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Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 3. Chemnitz, 1884.

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-- denn nicht wollt ihr mit feiger Hand einem
Faden nachtasten; und, wo ihr errathen könnt, da
hasst ihr es, zu erschliessen --

euch allein erzähle ich das Räthsel, das ich sah,
-- das Gesicht des Einsamsten. --

Düster gieng ich jüngst durch leichenfarbne Däm¬
merung, -- düster und hart, mit gepressten Lippen.
Nicht nur Eine Sonne war mir untergegangen.

Ein Pfad, der trotzig durch Geröll stieg, ein bos¬
hafter, einsamer, dem nicht Kraut, nicht Strauch mehr
zusprach: ein Berg-Pfad knirschte unter dem Trotz
meines Fusses.

Stumm über höhnischem Geklirr von Kieseln
schreitend, den Stein zertretend, der ihn gleiten liess:
also zwang mein Fuss sich aufwärts.

Aufwärts: -- dem Geiste zum Trotz, der ihn ab¬
wärts zog, abgrundwärts zog, dem Geiste der Schwere,
meinem Teufel und Erzfeinde.

Aufwärts: -- obwohl er auf mir sass, halb Zwerg,
halb Maulwurf; lahm; lähmend; Blei durch mein Ohr,
Bleitropfen-Gedanken in mein Hirn träufelnd.

"Oh Zarathustra, raunte er höhnisch Silb' um
Silbe, du Stein der Weisheit! Du warfst dich hoch,
aber jeder geworfene Stein muss -- fallen!

Oh Zarathustra, du Stein der Weisheit, du
Schleuderstein, du Stern-Zertrümmerer! Dich selber
warfst du so hoch, -- aber jeder geworfene Stein --
muss fallen!

Verurtheilt zu dir selber und zur eignen Steini¬
gung: oh Zarathustra, weit warfst du ja den Stein, --
aber auf dich wird er zurückfallen!"

— denn nicht wollt ihr mit feiger Hand einem
Faden nachtasten; und, wo ihr errathen könnt, da
hasst ihr es, zu erschliessen

euch allein erzähle ich das Räthsel, das ich sah,
— das Gesicht des Einsamsten. —

Düster gieng ich jüngst durch leichenfarbne Däm¬
merung, — düster und hart, mit gepressten Lippen.
Nicht nur Eine Sonne war mir untergegangen.

Ein Pfad, der trotzig durch Geröll stieg, ein bos¬
hafter, einsamer, dem nicht Kraut, nicht Strauch mehr
zusprach: ein Berg-Pfad knirschte unter dem Trotz
meines Fusses.

Stumm über höhnischem Geklirr von Kieseln
schreitend, den Stein zertretend, der ihn gleiten liess:
also zwang mein Fuss sich aufwärts.

Aufwärts: — dem Geiste zum Trotz, der ihn ab¬
wärts zog, abgrundwärts zog, dem Geiste der Schwere,
meinem Teufel und Erzfeinde.

Aufwärts: — obwohl er auf mir sass, halb Zwerg,
halb Maulwurf; lahm; lähmend; Blei durch mein Ohr,
Bleitropfen-Gedanken in mein Hirn träufelnd.

„Oh Zarathustra, raunte er höhnisch Silb' um
Silbe, du Stein der Weisheit! Du warfst dich hoch,
aber jeder geworfene Stein muss — fallen!

Oh Zarathustra, du Stein der Weisheit, du
Schleuderstein, du Stern-Zertrümmerer! Dich selber
warfst du so hoch, — aber jeder geworfene Stein —
muss fallen!

Verurtheilt zu dir selber und zur eignen Steini¬
gung: oh Zarathustra, weit warfst du ja den Stein, —
aber auf dich wird er zurückfallen!“

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[7/0017] — denn nicht wollt ihr mit feiger Hand einem Faden nachtasten; und, wo ihr errathen könnt, da hasst ihr es, zu erschliessen — euch allein erzähle ich das Räthsel, das ich sah, — das Gesicht des Einsamsten. — Düster gieng ich jüngst durch leichenfarbne Däm¬ merung, — düster und hart, mit gepressten Lippen. Nicht nur Eine Sonne war mir untergegangen. Ein Pfad, der trotzig durch Geröll stieg, ein bos¬ hafter, einsamer, dem nicht Kraut, nicht Strauch mehr zusprach: ein Berg-Pfad knirschte unter dem Trotz meines Fusses. Stumm über höhnischem Geklirr von Kieseln schreitend, den Stein zertretend, der ihn gleiten liess: also zwang mein Fuss sich aufwärts. Aufwärts: — dem Geiste zum Trotz, der ihn ab¬ wärts zog, abgrundwärts zog, dem Geiste der Schwere, meinem Teufel und Erzfeinde. Aufwärts: — obwohl er auf mir sass, halb Zwerg, halb Maulwurf; lahm; lähmend; Blei durch mein Ohr, Bleitropfen-Gedanken in mein Hirn träufelnd. „Oh Zarathustra, raunte er höhnisch Silb' um Silbe, du Stein der Weisheit! Du warfst dich hoch, aber jeder geworfene Stein muss — fallen! Oh Zarathustra, du Stein der Weisheit, du Schleuderstein, du Stern-Zertrümmerer! Dich selber warfst du so hoch, — aber jeder geworfene Stein — muss fallen! Verurtheilt zu dir selber und zur eignen Steini¬ gung: oh Zarathustra, weit warfst du ja den Stein, — aber auf dich wird er zurückfallen!“

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 3. Chemnitz, 1884, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra03_1884/17>, abgerufen am 29.03.2024.