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Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883.

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Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: "Oh
Zarathustra, wer Berge zu versetzen hat, der versetzt
auch Thäler und Niederungen." --

Und ich antwortete: "Noch versetzte mein Wort
keine Berge, und was ich redete, erreichte die Menschen
nicht. Ich gieng wohl zu den Menschen, aber noch
langte ich nicht bei ihnen an."

Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: "Was
weisst du davon! Der Thau fällt auf das Gras, wenn
die Nacht am verschwiegensten ist." --

Und ich antwortete: "sie verspotteten mich, als
ich meinen eigenen Weg fand und gieng; und in
Wahrheit zitterten damals meine Füsse.

Und so sprachen sie zu mir: du verlerntest den
Weg, nun verlernst du auch das Gehen!"

Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: "Was
liegt an ihrem Spotte! Du bist Einer, der das Gehorchen
verlernt hat: nun sollst du befehlen!

Weisst du nicht, wer Allen am nöthigsten thut?
Der Grosses befiehlt.

Grosses vollführen ist schwer: aber das Schwerere
ist, Grosses befehlen.

Das ist dein Unverzeihlichstes: du hast die Macht,
und du willst nicht herrschen." --

Und ich antwortete: "Mir fehlt des Löwen
Stimme zu allem Befehlen."

Da sprach es wieder wie ein Flüstern zu mir:
"Die stillsten Worte sind es, welche den Sturm
bringen. Gedanken, die mit Taubenfüssen kommen,
lenken die Welt.

7*

Da ſprach es wieder ohne Stimme zu mir: „Oh
Zarathustra, wer Berge zu versetzen hat, der versetzt
auch Thäler und Niederungen.“ —

Und ich antwortete: „Noch versetzte mein Wort
keine Berge, und was ich redete, erreichte die Menschen
nicht. Ich gieng wohl zu den Menschen, aber noch
langte ich nicht bei ihnen an.“

Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: „Was
weisst du davon! Der Thau fällt auf das Gras, wenn
die Nacht am verschwiegensten ist.“ —

Und ich antwortete: „sie verspotteten mich, als
ich meinen eigenen Weg fand und gieng; und in
Wahrheit zitterten damals meine Füsse.

Und so sprachen sie zu mir: du verlerntest den
Weg, nun verlernst du auch das Gehen!“

Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: „Was
liegt an ihrem Spotte! Du bist Einer, der das Gehorchen
verlernt hat: nun sollst du befehlen!

Weisst du nicht, wer Allen am nöthigsten thut?
Der Grosses befiehlt.

Grosses vollführen ist schwer: aber das Schwerere
ist, Grosses befehlen.

Das ist dein Unverzeihlichstes: du hast die Macht,
und du willst nicht herrschen.“ —

Und ich antwortete: „Mir fehlt des Löwen
Stimme zu allem Befehlen.“

Da sprach es wieder wie ein Flüstern zu mir:
„Die stillsten Worte sind es, welche den Sturm
bringen. Gedanken, die mit Taubenfüssen kommen,
lenken die Welt.

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[99/0109] Da ſprach es wieder ohne Stimme zu mir: „Oh Zarathustra, wer Berge zu versetzen hat, der versetzt auch Thäler und Niederungen.“ — Und ich antwortete: „Noch versetzte mein Wort keine Berge, und was ich redete, erreichte die Menschen nicht. Ich gieng wohl zu den Menschen, aber noch langte ich nicht bei ihnen an.“ Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: „Was weisst du davon! Der Thau fällt auf das Gras, wenn die Nacht am verschwiegensten ist.“ — Und ich antwortete: „sie verspotteten mich, als ich meinen eigenen Weg fand und gieng; und in Wahrheit zitterten damals meine Füsse. Und so sprachen sie zu mir: du verlerntest den Weg, nun verlernst du auch das Gehen!“ Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: „Was liegt an ihrem Spotte! Du bist Einer, der das Gehorchen verlernt hat: nun sollst du befehlen! Weisst du nicht, wer Allen am nöthigsten thut? Der Grosses befiehlt. Grosses vollführen ist schwer: aber das Schwerere ist, Grosses befehlen. Das ist dein Unverzeihlichstes: du hast die Macht, und du willst nicht herrschen.“ — Und ich antwortete: „Mir fehlt des Löwen Stimme zu allem Befehlen.“ Da sprach es wieder wie ein Flüstern zu mir: „Die stillsten Worte sind es, welche den Sturm bringen. Gedanken, die mit Taubenfüssen kommen, lenken die Welt. 7*

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra02_1883/109>, abgerufen am 18.04.2024.