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Der Arbeitgeber. Nr. 667. Frankfurt (Hessen), 11. Februar 1870.

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[Spaltenumbruch] den Mißmuth und andere schlechte Eigenschaften künstlich nähren,
wenn man den untern Klassen dergleichen predigt. Man vergeht sich
an dem wirthschaftlichen und geistigen Fortschritte derselben. F. W.

Volkswirthschaft und Schule
von Oberlehrer Chun.
IV.

Während wir bisher an einigen Beispielen zu zeigen versuchten,
in welcher Weise volkswirthschaftliche Belehrungen in die Schule und
in den Dienst der Erziehung eintreten können, wollen wir heute zeigen,
wie der geographische und der geschichtliche Unterricht nach wirthschaft-
lichen Gesichtspunkten belebt werden sollten. Wir haben das bereits
i. J. 1865 bei Gelegenheit einer Lehrerversammlung hier gethan und
den Vortrag s. Z. veröffentlicht.* ) Wenn man die Werke von Roscher,
Carey, Mangoldt u. a. liest, so kann man sich unmöglich der Ueber-
zeugung verschließen, daß eine Fülle hierher gehörigen Stoffes der
Verwerthung für Unterrichtszwecke harrt. Die Wissenschaft hat längst
den Einfluß anerkannt, welchen der Charakter eines Landes auf die
Lebensweise, die wirthschaftliche Thätigkeit, die Kultur und sogar auf
den Charakter des Volkes ausübt. Die Konfiguration eines Landes
liefert im Unterricht Anhaltspunkte für die Vertheilung der Bevöl-
kerung nach ihrer wirthschaftlichen Thätigkeit. Sie kann einerseits
nicht in einer großen Stadt in der Mitte des Landes concentrirt sein;
denn um große Städte mit dem täglichen Lebensunterhalt zu ver-
sorgen, muß eine weit ausgedehnte Produktion landwirthschaftlicher
Erzeugnisse in der Nähe und Ferne und ein den ganzen Erdball
umspannender Verkehr organisirt sein, damit die Produkte regelmäßig
zur Stelle sind. Man nehme z. B. London mit seinen nahezu
3 Millionen Menschen und erkläre den Mechanismus der täglichen
Versorgung einer solchen Stadt, welcher sich trotzdem mit be-
wundernswerther Regelmäßigkeit vollzieht; man verweise auf Beob-
achtungen am Wohnort selbst, an welchen Kinder und Erwachsene
aus früher und langer Gewohnheit oft mit der stupidesten Gleich-
gültigkeit vorübergehen, so läßt sich die Wirksamkeit wirthschaftlicher
Gesetze zeigen. Man vergleiche hiermit die vergeblichen Anstrengungen
des größten Organisators unseres Jahrhunderts, als er 1812 mit
einer halben Million nach Rußland zog, wie seine musterhaften
Maßregeln, um die große Armee mit allem Nothwendigen zu ver-
sorgen, gänzlich fehl schlugen und der Hunger reiche Ernten hielt.
Was aber das größte Genie nicht bewerkstelligen konnte, das
bringt der wirthschaftliche Verkehr täglich mit der größten Pünktlich-
keit fertig.

Die Bevölkerung eines Landes kann aber auch nicht für immer
gleichmäßig über das ganze Land verbreitet bleiben, wie das z. B.
in der germanischen Urzeit der Fall war, sondern wird sich gruppen-
weise vertheilen, was in wirthschaftlicher Beziehung das richtige Ver-
hältniß ist. Unsere Schüler werden dann das Gesetz der lokalen
Mittelpunkte begreifen, in Folge dessen diejenigen Länder in Bildung,
Wohlstand und Macht auf breitester Basis fortschreiten, wo die lo-
kalen Mittelpunkte am zahlreichsten sind; je mehr hingegen die Be-
völkerung nach der Hauptstadt hin zusammenrückt, wie z. B. in
Frankreich, desto mehr veröden die entfernteren Landestheile. Unser
Vaterland bietet hierin ein vortheilhaftes Bild dar, wie es seiner
Konfiguration und geschichtlichen Entwickelung entspricht.

