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Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883.

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Böse heisse ich's und menschenfeindlich: all diess
Lehren vom Einen und Vollen und Unbewegten und
Satten und Unvergänglichen!

Alles Unvergängliche -- das ist nur ein Gleich¬
niss! Und die Dichter lügen zuviel. --

Aber von Zeit und Werden sollen die besten
Gleichnisse reden: ein Lob sollen sie sein und eine
Rechtfertigung aller Vergänglichkeit!

Schaffen -- das ist die grosse Erlösung vom
Leiden, und des Lebens Leichtwerden. Aber dass der
Schaffende sei, dazu selber thut Leid noth und viel
Verwandelung.

Ja, viel bitteres Sterben muss in eurem Leben
sein, ihr Schaffenden! Also seid ihr Fürsprecher und
Rechtfertiger aller Vergänglichkeit.

Dass der Schaffende selber das Kind sei, das neu
geboren werde, dazu muss er auch die Gebärerin sein
wollen und der Schmerz der Gebärerin.

Wahrlich, durch hundert Seelen gieng ich meinen
Weg und durch hundert Wiegen und Geburtswehen.
Manchen Abschied nahm ich schon, ich kenne die
herzbrechenden letzten Stunden.

Aber so will's mein schaffender Wille, mein
Schicksal. Oder, dass ich's euch redlicher sage:
solches Schicksal gerade -- will mein Wille.

Alles Fühlende leidet an mir und ist in Gefäng¬
nissen: aber mein Wollen kommt mir stets als mein
Befreier und Freudebringer.

Wollen befreit: das ist die wahre Lehre von Wille
und Freiheit -- so lehrt sie euch Zarathustra.

Böse heisse ich's und menschenfeindlich: all diess
Lehren vom Einen und Vollen und Unbewegten und
Satten und Unvergänglichen!

Alles Unvergängliche — das ist nur ein Gleich¬
niss! Und die Dichter lügen zuviel. —

Aber von Zeit und Werden sollen die besten
Gleichnisse reden: ein Lob sollen sie sein und eine
Rechtfertigung aller Vergänglichkeit!

Schaffen — das ist die grosse Erlösung vom
Leiden, und des Lebens Leichtwerden. Aber dass der
Schaffende sei, dazu selber thut Leid noth und viel
Verwandelung.

Ja, viel bitteres Sterben muss in eurem Leben
sein, ihr Schaffenden! Also seid ihr Fürsprecher und
Rechtfertiger aller Vergänglichkeit.

Dass der Schaffende selber das Kind sei, das neu
geboren werde, dazu muss er auch die Gebärerin sein
wollen und der Schmerz der Gebärerin.

Wahrlich, durch hundert Seelen gieng ich meinen
Weg und durch hundert Wiegen und Geburtswehen.
Manchen Abschied nahm ich schon, ich kenne die
herzbrechenden letzten Stunden.

Aber so will's mein schaffender Wille, mein
Schicksal. Oder, dass ich's euch redlicher sage:
solches Schicksal gerade — will mein Wille.

Alles Fühlende leidet an mir und ist in Gefäng¬
nissen: aber mein Wollen kommt mir stets als mein
Befreier und Freudebringer.

Wollen befreit: das ist die wahre Lehre von Wille
und Freiheit — so lehrt sie euch Zarathustra.

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[7/0017] Böse heisse ich's und menschenfeindlich: all diess Lehren vom Einen und Vollen und Unbewegten und Satten und Unvergänglichen! Alles Unvergängliche — das ist nur ein Gleich¬ niss! Und die Dichter lügen zuviel. — Aber von Zeit und Werden sollen die besten Gleichnisse reden: ein Lob sollen sie sein und eine Rechtfertigung aller Vergänglichkeit! Schaffen — das ist die grosse Erlösung vom Leiden, und des Lebens Leichtwerden. Aber dass der Schaffende sei, dazu selber thut Leid noth und viel Verwandelung. Ja, viel bitteres Sterben muss in eurem Leben sein, ihr Schaffenden! Also seid ihr Fürsprecher und Rechtfertiger aller Vergänglichkeit. Dass der Schaffende selber das Kind sei, das neu geboren werde, dazu muss er auch die Gebärerin sein wollen und der Schmerz der Gebärerin. Wahrlich, durch hundert Seelen gieng ich meinen Weg und durch hundert Wiegen und Geburtswehen. Manchen Abschied nahm ich schon, ich kenne die herzbrechenden letzten Stunden. Aber so will's mein schaffender Wille, mein Schicksal. Oder, dass ich's euch redlicher sage: solches Schicksal gerade — will mein Wille. Alles Fühlende leidet an mir und ist in Gefäng¬ nissen: aber mein Wollen kommt mir stets als mein Befreier und Freudebringer. Wollen befreit: das ist die wahre Lehre von Wille und Freiheit — so lehrt sie euch Zarathustra.

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra02_1883/17>, abgerufen am 29.03.2024.