Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite

die Zweisiedler sprachen mit Einem Male zu ihrem
Herzen:

"Lebt Zarathustra noch? Es lohnt sich nicht mehr
zu leben, Alles ist gleich, Alles ist umsonst: oder --
wir müssen mit Zarathustra leben!"

"Warum kommt er nicht, der sich so lange an¬
kündigte? also fragen Viele; verschlang ihn die Ein¬
samkeit? Oder sollen wir wohl zu ihm kommen?"

Nun geschieht's, dass die Einsamkeit selber mürbe
wird und zerbricht, einem Grabe gleich, das zerbricht
und seine Todten nicht mehr halten kann. Überall
sieht man Auferstandene.

Nun steigen und steigen die Wellen um deinen
Berg, oh Zarathustra. Und wie hoch auch deine Höhe
ist, Viele müssen zu dir hinauf; dein Nachen soll nicht
lange mehr im Trocknen sitzen.

Und dass wir Verzweifelnde jetzt in deine Höhle
kamen und schon nicht mehr verzweifeln: ein Wahr-
und Vorzeichen ist es nur, davon, dass Bessere zu dir
unterwegs sind, --

-- denn er selber ist zu dir unterwegs, der letzte
Rest Gottes unter Menschen, das ist: alle die Menschen
der grossen Sehnsucht, des grossen Ekels, des grossen
Überdrusses,

-- Alle, die nicht leben wollen, oder sie lernen
wieder hoffen -- oder sie lernen von dir, oh Zara¬
thustra, die grosse Hoffnung!"

Also sprach der König zur Rechten und ergriff die
Hand Zarathustra's, um sie zu küssen; aber Zarathustra
wehrte seiner Verehrung und trat erschreckt zurück,
schweigend und plötzlich wie in weite Fernen entfliehend.

die Zweisiedler sprachen mit Einem Male zu ihrem
Herzen:

„Lebt Zarathustra noch? Es lohnt sich nicht mehr
zu leben, Alles ist gleich, Alles ist umsonst: oder —
wir müssen mit Zarathustra leben!“

„Warum kommt er nicht, der sich so lange an¬
kündigte? also fragen Viele; verschlang ihn die Ein¬
samkeit? Oder sollen wir wohl zu ihm kommen?“

Nun geschieht's, dass die Einsamkeit selber mürbe
wird und zerbricht, einem Grabe gleich, das zerbricht
und seine Todten nicht mehr halten kann. Überall
sieht man Auferstandene.

Nun steigen und steigen die Wellen um deinen
Berg, oh Zarathustra. Und wie hoch auch deine Höhe
ist, Viele müssen zu dir hinauf; dein Nachen soll nicht
lange mehr im Trocknen sitzen.

Und dass wir Verzweifelnde jetzt in deine Höhle
kamen und schon nicht mehr verzweifeln: ein Wahr-
und Vorzeichen ist es nur, davon, dass Bessere zu dir
unterwegs sind, —

— denn er selber ist zu dir unterwegs, der letzte
Rest Gottes unter Menschen, das ist: alle die Menschen
der grossen Sehnsucht, des grossen Ekels, des grossen
Überdrusses,

— Alle, die nicht leben wollen, oder sie lernen
wieder hoffen — oder sie lernen von dir, oh Zara¬
thustra, die grosse Hoffnung!“

Also sprach der König zur Rechten und ergriff die
Hand Zarathustra's, um sie zu küssen; aber Zarathustra
wehrte seiner Verehrung und trat erschreckt zurück,
schweigend und plötzlich wie in weite Fernen entfliehend.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0076" n="69"/>
die Zweisiedler sprachen mit Einem Male zu ihrem<lb/>
Herzen:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Lebt Zarathustra noch? Es lohnt sich nicht mehr<lb/>
zu leben, Alles ist gleich, Alles ist umsonst: oder &#x2014;<lb/>
wir müssen mit Zarathustra leben!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Warum kommt er nicht, der sich so lange an¬<lb/>
kündigte? also fragen Viele; verschlang ihn die Ein¬<lb/>
samkeit? Oder sollen wir wohl zu ihm kommen?&#x201C;</p><lb/>
        <p>Nun geschieht's, dass die Einsamkeit selber mürbe<lb/>
wird und zerbricht, einem Grabe gleich, das zerbricht<lb/>
und seine Todten nicht mehr halten kann. Überall<lb/>
sieht man Auferstandene.</p><lb/>
        <p>Nun steigen und steigen die Wellen um deinen<lb/>
Berg, oh Zarathustra. Und wie hoch auch deine Höhe<lb/>
ist, Viele müssen zu dir hinauf; dein Nachen soll nicht<lb/>
lange mehr im Trocknen sitzen.</p><lb/>
        <p>Und dass wir Verzweifelnde jetzt in deine Höhle<lb/>
kamen und schon nicht mehr verzweifeln: ein Wahr-<lb/>
und Vorzeichen ist es nur, davon, dass Bessere zu dir<lb/>
unterwegs sind, &#x2014;</p><lb/>
        <p>&#x2014; denn er selber ist zu dir unterwegs, der letzte<lb/>
Rest Gottes unter Menschen, das ist: alle die Menschen<lb/>
der grossen Sehnsucht, des grossen Ekels, des grossen<lb/>
Überdrusses,</p><lb/>
        <p>&#x2014; Alle, die nicht leben wollen, oder sie lernen<lb/>
wieder <hi rendition="#g">hoffen</hi> &#x2014; oder sie lernen von dir, oh Zara¬<lb/>
thustra, die <hi rendition="#g">grosse</hi> Hoffnung!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Also sprach der König zur Rechten und ergriff die<lb/>
Hand Zarathustra's, um sie zu küssen; aber Zarathustra<lb/>
wehrte seiner Verehrung und trat erschreckt zurück,<lb/>
schweigend und plötzlich wie in weite Fernen entfliehend.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[69/0076] die Zweisiedler sprachen mit Einem Male zu ihrem Herzen: „Lebt Zarathustra noch? Es lohnt sich nicht mehr zu leben, Alles ist gleich, Alles ist umsonst: oder — wir müssen mit Zarathustra leben!“ „Warum kommt er nicht, der sich so lange an¬ kündigte? also fragen Viele; verschlang ihn die Ein¬ samkeit? Oder sollen wir wohl zu ihm kommen?“ Nun geschieht's, dass die Einsamkeit selber mürbe wird und zerbricht, einem Grabe gleich, das zerbricht und seine Todten nicht mehr halten kann. Überall sieht man Auferstandene. Nun steigen und steigen die Wellen um deinen Berg, oh Zarathustra. Und wie hoch auch deine Höhe ist, Viele müssen zu dir hinauf; dein Nachen soll nicht lange mehr im Trocknen sitzen. Und dass wir Verzweifelnde jetzt in deine Höhle kamen und schon nicht mehr verzweifeln: ein Wahr- und Vorzeichen ist es nur, davon, dass Bessere zu dir unterwegs sind, — — denn er selber ist zu dir unterwegs, der letzte Rest Gottes unter Menschen, das ist: alle die Menschen der grossen Sehnsucht, des grossen Ekels, des grossen Überdrusses, — Alle, die nicht leben wollen, oder sie lernen wieder hoffen — oder sie lernen von dir, oh Zara¬ thustra, die grosse Hoffnung!“ Also sprach der König zur Rechten und ergriff die Hand Zarathustra's, um sie zu küssen; aber Zarathustra wehrte seiner Verehrung und trat erschreckt zurück, schweigend und plötzlich wie in weite Fernen entfliehend.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891/76
Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891/76>, abgerufen am 23.04.2024.