naturgesetz von Angebot und Nachfrage,
wie das Gesetz der Schwere die Himmelskörper“, so hat der volks-
wirthschaftliche Schulunterricht mit alledem gar nichts zu schaffen;
denn das mögen die Herrn erst unter sich ausmachen. Die Schule
kann aber nicht warten, bis die Gelehrten einig sind; es wäre das
gerade, als ob sie mit der religiösen Bildung zuwarten wollte, bis alle
Theologen einig wären.

Das wirthschaftliche Leben ergreift nach der gewöhnlichen Schul-
zeit wie ein ungeheures Rad mit unwiderstehlicher Gewalt unsere
Jugend, und die Erfahrung lehrt uns, daß nur eine geringe Zahl
junger Leute zur wirthschaftlichen Selbständigkeit gelangt -- wie man
oberflächlich behauptet, aus Mangel an wirthschaftlicher Energie und
Uebermaß an frühzeitigen Bedürfnissen. Wir leben aber in einer
Uebergangszeit, wo alte Gewohnheiten mit höheren Anforderungen
im Kampfe liegen; die Alten sprechen von früheren, leichteren Lebens-
verhältnissen und haben ihre Bedürfnisse in bewußter oder unbewußter
Weise über die Maßen ausgedehnt, auch die Kinder in den Strudel
mithineingezogen. Ohne weiter zu gehen, halte ich es für dringende
Pflicht der Schule, diesen Verhältnissen Rechnung zu tragen und
auf unterrichtlichem Wege die Erwerbsfähigkeit zu steigern, damit die
Jugend so wohl vorbereitet als möglich den Kampf ums Dasein
antreten kann. Das kann aber nicht besser geschehen, als wenn man
die Erscheinungen des wirthschaftlichen Lebens in den Unterricht ein-
führt, sei es gelegentlich oder im Zusammenhang.

Es handelt sich dabei weder um Manchesterweisheit, noch um
Lassallische Grundsätze, noch um Jakoby'sche Ansichten, sondern um
die Erkenntniß höchst einfacher und deshalb unerbittlicher Thatsachen,
welche uns zeigen, daß wir heutzutage und je länger je mehr die
Ohren spitzen, die Augen schärfen, die Hände rühren müssen, um
durchzukommen. -- Das verlangt die blinde Nothwendigkeit, aus
welcher wir uns aber herausarbeiten, um zur freien Bethätigung
unserer Kräfte zu gelangen; denn die Arbeit, der Erwerb, der Besitz
führt zur Freiheit, die Armuth zur Sklaverei.

Wir glauben nunmehr unsern Standpunkt in der Frage genü-
[Spaltenumbruch] gend angedeutet zu haben und werden in der Folge die betreffende
Literatur verfolgen, um das nöthige Material für den volkswirth-
schaftlichen Schulunterricht zu sammeln.

Die Sage von dem Verfall der Welt

taucht von Zeit zu Zeit stets wieder auf, und kehrt widerlegt doch
immer wieder; sie ist vermuthlich so alt wie das Menschengeschlecht
selbst, sie ist die Zwillings=Schwester der Sage von der guten alten
Zeit ( da wir noch jung waren und noch kein Zipperlein hatten ) .

Aus Breslau erhalten wir darüber folgende Zuschrift, der wir
gerne Raum gönnen, weil sie den Beweis liefert, wie mangelhaft
noch die Kenntnisse von den Lehren der Volkswirthschaft, und welch'
falsche Angaben über faktische wirthschaftliche Zustände verbreitet sind.

„Jch habe heute, lautet die Zuschrift, No. 662 des „ Arbeit-
geber “ erhalten, worin Sie sagen: der „Arbeitgeber“ kämpfe für das
materielle Wohlergehen des Volkes. Diese Aufgabe zu lösen habe
ich schon seit 1829 gearbeitet, als ich das Fabrikenelend in England
entstehen sah. Jn Jhren Aufsätzen räsoniren Sie sehr viel, aber das
nützt doch nichts, so lange man nicht Mittel angibt, wie man es
besser machen soll. Wir sehen, daß jede Fabrikstadt wo das Fabriken-
wesen bis in die dritte Generation kommt verarmt und verwildert?
wie kommt denn das? Manchester, Elberfeld, Barmen ec.

Wir sehen von allen Produkten menschlicher Arbeit ungeheure
Vorräthe, die Märkte überfüllt, so daß man die Waaren in's Aus-
land zu schaffen sucht, und die Arbeiter haben Mangel an diesen
Dingen; Unmassen Leinwand und daneben zerrissene Hemden. An
Baumaterial kein Mangel, und daneben schlechte Wohnungen? Jn
der Fabrikstadt haben die Kinder keine Erziehung und Pflege, und
die Alten kommen um.

