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Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883.

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mich sahe ich darin, sondern eines Teufels Fratze
und Hohnlachen.

Wahrlich, allzugut verstehe ich des Traumes
Zeichen und Mahnung: meine Lehre ist in Gefahr.
Unkraut will Weizen heissen!

Meine Feinde sind mächtig worden und haben
meiner Lehre Bildniss entstellt, also, dass meine
Liebsten sich der Gaben schämen müssen, die ich
ihnen gab.

Verloren giengen mir meine Freunde; die Stunde
kam mir, meine Verlornen zu suchen!" --

Mit diesen Worten sprang Zarathustra auf, aber
nicht wie ein Geängstigter, der nach Luft sucht,
sondern eher wie ein Seher und Sänger, welchen der
Geist anfällt. Verwundert sahen sein Adler und seine
Schlange auf ihn hin: denn gleich dem Morgenrothe
lag ein kommendes Glück auf seinem Antlitze.

Was geschah mir doch, meine Thiere? -- sagte
Zarathustra. Bin ich nicht verwandelt! Kam mir
nicht die Seligkeit wie ein Sturmwind?

Thöricht ist mein Glück und Thörichtes wird es
reden: zu jung noch ist es -- so habt Geduld mit ihm!

Verwundet bin ich von meinem Glücke: alle
Leidenden sollen mir Ärzte sein!

Zu meinen Freunden darf ich wieder hinab und
auch zu meinen Feinden! Zarathustra darf wieder
reden und schenken und Lieben das Liebste thun!

Meine ungeduldige Liebe fliesst über in Strömen,
abwärts, nach Aufgang und Niedergang. Aus schweig¬
samem Gebirge und Gewittern des Schmerzes rauscht
meine Seele in die Thäler.

mich sahe ich darin, sondern eines Teufels Fratze
und Hohnlachen.

Wahrlich, allzugut verstehe ich des Traumes
Zeichen und Mahnung: meine Lehre ist in Gefahr.
Unkraut will Weizen heissen!

Meine Feinde sind mächtig worden und haben
meiner Lehre Bildniss entstellt, also, dass meine
Liebsten sich der Gaben schämen müssen, die ich
ihnen gab.

Verloren giengen mir meine Freunde; die Stunde
kam mir, meine Verlornen zu suchen!“ —

Mit diesen Worten sprang Zarathustra auf, aber
nicht wie ein Geängstigter, der nach Luft sucht,
sondern eher wie ein Seher und Sänger, welchen der
Geist anfällt. Verwundert sahen sein Adler und seine
Schlange auf ihn hin: denn gleich dem Morgenrothe
lag ein kommendes Glück auf seinem Antlitze.

Was geschah mir doch, meine Thiere? — sagte
Zarathustra. Bin ich nicht verwandelt! Kam mir
nicht die Seligkeit wie ein Sturmwind?

Thöricht ist mein Glück und Thörichtes wird es
reden: zu jung noch ist es — so habt Geduld mit ihm!

Verwundet bin ich von meinem Glücke: alle
Leidenden sollen mir Ärzte sein!

Zu meinen Freunden darf ich wieder hinab und
auch zu meinen Feinden! Zarathustra darf wieder
reden und schenken und Lieben das Liebste thun!

Meine ungeduldige Liebe fliesst über in Strömen,
abwärts, nach Aufgang und Niedergang. Aus schweig¬
samem Gebirge und Gewittern des Schmerzes rauscht
meine Seele in die Thäler.

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[2/0012] mich sahe ich darin, sondern eines Teufels Fratze und Hohnlachen. Wahrlich, allzugut verstehe ich des Traumes Zeichen und Mahnung: meine Lehre ist in Gefahr. Unkraut will Weizen heissen! Meine Feinde sind mächtig worden und haben meiner Lehre Bildniss entstellt, also, dass meine Liebsten sich der Gaben schämen müssen, die ich ihnen gab. Verloren giengen mir meine Freunde; die Stunde kam mir, meine Verlornen zu suchen!“ — Mit diesen Worten sprang Zarathustra auf, aber nicht wie ein Geängstigter, der nach Luft sucht, sondern eher wie ein Seher und Sänger, welchen der Geist anfällt. Verwundert sahen sein Adler und seine Schlange auf ihn hin: denn gleich dem Morgenrothe lag ein kommendes Glück auf seinem Antlitze. Was geschah mir doch, meine Thiere? — sagte Zarathustra. Bin ich nicht verwandelt! Kam mir nicht die Seligkeit wie ein Sturmwind? Thöricht ist mein Glück und Thörichtes wird es reden: zu jung noch ist es — so habt Geduld mit ihm! Verwundet bin ich von meinem Glücke: alle Leidenden sollen mir Ärzte sein! Zu meinen Freunden darf ich wieder hinab und auch zu meinen Feinden! Zarathustra darf wieder reden und schenken und Lieben das Liebste thun! Meine ungeduldige Liebe fliesst über in Strömen, abwärts, nach Aufgang und Niedergang. Aus schweig¬ samem Gebirge und Gewittern des Schmerzes rauscht meine Seele in die Thäler.

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra02_1883/12>, abgerufen am 29.03.2024.