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Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. [Bd. 1]. Chemnitz, 1883.

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fanden es nicht, nicht fiel es ihnen als Stimme vom
Himmel.

Werthe legte erst der Mensch in die Dinge, sich
zu erhalten, -- er schuf erst den Dingen Sinn, einen
Menschen-Sinn! Darum nennt er sich "Mensch", das
ist: der Schätzende.

Schätzen ist Schaffen: hört es, ihr Schaffenden!
Schätzen selber ist aller geschätzten Dinge Schatz
und Kleinod.

Durch das Schätzen erst giebt es Werth: und
ohne das Schätzen wäre die Nuss des Daseins hohl.
Hört es, ihr Schaffenden!

Wandel der Werthe, -- das ist Wandel der Schaffen¬
den. Immer vernichtet, wer ein Schöpfer sein muss.

Schaffende waren erst Völker und spät erst Ein¬
zelne; wahrlich, der Einzelne selber ist noch die jüngste
Schöpfung.

Völker hängten sich einst eine Tafel des Guten
über sich. Liebe, die herrschen will, und Liebe, die
gehorchen will, erschufen sich zusammen solche Tafeln.

Älter ist an der Heerde die Lust, als die Lust am
Ich: und so lange das gute Gewissen Heerde heisst,
sagt nur das schlechte Gewissen: Ich.

Wahrlich, das schlaue Ich, das lieblose, das seinen
Nutzen im Nutzen Vieler will: das ist nicht der Heerde
Ursprung, sondern ihr Untergang.

Liebende waren es stets und Schaffende, die
schufen Gut und Böse. Feuer der Liebe glüht in aller
Tugenden Namen und Feuer des Zorns.

Viele Länder sah Zarathustra und viele Völker:

fanden es nicht, nicht fiel es ihnen als Stimme vom
Himmel.

Werthe legte erst der Mensch in die Dinge, sich
zu erhalten, — er schuf erst den Dingen Sinn, einen
Menschen-Sinn! Darum nennt er sich „Mensch“, das
ist: der Schätzende.

Schätzen ist Schaffen: hört es, ihr Schaffenden!
Schätzen selber ist aller geschätzten Dinge Schatz
und Kleinod.

Durch das Schätzen erst giebt es Werth: und
ohne das Schätzen wäre die Nuss des Daseins hohl.
Hört es, ihr Schaffenden!

Wandel der Werthe, — das ist Wandel der Schaffen¬
den. Immer vernichtet, wer ein Schöpfer sein muss.

Schaffende waren erst Völker und spät erst Ein¬
zelne; wahrlich, der Einzelne selber ist noch die jüngste
Schöpfung.

Völker hängten sich einst eine Tafel des Guten
über sich. Liebe, die herrschen will, und Liebe, die
gehorchen will, erschufen sich zusammen solche Tafeln.

Älter ist an der Heerde die Lust, als die Lust am
Ich: und so lange das gute Gewissen Heerde heisst,
sagt nur das schlechte Gewissen: Ich.

Wahrlich, das schlaue Ich, das lieblose, das seinen
Nutzen im Nutzen Vieler will: das ist nicht der Heerde
Ursprung, sondern ihr Untergang.

Liebende waren es stets und Schaffende, die
schufen Gut und Böse. Feuer der Liebe glüht in aller
Tugenden Namen und Feuer des Zorns.

Viele Länder sah Zarathustra und viele Völker:

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[82/0088] fanden es nicht, nicht fiel es ihnen als Stimme vom Himmel. Werthe legte erst der Mensch in die Dinge, sich zu erhalten, — er schuf erst den Dingen Sinn, einen Menschen-Sinn! Darum nennt er sich „Mensch“, das ist: der Schätzende. Schätzen ist Schaffen: hört es, ihr Schaffenden! Schätzen selber ist aller geschätzten Dinge Schatz und Kleinod. Durch das Schätzen erst giebt es Werth: und ohne das Schätzen wäre die Nuss des Daseins hohl. Hört es, ihr Schaffenden! Wandel der Werthe, — das ist Wandel der Schaffen¬ den. Immer vernichtet, wer ein Schöpfer sein muss. Schaffende waren erst Völker und spät erst Ein¬ zelne; wahrlich, der Einzelne selber ist noch die jüngste Schöpfung. Völker hängten sich einst eine Tafel des Guten über sich. Liebe, die herrschen will, und Liebe, die gehorchen will, erschufen sich zusammen solche Tafeln. Älter ist an der Heerde die Lust, als die Lust am Ich: und so lange das gute Gewissen Heerde heisst, sagt nur das schlechte Gewissen: Ich. Wahrlich, das schlaue Ich, das lieblose, das seinen Nutzen im Nutzen Vieler will: das ist nicht der Heerde Ursprung, sondern ihr Untergang. Liebende waren es stets und Schaffende, die schufen Gut und Böse. Feuer der Liebe glüht in aller Tugenden Namen und Feuer des Zorns. Viele Länder sah Zarathustra und viele Völker:

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. [Bd. 1]. Chemnitz, 1883, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra01_1883/88>, abgerufen am 29.03.2024.