Alle industriellen Anstalten sinken im Preise und schon viele
sind unter den Hammer gekommen, und weit unter dem Kostenpreise
verkauft worden? und diese Entwerthung steigt stetig fort, nicht nur
einzeln, sondern im Ganzen. Jm Jahre 1835 waren in Breslau
noch nicht der vierte Theil aller Ehen, die geschlossen wurden in die
besitzlosen Klassen, als Gesellen aller Art, Haushälter, Tagearbeiter ec.
zu zählen, und heute sind das schon 5 / 6, und bei 2 / 3 hat die Braut
keinen Kranz mehr. Woher kommt denn das?

Die besten englischen Eisenbahnen bringen kaum noch die Unter-
haltungskosten, und die Spinnereien arbeiten kaum halbe Zeit, und
Tausende hungern und darben in dem von Gott reich gesegneten
Lande, so daß man überall fürchten muß angefallen zu werden. Es
ist nicht genug, daß man darüber räsonirt, sondern es kommt darauf
an, den Grund des Uebels zu finden, denn nur dann kann man
Heilmittel angeben.

Jhr Blatt schwärmt für die Gewerkvereine, und in England
sehen wir, daß ihre Wirksamkeit immer traurigere Folgen hat, das
Elend nicht heilt, sondern Oel in's Feuer gießt.

Der Gewerkverein zu Waldenburg verlangt für die Arbeiter
höheren Lohn, und schon arbeiten mehrere Gruben nicht nur ohne
Nutzen, sondern erfordern noch Zubuße. Wo sollen denn diese das
Geld hernehmen, um höhere Löhne zu zahlen? Die dortigen Arbeiter
sind aber immer noch besser bezahlt, wie unsere hier in Breslau.
Jch war kürzlich in einer Oelmühle, und der Besitzer sagte, ich wollte
gern mehr Lohn als 10 Sgr. geben, aber ich verliere so schon an
jedem Centner Oel einen halben Thaler! und wenn der Oelpreis
nicht steigt muß ich ganz aufhören. Woher kommt denn das?
Wollen Sie die Beantwortung solcher Fragen in Jhr Blatt auf-
nehmen, so will ich sie Jhnen schicken ( sehr gern. A. d. R. ) , es
wird Jhnen freilich manches nicht passen, denn Sie halten Gesetz-
losigkeit für Freiheit, und wissen nicht was Ordnung ist,
ohne welche keine Freiheit möglich ist, darum führt Jhr
Weg ins Verderben.
Sie machen auf einer Seite Gewerbefreiheit,
und auf der andern Konsumvereine, in denen die Gewerbefreiheit keinen
Platz hat; Sie sagen Nachfrage und Angebot regeln den Preis, und
empfehlen Gewerkvereine, welche den Lohn eigenmächtig erzwingen
wollen, schlimmer als es je eine Zunft thun konnte, ja nie ge-
than hat.    H.

Es wird uns hier vorgeworfen, wir raisonirten viel und gäben
keine Mittel an, wie das Wohl des Volkes zu fördern sei. Dieser
Vorwurf kann doch wohl nur von einer mangelhaften Kenntniß

