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Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891.

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stocks zu sehn und zu preisen. Im Einschlafen aber
sprach Zarathustra also zu seinem Herzen:

Still! Still! Ward die Welt nicht eben vollkommen?
Was geschieht mir doch?

Wie ein zierlicher Wind, ungesehn, auf getäfeltem
Meere tanzt, leicht, federleicht: so -- tanzt der Schlaf
auf mir.

Kein Auge drückt er mir zu, die Seele lässt er mir
wach. Leicht ist er, wahrlich! federleicht.

Er überredet mich, ich weiss nicht wie?, er betupft
mich innewendig mit schmeichelnder Hand, er zwingt
mich. Ja, er zwingt mich, dass meine Seele sich aus¬
streckt: --

-- wie sie mir lang und müde wird, meine wunder¬
liche Seele! Kam ihr eines siebenten Tages Abend ge¬
rade am Mittage? Wandelte sie zu lange schon selig
zwischen guten und reifen Dingen?

Sie streckt sich lang aus, lang, -- länger! sie liegt
stille, meine wunderliche Seele. Zu viel Gutes hat sie
schon geschmeckt, diese goldene Traurigkeit drückt sie,
sie verzieht den Mund.

-- Wie ein Schiff, das in seine stillste Bucht ein¬
lief: -- nun lehnt es sich an die Erde, der langen
Reisen müde und der ungewissen Meere. Ist die Erde
nicht treuer?

Wie solch ein Schiff sich dem Lande anlegt, an¬
schmiegt: -- da genügt's, dass eine Spinne vom Lande
her zu ihm ihren Faden spinnt. Keiner stärkeren Taue
bedarf es da.

Wie solch ein müdes Schiff in der stillsten Bucht:

stocks zu sehn und zu preisen. Im Einschlafen aber
sprach Zarathustra also zu seinem Herzen:

Still! Still! Ward die Welt nicht eben vollkommen?
Was geschieht mir doch?

Wie ein zierlicher Wind, ungesehn, auf getäfeltem
Meere tanzt, leicht, federleicht: so — tanzt der Schlaf
auf mir.

Kein Auge drückt er mir zu, die Seele lässt er mir
wach. Leicht ist er, wahrlich! federleicht.

Er überredet mich, ich weiss nicht wie?, er betupft
mich innewendig mit schmeichelnder Hand, er zwingt
mich. Ja, er zwingt mich, dass meine Seele sich aus¬
streckt: —

— wie sie mir lang und müde wird, meine wunder¬
liche Seele! Kam ihr eines siebenten Tages Abend ge¬
rade am Mittage? Wandelte sie zu lange schon selig
zwischen guten und reifen Dingen?

Sie streckt sich lang aus, lang, — länger! sie liegt
stille, meine wunderliche Seele. Zu viel Gutes hat sie
schon geschmeckt, diese goldene Traurigkeit drückt sie,
sie verzieht den Mund.

— Wie ein Schiff, das in seine stillste Bucht ein¬
lief: — nun lehnt es sich an die Erde, der langen
Reisen müde und der ungewissen Meere. Ist die Erde
nicht treuer?

Wie solch ein Schiff sich dem Lande anlegt, an¬
schmiegt: — da genügt's, dass eine Spinne vom Lande
her zu ihm ihren Faden spinnt. Keiner stärkeren Taue
bedarf es da.

Wie solch ein müdes Schiff in der stillsten Bucht:

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[61/0068] stocks zu sehn und zu preisen. Im Einschlafen aber sprach Zarathustra also zu seinem Herzen: Still! Still! Ward die Welt nicht eben vollkommen? Was geschieht mir doch? Wie ein zierlicher Wind, ungesehn, auf getäfeltem Meere tanzt, leicht, federleicht: so — tanzt der Schlaf auf mir. Kein Auge drückt er mir zu, die Seele lässt er mir wach. Leicht ist er, wahrlich! federleicht. Er überredet mich, ich weiss nicht wie?, er betupft mich innewendig mit schmeichelnder Hand, er zwingt mich. Ja, er zwingt mich, dass meine Seele sich aus¬ streckt: — — wie sie mir lang und müde wird, meine wunder¬ liche Seele! Kam ihr eines siebenten Tages Abend ge¬ rade am Mittage? Wandelte sie zu lange schon selig zwischen guten und reifen Dingen? Sie streckt sich lang aus, lang, — länger! sie liegt stille, meine wunderliche Seele. Zu viel Gutes hat sie schon geschmeckt, diese goldene Traurigkeit drückt sie, sie verzieht den Mund. — Wie ein Schiff, das in seine stillste Bucht ein¬ lief: — nun lehnt es sich an die Erde, der langen Reisen müde und der ungewissen Meere. Ist die Erde nicht treuer? Wie solch ein Schiff sich dem Lande anlegt, an¬ schmiegt: — da genügt's, dass eine Spinne vom Lande her zu ihm ihren Faden spinnt. Keiner stärkeren Taue bedarf es da. Wie solch ein müdes Schiff in der stillsten Bucht:

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891/68>, abgerufen am 28.03.2024.