Am günstigsten für die Kultur sind die Stufenländer, welche
terrassenförmig allmählich vom Hochgebirg zur Ebene herabsteigen,
besonders wenn sie durch einheitliche Stromsysteme zusammen gehalten
werden. Hier haben wir alle Wirthschaftsstufen der Hochlands= bis
zur Küstenbevölkerung zu einem vielseitigen Ganzen verbunden. Die
Lösung der wirthschaftlichen Aufgabe wird durch die natürlichen Ver-
hältnisse begünstigt oder erschwert, es kommen hierbei die Be-
schaffenheit des Landes, der Gewässer und der Atmosphäre in
Betracht. Es ergeben sich daraus die richtigen Gesichtspunkte für
die Betrachtung der geographischen Karte. Beispielshalber wollen wir
nur hervorheben, wie wichtig die Abgrenzung eines Landes ist, inso-
fern sie einestheils das betreffende Volk mehr veranlaßt, sich selbst-
genügsam in sich abzuschließen, oder aber es auf einen stetigen und
[Spaltenumbruch] vielseitigen auswärtigen Verkehr hinweist, andererseits es vor dem
friedlichen oder feindlichen Eindringen fremder Bevölkerungen mehr
schützt oder mehr demselben bloslegt. Ströme sind keine natürlichen
Grenzen, indem sie mehr verbinden als scheiden. Wenn Staaten
durch Ströme getrennt sind, so hat das meistens die traurige Folge,
daß die schädlichen Seiten einer solchen Grenze bleiben, während die
nützlichen durch politische Maßnahmen beeinträchtigt werden ( Festungen
und Mauthlinien ).

Wenn der Einfluß des Natürlichen auf den Menschen unleugbar
groß und mächtig ist, so läßt sich der Volksgeist doch nicht unwider-
stehlich davon influiren; das beweisen die großartigen Erfindungen
und die Werke, welche im Laufe des geschichtlichen Lebens geschaffen
worden sind. Es ist der Geist, der sich den Körper baut. Die
Entwickelung der verschiedenen Völker ist niemals die gleiche, weil
der freie Wille eines Volkes alle natürlichen Einflüsse selbständig
verarbeitet. Die Kulturgeschichte kann zwar als zu schwierig nicht
in den Schulen gelehrt werden, ihr Studium gehört ins reifere
Mannesalter. Daß aber gelegentlich mehr auf Kulturgeschichtliches
hingewiesen werden sollte, ist unleugbar, geschieht auch selbst beim
einfachsten Geschichtsunterricht; denn man bespricht die Sitten und
Gewohnheiten der alten Germanen, die Völkerwanderung, das Feudal-
wesen, die Hansa, das Städtewesen, das Zunftwesen, die Niederwer-
fung des Feudalwesens durch das Feuergewehr, die Buchdruckerkunst,
die großen Entdeckungen und vieles andere.

Das sind aber in der Regel sehr schwierige Kardinalpunkte des
geschichtlichen Verständnisses, während man sich an's Gewöhnliche und
Alltägliche halten sollte: wie lebten die Menschen, wer schützte das
Gemeinwesen, wie und was arbeitete man und dergleichen. Freilich
wäre das erst aus den Quellen lebendig darzustellen, wie solches
z. B. Macaulay in seiner englischen Geschichte gethan hat. Es
mögen diese Andeutungen genügen; man wolle aber nicht meinen,
es solle in der Weise gelehrt werden, um zu zeigen, wie herrlich
weit wir es im Ganzen gebracht haben, sondern wohin wir zu
steuern haben, damit es noch viel besser werde, als es zur Zeit in
der Welt ist.

Zwei Kommunisten=Staaten.
III.

Nicht minder interessant wie der Peruanische Staat, in ähn-
licher Weise gegliedert und dieselben Konsequenzen des Systems auf-
weisend, waren die in die neuere Zeit herein ragenden Jesuiten-
missionen in Paraguay.

Mit Staunen liest man in den Schriften von Muratori und
Ulloa, den Parteigängern der Jesuiten, von dem Leben in den Mis-
sionen Paraguay's. Sie entwerfen davon ein Bild wie von dem
Leben im Himmel. Für die herrschende Klasse mag dies richtig sein.
Betrachten wir uns die Sache näher.