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[0002] auch keinem Vernünftigen ein; also wozu sich an einer Wissenschaft stoßen, welche durchaus noch nicht zu ihren letzten Resultaten gekommen ist, weil sie sich vorerst noch zur Sozialwissenschaft auszubilden hat. Jn die Schule gehört aber überhaupt keine Wissenschaft, sie heiße wie sie wolle, sondern nur Unterricht, und zwar solcher, der darnach strebt, sich so eng als möglich an das nach humanen Prinzipien geartete Leben zu lehnen; sonst müßte man die Kinder ja belügen, während man ihnen doch nur das Beste zu geben pflegt. Will man die Jugend wirth- schaftlich belehren, so wird man sich weder als Weltverbesserer geriren, wie das so häufig geschieht, um den Leuten die Dinge leicht zu machen und ihnen die persönliche Verantwortlichkeit zu nehmen, noch gewisse unerfindliche Begriffe und Gesetze erläutern, über welche sich die Fachgelehrten herumstreiten, noch aus einer unvollständigen Reihe von Thatsachen einseitige und falsche Schlüsse ziehen, sondern wird in erster Linie darauf ausgehen, unbestreitbare Thatsachen und Beob- achtungen vorzubringen, welche zum richtigen Nachdenken anregen, womit wohl das Beste erreicht sein wird, was der Unterricht über- haupt fertig bringen kann; denn das richtige Handeln ist Sache des praktischen Lebens. Aus der Volkswirthschaftslehre gar Verhaltungs- regeln fürs Handeln ableiten zu wollen, wäre gar zu utilitarisch und sehr unpädagogisch. Hat ein Knabe am rechten Stoffe in rechter Weise denken gelernt, so wird er vorkommendenfalls auch recht handeln, wenigstens hätte er es thun können. Der Jrrthum sollte aber heut- zutage verbannt sein, als ob man formaliter denken lernen und später die concreten Dinge doch richtig auffassen und sofort richtig handeln könnte; denn das ist ohne neue Unterweisung nicht möglich. Wir halten es daher für geboten, die Unterrichtsstoffe so zu wählen, daß sie dem Leben so nahe als nur immer möglich liegen und Alles ferne zu halten, was erst auf Umwegen, die öfters viel zu weit vom Ziele abführen und in der Regel gar nicht bis dahin verfolgt wer- den, zum richtigen Denken und Handeln führen könnte. Das im Allgemeinen. Wenn nun ein Kritikus gesagt hat: „Aufgabe der gewöhnlichen Volkswirthschaft ist, den Menschen als ein Wesen mit unendlichen ( ! ) Bedürfnissen ( als einen Nimmersatt ) darzustellen, deren Befriedigung die Aufgabe der Volkswirthschaft ist. Die Bedürfnisse wachsen mit der Kultur, viele Bedürfnisse sind ein Zeichen hoher Kultur, also muß die Produktion möglichst viele derselben zu befrie- digen suchen, muß sich fortwährend steigern. Dazu gehört möglichst großes Kapital und höchste Ausnutzung der Arbeit. Beide Produk- tionsfaktoren regulirt das Naturgesetz von Angebot und Nachfrage, wie das Gesetz der Schwere die Himmelskörper“, so hat der volks- wirthschaftliche Schulunterricht mit alledem gar nichts zu schaffen; denn das mögen die Herrn erst unter sich ausmachen. Die Schule kann aber nicht warten, bis die Gelehrten einig sind; es wäre das gerade, als ob sie mit der religiösen Bildung zuwarten wollte, bis alle Theologen einig wären. Das wirthschaftliche Leben ergreift nach der gewöhnlichen Schul- zeit wie ein ungeheures Rad mit unwiderstehlicher Gewalt unsere Jugend, und die Erfahrung lehrt uns, daß nur eine geringe Zahl junger Leute zur wirthschaftlichen Selbständigkeit gelangt -- wie man oberflächlich behauptet, aus Mangel an wirthschaftlicher Energie und Uebermaß an frühzeitigen Bedürfnissen. Wir leben aber in einer Uebergangszeit, wo alte Gewohnheiten mit höheren Anforderungen im Kampfe liegen; die Alten sprechen von früheren, leichteren Lebens- verhältnissen und haben ihre Bedürfnisse in bewußter oder unbewußter Weise über die Maßen ausgedehnt, auch die Kinder in den Strudel mithineingezogen. Ohne weiter zu gehen, halte ich es für dringende Pflicht der Schule, diesen Verhältnissen Rechnung zu tragen und auf unterrichtlichem Wege die Erwerbsfähigkeit zu steigern, damit die Jugend so wohl vorbereitet als möglich den Kampf ums Dasein antreten kann. Das kann aber nicht besser geschehen, als wenn man die Erscheinungen des wirthschaftlichen Lebens in den Unterricht ein- führt, sei es gelegentlich oder im Zusammenhang. Es handelt sich dabei weder um Manchesterweisheit, noch um Lassallische Grundsätze, noch um Jakoby'sche Ansichten, sondern um die Erkenntniß höchst einfacher und deshalb unerbittlicher Thatsachen, welche uns zeigen, daß wir heutzutage und je länger je mehr die Ohren spitzen, die Augen schärfen, die Hände rühren müssen, um durchzukommen. -- Das verlangt die blinde Nothwendigkeit, aus welcher wir uns aber