Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883.

Bild:
<< vorherige Seite

Dass die Zeit nicht zurückläuft, das ist sein In¬
grimm; "Das, was war" -- so heisst der Stein, den er
nicht wälzen kann.

Und so wälzt er Steine aus Ingrimm und Unmuth
und übt Rache an dem, was nicht gleich ihm Grimm
und Unmuth fühlt.

Also wurde der Wille, der Befreier, ein Wehe¬
thäter: und an Allem, was leiden kann, nimmt er Rache
dafür, dass er nicht zurück kann.

Diess, ja diess allein ist Rache selber: des
Willens Widerwille gegen die Zeit und ihr "Es war."

Wahrlich, eine grosse Narrheit wohnt in unserm
Willen; und zum Fluche wurde es allem Menschlichen,
dass diese Narrheit Geist lernte!

Der Geist der Rache: meine Freunde, das war
bisher der Menschen bestes Nachdenken; und wo
Leid war, da sollte immer Strafe sein.

"Strafe" nämlich, so heisst sich die Rache selber:
mit einem Lügenwort heuchelt sie sich ein gutes
Gewissen.

Und weil im Wollenden selber Leid ist, darob
dass es nicht zurück wollen kann, -- also sollte Wollen
selber und alles Leben -- Strafe sein!

Und nun wälzte sich Wolke auf Wolke über den
Geist: bis endlich der Wahnsinn predigte: "Alles ver¬
geht, darum ist Alles werth zu vergehn!"

"Und diess ist selber Gerechtigkeit, jenes Gesetz
der Zeit, dass sie ihre Kinder fressen muss": also
predigte der Wahnsinn.

Dass die Zeit nicht zurückläuft, das ist sein In¬
grimm; „Das, was war“ — so heisst der Stein, den er
nicht wälzen kann.

Und so wälzt er Steine aus Ingrimm und Unmuth
und übt Rache an dem, was nicht gleich ihm Grimm
und Unmuth fühlt.

Also wurde der Wille, der Befreier, ein Wehe¬
thäter: und an Allem, was leiden kann, nimmt er Rache
dafür, dass er nicht zurück kann.

Diess, ja diess allein ist Rache selber: des
Willens Widerwille gegen die Zeit und ihr „Es war.“

Wahrlich, eine grosse Narrheit wohnt in unserm
Willen; und zum Fluche wurde es allem Menschlichen,
dass diese Narrheit Geist lernte!

Der Geist der Rache: meine Freunde, das war
bisher der Menschen bestes Nachdenken; und wo
Leid war, da sollte immer Strafe sein.

„Strafe“ nämlich, so heisst sich die Rache selber:
mit einem Lügenwort heuchelt sie sich ein gutes
Gewissen.

Und weil im Wollenden selber Leid ist, darob
dass es nicht zurück wollen kann, — also sollte Wollen
selber und alles Leben — Strafe sein!

Und nun wälzte sich Wolke auf Wolke über den
Geist: bis endlich der Wahnsinn predigte: „Alles ver¬
geht, darum ist Alles werth zu vergehn!“

„Und diess ist selber Gerechtigkeit, jenes Gesetz
der Zeit, dass sie ihre Kinder fressen muss“: also
predigte der Wahnsinn.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0099" n="89"/>
        <p>Dass die Zeit nicht zurückläuft, das ist sein In¬<lb/>
grimm; &#x201E;Das, was war&#x201C; &#x2014; so heisst der Stein, den er<lb/>
nicht wälzen kann.</p><lb/>
        <p>Und so wälzt er Steine aus Ingrimm und Unmuth<lb/>
und übt Rache an dem, was nicht gleich ihm Grimm<lb/>
und Unmuth fühlt.</p><lb/>
        <p>Also wurde der Wille, der Befreier, ein Wehe¬<lb/>
thäter: und an Allem, was leiden kann, nimmt er Rache<lb/>
dafür, dass er nicht zurück kann.</p><lb/>
        <p>Diess, ja diess allein ist <hi rendition="#g">Rache</hi> selber: des<lb/>
Willens Widerwille gegen die Zeit und ihr &#x201E;Es war.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Wahrlich, eine grosse Narrheit wohnt in unserm<lb/>
Willen; und zum Fluche wurde es allem Menschlichen,<lb/>
dass diese Narrheit Geist lernte!</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Der Geist der Rache</hi>: meine Freunde, das war<lb/>
bisher der Menschen bestes Nachdenken; und wo<lb/>
Leid war, da sollte immer Strafe sein.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Strafe&#x201C; nämlich, so heisst sich die Rache selber:<lb/>
mit einem Lügenwort heuchelt sie sich ein gutes<lb/>
Gewissen.</p><lb/>
        <p>Und weil im Wollenden selber Leid ist, darob<lb/>
dass es nicht zurück wollen kann, &#x2014; also sollte Wollen<lb/>
selber und alles Leben &#x2014; Strafe sein!</p><lb/>
        <p>Und nun wälzte sich Wolke auf Wolke über den<lb/>
Geist: bis endlich der Wahnsinn predigte: &#x201E;Alles ver¬<lb/>
geht, darum ist Alles werth zu vergehn!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Und diess ist selber Gerechtigkeit, jenes Gesetz<lb/>
der Zeit, dass sie ihre Kinder fressen muss&#x201C;: also<lb/>
predigte der Wahnsinn.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[89/0099] Dass die Zeit nicht zurückläuft, das ist sein In¬ grimm; „Das, was war“ — so heisst der Stein, den er nicht wälzen kann. Und so wälzt er Steine aus Ingrimm und Unmuth und übt Rache an dem, was nicht gleich ihm Grimm und Unmuth fühlt. Also wurde der Wille, der Befreier, ein Wehe¬ thäter: und an Allem, was leiden kann, nimmt er Rache dafür, dass er nicht zurück kann. Diess, ja diess allein ist Rache selber: des Willens Widerwille gegen die Zeit und ihr „Es war.“ Wahrlich, eine grosse Narrheit wohnt in unserm Willen; und zum Fluche wurde es allem Menschlichen, dass diese Narrheit Geist lernte! Der Geist der Rache: meine Freunde, das war bisher der Menschen bestes Nachdenken; und wo Leid war, da sollte immer Strafe sein. „Strafe“ nämlich, so heisst sich die Rache selber: mit einem Lügenwort heuchelt sie sich ein gutes Gewissen. Und weil im Wollenden selber Leid ist, darob dass es nicht zurück wollen kann, — also sollte Wollen selber und alles Leben — Strafe sein! Und nun wälzte sich Wolke auf Wolke über den Geist: bis endlich der Wahnsinn predigte: „Alles ver¬ geht, darum ist Alles werth zu vergehn!“ „Und diess ist selber Gerechtigkeit, jenes Gesetz der Zeit, dass sie ihre Kinder fressen muss“: also predigte der Wahnsinn.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra02_1883
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra02_1883/99
Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra02_1883/99>, abgerufen am 25.04.2024.