Die Missionsdörfer waren alle nach Einem Plan gebaut; ihre
Straßen liefen gerade, wie die des heutigen Mannheim, nach den
Himmelsgegenden. Die Wohnungen der Jndianer waren 150--
180 Fuß lange und 30 Fuß breite Backsteinhäuser, die, in 8--
10 Abtheilungen geschieden, für einzelne Familien bestimmt waren.

Das Hauptgebäude, das Kollegium, hatte 2 Höfe mit Säulen-
hallen; es umschloß die Wohnung der Missionäre, deren jedes Dorf
zwei hatte, einen für weltliche, den anderen für geistliche Angelegen-
heiten, und außerdem die Magazine und Werkstätten. Das Gottes-
haus war das prächtigste Gebäude, im Jesuitenstyl geschmacklos, aber
prachtvoll gebaut. Nur zu seiner Ausschmückung wurde Gold und
Silber verwandt, um den Jndianer durch die Pracht und den Glanz
zu fesseln, wie denn auch Musik und äußeres Gepränge nicht gespart
wurden bei kirchlichen Handlungen und Festen.

Jeder Bezirk hatte einen Corregidor, Regidoren und Alcalden
( Oberrichter, Gemeinderäthe und Amtleute ) , unter Leitung des Mis-
sionärs erwählt; auch in der Ausübung ihrer Amtsfunktion waren
sie von ihm abhängig. Die Strafen, die sie nach Angabe des Geist-
lichen verhängten, bestanden in Gebeten, Fasten, Gefängniß, bisweilen
Geißelung und öffentlicher Kirchenbuße, und die Gezüchtigten hatten
sich noch nach ausgestandener Strafe dafür bei dem Missionär zu
bedanken.

Jeder Bezirk stellte 2 Compagnien Jnfanterie und eine Schwa-

* ) Ueber die Berücksichtigung volkswirthschaftlicher Gesichtspunkte im ge-
schichtlich=geographischen Schulunterricht. Frankfurt a. M. bei B. Auffarth 1865.

[Spaltenumbruch] den Mißmuth und andere schlechte Eigenschaften künstlich nähren,
wenn man den untern Klassen dergleichen predigt. Man vergeht sich
an dem wirthschaftlichen und geistigen Fortschritte derselben. F. W.

Volkswirthschaft und Schule
von Oberlehrer Chun.
IV.

Während wir bisher an einigen Beispielen zu zeigen versuchten,
in welcher Weise volkswirthschaftliche Belehrungen in die Schule und
in den Dienst der Erziehung eintreten können, wollen wir heute zeigen,
wie der geographische und der geschichtliche Unterricht nach wirthschaft-
lichen Gesichtspunkten belebt werden sollten. Wir haben das bereits
i. J. 1865 bei Gelegenheit einer Lehrerversammlung hier gethan und
den Vortrag s. Z. veröffentlicht.* ) Wenn man die Werke von Roscher,
Carey, Mangoldt u. a. liest, so kann man sich unmöglich der Ueber-
zeugung verschließen, daß eine Fülle hierher gehörigen Stoffes der
Verwerthung für Unterrichtszwecke harrt. Die Wissenschaft hat längst
den Einfluß anerkannt, welchen der Charakter eines Landes auf die
Lebensweise, die wirthschaftliche Thätigkeit, die Kultur und sogar auf
den Charakter des Volkes ausübt. Die Konfiguration eines Landes
liefert im Unterricht Anhaltspunkte für die Vertheilung der Bevöl-
kerung nach ihrer wirthschaftlichen Thätigkeit. Sie kann einerseits
nicht in einer großen Stadt in der Mitte des Landes concentrirt sein;
denn um große Städte mit dem täglichen Lebensunterhalt zu ver-
sorgen, muß eine weit ausgedehnte Produktion landwirthschaftlicher
Erzeugnisse in der Nähe und Ferne und ein den ganzen Erdball
umspannender Verkehr organisirt sein, damit die Produkte regelmäßig
zur Stelle sind. Man nehme z. B. London mit seinen nahezu
3 Millionen Menschen und erkläre den Mechanismus der täglichen
Versorgung einer solchen Stadt, welcher sich trotzdem mit be-
wundernswerther Regelmäßigkeit vollzieht; man verweise auf Beob-
achtungen am Wohnort selbst, an welchen Kinder und Erwachsene
aus früher und langer Gewohnheit oft mit der stupidesten Gleich-
gültigkeit vorübergehen, so läßt sich die Wirksamkeit wirthschaftlicher
Gesetze zeigen. Man vergleiche hiermit die vergeblichen Anstrengungen
des größten Organisators unseres Jahrhunderts, als er 1812 mit
einer halben Million nach Rußland zog, wie seine musterhaften
Maßregeln, um die große Armee mit allem Nothwendigen zu ver-
sorgen, gänzlich fehl schlugen und der Hunger reiche Ernten hielt.
Was aber das größte Genie nicht bewerkstelligen konnte, das
bringt der wirthschaftliche Verkehr täglich mit der größten Pünktlich-
keit fertig.

