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Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 3. Chemnitz, 1884.

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Siehst du nicht die Seelen hängen wie schlaffe
schmutzige Lumpen? -- Und sie machen noch Zeitungen
aus diesen Lumpen!

Hörst du nicht, wie der Geist hier zum Wortspiel
wurde? Widriges Wort-Spülicht bricht er heraus! --
Und sie machen noch Zeitungen aus diesem Wort-
Spülicht.

Sie hetzen einander und wissen nicht, wohin? Sie
erhitzen einander und wissen nicht, warum? Sie klim¬
pern mit ihrem Bleche, sie klingeln mit ihrem Golde.

Sie sind kalt und suchen sich Wärme bei ge¬
brannten Wassern; sie sind erhitzt und suchen Kühle
bei gefrorenen Geistern; sie sind Alle siech und süchtig
an öffentlichen Meinungen.

Alle Lüste und Laster sind hier zu Hause; aber
es giebt hier auch Tugendhafte, es giebt viel an¬
stellige angestellte Tugend: --

Viel anstellige Tugend mit Schreibfingern und
hartem Sitz- und Warte-Fleische, gesegnet mit kleinen
Bruststernen und ausgestopften steisslosen Töchtern.

Es giebt hier auch viel Frömmigkeit und viel
gläubige Speichel-Leckerei, Schmeichel-Bäckerei vor
dem Gott der Heerschaaren.

"Von Oben" her träufelt ja der Stern und der
gnädige Speichel; nach Oben hin sehnt sich jeder
sternenlose Busen.

Der Mond hat seinen Hof, und der Hof hat seine
Mondkälber: zu Allem aber, was vom Hofe kommt,
betet das Bettel-Volk und alle anstellige Bettel-Tugend.

"Ich diene, du dienst, wir dienen" -- so betet
alle anstellige Tugend hinauf zum Fürsten: dass der

Siehst du nicht die Seelen hängen wie schlaffe
schmutzige Lumpen? — Und sie machen noch Zeitungen
aus diesen Lumpen!

Hörst du nicht, wie der Geist hier zum Wortspiel
wurde? Widriges Wort-Spülicht bricht er heraus! —
Und sie machen noch Zeitungen aus diesem Wort-
Spülicht.

Sie hetzen einander und wissen nicht, wohin? Sie
erhitzen einander und wissen nicht, warum? Sie klim¬
pern mit ihrem Bleche, sie klingeln mit ihrem Golde.

Sie sind kalt und suchen sich Wärme bei ge¬
brannten Wassern; sie sind erhitzt und suchen Kühle
bei gefrorenen Geistern; sie sind Alle siech und süchtig
an öffentlichen Meinungen.

Alle Lüste und Laster sind hier zu Hause; aber
es giebt hier auch Tugendhafte, es giebt viel an¬
stellige angestellte Tugend: —

Viel anstellige Tugend mit Schreibfingern und
hartem Sitz- und Warte-Fleische, gesegnet mit kleinen
Bruststernen und ausgestopften steisslosen Töchtern.

Es giebt hier auch viel Frömmigkeit und viel
gläubige Speichel-Leckerei, Schmeichel-Bäckerei vor
dem Gott der Heerschaaren.

„Von Oben“ her träufelt ja der Stern und der
gnädige Speichel; nach Oben hin sehnt sich jeder
sternenlose Busen.

Der Mond hat seinen Hof, und der Hof hat seine
Mondkälber: zu Allem aber, was vom Hofe kommt,
betet das Bettel-Volk und alle anstellige Bettel-Tugend.

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alle anstellige Tugend hinauf zum Fürsten: dass der

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[37/0047] Siehst du nicht die Seelen hängen wie schlaffe schmutzige Lumpen? — Und sie machen noch Zeitungen aus diesen Lumpen! Hörst du nicht, wie der Geist hier zum Wortspiel wurde? Widriges Wort-Spülicht bricht er heraus! — Und sie machen noch Zeitungen aus diesem Wort- Spülicht. Sie hetzen einander und wissen nicht, wohin? Sie erhitzen einander und wissen nicht, warum? Sie klim¬ pern mit ihrem Bleche, sie klingeln mit ihrem Golde. Sie sind kalt und suchen sich Wärme bei ge¬ brannten Wassern; sie sind erhitzt und suchen Kühle bei gefrorenen Geistern; sie sind Alle siech und süchtig an öffentlichen Meinungen. Alle Lüste und Laster sind hier zu Hause; aber es giebt hier auch Tugendhafte, es giebt viel an¬ stellige angestellte Tugend: — Viel anstellige Tugend mit Schreibfingern und hartem Sitz- und Warte-Fleische, gesegnet mit kleinen Bruststernen und ausgestopften steisslosen Töchtern. Es giebt hier auch viel Frömmigkeit und viel gläubige Speichel-Leckerei, Schmeichel-Bäckerei vor dem Gott der Heerschaaren. „Von Oben“ her träufelt ja der Stern und der gnädige Speichel; nach Oben hin sehnt sich jeder sternenlose Busen. Der Mond hat seinen Hof, und der Hof hat seine Mondkälber: zu Allem aber, was vom Hofe kommt, betet das Bettel-Volk und alle anstellige Bettel-Tugend. „Ich diene, du dienst, wir dienen“ — so betet alle anstellige Tugend hinauf zum Fürsten: dass der

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 3. Chemnitz, 1884, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra03_1884/47>, abgerufen am 29.03.2024.