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Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891.

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-- hörst du's nicht, wie sie heimlich, schrecklich,
herzlich zu dir redet, die alte tiefe tiefe Mitternacht?
Oh Mensch, gieb Acht!


4.

Wehe mir! Wo ist die Zeit hin? Sank ich nicht in
tiefe Brunnen? Die Welt schläft --

Ach! Ach! Der Hund heult, der Mond scheint.
Lieber will ich sterben, sterben, als euch sagen, was
mein Mitternachts-Herz eben denkt.

Nun starb ich schon. Es ist dahin. Spinne, was
spinnst du um mich? Willst du Blut? Ach! Ach! der
Thau fällt, die Stunde kommt --

-- die Stunde, wo mich fröstelt und friert, die fragt
und fragt und fragt: "wer hat Herz genug dazu?

-- wer soll der Erde Herr sein? Wer will sagen:
so sollt ihr laufen, ihr grossen und kleinen Ströme!"

-- die Stunde naht: oh Mensch, du höherer Mensch,
gieb Acht! diese Rede ist für feine Ohren, für deine
Ohren -- was spricht die tiefe Mitternacht?


5.

Es trägt mich dahin, meine Seele tanzt. Tagewerk!
Tagewerk! Wer soll der Erde Herr sein?

Der Mond ist kühl, der Wind schweigt. Ach! Ach!
Flogt ihr schon hoch genug? Ihr tanztet: aber ein Bein
ist doch kein Flügel.

Ihr guten Tänzer, nun ist alle Lust vorbei: Wein ward
Hefe, jeder Becher ward mürbe, die Gräber stammeln.

— hörst du's nicht, wie sie heimlich, schrecklich,
herzlich zu dir redet, die alte tiefe tiefe Mitternacht?
Oh Mensch, gieb Acht!


4.

Wehe mir! Wo ist die Zeit hin? Sank ich nicht in
tiefe Brunnen? Die Welt schläft —

Ach! Ach! Der Hund heult, der Mond scheint.
Lieber will ich sterben, sterben, als euch sagen, was
mein Mitternachts-Herz eben denkt.

Nun starb ich schon. Es ist dahin. Spinne, was
spinnst du um mich? Willst du Blut? Ach! Ach! der
Thau fällt, die Stunde kommt —

— die Stunde, wo mich fröstelt und friert, die fragt
und fragt und fragt: „wer hat Herz genug dazu?

— wer soll der Erde Herr sein? Wer will sagen:
so sollt ihr laufen, ihr grossen und kleinen Ströme!“

— die Stunde naht: oh Mensch, du höherer Mensch,
gieb Acht! diese Rede ist für feine Ohren, für deine
Ohren — was spricht die tiefe Mitternacht?


5.

Es trägt mich dahin, meine Seele tanzt. Tagewerk!
Tagewerk! Wer soll der Erde Herr sein?

Der Mond ist kühl, der Wind schweigt. Ach! Ach!
Flogt ihr schon hoch genug? Ihr tanztet: aber ein Bein
ist doch kein Flügel.

Ihr guten Tänzer, nun ist alle Lust vorbei: Wein ward
Hefe, jeder Becher ward mürbe, die Gräber stammeln.

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[123/0130] — hörst du's nicht, wie sie heimlich, schrecklich, herzlich zu dir redet, die alte tiefe tiefe Mitternacht? Oh Mensch, gieb Acht! 4. Wehe mir! Wo ist die Zeit hin? Sank ich nicht in tiefe Brunnen? Die Welt schläft — Ach! Ach! Der Hund heult, der Mond scheint. Lieber will ich sterben, sterben, als euch sagen, was mein Mitternachts-Herz eben denkt. Nun starb ich schon. Es ist dahin. Spinne, was spinnst du um mich? Willst du Blut? Ach! Ach! der Thau fällt, die Stunde kommt — — die Stunde, wo mich fröstelt und friert, die fragt und fragt und fragt: „wer hat Herz genug dazu? — wer soll der Erde Herr sein? Wer will sagen: so sollt ihr laufen, ihr grossen und kleinen Ströme!“ — die Stunde naht: oh Mensch, du höherer Mensch, gieb Acht! diese Rede ist für feine Ohren, für deine Ohren — was spricht die tiefe Mitternacht? 5. Es trägt mich dahin, meine Seele tanzt. Tagewerk! Tagewerk! Wer soll der Erde Herr sein? Der Mond ist kühl, der Wind schweigt. Ach! Ach! Flogt ihr schon hoch genug? Ihr tanztet: aber ein Bein ist doch kein Flügel. Ihr guten Tänzer, nun ist alle Lust vorbei: Wein ward Hefe, jeder Becher ward mürbe, die Gräber stammeln.

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891/130>, abgerufen am 28.03.2024.