Die Bevölkerung eines Landes kann aber auch nicht für immer
gleichmäßig über das ganze Land verbreitet bleiben, wie das z. B.
in der germanischen Urzeit der Fall war, sondern wird sich gruppen-
weise vertheilen, was in wirthschaftlicher Beziehung das richtige Ver-
hältniß ist. Unsere Schüler werden dann das Gesetz der lokalen
Mittelpunkte begreifen, in Folge dessen diejenigen Länder in Bildung,
Wohlstand und Macht auf breitester Basis fortschreiten, wo die lo-
kalen Mittelpunkte am zahlreichsten sind; je mehr hingegen die Be-
völkerung nach der Hauptstadt hin zusammenrückt, wie z. B. in
Frankreich, desto mehr veröden die entfernteren Landestheile. Unser
Vaterland bietet hierin ein vortheilhaftes Bild dar, wie es seiner
Konfiguration und geschichtlichen Entwickelung entspricht.

Am günstigsten für die Kultur sind die Stufenländer, welche
terrassenförmig allmählich vom Hochgebirg zur Ebene herabsteigen,
besonders wenn sie durch einheitliche Stromsysteme zusammen gehalten
werden. Hier haben wir alle Wirthschaftsstufen der Hochlands= bis
zur Küstenbevölkerung zu einem vielseitigen Ganzen verbunden. Die
Lösung der wirthschaftlichen Aufgabe wird durch die natürlichen Ver-
hältnisse begünstigt oder erschwert, es kommen hierbei die Be-
schaffenheit des Landes, der Gewässer und der Atmosphäre in
Betracht. Es ergeben sich daraus die richtigen Gesichtspunkte für
die Betrachtung der geographischen Karte. Beispielshalber wollen wir
nur hervorheben, wie wichtig die Abgrenzung eines Landes ist, inso-
fern sie einestheils das betreffende Volk mehr veranlaßt, sich selbst-
genügsam in sich abzuschließen, oder aber es auf einen stetigen und
[Spaltenumbruch] vielseitigen auswärtigen Verkehr hinweist, andererseits es vor dem
friedlichen oder feindlichen Eindringen fremder Bevölkerungen mehr
schützt oder mehr demselben bloslegt. Ströme sind keine natürlichen
Grenzen, indem sie mehr verbinden als scheiden. Wenn Staaten
durch Ströme getrennt sind, so hat das meistens die traurige Folge,
daß die schädlichen Seiten einer solchen Grenze bleiben, während die
nützlichen durch politische Maßnahmen beeinträchtigt werden ( Festungen
und Mauthlinien ).

Wenn der Einfluß des Natürlichen auf den Menschen unleugbar
groß und mächtig ist, so läßt sich der Volksgeist doch nicht unwider-
stehlich davon influiren; das beweisen die großartigen Erfindungen
und die Werke, welche im Laufe des geschichtlichen Lebens geschaffen
worden sind. Es ist der Geist, der sich den Körper baut. Die
Entwickelung der verschiedenen Völker ist niemals die gleiche, weil
der freie Wille eines Volkes alle natürlichen Einflüsse selbständig
verarbeitet. Die Kulturgeschichte kann zwar als zu schwierig nicht
in den Schulen gelehrt werden, ihr Studium gehört ins reifere
Mannesalter. Daß aber gelegentlich mehr auf Kulturgeschichtliches
hingewiesen werden sollte, ist unleugbar, geschieht auch selbst beim
einfachsten Geschichtsunterricht; denn man bespricht die Sitten und
Gewohnheiten der alten Germanen, die Völkerwanderung, das Feudal-
wesen, die Hansa, das Städtewesen, das Zunftwesen, die Niederwer-
fung des Feudalwesens durch das Feuergewehr, die Buchdruckerkunst,
die großen Entdeckungen und vieles andere.

