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Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883.

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Von den Dichtern.


"Seit ich den Leib besser kenne, -- sagte Zara¬
thustra zu einem seiner Jünger -- ist mir der Geist
nur noch gleichsam Geist; und alles das "Unvergäng¬
liche" -- das ist auch nur ein Gleichniss."

"So hörte ich dich schon einmal sagen, antwortete
der Jünger; und damals fügtest du hinzu: "aber die
Dichter lügen zuviel." Warum sagtest du doch, dass
die Dichter zuviel lügen?

"Warum? sagte Zarathustra. Du fragst warum?
Ich gehöre nicht zu Denen, welche man nach ihrem
Warum fragen darf.

Ist denn mein Erleben von Gestern? Das ist lange
her, dass ich die Gründe meiner Meinungen erlebte.

Müsste ich nicht ein Fass sein von Gedächtniss,
wenn ich auch meine Gründe bei mir haben wollte?

Schon zuviel ist mir's, meine Meinungen selber
zu behalten; und mancher Vogel fliegt davon.

Und mitunter finde ich auch ein zugeflogenes
Thier in meinem Taubenschlage, das mir fremd ist,
und das zittert, wenn ich meine Hand darauf lege.

Doch was sagte dir einst Zarathustra? Dass die
Dichter zuviel lügen? -- Aber auch Zarathustra ist
ein Dichter.

Von den Dichtern.


„Seit ich den Leib besser kenne, — sagte Zara¬
thustra zu einem seiner Jünger — ist mir der Geist
nur noch gleichsam Geist; und alles das „Unvergäng¬
liche“ — das ist auch nur ein Gleichniss.“

„So hörte ich dich schon einmal sagen, antwortete
der Jünger; und damals fügtest du hinzu: „aber die
Dichter lügen zuviel.“ Warum sagtest du doch, dass
die Dichter zuviel lügen?

„Warum? sagte Zarathustra. Du fragst warum?
Ich gehöre nicht zu Denen, welche man nach ihrem
Warum fragen darf.

Ist denn mein Erleben von Gestern? Das ist lange
her, dass ich die Gründe meiner Meinungen erlebte.

Müsste ich nicht ein Fass sein von Gedächtniss,
wenn ich auch meine Gründe bei mir haben wollte?

Schon zuviel ist mir's, meine Meinungen selber
zu behalten; und mancher Vogel fliegt davon.

Und mitunter finde ich auch ein zugeflogenes
Thier in meinem Taubenschlage, das mir fremd ist,
und das zittert, wenn ich meine Hand darauf lege.

Doch was sagte dir einst Zarathustra? Dass die
Dichter zuviel lügen? — Aber auch Zarathustra ist
ein Dichter.

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[68/0078] Von den Dichtern. „Seit ich den Leib besser kenne, — sagte Zara¬ thustra zu einem seiner Jünger — ist mir der Geist nur noch gleichsam Geist; und alles das „Unvergäng¬ liche“ — das ist auch nur ein Gleichniss.“ „So hörte ich dich schon einmal sagen, antwortete der Jünger; und damals fügtest du hinzu: „aber die Dichter lügen zuviel.“ Warum sagtest du doch, dass die Dichter zuviel lügen? „Warum? sagte Zarathustra. Du fragst warum? Ich gehöre nicht zu Denen, welche man nach ihrem Warum fragen darf. Ist denn mein Erleben von Gestern? Das ist lange her, dass ich die Gründe meiner Meinungen erlebte. Müsste ich nicht ein Fass sein von Gedächtniss, wenn ich auch meine Gründe bei mir haben wollte? Schon zuviel ist mir's, meine Meinungen selber zu behalten; und mancher Vogel fliegt davon. Und mitunter finde ich auch ein zugeflogenes Thier in meinem Taubenschlage, das mir fremd ist, und das zittert, wenn ich meine Hand darauf lege. Doch was sagte dir einst Zarathustra? Dass die Dichter zuviel lügen? — Aber auch Zarathustra ist ein Dichter.

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra02_1883/78>, abgerufen am 28.03.2024.