herausarbeiten, um zur freien Bethätigung unserer Kräfte zu gelangen; denn die Arbeit, der Erwerb, der Besitz führt zur Freiheit, die Armuth zur Sklaverei. Wir glauben nunmehr unsern Standpunkt in der Frage genü- gend angedeutet zu haben und werden in der Folge die betreffende Literatur verfolgen, um das nöthige Material für den volkswirth- schaftlichen Schulunterricht zu sammeln. Die Sage von dem Verfall der Welt taucht von Zeit zu Zeit stets wieder auf, und kehrt widerlegt doch immer wieder; sie ist vermuthlich so alt wie das Menschengeschlecht selbst, sie ist die Zwillings=Schwester der Sage von der guten alten Zeit ( da wir noch jung waren und noch kein Zipperlein hatten ) . Aus Breslau erhalten wir darüber folgende Zuschrift, der wir gerne Raum gönnen, weil sie den Beweis liefert, wie mangelhaft noch die Kenntnisse von den Lehren der Volkswirthschaft, und welch' falsche Angaben über faktische wirthschaftliche Zustände verbreitet sind. „Jch habe heute, lautet die Zuschrift, No. 662 des „ Arbeit- geber “ erhalten, worin Sie sagen: der „Arbeitgeber“ kämpfe für das materielle Wohlergehen des Volkes. Diese Aufgabe zu lösen habe ich schon seit 1829 gearbeitet, als ich das Fabrikenelend in England entstehen sah. Jn Jhren Aufsätzen räsoniren Sie sehr viel, aber das nützt doch nichts, so lange man nicht Mittel angibt, wie man es besser machen soll. Wir sehen, daß jede Fabrikstadt wo das Fabriken- wesen bis in die dritte Generation kommt verarmt und verwildert? wie kommt denn das? Manchester, Elberfeld, Barmen ec. Wir sehen von allen Produkten menschlicher Arbeit ungeheure Vorräthe, die Märkte überfüllt, so daß man die Waaren in's Aus- land zu schaffen sucht, und die Arbeiter haben Mangel an diesen Dingen; Unmassen Leinwand und daneben zerrissene Hemden. An Baumaterial kein Mangel, und daneben schlechte Wohnungen? Jn der Fabrikstadt haben die Kinder keine Erziehung und Pflege, und die Alten kommen um. Alle industriellen Anstalten sinken im Preise und schon viele sind unter den Hammer gekommen, und weit unter dem Kostenpreise verkauft worden? und diese Entwerthung steigt stetig fort, nicht nur einzeln, sondern im Ganzen. Jm Jahre 1835 waren in Breslau noch nicht der vierte Theil aller Ehen, die geschlossen wurden in die besitzlosen Klassen, als Gesellen aller Art, Haushälter, Tagearbeiter ec. zu zählen, und heute sind das schon 5 / 6, und bei 2 / 3 hat die Braut keinen Kranz mehr. Woher kommt denn das? Die besten englischen Eisenbahnen bringen kaum noch die Unter- haltungskosten, und die Spinnereien arbeiten kaum halbe Zeit, und Tausende hungern und darben in dem von Gott reich gesegneten Lande, so daß man überall fürchten muß angefallen zu werden. Es ist nicht genug, daß man darüber räsonirt, sondern es kommt darauf an, den Grund des Uebels zu finden, denn nur dann kann man Heilmittel angeben. Jhr Blatt schwärmt für die Gewerkvereine, und in England sehen wir, daß ihre Wirksamkeit immer traurigere Folgen hat, das Elend nicht heilt, sondern Oel in's Feuer gießt. Der Gewerkverein zu Waldenburg verlangt für die Arbeiter höheren Lohn, und schon arbeiten mehrere Gruben nicht nur ohne Nutzen, sondern erfordern noch Zubuße. Wo sollen denn diese das Geld hernehmen, um höhere Löhne zu zahlen? Die dortigen Arbeiter sind aber immer noch besser bezahlt, wie unsere hier in Breslau. Jch war kürzlich in einer Oelmühle, und der Besitzer sagte, ich wollte gern mehr Lohn als 10 Sgr. geben, aber ich verliere so schon an jedem Centner Oel einen halben Thaler! und wenn der Oelpreis nicht steigt muß ich ganz aufhören. Woher kommt denn das? Wollen Sie die Beantwortung solcher Fragen in Jhr Blatt auf- nehmen, so will ich sie Jhnen schicken ( sehr gern. A. d. R. ) , es wird Jhnen freilich manches nicht passen, denn Sie halten Gesetz- losigkeit für Freiheit, und wissen nicht was Ordnung ist, ohne welche keine Freiheit möglich ist, darum führt Jhr Weg ins Verderben. Sie machen auf einer Seite Gewerbefreiheit, und auf der andern Konsumvereine, in denen die Gewerbefreiheit keinen Platz hat; Sie sagen Nachfrage und Angebot regeln den Preis, und empfehlen Gewerkvereine, welche den Lohn eigenmächtig erzwingen wollen, schlimmer als es je eine Zunft thun konnte, ja nie ge- than hat. H. Es wird uns hier vorgeworfen, wir raisonirten viel und gäben keine Mittel an, wie das Wohl des Volkes zu fördern sei. Dieser Vorwurf kann doch wohl nur von einer mangelhaften Kenntniß

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Zitationshilfe: Der Arbeitgeber. Nr. 668. Frankfurt a. M., 18. Februar 1870, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_arbeitgeber0668_1870/2>, abgerufen am 19.04.2024.