Das sind aber in der Regel sehr schwierige Kardinalpunkte des
geschichtlichen Verständnisses, während man sich an's Gewöhnliche und
Alltägliche halten sollte: wie lebten die Menschen, wer schützte das
Gemeinwesen, wie und was arbeitete man und dergleichen. Freilich
wäre das erst aus den Quellen lebendig darzustellen, wie solches
z. B. Macaulay in seiner englischen Geschichte gethan hat. Es
mögen diese Andeutungen genügen; man wolle aber nicht meinen,
es solle in der Weise gelehrt werden, um zu zeigen, wie herrlich
weit wir es im Ganzen gebracht haben, sondern wohin wir zu
steuern haben, damit es noch viel besser werde, als es zur Zeit in
der Welt ist.

Zwei Kommunisten=Staaten.
III.

Nicht minder interessant wie der Peruanische Staat, in ähn-
licher Weise gegliedert und dieselben Konsequenzen des Systems auf-
weisend, waren die in die neuere Zeit herein ragenden Jesuiten-
missionen in Paraguay.

Mit Staunen liest man in den Schriften von Muratori und
Ulloa, den Parteigängern der Jesuiten, von dem Leben in den Mis-
sionen Paraguay's. Sie entwerfen davon ein Bild wie von dem
Leben im Himmel. Für die herrschende Klasse mag dies richtig sein.
Betrachten wir uns die Sache näher.

Die Missionsdörfer waren alle nach Einem Plan gebaut; ihre
Straßen liefen gerade, wie die des heutigen Mannheim, nach den
Himmelsgegenden. Die Wohnungen der Jndianer waren 150--
180 Fuß lange und 30 Fuß breite Backsteinhäuser, die, in 8--
10 Abtheilungen geschieden, für einzelne Familien bestimmt waren.

Das Hauptgebäude, das Kollegium, hatte 2 Höfe mit Säulen-
hallen; es umschloß die Wohnung der Missionäre, deren jedes Dorf
zwei hatte, einen für weltliche, den anderen für geistliche Angelegen-
heiten, und außerdem die Magazine und Werkstätten. Das Gottes-
haus war das prächtigste Gebäude, im Jesuitenstyl geschmacklos, aber
prachtvoll gebaut. Nur zu seiner Ausschmückung wurde Gold und
Silber verwandt, um den Jndianer durch die Pracht und den Glanz
zu fesseln, wie denn auch Musik und äußeres Gepränge nicht gespart
wurden bei kirchlichen Handlungen und Festen.

Jeder Bezirk hatte einen Corregidor, Regidoren und Alcalden
( Oberrichter, Gemeinderäthe und Amtleute ) , unter Leitung des Mis-
sionärs erwählt; auch in der Ausübung ihrer Amtsfunktion waren
sie von ihm abhängig. Die Strafen, die sie nach Angabe des Geist-
lichen verhängten, bestanden in Gebeten, Fasten, Gefängniß, bisweilen
Geißelung und öffentlicher Kirchenbuße, und die Gezüchtigten hatten
sich noch nach ausgestandener Strafe dafür bei dem Missionär zu
bedanken.

