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Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883.

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Wahrlich, zum Sterben wurden wir schon zu
müde; nun wachen wir noch und leben fort -- in
Grabkammern!" --

Also hörte Zarathustra einen Wahrsager reden;
und seine Weissagung gieng ihm zu Herzen und ver¬
wandelte ihn. Traurig gieng er umher und müde;
und er wurde Denen gleich, von welchen der Wahr¬
sager geredet hatte.

Wahrlich, so sagte er zu seinen Jüngern, es ist
um ein Kleines, so kommt diese lange Dämmerung.
Ach, wie soll ich mein Licht hinüber retten!

Dass es mir nicht ersticke in dieser Traurigkeit!
Ferneren Welten soll es ja Licht sein und noch fernsten
Nächten!

Dergestalt im Herzen bekümmert gieng Zara¬
thustra umher; und drei Tage lang nahm er nicht
Trank und Speise zu sich, hatte keine Ruhe und
verlor die Rede. Endlich geschah es, dass er in einen
tiefen Schlaf verfiel. Seine Jünger aber sassen um
ihn in langen Nachtwachen und warteten mit Sorge,
ob er wach werde und wieder rede und genesen sei
von seiner Trübsal.

Diess aber ist die Rede, welche Zarathustra sprach,
als er aufwachte; seine Stimme aber kam zu seinen
Jüngern wie aus weiter Ferne.

Hört mir doch den Traum, den ich träumte, ihr
Freunde, und helft mir seinen Sinn rathen!

Ein Räthsel ist er mir noch, dieser Traum; sein
Sinn ist verborgen in ihm und eingefangen und fliegt
noch nicht über ihn hin mit freien Flügeln.

Wahrlich, zum Sterben wurden wir schon zu
müde; nun wachen wir noch und leben fort — in
Grabkammern!“ —

Also hörte Zarathustra einen Wahrsager reden;
und seine Weissagung gieng ihm zu Herzen und ver¬
wandelte ihn. Traurig gieng er umher und müde;
und er wurde Denen gleich, von welchen der Wahr¬
sager geredet hatte.

Wahrlich, so sagte er zu seinen Jüngern, es ist
um ein Kleines, so kommt diese lange Dämmerung.
Ach, wie soll ich mein Licht hinüber retten!

Dass es mir nicht ersticke in dieser Traurigkeit!
Ferneren Welten soll es ja Licht sein und noch fernsten
Nächten!

Dergestalt im Herzen bekümmert gieng Zara¬
thustra umher; und drei Tage lang nahm er nicht
Trank und Speise zu sich, hatte keine Ruhe und
verlor die Rede. Endlich geschah es, dass er in einen
tiefen Schlaf verfiel. Seine Jünger aber sassen um
ihn in langen Nachtwachen und warteten mit Sorge,
ob er wach werde und wieder rede und genesen sei
von seiner Trübsal.

Diess aber ist die Rede, welche Zarathustra sprach,
als er aufwachte; seine Stimme aber kam zu seinen
Jüngern wie aus weiter Ferne.

Hört mir doch den Traum, den ich träumte, ihr
Freunde, und helft mir seinen Sinn rathen!

Ein Räthsel ist er mir noch, dieser Traum; sein
Sinn ist verborgen in ihm und eingefangen und fliegt
noch nicht über ihn hin mit freien Flügeln.

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[80/0090] Wahrlich, zum Sterben wurden wir schon zu müde; nun wachen wir noch und leben fort — in Grabkammern!“ — Also hörte Zarathustra einen Wahrsager reden; und seine Weissagung gieng ihm zu Herzen und ver¬ wandelte ihn. Traurig gieng er umher und müde; und er wurde Denen gleich, von welchen der Wahr¬ sager geredet hatte. Wahrlich, so sagte er zu seinen Jüngern, es ist um ein Kleines, so kommt diese lange Dämmerung. Ach, wie soll ich mein Licht hinüber retten! Dass es mir nicht ersticke in dieser Traurigkeit! Ferneren Welten soll es ja Licht sein und noch fernsten Nächten! Dergestalt im Herzen bekümmert gieng Zara¬ thustra umher; und drei Tage lang nahm er nicht Trank und Speise zu sich, hatte keine Ruhe und verlor die Rede. Endlich geschah es, dass er in einen tiefen Schlaf verfiel. Seine Jünger aber sassen um ihn in langen Nachtwachen und warteten mit Sorge, ob er wach werde und wieder rede und genesen sei von seiner Trübsal. Diess aber ist die Rede, welche Zarathustra sprach, als er aufwachte; seine Stimme aber kam zu seinen Jüngern wie aus weiter Ferne. Hört mir doch den Traum, den ich träumte, ihr Freunde, und helft mir seinen Sinn rathen! Ein Räthsel ist er mir noch, dieser Traum; sein Sinn ist verborgen in ihm und eingefangen und fliegt noch nicht über ihn hin mit freien Flügeln.

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra02_1883/90>, abgerufen am 28.03.2024.