Jeder Bezirk stellte 2 Compagnien Jnfanterie und eine Schwa-

* ) Ueber die Berücksichtigung volkswirthschaftlicher Gesichtspunkte im ge-
schichtlich=geographischen Schulunterricht. Frankfurt a. M. bei B. Auffarth 1865.
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Die Wissenschaft hat längst den Einfluß anerkannt, welchen der Charakter eines Landes auf die Lebensweise, die wirthschaftliche Thätigkeit, die Kultur und sogar auf den Charakter des Volkes ausübt. Die Konfiguration eines Landes liefert im Unterricht Anhaltspunkte für die Vertheilung der Bevöl- kerung nach ihrer wirthschaftlichen Thätigkeit. Sie kann einerseits nicht in einer großen Stadt in der Mitte des Landes concentrirt sein; denn um große Städte mit dem täglichen Lebensunterhalt zu ver- sorgen, muß eine weit ausgedehnte Produktion landwirthschaftlicher Erzeugnisse in der Nähe und Ferne und ein den ganzen Erdball umspannender Verkehr organisirt sein, damit die Produkte regelmäßig zur Stelle sind. Man nehme z. B. London mit seinen nahezu 3 Millionen Menschen und erkläre den Mechanismus der täglichen Versorgung einer solchen Stadt, welcher sich trotzdem mit be- wundernswerther Regelmäßigkeit vollzieht; man verweise auf Beob- achtungen am Wohnort selbst, an welchen Kinder und Erwachsene aus früher und langer Gewohnheit oft mit der stupidesten Gleich- gültigkeit vorübergehen, so läßt sich die Wirksamkeit wirthschaftlicher Gesetze zeigen. Man vergleiche hiermit die vergeblichen Anstrengungen des größten Organisators unseres Jahrhunderts, als er 1812 mit einer halben Million nach Rußland zog, wie seine musterhaften Maßregeln, um die große Armee mit allem Nothwendigen zu ver- sorgen, gänzlich fehl schlugen und der Hunger reiche Ernten hielt. Was aber das größte Genie nicht bewerkstelligen konnte, das bringt der wirthschaftliche Verkehr täglich mit der größten Pünktlich- keit fertig. Die Bevölkerung eines Landes kann aber auch nicht für immer gleichmäßig über das ganze Land verbreitet bleiben, wie das z. B. in der germanischen Urzeit der Fall war, sondern wird sich gruppen- weise vertheilen, was in wirthschaftlicher Beziehung das richtige Ver- hältniß ist. Unsere Schüler werden dann das Gesetz der lokalen Mittelpunkte begreifen, in Folge dessen diejenigen Länder in Bildung, Wohlstand und Macht auf breitester Basis fortschreiten, wo die lo- kalen Mittelpunkte am zahlreichsten sind; je mehr hingegen die Be- völkerung nach der Hauptstadt hin zusammenrückt, wie z. B. in Frankreich, desto mehr veröden die entfernteren Landestheile. Unser Vaterland bietet hierin ein vortheilhaftes Bild dar, wie es seiner Konfiguration und geschichtlichen Entwickelung entspricht. Am günstigsten für die Kultur sind die Stufenländer, welche terrassenförmig allmählich vom Hochgebirg zur Ebene herabsteigen, besonders wenn sie durch einheitliche Stromsysteme zusammen gehalten werden. Hier haben wir alle Wirthschaftsstufen der Hochlands= bis zur Küstenbevölkerung zu einem vielseitigen Ganzen verbunden. Die Lösung der wirthschaftlichen Aufgabe wird durch die natürlichen Ver- hältnisse begünstigt oder erschwert, es kommen hierbei die Be- schaffenheit des Landes, der Gewässer und der Atmosphäre in Betracht. Es ergeben sich daraus die richtigen Gesichtspunkte für die Betrachtung der geographischen Karte. Beispielshalber wollen wir nur hervorheben, wie wichtig die Abgrenzung eines Landes ist, inso- fern sie einestheils das betreffende Volk mehr veranlaßt, sich selbst- genügsam in sich abzuschließen, oder aber es auf einen stetigen und vielseitigen auswärtigen Verkehr hinweist, andererseits es vor dem friedlichen oder feindlichen Eindringen fremder Bevölkerungen mehr schützt oder mehr demselben bloslegt. Ströme sind keine natürlichen Grenzen, indem sie mehr verbinden als scheiden. Wenn Staaten durch Ströme getrennt sind, so hat das meistens die traurige Folge, daß die schädlichen Seiten einer solchen Grenze bleiben, während die nützlichen durch politische Maßnahmen beeinträchtigt werden ( Festungen und Mauthlinien ). Wenn der Einfluß des Natürlichen auf den Menschen unleugbar groß und mächtig ist, so läßt sich der Volksgeist doch nicht unwider- stehlich davon influiren; das beweisen die großartigen Erfindungen und die Werke, welche im Laufe des geschichtlichen Lebens geschaffen worden sind. Es ist der Geist, der sich den Körper baut. Die Entwickelung der verschiedenen Völker ist niemals die gleiche, weil der freie Wille eines Volkes alle natürlichen Einflüsse selbständig verarbeitet. Die Kulturgeschichte kann zwar als zu schwierig nicht in den Schulen gelehrt werden, ihr Studium gehört ins reifere Mannesalter. Daß aber gelegentlich mehr auf Kulturgeschichtliches hingewiesen werden sollte, ist unleugbar, geschieht auch selbst beim einfachsten Geschichtsunterricht; denn man bespricht die Sitten und Gewohnheiten der alten Germanen, die Völkerwanderung, das Feudal- wesen, die Hansa, das Städtewesen, das Zunftwesen, die Niederwer- fung des Feudalwesens durch das Feuergewehr, die Buchdruckerkunst, die großen Entdeckungen und vieles andere. Das sind aber in der Regel sehr schwierige Kardinalpunkte des geschichtlichen Verständnisses, während man sich an's Gewöhnliche und Alltägliche halten sollte: wie lebten die Menschen, wer schützte das Gemeinwesen, wie und was arbeitete man und dergleichen. Freilich wäre das erst aus den Quellen lebendig darzustellen, wie solches z. B. Macaulay in seiner englischen Geschichte gethan hat. Es mögen diese Andeutungen genügen; man wolle aber nicht meinen, es solle in der Weise gelehrt werden, um zu zeigen, wie herrlich weit wir es im Ganzen gebracht haben, sondern wohin wir zu steuern haben, damit es noch viel besser werde, als es zur Zeit in der Welt ist. Zwei Kommunisten=Staaten. III. Nicht minder interessant wie der Peruanische Staat, in ähn- licher Weise gegliedert und dieselben Konsequenzen des Systems auf- weisend, waren die in die neuere Zeit herein ragenden Jesuiten- missionen in Paraguay. Mit Staunen liest man in den Schriften von Muratori und Ulloa, den Parteigängern der Jesuiten, von dem Leben in den Mis- sionen Paraguay's. Sie entwerfen davon ein Bild wie von dem Leben im Himmel. Für die herrschende Klasse mag dies richtig sein. Betrachten wir uns die Sache näher. Die Missionsdörfer waren alle nach Einem Plan gebaut; ihre Straßen liefen gerade, wie die des heutigen Mannheim, nach den Himmelsgegenden. Die Wohnungen der Jndianer waren 150-- 180 Fuß lange und 30 Fuß breite Backsteinhäuser, die, in 8-- 10 Abtheilungen geschieden, für einzelne Familien bestimmt waren. Das Hauptgebäude, das Kollegium, hatte 2 Höfe mit Säulen- hallen; es umschloß die Wohnung der Missionäre, deren jedes Dorf zwei hatte, einen für weltliche, den anderen für geistliche Angelegen- heiten, und außerdem die Magazine und Werkstätten. Das Gottes- haus war das prächtigste Gebäude, im Jesuitenstyl geschmacklos, aber prachtvoll gebaut. Nur zu seiner Ausschmückung wurde Gold und Silber verwandt, um den Jndianer durch die Pracht und den Glanz zu fesseln, wie denn auch Musik und äußeres Gepränge nicht gespart wurden bei kirchlichen Handlungen und Festen. Jeder Bezirk hatte einen Corregidor, Regidoren und Alcalden ( Oberrichter, Gemeinderäthe und Amtleute ) , unter Leitung des Mis- sionärs erwählt; auch in der Ausübung ihrer Amtsfunktion waren sie von ihm abhängig. Die Strafen, die sie nach Angabe des Geist- lichen verhängten, bestanden in Gebeten, Fasten, Gefängniß, bisweilen Geißelung und öffentlicher Kirchenbuße, und die Gezüchtigten hatten sich noch nach ausgestandener Strafe dafür bei dem Missionär zu bedanken. Jeder Bezirk stellte 2 Compagnien Jnfanterie und eine Schwa- * ) Ueber die Berücksichtigung volkswirthschaftlicher Gesichtspunkte im ge- schichtlich=geographischen Schulunterricht. Frankfurt a. M. bei B. Auffarth 1865.

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Zitationshilfe: Der Arbeitgeber. Nr. 667. Frankfurt (Hessen), 11. Februar 1870, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_arbeitgeber0667_1870/2>, abgerufen am 20.04.2024.